Wasserkraftwerk Walchensee in Bayern: Die Kraft der Zerstörung
Das Walchenseekraftwerk in Bayern erzeugt Energie mit Wasserkraft. Das gilt als klimafreundlich, dabei werden dafür Tiere und Pflanzen verdrängt.
G oldbraun heben sich die Huchen in der Strömung vom Kies im Isar-Bett ab. Sie könnten als rostiger Zaunpfahl durchgehen, wenn nicht dann und wann eine Schwanzflosse aus dem Wasser ragen würde. Zwei Huchen stehen einen halben Meter vom Ufer der Schotterbank am Münchner Flaucher entfernt. Am schmalen Kopf zeichnet sich ein langes Maul ab. Raubtiere.
Empfohlener externer Inhalt
Da schnellt das 80, 90 Zentimeter lange Huchen-Weibchen um die eigene Achse, zeigt weißen Bauch, peitscht mit der hinteren Körperhälfte den Kies, liegt für einen Moment rücklings im Wasser, schwappt zurück und steht schon wieder ruhig in der Strömung, als das Männchen über dem Kies hoffentlich das macht, was er soll: Die im Kies liegenden Eier besamen.
Die bis zu 1,50 Meter großen Huchen (Hucho hucho) sind mit den Forellen und Lachsen verwandt. Angeln verboten, sie sind vom Aussterben bedroht, auch wenn sie hier mitten in der Millionenstadt München laichen und leben. In ihrem Lebensraum einiger Alpenflüsse auf dem Weg zur Donau fehlen die mit sauerstoffreichem, kaltem Wasser überspülten Kiesflächen. Der Großteil des Wassers aus den Alpen wird wie aus der Isar alle paar Kilometer in Kanälen für Wasserkraftwerke abgeleitet. Der Fluss ist eine Restwasserstrecke, wie Wasserbauingenieure sagen.
Oder die Flüsse werden wie der Lech alle paar Kilometer gestaut und plumpsen dann durch die Turbinen, damit aus der gewonnenen Energie irgendwo Strom wird. Die Huchen, Äschen, Nasen und anderen Fischarten der Alpenflüsse brauchen den Kies. Er ist Brutkammer und Kinderstube der Fischlarven und deren Futter aus Insektenlarven und Kleinkrebsen. Fließt zu wenig Wasser, verklebt ein Schmodder aus Lehm und Pflanzenresten die Lebensritzen der Flusstierchen.
Hoch oben in den Alpen gibt es ein anderes Problem. Den für die Wasserkraft geteilten Alpenflüssen fehlt die Kraft, um Steine und Kiesel zu bewegen. Geschiebe heißen die Schottermengen in natürlichen Alpenflüssen, doch die Isar schiebt am Oberlauf nichts mehr. Der Schotter türmt sich, muss aus dem trockenen Flussbett gebaggert und abtransportiert werden. Die Wasserkraft der Isar fließt in das System des Walchenseekraftwerks.
„Das Walchenseekraftwerk ist eine ältere Dame“, sagt Theodoros Reumschüssel, der Pressesprecher für Wasserkraft bei dem Energieunternehmen Uniper. Er spricht mit Pausen, ist geübt darin, das komplexe Kraftwerkssystem auch Laien verständlich zu machen. Das Kraftwerk gehört Uniper, 2030 läuft die Genehmigung dafür ab, Uniper hat beim Bayerischen Umweltministerium bereits den Weiterbetrieb beantragt. Reumschüssel hält auch den Kontakt zu den Bürgermeistern entlang der Flüsse, spricht mit den Fischereiverbänden und mit der kommunalen „Notgemeinschaft Rettet die Isar jetzt“. „Eine ältere Dame mit einer weitverzweigten Verwandtschaft“, sagt Reumschüssel und lässt seinen Blick über einen Schaukasten mit dem Walchenseekraftwerk-System schweifen.
Vom Kochelsee schaut er die sechs grünen Rohre des Druckwasser-Kraftwerks hinauf zum Walchensee. Am südlichen Seeufer erhebt sich das Karwendelgebirge, zwischen den 2.500 Meter hohen Bergen für das Spielzeugeisenbahnformat windet sich der Rißbach. Isar und Loisach laufen bis nach Wolfratshausen im Alpenvorland, Streichholz große Strommasten ziehen sich durch die alpenländische Miniaturlandschaft bis in die Münchner Ebene. „Die Verwandtschaft oder das Kraftwerkssystem beginnt am Wehr in Krün“, sagt Reumschüssel, drückt einen Knopf am Schaukasten und eine winzige Lampe leuchtet tief in den Alpen am Stausee einer blau gemalten Isar bei der Ortschaft Krün.
In Krün leitet Uniper den Großteil des Isarwassers in ein Betonkorsett. Hier ist die alte Dame knausrig und lässt seit einem Landtagsbeschluss 1990 drei beziehungsweise 4,8 Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Flussbett. Die Wasserverringerung hat die Kilowattstundenausbeute im Walchenseekraftwerk um 50 Millionen kWh im Jahr geschmälert. Doch das der Isar überlassene Restwasser reicht für das natürliche Ökotop am Alpenfluss nicht aus. Lavendel- und Purpurweiden verbuschen die Schotterinseln, Fichten breiten sich in der Au aus, wo Schneeheide und Kiefern wachsen sollten. Es fehlt die Wasserkraft der Zerstörung, die das Ökosystem Alpenfluss ermöglicht. Alpenflüsse wie einst die Isar winden sich durch breite Täler, schieben Steine und Kiesel von den Gletschern hinab, mäandern klar und türkisgrün, schwellen während Regen und der Schneeschmelzen zu schlammigen Strömen, reißen Weidengebüsch von den Ufern und Schotter von ihren Bänken.
Die Flüsse wechseln mit den Hochwassern ihren Lauf, türmen Steine, wo zuvor der Enzian blühte. Die Harmonie der Alpenflüsse liegt in der Zerstörung, erst der ewige Wandel verschafft den an dieses Ökosystem angepassten Tieren und Pflanzen einen sicheren Lebensraum. Noch grünt im kargen Kiesbett der Isar unscheinbar und weltweit einzigartig die Deutsche Tamariske, die sich an Hitze, Dürre und Kälte in den Schotterritzen angepasst hat. Der seltene Flussregenpfeifer brütet auf dem Kies, die Gefleckte Schnarrschrecke hat auf den Geröllhalden der Alpenflüsse ihren letzten Lebensraum in Deutschland.
2030 läuft die Konzession für das Walchenseekraftwerkssystem ab. „Voraussetzung für eine neue Zulassung ist, dass die Belange der Wasserrahmenrichtlinie im wasserrechtlichen Verfahren angemessen berücksichtigt werden“, schreibt das Bayerische Umweltministerium auf Anfrage. Bislang vernachlässigt der Freistaat die Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie rund um das Walchenseekraftwerk. Die Wasserrahmenrichtlinie schreibt vor, dass Flüsse in „gutem ökologischenZustand“ sein müssen. Späteste Frist ist 2027. Das Umweltministerium will sich diese Zeit nehmen.
Alle Bundesländer müssen die Wasserrahmenrichtlinie umsetzen. Sie soll vor allem den Lebensraum von Fischen wieder herstellen. An Tausenden Flüssen mit kleiner Wasserkraft tut sich die Bayerische Landesregierung bislang schwer, dem Druck der Wasserkraftlobbyisten zu widerstehen. So verschleppt das Bayerische Umweltministerium seit 2017 einen Mindestwasserleitfaden, der das ökologisch notwendige Restwasser in Zeiten des Klimawandels in den Flüssen regelt. Rund 4000 der 4268 Wasserkraftanlagen an den bayerischen Flüssen und Bächen sind so klein, dass sie zusammen nicht mehr als 9 Prozent des bayerischen Stroms aus Wasserkraft erzeugen.
Die Betreiber der Kleinwasserkraftanlagen sind politisch bestens vernetzt. Die Bundestagsabgeordneten Georg Nüßlein (seit dem Corona-Maskenskandal nicht mehr in der CSU) und Peter Ramsauer (CSU) haben „stets ein offenes Ohr für die Anliegen von uns Wasserkraftwerksbetreibern“, schreibt der Verband der Bayerischen Wasserkraftwerke in einem Rundschreiben Anfang 2021. Er dankt den beiden CSU-Lobbyisten, dass sie im Dezember 2020 dafür sorgten, dass die Kleinwasserkraftbetreiber nach der Novelle des Erneuerbaren-Energie-Gesetzes 3 Cent mehr pro Kilowattstunde aus der Staatskasse erhalten.
„Wir wollen, dass die Natur zu ihrem Recht kommt und die Gesetze eingehalten werden“, sagt Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbunds für Vogelschutz (LBV). Der LBV und zwölf Organisationen von WWF und BUND bis hin zum Bayerischen Fischereiverband und den Kommunen der „Notgemeinschaft Rettet die Isar jetzt“ haben sich verbündet. Sie wollen „auf Augenhöhe mitreden“ bei der Neukonzession des Walchenseekraftwerks und mitbestimmen, wer die Umweltverträglichkeitsprüfung durchführt. Die 13 Verbände haben schlechte Erfahrungen mit dem „Drehtür-Ministerium“, wie Schäffer sagt. Die Naturschützer, Bürgermeister, Fischereivertreter, Kajakfahrer – und das generische Maskulinum reicht für das Bündnis – wollen mehr Wasser in Isar, Rißbach und den anderen Flüssen.
Das Kraftwerk soll auf jeden Fall weiter bestehen, da sind sie sich einig. „Das Restwasser muss wissenschaftlich festgelegt werden“, sagt Karl Probst, Vorstand des Vereins „Rettet die Isar jetzt“, der seit 1974 für das Wasser in der Isar am Oberlauf kämpft. Der Verein hat es einst geschafft, dass im Isar-Bett zwischen Krün und dem 20 Kilometer entfernten Sylvensteinspeicher seit 1990 überhaupt wieder Wasser fließt. Zuvor blieb der Schotter im Flussbett 320 Tage im Jahr trocken. Nach einem Landtagsbeschluss muss der Kraftwerksbetreiber 4,8 Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Sommer und 3 Kubikmeter Wasser pro Sekunde im Winter in der Isar fließen lassen. Zu wenig, damit sich der laut der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie geschützte Lebensraumtyp „Alpine Flüsse“ entwickeln könnte. Oder der ebenfalls geschützte Huchen in seinem natürlichen Lebensraum leben könnte. „Der ist weg, Nasen san a weg“, sagt Probst über die Fische, die einst in großen Schwärmen in der Isar lebten. Probst ist in Lenggries an der Isar aufgewachsen und geht noch immer gerne fischen. Er ist Zahnarzt, saß für die SPD im Kreistag und engagiert sich im Gemeinderat.
„Wir sind kompromissbereit“, sagt Theodoros Reumschüssel, Uniper würde auch eine Studie über ökologisches Restwasser bezahlen, um „schnell zu einem Kompromiss zu kommen“. Eine schnelle Einigung und eine langfristige Genehmigung sichern die Rendite aus dem Walchenseekraftwerk, das seit 1924 effizient arbeitet. Ab Krün führt Uniper die Isar in einem Kanal in den Sachensee, aus dem 500 Liter pro Sekunde in die Obernach fließen und im Walchensee münden. Damit die Seeforelle aus dem Walchensee zu ihrem Laichgebiet in der Obernach wandern kann, hat Uniper sieben Querbauwerke in dem nun wieder natürlich anmutenden Fluss abgebaut.
Diese Mindestwasserabgabe stärkt die Natur und schmälert den Energiegewinn um 2,5 Millionen kWh im Kraftwerk Obernach. Zum Kraftwerk Obernach saust der Großteil des Isarwassers, das Uniper im Walchenseekraftwerkssystem drei Mal nutzt, wie Reumschüssel gern betont. Aus dem Obernach-Kraftwerk speist das Isarwasser dann den Walchensee.
Von Natur aus hatte die Isar sich nach der letzten Eiszeit vor 11.000 Jahren ein Tal weiter südlich gesucht und ist nie durch den Walchensee geflossen. In den Bergen würde der Rißbach in die Isar sausen, doch wird der wasserreiche Rißbach an den meisten Tagen des Jahres durch Rohre in das Kraftwerk Niedernach am Ostufer des Walchensees umgeleitet.
Nun tritt die ältere Dame Walchenseekraftwerk auf. Aus dem 802 Meter hoch gelegenen Walchensee fließen das um Isar- und Rißbachwasser ergänzte Walchenseewasser durch einen künstlichen Tunnel quer durch den Berg in ein Wasserschloss oberhalb des Kochelsees. Durch sechs Rohre saust das Wasser hinab, treibt Turbinen, gibt Kraft für erneuerbare Energie und trudelt schließlich durch einen Kanal in den Kochelsee. Die Generatoren gewinnen daraus 300 Millionen Kilowattstunden im Jahr.
Da das Walchenseekraftwerk ein Speicherkraftwerk ist, kommt die Wasserkraft immer dann zum Einsatz, wenn auf einen Schlag viel Strom gebraucht wird. Zum Beispiel für die Deutsche Bahn. „Wenn die Bahn gleichzeitig einen ICE in Hamburg, Köln und Berlin losschickt, dann wackelt die Kaffeetasse im Büro“, sagt Reumschüssel, der ein Büro über dem Wasserauslauf des Kraftwerks hat. Sein vibrierender Kaffeebecher auf seinem Bürotisch trägt die Aufschrift des früheren bayerischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie und Technologie.
„Der Isar fehlt die Dynamik, der Rißbach ist eine Totstrecke“, sagt Karl Probst vom Verein „Rettet die Isar jetzt“. Er steht im 300 Meter breiten Schotterfeld an der Mündung von Rißbach in die Isar. Schnee bedeckt Kiesel und Steine, kein Wasser fließt Mitte April. Vier Kilometer oberhalb dieser wüstenartigen Landschaft rauscht der klare Rißbach über kalkreiche Steine, die das Wasser türkisgrün scheinen lassen. Dann kommt ein Wehr. „Und in dem Loch verschwindet’s“, sagt Probst und deutet auf einen Tunnel. Noch so ein Verwandter des Walchenseekraftwerks.
Bei starken Hochwassern, wenn Steine, Äste, ja ganze Baumstämme mit dem Rißbach aus den Alpen rauschen, öffnet Uniper die Schleusen und der Rißbach macht, was er soll. Das Wasser reißt Grünzeug und Steine zu Tal. Mitte April rauscht nichts unterhalb der Sperre. „Wenn man da aufgewachsen ist, hängt man dran“, sagt Probst und schaut über die Flusslandschaft im Gebirge. Immerhin haben Wirtschafts- und Umweltministerium ihm mittlerweile schriftlich zugesagt, dass eine Umweltverträglichkeitsprüfung vor der Neubewilligung durchgeführt wird. „Das ist der große Vorteil, den wir haben“, sagt Probst. „Am Ende wird es eine politische Entscheidung sein.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands