piwik no script img

Ihre alte Wohnung: Thekla Graf (Name geändert) zeigt, wo 2017 der Polizeieinsatz war Foto: Martin Jehnichen

Vorwürfe gegen die Polizei in WeimarWenn Fehler keine Folgen haben

Eine fadenscheinige Hausdurchsuchung, mutmaßlich übergriffige Beamt:innen, ein rechter Kommissar, der Dickpics verschickt. Wie kann das sein?

Sarah Ulrich
Von Sarah Ulrich aus Weimar

A ls Thekla Graf am 14. September 2017 abends nach Hause kommt, brennt Licht im Flur. Vor der Dachgeschosswohnung in der Weimarer Innenstadt, in der sie mit ihrer Mutter lebt, warten zwei Polizeibeamt:innen. Sie haben einen Durchsuchungsbeschluss, auf dem steht: Verdacht auf Diebstahl und Hehlerei.

Gesucht wird Thekla Grafs Cousine, sie soll ein Wakeboard im Wert von 500 Euro, eine Art Surfbrett, geklaut und im Internet zum Verkauf angeboten haben.

Thekla Graf ist damals 18. Sie sagt, dass die Cousine nicht bei ihr wohne, und fordert die Polizist:innen auf zu gehen. Es kommen sechs weitere Beamt:innen der Bereitschaftspolizei dazu. Graf lässt die Polizist:innen in ihre Wohnung – und erlebt anderthalb qualvolle Stunden. So schildert sie es heute.

Empfohlener externer Inhalt

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen:

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Graf sagt, sie habe sich ausziehen müssen und sei belästigt worden. Direkt im Anschluss hat Thekla Grafs Mutter Anzeige erstattet. Ermittelt wird wegen sexueller Nötigung, Diebstahl, Strafvereitelung im Amt und Verletzung des Dienstgeheimnisses. Verfahren gegen sechs Polizeibeamt:innen laufen seitdem, gegen zwei Beamt:innen wurden sie eingestellt.

Thekla Graf und ihre Mutter halten die Durchsuchung an sich schon für rechtswidrig.

Was ist an jenem Abend in der Wohnung in Weimar passiert? Um den Vorwürfen nachzugehen, hat die taz interne Ermittlungsakten ausgewertet, mit Betroffenen gesprochen und ein Polizeivideo des Abends gesichtet. Die Recherchen zeigen: Das Problem geht weit über den Fall Thekla Graf hinaus. Der Polizist Tino M., der gemeinsam mit einer Kollegin den Einsatz leitete, hat wiederholt gegen Vorschriften verstoßen. In den Akten wird auf gravierende Missstände in der Behörde hingewiesen: Interne Ermittler kommen zu dem Schluss, dass es ein „erhebliches Führungsproblem“ innerhalb der Polizei Weimar gibt.

Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Beamte aus Weimar ermittelt wird: Die taz konnte Prozessakten von 2012 sichten, in denen ebenfalls Misshandlungsvorwürfe gegen Weimarer Polizisten erhoben werden. Das Verfahren damals: eingestellt. Auch der Polizeivertrauensstelle des Landes Thüringen ist die Dienststelle als Problemfall bekannt.

Sollte die Weimarer Polizei tatsächlich ein Führungsproblem haben, dann trifft das auch den heutigen Bürgermeister der Stadt, Ralf Kirsten. Er leitete die Polizei bis 2018. Beide Fälle gehören in seinen Verantwortungsbereich.

Die Durchsuchung

Im Februar, mehr als zwei Jahre nach der Durchsuchung, kommen Thekla Graf und ihre Mutter in ein Café, um vom September 2017 zu erzählen. Ihre ehemalige Wohnung ist nur wenige Minuten entfernt. Die Grafs heißen in Wirklichkeit anders, sie wollen mit ihrem Namen nicht in die Öffentlichkeit. Thekla Graf fängt an zu weinen, als sie auf die Hausdurchsuchung zu sprechen kommt. Sie schluckt die Tränen runter.

Das Video, das der taz vorliegt, zeigt die Durchsuchung. Sechs Beamt:innen der Bereitschaftspolizei in Uniform sowie zwei Beamt:innen in Zivil drängen sich am Abend in die kleine Wohnung. Thekla Graf ist aufgebracht, zählt die Beamt:innen. Sie steht im Badezimmer, will in den Flur. Für ein paar Sekunden versperrt ihr die Einsatzleiterin den Weg, bis sie sie schließlich durchlässt. Graf weint und schreit, wirkt panisch.

Sie geht in ihr Zimmer, man sieht Fotos von ihr an der Wand, Arm in Arm mit Freundinnen; auf dem Schreibtisch Schulsachen. Die Kamera schwenkt. Im Flur grinst Einsatzleiter Tino M. seinen Kollegen an. Zu Graf sagt er: „Wir sind auch ganz ordentlich.“ Es klingt höhnisch.

Während die Kamera das Schlafzimmer der Mutter filmt, hört man Thekla Graf im Hintergrund rufen: „Können Sie bitte aufhören, mich anzufassen.“ Sehen kann man sie nicht. Thekla Graf sagt, sie sei von zwei Beamtinnen an Brüsten und Po angefasst worden, „nicht einfach durchsucht, sondern richtig angefasst“. Zwei männliche Beamte hätten zugeschaut. Sie habe geschrien und gefleht: „Bitte, bitte, hören Sie auf mich anzufassen, ich wurde vergewaltigt.“

Einige Jahre zuvor sei sie in ihrem damaligen Zuhause missbraucht worden. Auch deshalb sei die neue Wohnung ein wichtiger Schutzraum für sie gewesen, sagt sie heute.

Im Bad musste sie sich vor Polizistinnen völlig ausziehen, sagt Thekla Graf Foto: Standbild Polizeivideo

Thekla Graf sagt, die beiden Beamtinnen hätten sie ins Bad gebracht. Sie habe sich ausziehen müssen. „Schuhe, Socken, Hose, dann auch T-Shirt.“ Und schließlich den BH. Eine Beamtin habe gesagt, sie könne den BH auch anlassen – wenn sie ihr sage, wo die gesuchte Frau sei, Grafs Cousine.

Die Videoaufnahme zeigt mit Unterbrechungen, wie jeder Winkel der ordentlichen Wohnung ruhig von den Beamt:innen durchsucht wird. Finden können sie nichts. Was das Video nicht beweist, sind Theklas Vorwürfe. Was man jedoch sehen kann: Im Verlauf des Videos wird das Badezimmer zweimal gefilmt – beim zweiten Mal liegt ein Berg Kleidung auf der Waschmaschine, der zuvor nicht da war.

Sandra Graf, Theklas Mutter, hat ordnerweise Dokumente zu dem Fall gesammelt. Als der junge Hund ihrer Tochter im Café freudig an ihr hochspringt, hält sie reflexartig die Tasche mit den Unterlagen in die Höhe. Erst kürzlich hat Thekla Graf den Hund angeschafft – als schützenden Begleiter.

In den Ordnern finden sich nicht nur Briefwechsel mit der Polizei, dem Bürgerbeauftragten und der Polizeivertrauensstelle, sondern auch psychiatrische Gutachten. Thekla Graf habe nach dem Vorfall apathisch gewirkt, sagt ihre Mutter. Sie brachte ihre Tochter in die Psychiatrie. Die Diagnose: eine „posttraumatische Belastungsstörung mit ausgeprägten dissoziativen Phasen nach Reaktivierung traumatischer Vorerfahrungen“. Sandra Graf sagt, ihre Tochter habe sich nach der Vergewaltigung wieder gut gefangen, nach der Hausdurchsuchung sei sie jedoch „nur noch traurig gewesen“.

Sandra Graf erzählt auch, die von der Polizei gesuchte Frau – Theklas Cousine – wohne nicht bei ihr, lediglich ihre Post gehe an ihre Adresse. Sie habe Probleme gehabt: Drogen, finanzielle Not, Kriminalität. Irgendwann sei sie obdachlos geworden. Die Familie habe sich dazu entschieden, sie nicht mehr finanziell zu stützen. „Hilfe zur Selbsthilfe nennen das die Beratungsstellen“, sagt Sandra Graf. Eine harte Maßnahme, die ihr auf lange Sicht guttun soll.

Mehrfach meldet sie der Polizei, dass die Verwandte nicht bei ihr wohnt. Telefonisch, schriftlich, zuletzt wenige Wochen vor der Hausdurchsuchung, nachdem die Einsatzleitenden schon einmal vor ihrer Haustür standen – ohne Durchsuchungsbeschluss. Sandra Graf zeigt Verbindungsnachweise von Telefonaten mit der Polizeiinspektion, die Notizen zu den Gesprächen.

taz am wochenende

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Interne Akten, die der taz vorliegen, stützen ihre Aussage. Daraus geht hervor, dass am 30. Juni 2017 ein Vermerk im polizeilichen Informationssystem gemacht wurde. Auch auf dem in der Datenbank gespeicherten Personalausweis der gesuchten Frau steht: ohne festen Wohnsitz. Die Polizei Weimar müsste gewusst haben, dass sie nicht bei den Grafs wohnte.

Beamt:innen, die in der fraglichen Nacht im Einsatz waren, sagten hinterher aus, man habe bei der Einweisung die Information bekommen, dass auf Drogen geachtet werden solle. Den Durchsuchungsbeschluss hätten die Einsatzleitenden nicht gezeigt. Dass laut Beschluss lediglich Thekla Grafs Cousine und ein geklautes Wakeboard, nicht jedoch Drogen oder gar Thekla Graf selbst gesucht wurden, wussten die Bereitschaftpolizist:innen nicht.

Eine Beamtin sagte den Akten zufolge, sie sei „geschockt über die durch die Vernehmung gewonnenen Erkenntnisse“ und überzeugt davon, dass der Einsatz und die ergriffenen Maßnahmen rechtswidrig waren.

Der Einsatzleiter

Tino M. ist ein unauffälliger Mann. Groß, schlank, brauner Bart. Auf seinem Facebook-Profil zeigt er sich im Polohemd mit seiner Frau und den beiden Kindern und als glücklicher Betreiber eines mobilen Crêpes-Wagens. Und als Rechter und Rassist.

Er ist jemand, der offenkundig an dem rechtsextremen Motiv des Attentäters aus Hanau zweifelt und Hetze gegen Geflüchtete verbreitet. Der Fake News und Verschwörungstheorien teilt, Beiträge der AfD und der rechtsextremen Seite PI-News und sich mit „Rechts-Sein“ rühmt. Der ein Video teilt mit dem Titel: „DEUTSCHE WACHT AUF! WIR LEBEN BEREITS JETZT IN EINER DIKTATUR!“ und Beiträge, die vor einer „Asylflut im Schatten von Corona“ warnen.

Die internen Ermittlungen bringen ans Licht: Polizeikommissar Tino M., eigentlich mit Eigentumsdelikten betraut, hatte vor der Durchsuchung über Monate hinweg per WhatsApp Kontakt mit einer ebenfalls drogenabhängigen Freundin der gesuchten Cousine. Chatverläufe, die der taz vorliegen, belegen das. Im Austausch für Informationen aus dem Weimarer Drogenmilieu schickte Tino M. dem jungen Mädchen nicht nur polizeiinterne Details über Ermittlungen, sondern auch Fotos aus der Polizeidatenbank. Außerdem schickte er der damals 21-Jährigen nebst anzüglichen Äußerungen auch Fotos von seinen Genitalien.

„Meine kleine süße Hanna [Name geändert, Anmerkung der Redaktion]. Du sollst doch keine Drogen nehmen!!!“, schreibt M. „Ich gucke mal wegen fs.“ [Führerschein, Anmerkung der Redaktion], heißt es in den Chats. M. gibt preis, wann seine Kollegen im Einsatz sind, gibt Hanna Tipps, wie sie sich zu begangenen Straftaten verhalten soll. Er schickt Aktenzeichen, Fotos von Datenbanken. Als Hanna fragt, ob er ihr wegen eines Blitzerfotos helfen könne, schreibt M.: „Bei Drogen hätte ich was machen können (…) aber bei Verkehr ist es ein anderer Chef und der ist bescheuert.“

Wenige Tage nach der Hausdurchsuchung bei den Grafs schreibt M. an Hanna: „Die Eltern der Thekla haben sich aber bei der Staatsanwaltschaft und meinem Chef beschwert.“ Und er bekräftigt Thekla Grafs Aussage: „Das mit dem Ausziehen hat die Bepo [Bereitschaftspolizei, Anmerkung der Redaktion] gemacht im verschlossenen Bad.“

Aus Polizeikreisen heißt es, es habe bereits mehrfach Disziplinarverfahren gegen M. gegeben. In der Ausbildung soll er eine Notärztin als „geile Uschi“ bezeichnet haben. Trotz der Verfahren blieb der heute 43-Jährige im Amt.

M. selbst war zu den Vorwürfen nicht zu sprechen. Bei einem Kontaktversuch bei ihm zu Hause öffnet seine Frau die Tür und sagt, er sei „jetzt erst einmal eine Weile nicht da“. Die taz hinterlässt eine Telefonnummer. M. meldet sich nicht.

Wieso können Beamte wie Tino M. jahrelang bei der Weimarer Polizei tätig sein, ohne dass ihr Fehlverhalten Konsequenzen hat? Was sagt es über die Behörde aus, dass Missstände erst dann auffallen, wenn Bürger:innen wie Sandra Graf Anzeige erstatten?

Die internen Akten lassen darauf schließen, dass das „erhebliche Führungsproblem“ durchaus strukturell sein könnte – und die internen Kontrollmechanismen der Behörde versagen. Darauf weist auch ein anderer Fall hin: Fünf Jahre vor der Durchsuchung bei den Grafs wurde schon einmal ­gegen Beamte der Polizeiinspektion Weimar wegen eines fragwürdigen Einsatzes ermittelt.

Die Polizeiwache

Weimar, im April 2012. Auf dem nächtlichen Nachhauseweg werden vier junge Erwachsene von der Polizei aufgegriffen und mit auf die Wache genommen. Warum, wissen sie zu diesem Zeitpunkt nach eigener Aussage nicht. Unter den Festgenommenen ist die damals 22-jährige, in Ungarn geborene Emöke Kovács. Sie wird in eine Einzelzelle gebracht. Um Kovács zu schützen, ist ihr Name geändert.

In einem Schreiben ihrer Rechtsanwältin, das der taz vorliegt, heißt es, sie habe sich „bis auf die Unterwäsche ausziehen“ müssen. Beamte hätten „eindeutige Onanie-Bewegungen“ in Richtung von Kovács gemacht, außerdem hätten diese sie mehrfach rassistisch und sexistisch beleidigt. Ein Beamter habe gesagt: „Dir geht es in Deutschland viel zu gut, wir müssen dir wohl mal zeigen, was die in deinem Land mit dir machen würden!“

Nicht zum ersten Mal negativ aufgefallen: die Polizeiinspektion Weimar Foto: Martin Jehnichen

Emöke Kovács sagt weiter, ein Beamter habe ihr bei dem Versuch, ihr Handschellen anzulegen, mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Später habe man ihre Oberarme mit Handschellen fixiert, auf dem Rücken gefesselt, sie durch die Zelle gezerrt und auf sie eingetreten. Ein Beamter habe gesagt: „Ihr werdet euch noch wünschen, nie geboren zu sein, so klein werden wir euch kriegen.“ So steht es in dem Schreiben der Anwältin.

Am Morgen danach wird Kovács vernommen. Der Vorwurf: schwerer Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung. Sie sei hauptverdächtig für eine Tat, die zu diesem Zeitpunkt zwei Monate zurückliegt.

Am Folgetag stellen Ärzt:innen eine „längsverlaufende und tiefe 2 cm breite Schürfmarke über ges. Streckenseite“ am linken Unterarm sowie Schürfmarken am rechten Unterarm fest. Fotos der Wunde und das Attest liegen der taz vor.

Der Fall wird öffentlich. Die Polizist:innen werden angezeigt, ­gegen sie werden Ermittlungen aufgenommen. Die Vorwürfe: Körperverletzung im Amt, Beleidigung, Nötigung. Doch die internen Ermittlungen werden eingestellt, keiner der Beamten wird angeklagt.

Interne Ermittler kommen zu dem Schluss, dass es ein erhebliches Führungsproblem innerhalb der Polizei Weimar gibt

Am 19. November 2012 erhalten stattdessen Emöke Kovács und die anderen Festgenommenen einen Strafbefehl. Der Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, falsche Verdächtigung, Vortäuschen einer Straftat. Sie legen Einspruch ein.

Im Frühjahr 2015 stehen sie vor dem Amtsgericht Weimar. Eine Prozessbeobachtungsgruppe begleitet das Verfahren, darunter Rolf Gössner, Rechtsanwalt und damals Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte. Er sagt, Kovács sei „offenbar zu Unrecht festgenommen, auf das Polizeirevier verbracht und dort über zehn Stunden in Gewahrsam gehalten worden“ – ohne richterliche Anordnung, die laut Thüringer Polizeiaufgabengesetz unverzüglich einzuholen ist.

Ein Mann, der dieselbe Nacht in Untersuchungshaft auf der Weimarer Wache verbracht hat wie Kovács, bestätigt laut der Prozessakten, Schreie gehört zu haben. Auch er sei geschlagen und getreten worden.

Der Prozess bringt außerdem zutage, dass die Polizeiprotokolle der Nacht fehlerhaft sind: Eigentlich muss die Polizei in einem Haftbuch genau protokollieren, wer wann in welche Zelle kommt. Doch das Gewahrsamsbuch verschwindet vor dem Prozess, stattdessen werden handschriftliche Kopien einer Beamtin vorgelegt. Eine Polizistin sagt aus, sie und ihre Kollegen seien eigens für den Prozess in Einzelgesprächen durch einen Lehrer der Polizeifachschule Meiningen geschult worden. Angeordnet von Polizeichef Kirsten persönlich, sagt die Beamtin. Sie hätten die Aussagen der anderen Kolleg:innen zudem vorab lesen dürfen. So steht es in den Mitschriften der Prozessbeobachtungsgruppe. Anwalt Gössner sagt, eine solche Zeugenschulung sei „skandalös, weil die Gefahr der Zeugenbeeinflussung und -absprache nicht auszuschließen“ sei.

Nach fünf Tagen wird der Prozess ­gegen Kovács und ihre Freunde ohne ein Urteil eingestellt.

Der Bürgermeister

In der ehemaligen Schule am Herderplatz hat Bürgermeister Ralf Kirsten sein Büro. Er ist parteilos. Lange war er Polizeichef in Weimar: Von 1998 bis 2003 und von 2009 bis 2018. Beide Fälle – die Festnahmen von Kovács und ihren Freunden 2012 und die Durchsuchung von Grafs Wohnung 2017 – fallen in seine Amtszeit. Er stimmt einem Gespräch zu. Er habe nichts zu verbergen, sagt er, lässt aber nicht zu, dass das Gespräch aufgezeichnet wird. Als Grund nennt er Zweifel an der Neutralität der taz.

Er habe nichts zu verbergen, sagt der Bürgermeister und Ex-Polizeichef. Lässt es aber nicht zu, dass das Gespräch aufgezeichnet wird

Kirsten betont, dass er selbst es war, der 2012 Anzeige gegen seine Kollegen gestellt hat. Auf die fehlerhafte Führung des Haftbuchs habe er umgehend mit einer Anweisung reagiert. Ansonsten habe er mit dem Fall nichts mehr zu tun gehabt. Von den Vorwürfen, die Beamten hätten ihre Aussagen vor dem Prozess gelesen, wisse er nichts. Die Schulung „Polizeibeamte vor Gericht“ sei ein regulärer Lehrgang. Das Bildungszentrum der Thüringer Polizei in Meiningen bestätigt das.

Mit der Durchsuchung bei Thekla Graf im Jahr 2017 sei er nie befasst gewesen, sagt Kirsten – außer, wenn auf dem Tisch irgendwelche Anweisungen lagen, die er unterschrieben habe. Er sei damals auch lange krank gewesen.

Bürgermeister Ralf Kirsten war lange Polizeichef in Weimar, hier ein Foto von 2010 Foto: imago

Die Ermittlungsakten werfen Fragen zu seiner Darstellung auf. Darin finden sich: ein Beschwerdebrief des Thüringer Landesbeauftragten für Datenschutz aufgrund der Speicherung von Adressdaten von Thekla Grafs Cousine – adressiert an Polizeichef Kirsten. Eine von ihm unterschriebene Antwort darauf. Und: ein Vermerk über einen Termin zwischen internen Ermittlern und Ralf Kirsten am 19. 9. 2018 mit anschließendem Beratungsgespräch.

Zum Beschuldigten Tino M. will Ralf Kirsten öffentlich nichts sagen. Nur so viel: Auch, wenn er damals Behördenleiter war, so habe er keine Befugnisse für Personalentscheidungen gehabt. Die treffe das Innenministerium. Zu einem „erheblichen internen Führungsproblem“ in der Weimarer Polizeiinspektion, wie es in den Akten der Ermittler aus Erfurt steht, will Kirsten sich nicht äußern.

Die Vertrauensstelle

Um Missstände innerhalb der Polizei zu benennen und dagegen vorzugehen, bräuchte es eine Kontrollinstanz außerhalb der Behörde. Am ehesten hat in Thüringen Meike Herz diese Funktion, sie arbeitet in der Polizeivertrauensstelle des Landes. Wer sich über Polizist:innen beschweren will, kann sich an sie wenden. Für Herz ist es keine Überraschung, dass beide Fälle auf die Polizeiinspektion Weimar zurückzuführen sind, es sei eine „tradi­tionell schwierige Dienststelle“, sagt sie.

Herz’ Büro liegt außerhalb des Erfurter Zentrums, nur ein bedrucktes A4-Papier an einem Seiteneingang weist auf die Vertrauensstelle hin. Eingerichtet vom Thüringer Innenministerium, soll die Anlaufstelle die „Führungs- und Fehlerkultur innerhalb der Thüringer Polizei“ fördern, wie es offiziell heißt. Meike Herz sagt, sie könne bei Problemen zwischen Bürger:innen und Polizei gut vermitteln. Geht es jedoch um interne Ermittlungen wie im Fall Graf, sagt Herz: „Da verlängere ich nur die Bearbeitungszeit.“

Die Beschwerde von Sandra Graf war ihr erster Fall, als die Stelle 2017 als Prestigeprojekt der rot-rot-grünen Landesregierung öffnete. Herz findet schon die Anordnung der Hausdurchsuchung fragwürdig: „Seit wann bekommt man wegen eines geklauten gebrauchten Wakeboards einen Hausdurchsuchungsbefehl?“ Zudem sei bekannt gewesen, dass es sich bei Thekla Graf nicht um die Verdächtige handelte. Herz fragt: „Hat jemand das Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeschafft?“

Meike Herz sagt, sie sei „eindeutig auf Seiten der Polizei“, sie will den Polizeiapparat nicht allgemein kritisieren. Und doch ist sie ernüchtert. In der Polizei finde man Beschwerdestellen meist überflüssig und habe bei der Schaffung der Vertrauensstelle vorgesorgt, sagt Herz: „Ich habe null Komma null Kompetenzen.“ Die Vertrauensstelle darf selbst nicht ermitteln. Herz kann Beschwerden also nur an die Polizei weitergeben – Polizeibeamt:innen ermitteln dann gegen ihre eigenen Kolleg:innen.

Die rot-rot-grüne Minderheitsregierung in Thüringen unter Ministerpräsident Bodo Ramelow will das ändern. Künftig geplant: eigenständige Untersuchungsbefugnisse und eventuell sogar eine strukturelle Unabhängigkeit der Polizeivertrauensstelle. Doch bislang fehlt der Koalition für eine solche Änderung die Mehrheit im Landtag.

Die Folgen

Seit der Hausdurchsuchung 2017 ist für Thekla und Sandra Graf viel und doch wenig passiert. Viel, weil Sandra Graf Anzeigen gestellt, Gespräche geführt, Beschwerden eingereicht hat. Und wenig, weil kaum etwas davon irgendeine Veränderung bewirkt hat.

Thekla Graf, heute 21, ist noch immer in psychiatrischer Behandlung. Vor Polizist:innen habe sie Angst, sagt sie. Sie wünsche sich einfach nur, dass es bald vorbei ist. „Und ich mein Leben ganz normal weiterleben kann.“ Sie will studieren. Aus Weimar ist sie weggezogen.

Vor Polizist:innen habe sie Angst, sagt Thekla Graf mehr als zwei Jahre nach der Hausdurchsuchung. Sie wünsche sich einfach nur, dass es bald vorbei ist. Und ich mein Leben ganz normal weiterleben kann

Der heutige Leiter der Polizeiinspektion Weimar ist nicht bereit, zu den Vorwürfen Auskunft zu geben. Auch die internen Ermittler der Landespolizei­direktion wollen zu dem „erheblichen Führungsproblem“ in der Weimarer Polizei auf taz-Anfrage nichts sagen.

Anfang des Jahres hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen Tino M. erhoben, Bestechlichkeit in drei und Verletzung des Dienstgeheimnisses in 32 Fällen. Am 28. September soll der Prozess vor dem Amtsgericht Erfurt starten.

Die Ermittlungen zur Hausdurchsuchung sind noch nicht abgeschlossen. Viel wird dabei wohl nicht herauskommen. Von der Staatsanwaltschaft heißt es: „Bei drei der vier noch Beschuldigten dürfte es keine Hinweise auf eine Straftat geben.“ Vermutlich muss dann nur Tino M. Konsequenzen befürchten. Wenn nicht am Ende die Ermittlungen gegen ihn fallen gelassen werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

64 Kommentare

 / 
  • Die Zuschrift von Pace# lässt mich Nachdenklich den TAZ Artikel noch mal Revue passieren lassen.



    Hat sie Recht.... ja aber, aber und aber



    Dann habe ich mich widerwillig zu einem zähneknirschenden JA durchgerungen...



    Grund: Erinnerung an ein Gespräch mit meinem



    Cousin der sein Ersatzdienst als Sanitäter



    in einem Großstadt Revier ableistete



    Für eine Romantikerin( trotzdem mit beiden Beinen im Leben stehend) erschreckend und abstoßend und nicht vorstellbar was an einem heißen Wochende in der Partymeile einer Großstadt abgeht, nicht nur von völlig Besoffene und Bekifften, Gewalt und schwerste Verletzung, sexuelle Übergriffe aller Art, Menschenunwürdiges Verhalten in der Gruppe unter Auflösung der Bildungsunterschiedeund... leider auch(Gott sei Dank in nur kleinster Anzahl) von Mädchen und Frauen. Es wird auf schon verletzten am Boden liegende Menschen eingetreten, eingeschlagen,ja gepisst etc.



    Hilfe durch Rettungssanitäter häufig nur unter dem Schutz der Polizei möglich. Und um mich Pace# anzuschließen.... Es gibt nicht nur die dunkle Seite DER MACHT.... LEIDER

  • Liebe Taz, wenn das Leben so einfach wäre, so einfach in bad und good guys aufzuspalten . Das Polizeileben ist nicht so rosig , so herrlich.. wie..hier kann ich frei meine Gewaltfantasien ausleben, brutal und archaisch mich als Herrenmensch* geben, nein so ist ganz und gar nicht. Ihr könnt euch nicht vorstellen was in der Drogenszene, in der Prostitution, in den Missbrauchsfällen, Gewalt gegen Kinder und Frauen, in der Beschaffungskriminalitäts, Raub Mord und Diebstahl vor sich geht. Psychische Kranke, grenzwertig Gestörte, schaut euch PEGIDA etc. an. Und mitten drin die Polizei*. Es sind nicht... auf beiden Seiten... nur die Dichter und Denker am Werke..... Die Geschichte zeigt Angst und Elend.... beim good guy ...und Brutalität und Zynismus auf der anderen Seite der bad guy Seite.



    Ich wünsche keinem Taz Reporter eine Tätigkeit auf der dunklen Seite der Gesellschaft... sie ist schmutzig, gewalttätig, und erfordert ein wühlen in den abstoßenden Formen des Zusammenlebens.



    Nein Taz ich wünsche niemand eine Arbeit im Brennpunkt des eigentlichen Undenkbaren. Diese Arbeit muss auch jemand machen, und sie wird bei uns besserer als in vielen, gewagt ?, fast allen demokratischen Staaten gemacht...von Menschen mit Fehlern, mit Schwächen, ja geile männlichen Deppen mit dick pigs Mails sind auch dabei.

    • @Pace#:

      Für mich ist nicht nachvollziehbar warum der “harte Polizeialltag“ dafür herhalten soll, dass Menschen in ihren eigenen Wohnungen, den privaten Schutzräumen, von der Polizei misshandelt werden. Zu dem aktuellen Fall der Graf's kommen zwei weiter Fälle, jüngerer Geschichte, aus Hamburg-Altona (Mai '20) und Essen (April '20) hinzu, welche ähnliche Muster aufweisen; auch hier sind die Tatorte der Polizeigewalt/ -übergriffe die Wohnungen der Opfer.



      Dazu schreibt 24hamburg.de am 29.05.20: “Geschlagen und getreten – Polizeigewalt in Hamburg...Mindestens 10.000 mutmaßliche Fälle illegaler Polizeigewalt im Jahr - mitten in Deutschland. Auch in der Hansestadt werden immer öfter Verdachtsfälle laut. So auch zuletzt in Hamburg-Altona. (...)“



      www.24hamburg.de/h...ngen-90002311.html



      Im Zusammenhang mit der Drohbriefserie an die Frankfurter/ Main NSU-Opfer-Anwältin Seda Basay-Yildiz rechtfertigte der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) Hessen, Engelbert Mesarec, die Taten seiner KollegInnen ebenfalls mit dem schwierigen Arbeitsumfeld der Polizei in der Main-Metropole. BeamtInnen des 1. Frankfurter Polizeirevier sollen die geheimen Adressdaten von Frau Basay-Yildiz für diese Drohbriefserie (mit Morddrohungen) aus dem polizeilichen Informationssystem entnommen haben. In diesem Zusammenhang kein Wort des Bedauerns und des Mitgefühls, von Mesarec, gegenüber dem Opfer, Frau Basay-Yildiz.



      www.fr.de/frankfur...tung-11413346.html

  • Dieser Herr Kirsten sitzt auch in Weimar dem Krisenstab Corona vor und wie man hört nur allzu stolz und allzu gerne. So etwas schießt dann auch gerne einmal über das Ziel hinaus.

    Wir brauchen immer wieder demokratische Kontrollen und eine unabhängige Überprüfung der Verhältnismäßigkeit. Blindes Vertrauen in Institutionen hilft nicht einmal diesen Institutionen selbst.

  • Wieso erfahre ich erst jetzt und nur per Zufall von diesem widerlichen Machtmissbrauch?



    Und wieso werden Bullen noch immer nicht bestraft für ein derartiges sexistisches und rassistisches Verhalten?



    Jeder normale Bürger wär nach einer solchen Tat Freiwild. Wär's ein Flüchtling oder wer mit Migrationshintergrund hätte man Pegida und AfD die lauthals rumschreien

  • Die Sicht der TAZ auf unsere Sicherheitsbehörden ist das eigentliche Problem. Immer und immer wieder werden wir über unsere Polizei negativ berichtet. Dabei sind es die Polizisten die unser Leben hier in Deutschland so sicher machen wie wir es erleben dürfen.

    • 8G
      85198 (Profil gelöscht)
      @Kristina:

      Dass bei uns keine US-amerikanischen Zustände herrschen und in D die Kriminalitätsrate vergleichsweise gering ist, liegt in der Hauptsache nicht daran, dass es die Polizei gibt, sondern daran, dass es ein halbwegs funktionierendes Sozialsystem gibt. Danken Sie lieber der Arbeiterbewegung.

    • @Kristina:

      Sicher gibt es gute Beamte bei der Polizei. Wie groß der Anteil der schwarzen Schafe ist, wäre statistisch hier - wie bei den meisten Pressemeldungen - sehr wichtig. Wird aber leider nie mit berichtet.

      Aber abgesehen davon: würde man über eine Minderzahl von Fällen nicht berichten, wäre die Presse in der Regel ihren Job los. Corona gäbe es erst wenn die Mehrheit der Bevölkerung erkrankt wäre. Vorher könnte man ja sagen "naja, es gibt aber auch so viele Gesunde", oder wie ist das? ;-)

    • @Kristina:

      Und deswegen ist man über alle Kritik erhaben?

    • @Kristina:

      "Die Sicht der TAZ auf unsere Sicherheitsbehörden ist das eigentliche Problem"

      Aha?

      Sie verspüren keine Beunruhigung darüber, dass so etwas wie im o. Artikel beschrieben passiert? Kollateralschaden? Shit happens? Ooops?

      Ich finde im Gegenteil extrem wichtig, sich mit solchen Fehlentwicklungen auseinanderzusetzen:

      Polizist*innen haben einen unglaublich harten Job. Oft müssen sie genau in die Konfliktstellen unserer Gesellschaft rein, da wo unsere zivilisatorischen Mechanismen versagen. Dabei riskieren sie ihre eigene Haut und müssen dabei einen kühlen Kopf bewahren, dazu noch Freundlichkeit und Empathie.

      Die brauchen zum einen so viel Unterstützung von ihrer Behörde wie sie nur bekommen können, zum anderen haben sie es nicht verdient, dass ihr Ruf vor die Hunde geht durch ein paar Kolleg*innen, die mit diesem Job überfordert sind, ihn falsch verstanden haben oder einfach böse sind (ja, solche Menschen soll's auch geben).

      Die Polizei als Behörde tut da viel zu wenig, dem entgegenzutreten. Deshalb sind wir den Kolleg*innen, die ihren Job mit Einsatz tagein und tagaus tun im höchsten Grade schuldig, immer und immer wieder auf die Missstände hinzuweisen.

      Daher bin ich für den Artikel unendlich dankbar und verstehe Ihren Kommentar übrehaupt nicht.

  • Zitat: „Er habe nichts zu verbergen, sagt er, lässt aber nicht zu, dass das Gespräch aufgezeichnet wird. Als Grund nennt er Zweifel an der Neutralität der taz.“

    Seltsame Logik! Wenn ich jemandem misstraue, ihm etwa unterstelle, dass er mir mangels Neutralität Worte in den Mund legt, die ich entweder gar nicht oder nicht so gesagt habe, wie mir unterstellt wird, wenn ich fürchte, Aussagen könnten aus dem Zusammenhang gerissen werden, bestehe ich doch grade auf einer Aufzeichnung dessen, was ich zu sagen habe. Es sei denn, ich traue mir selber nicht und möchte verhindern, dass meine Unfähigkeit dokumentiert wird.

    Im Übrigen hilft es in den meisten Fällen nicht gar nicht, „wenn Bürger:innen wie Sandra Graf Anzeige erstatten“. Solche Anzeigen verlaufen in den meisten Fällen im Sand. Denn wenn erst mal Missstände wie die geschilderten sichtbar werden, ist schon länger sehr vieles faul in einem „System“. Der Fisch, heißt es in solchen Fällen oft, würde zuerst vom Kopf her stinken.

    Nicht nur in Weimar fällt Machtmissbrauch nur dann einer gewissen Öffentlichkeit auf, wenn sich eine überregionale Zeitung der Sache annimmt. Findet sich kein*e Journalist*in, der/die sich für eine Anzeige wie die von Sandra Graf interessiert (z.B. weil grade alle die Corona-Panik haben), fällt außerhalb des engsten Bekannten- und Verwandtenkreises der Opfer überhaupt niemandem was auf. Dann haben solche „Fehler“ meistens noch weniger Folgen, als ohnehin schon.

    Und das ist das eigentliche Problem: Wo sich die vier Gewalten nicht mehr gegenseitig im Schach halten, weil nach jahrzehntelangen personellen Fehlentscheidungen an (fast) allen Schaltstellen die falschen Leute sitzen, ist die Demokratie am Ende. Genau so, wie die “Diktatur des Proletariats“ 1989 am Ende war.

    Die Frage ist nun nur noch: Was kommt dieses Mal nach dem Zusammenbruch? Ein simpler „Beitritt“ wohl kaum. Und „große Brüder“, die (wie 1945) eine Führungsrolle übernehmen könnten, sind auch keine in Sicht.

    • @mowgli:

      Danke für diese Einschätzung - als Bürger der Stadt Weimar vermisse ich gerade eben diese Auseinandersetzung, online konnte ich bisher nichts der regionalen Zeitung entnehmen, ich schaue nachher in die Printausgabe. Ich kann Ihren Ansatz nur begrüßen und bin froh das es noch Personen gibt welche sich mit Misständen auseinandersetzen und womöglich auch darüber informieren.

  • Polizeieinsätze in der eigenen Wohnung lassen sich effektiv verhindern: nicht klauen, nicht rauben, nicht Drogen dealen oder haben. Menschen, die solches tun, nicht beherbergen.

    Dass bei einem kleinen Anteil von Einsätzen zu Verfehlungen oder gar Straftaten passieren , Ist nicht schön aber liegt in der Natur der Menschen. Das es in der strafrechtlichen Aufarbeitung zu relativierenden Behauptungen und Verteidigungen kommt, haben Polizisten mit anderen Tätern gemein: sogar in diesem Fall, hält das mutmaßliche Opfer zu ihrer vermutlich kriminellen Verwandten und deckt diese ... oder wäre es sonst zu der Durchsuchung gekommen?

    • @TazTiz:

      Bitte noch mal den Artikel lesen. Ganz und gründlich. Sie klingen ein bisschen, als wären die mutmaßlichen Straftaten der PolizistInnen und weitere Verfehlungen Schuld der Opfer. Und das klingt ein bisschen danach, dass man keinen kurzen Rock hätte tragen sollen, wenn man begrapscht wurde. Meinen Sie das so?

    • @TazTiz:

      @TAZTIZ: Ich bin mir nicht sicher, ob Sie den Artikel aufmerksam genug durchgelesen haben und ob Ihnen die Rechtslage in Bezug auf das Aussageverweigerungsrecht gegenüber Verwandten bekannt ist (§51 StPO).



      Zum Aspekt "aufmerksames Lesen":



      Dass sich Polizeieinsätze mit den von Ihnen aufgezählten Maßnahmen effektiv verhindern lassen, wird ja gerade durch den oben geschilderten Sachverhalt ad absurdum geführt.



      Denn nichts davon hat die Familie Graf gemacht! Ob die Cousine bei der Familie gewohnt hat, steht gemäß der Aussage von Thekla Graf zunächst einmal außer Frage. Im Artikel steht auch nichts davon, dass Observationen oder Ermittlungen der Polizei da andere Erkenntnisse gezeitigt hätten. Und die Eigenschaft als "Briefkasten" für die drogenabhängige Cousine könnte zwar eine "Kontaktaufnahme" mit der Cousine nahelegen, nicht aber automatisch ein "Beherbergen".



      Zum Aspekt Rechtslage zur Aussageverweigerung:



      Nach § 51 StPO ist eine Aussageverweigerung ggüb. Verwandten rechtens. Das rechtfertigt keine unlauteren - und vor allem unverhältnismäßigen - Methoden der Polizei, wie z.B. die Aussage der Beamtin, dass die Frau Graf den BH anbehalten könne, wenn sie den Aufenthaltsort der Cousine verriete.



      Noch eine abschließende Frage: Haben Sie keinerlei Kontakt zu irgendwelchen von Ihren Verwandten? Und wie wollen Sie sicher wissen, ob - falls Sie ja doch Kontakt zu Ihren Verwandten haben - die Verwandten nicht doch irgendwann eine Straftat begangen haben (das kann bereits bei einer Fahrerflucht bei einem schweren Unfall zutreffen), Ihnen aber gar nichts davon erzählt haben? Würden Sie von diesem Aussageverweigerungsrecht nicht auch Gebrauch machen, wenn es bspw. ihre Kinder beträfe?

      Ja, Sie haben ganz recht, durch die strikte Einhaltung des deutschen Rechts lässt sich effektiv eine Durchsuchung verhindern - und zwar in aller erster Linie zunächst einmal durch die Einhaltung des Rechts durch die beteiligten Beamten und des beteiligten Richters!

      • @Alfonso el Sabio:

        Aussageverweigerung ist Ihr gutes Recht. Nur schützt es nicht vor Straftaten. Ebenso muss vor Gericht Unschuld vermutet werden. Alles richtig.

        Aber können Sie sich vorstellen, dass es gerade für die Polizei frustrierend ist, wenn bei ihr alles auf die mediale Goldwaage gelegt wird, während Straftäter, Mittäter und Mitwisser mittlerweile eine wohlwollende Öffentlichkeit hinter sich wissen?

        • @TazTiz:

          Wie bitte??? Goldwaage??? Mittäter? Puh! Ich kann nur hoffen, dass sie nicht bei der Polizei arbeiten!

    • @TazTiz:

      Mit anderen Worten, Thekla Graf habe selbst schuld?

    • @TazTiz:

      Sie haben in ihrer Aufzählung eines vergessen: Niemal straffälllige Verwandte haben.

      Genau wie die Polizei unterstellen Sie, die Verwandte würde selbstverständlich "gedeckt". Selbst wenn dem so gewesen wäre -ist das eine Rechtfertigung für Schikane? Warum muss sich jemand ausziehen, wenn nach einem Wakeboard gesucht wird? Kann man das in der Unterwäsche verstecken?

    • @TazTiz:

      Der Anspruch an Polizisten ist höher, denn sie haben dafür zu sorgen, dass Recht und Ordnung eingehalten wird.



      Sie müssen durchgängig Vorbilder sein, damit die Bevölkerung ihnen jederzeit blind vertrauen kann.



      Menschen, die das nicht leisten können oder wollen, müssen aus dem Dienst entfernt werden.

      • @Grummelpummel:

        Das sehe ich ebenso. Leider weiss so manches unserer Staatsorgane nicht souverän mit der ihm verliehenen Machtbefugnis umzugehen und neigt dazu, diese bei Menschen, denen er/sie sich überlegen fühlt, unnötig zu demonstrieren. Das wird allgemein als empörend empfunden. Zeigt sie doch eine unreife und unentwickelte charakterliche Eignung für solche Verantwortung. Denn zur Machtbefugnis gehört auch Verantwortungsbewusstsein.

        Dem sollte eine Institution entgegentreten können, sie in die Schranken zu weisen. Eigentlich wäre dies wohl die Justiz. Jedoch hat diese, wie einige bekannt gewordene Fälle zeigen, offenbar auch so etliche Skrupel. Denn als staatliche Organe stellen möglicherweise so manche einen kollegialen Zusammenhalt über Grundsätzliches und schädigen so Ansehen und Vertrauen zusätzlich und gleich mehrfach. Das ist sehr bedauerlich für unsere Demokratie und uns alle.

      • @Grummelpummel:

        Die Polizei ist ein ausführendes Organ des Staates. Vertrauen Sie dem auch blind?

  • Machtmissbrauch und Korruption ist nur möglich, weil machtvolle Institutionen zuvor geschaffen wurden. Und zwar mit ungemeiner Macht. Schließlich wird dem Staat gar das GewaltMONOPOL zugestanden. Sicher ist das ein grundlegendes Problem, das allerdings dann noch umso heftiger wird, wenn Rassismus, Sexismus usw. hinzukommen. Anstatt also nach Kontrolle zu rufen und wiederum die Frage zu stellen, wer die Kontrolleure kontrolliert, sollte mensch sich meines Erachtens fragen, wie diese Herrschafts-/Unterdrückungsstrukturen aufgelöst werden können.

    • @Uranus:

      Was für ein Unsinn. Es ist gerade die Abwesenheit des Rechtsstaates, der diese Provinzherrschaften im Sattel hält. Die Thüringer Polizei zeigt alle Anzeichen innerer Verwahrlosung. Traurig.

      • @JuR:

        Diese 'Provinzherrschaften' können aber nur walten, da es diese Positionen und Strukturen gibt. Nun mag mensch, wie Sie, sagen, da muss mehr Struktur her oder es müsse auf Vorgaben geachtet bzw. diese müssten durchgesetzt werden - mein Ansatz wäre hingegen, Verantwortung und Entscheidungsgewalt wieder an die einzelnen Menschen zurückzugeben und gleichzeitig Unterdrückungsverhältnisse/systeme wie Patriarchat bekämpfen ...

    • @Uranus:

      Hmm, dass der Staat das Gewaltmonopol besitzt, ist, denke ich, eine große Errungenschaft im Zusammenleben von Gesellschaften. Wollen Sie das wirklich aufs Spiel setzen?



      Kontrolleinrichtungen könnten z.B. mit Transparenz und demokratischer Legitimation kontrolliert werden. (nur ein Gedanke) Ihre Kompetenzen müssten jedoch natürlich auch ausgeweitet werden.

      • @Marius:

        In meinen Augen kommt da mehr zusammen. Zum einen ist die Struktur des Staates an sich ein Problem, wie ich anriss. Zum anderen sollte seine Funktion und der Staat in Bezug zu den Verhältnissen gesehen werden. Wer setzt bzw. kann seine Interessen durchsetzen, wer nicht? Fest steht, es ist weder Thekla Graf, noch George Floyd, noch die*der flaschensammelnde Rentner*in, die*der Wohnungslose, die*der Zwangsgeräumte, die*der wegen Nichtzahlung von Fahrscheinen Eingebuchtete, die*der sanktionierte Hartzer*in ... Welche Ordnung wird da aufrecht gehalten? Wer profitiert davon, wer nicht?

  • Das diese Geschichten jeden aufrichtigen Demkoraten frustrieren, ist verständlich. Aber beim Frust stehenzubleiben oder de gesamte Polizei in Misskredit zu bringen hilft hier nicht wirklich weiter.



    Wichtig ist, und das wird im Artikel angesprochen, eine unabhängige Kontrollinstitution zu schaffen, die auch die nötigen Befugnisse hat. Hier sollten wir ansetzen, beharrlich und unermüdlich, bis es Realität geworden ist, auch im Sinne derer, die Ihren Polizeidienst entsprechend ehrlich verstehen und umsetzen wollen.

    • @Grauton:

      Wenn ich einmal so sagen darf, mir gefällt Ihre Meinung gut. Sie differenzieren, suchen verschiedene Standpunkte auf und wägen ab.

      Nur leider blicken Sie, Sie müssen mir natürlich nicht zustimmen, auf etwas zumindest derzeit Unmögliches. Gesunde Polizei, ich würde ebenso "Demokratie" sagen, setzt gesunde Gesellschaft voraus. Eine solche, die täglich, anhaltend, möglichst der Einzelne mit drei Ellbogen, bei allem Überfluss an Geld und Waren um ihr (wirtschaftliches) Überleben kämpfen muss und ökonomische Gedankengänge Einfluss auf Leben und Gesundheit, bis hin zur Rente, haben, schafft dies mE nicht mehr.

    • @Grauton:

      Die gesamte Polizei bringt sich selbst in Misskredit - durch jede*n Beamte*n, die/der nicht sofort und bis zum Letzten gegen Rassisten, Sexisten, Nazis und Faschisten sowie Gewalttäter in den eigenen Reihen vorgeht. Würden mehr Beamt*innen aufstehen und aktiv was dagegen tun, sähe das Bild auch ganz anders aus. Aber wer schweigt, trägt Mitschuld. Daher bleibt die GANZE Polizei bis aufs äußerste zu kritisieren, bis sich genau das ändert.



      Am Rande: die geschaffene Stelle ist ja wieder ein Beweis dagegen, nicht dafür: Makulatur ohne Kompetenzen. Sieht nett aus, beruhigt ein paar die hören, was sie hören wollen. NEIN! #ACAB bleibt stehen, bis die Polizei in ihrer jetzigen Form angeschafft ist.

      • @Tongo:

        Sie scheinen ja voll bescheid zu wissen. Das beruhigt.

      • @Tongo:

        Sicher ist es wichtig, daß sich nicht alle Polizisten vereinnahmen lassen und wenn möglich auch 'aufstehen und aktiv was dagegen tun...'. Daraus aber zu folgern, daß die gesamte Polizei abuzschaffen ist ( '#ACAB'), unterstütze ich nicht. Ich denke, daß diese absolute Haltung eher kontraproduktiv ist und die Schwierigkeiten eines einzlnen in einem Polizeiapparat unterschätzt. Damit stößt man gerade die reformwilligen Kräfte vor den Kopf und erschwert so eine Änderung des Zustands. Solche Überzeugungen dienen eher dem eigenen Gruppendenken, als einer wirklichen Verbesserung für uns alle. Die Welt ist nunmal (zum Glück) nicht nur schwarz und weiß, sondern eher bunt. MfG Grauton

        • @Grauton:

          Ich denke auch nicht, dass man die Polizei abschaffen sollte. Aber sie muss deutlich besser ausgebildet werden, und für jeden Machtmissbrauch auch zur Rechenschaft gezogen werden.

          Die Polizei beklagt die Übergriffe aus der Bevölkerung und den fehlenden Respekt - aber was genau soll man denn respektieren, wenn der einzelne Beamte völlig ahnunslos daherkommt? Wenn man aber gleichzeitig weiß, dass Aggressionen im Team ausgelebt und dann vertuscht werden? Dass Nazis in Polizeikasernen eher Standard als Ausnahme sind?

          Es mag sein, dass es "reformwillige Kräfte" gibt - aber die müssen ihre Stimme schon selbst erst einmal erheben, damit sie Unterstützung finden könnten.

          • @Frl. Rottenmeier:

            Polizisten, wie Bevölkerung, zu der sie ebenso gehören, die alle angemessenen guten Willens sind, wachsen nicht mal so eben nach einer inneren Einkehr, Reform und Läuterung.

            Es handelt sich, um ein solches Ergebnis zu erreichen, um eine Ansammlung komplexer (Lebens-)Verläufe und ebensolcher Prozesse in relativ erheblicher zeitlicher Dimension. Das ist u.a. gute Menschenerziehung in gesunden (günstigen) Umständen.

            Für mich sitzen die Schuldigen, nicht de jure, an überwiegend exponierten Stellen in Unternehmen, Parlamenten, Regierungen, Universitäten, Stiftungen, Banken usw., schlicht davon alle, die sich einem human ausgerichteten und ebenso fundamentierten - schon mal u.a. das Gegenteil von neoliberal - Gemeinwesen verschließen.

  • Eine super Recherche !



    Sehr aufschlußreich und tief blickend!

    Bitte lasst nicht nach!



    Haltet den Kessel unter Dampf !

    Nur wenn die Verantwortlichen merken, dass über Dergleichen niemals Gras wächst wird das aufhören!

    Tretet auch deren Mentees mit Interviews und Berichten auf die Füße - denn erst deren Rückendeckung ermöglichen solche Zustände.

    Jede Woche ein neues Detail, jede Woche neu ins Bewusstsein der Öffentlichkeit.

    Klar - das kostet Geld ! Aber dafür zahle ich gerne !

    • @Bolzkopf:

      Dem stimme ich zu. Gut recherchiert und geschrieben. Eindeutig muss man im Zusammenhang mit der Polizeiarbeit die Bürgerrechte stärken. Denn eins ist klar, die bekannt gewordenen Fälle sind nur eine winzige Spitze des Eisbergs. Auch muss mit den legalen Gegenanzeigen Schluss sein, wie Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, die schlimme Folgen für den Beschwerdesteller haben können. Zeugen sind genau die Polizisten, gegen die Anzeige erstattet wurde.

  • Vielen Dank für diesen wichtigen Artikel! (Irgendwie scheint es noch nicht mal der MDR für nötig zu halten, über diesen Skandal zu berichten.)

    Nur eine Anmerkung: natürlich hat es Sinn, den Betroffenen andere Namen zu geben, um sie zu schützen. Aber beim Bürgermeister von Weimar? Der ist doch einfach zu ergoogeln. Oder geht es nicht um den Oberbürgermeister?

    • @DaW:

      dessen Name wurde ja auch nicht geändert.

      • @Tongo:

        Ah, das war etwas verwirrend: ich habe offensichtlich nach "Ralf Kirsten" gegoogelt und bin auf einen namensgleichen, 1998 verstorbenen Regisseur gestoßen. Dann "Bürgermeister Weimar" und auf den Oberbürgermeister.

        Nach Ihrer Anmerkung habe ich nochmal "Ralf Kirsten Weimar" gesucht (mir war so, als hätte ich das vorhin getan, inkl. Stadtnamen), und siehe da, der richtige Ralf Kirsten wurde gefunden:

        stadt.weimar.de/st...ng/buergermeister/

        Danke für die Klarstellung!

  • Traurig, dass man alles weiß - und doch nichts unternimmt.

    Bei den Polizei-Einsätzen im Rahmen von Stuttgart21 wurden Polizeihelme fotografiert, die innen Nazisymbole trugen. Es wurden Übergriffe dokumentiert und angezeigt - von rechtswidriger Beschlagnahme und Manipulation an Bildaufzeichnungen bis zur Körperverletzung. Alles blieb folgenlos, da die einzelnen Beamten nicht identifiziert werden konnten - Trotz der Fotos und Videos.

    Eine Kennzeichnungspflicht für die Polizei wurde daraufhin in de Koalitionsvertrag der nächsten Regierung geschrieben. Es gibt sie bis heute nicht - und das ist jetzt 10 Jahre her.

    Weder Politik noch Polizei sind offenbar an einer Lösung der strukturellen Probleme interessiert.

  • Sieht es bei uns demnächst so aus wie in den USA? Polizei und eventuell auch Militär gegen besorgte Bürger? Vor allem aber: Es gibt wohl selten Konsequenzen für die Übergriffe, so voraussichtlich auch beim Mord in den USA. Zukunft für meine Kinder? Oh weh Oh weh!

    • @joaquim:

      Das Beispiel von der ungarischen Gefangenen, wie auch viele andere, zeigen, dass das hier schon so aus sieht. Auch in den USA gibt es anständige Polizisten. Auch hier haben Polizisten nicht viel zu erwarten und sind mit einem reichen Arsenal an Wissen ausgestattet, wie man sich, falls sich mal jemand wehrt, aus der Affäre zieht. Dort wird wenigsten der Sheriff gewählt. Auch ein Grund für gerrymandering.

      Für mich ist der Hauptgrund, wie gesamtgesellschaftlich, dass es keine Fehlerkultur gibt und das scheint, im Fall der Polizei, darauf zu beruhen, dass es zu wenige anständige Polizisten gibt, die "ihre" Polizei positiv verändern können. Polizisten sind halt auch nur, ein stark gefilterter (z.B. Spaß an Macht), Querschnitt der Gesellschaft.

  • Eine gute Reportage mit viel Hintergrundinformationen (leider sind viele Artikel in der taz doch recht kurz gehalten).



    Ein riesengroßer Teil der Polizei macht in schwierigen Zeiten einen guten Job und dafür sollten wir dankbar sein.



    Gleichzeitig sollte die Polizei aber im Falle von Vorwürfen an einer lückenlosen Aufklärung interessiert sein, um das Vertrauensverhältnis Bürger - Polizei zu stärken. Vielleicht wäre da eine unabhängige Stelle zur Prüfung solcher Sachverhalte eine gute Sache?

  • Als Einwohner der benannten Stadt Weimar waren die Vorgänge die in diesen Artikel genannt wurden mir neu.



    Aus eigener Erfahrung kann ich berichten das meine Erlebnisse mit der Polizei bisher eher positiver Natur sind.



    Ebenfalls aus eigener privater Erfahrung mit jemanden der in gehobener Position in einer anderen Dienststelle in Thüringen tätig ist, das im allgmeinen die Polizisten sehr wohl unterscheiden was ihre private Meinung ist und diese nicht ihren z.T. sehr schwierigen Dienst zu beeinflussen hat. Die Person hat mir auch bestätigt das es immer wieder Fälle gibt bei denen Kolleginnen und Kollegen negativ auffallen und sich speziell unter den jüngeren und einigen älteren eine neutrale Aufarbeitungs- und Ermittlungsstelle gewünscht wird.

    Es gibt auch Hoffung.

    • @Waldo:

      Also ich würde, wäre ich eine nichturdeutsch aussehende Person, bei einem bekennenden Rassisten wenig Vertrauen darauf haben, dass so einer sich im Dienst neutral verhält. Diese Nicht-Beinflussung, welche Sie hier ansprechen, halte ich gar für unmöglich, da bräuchte es eine geistige Aufspaltung wie sie der Protagonist in Zweigs Schachnovelle vollzieht.

      Bzgl. der neutralen Ermittlungsstelle, das wäre wirklich gut. aber da sich die Polizei schon gegen eine Kennzeichnungspflicht wehrt, habe ich da kaum Hoffnung.

    • @Waldo:

      Schwer zu unterscheiden, ob Ihr Kommentar ehrlich gemeint ist, oder ob Sie nur subtil trollen. Ich unterstelle mal ersteres:

      Wissen Sie -- das ist genau das Problem mit institutionalisierter Gewalt. Sie trifft einige, die meisten bekommen davon gar nichts mit.

      Und da es sehr schwer und schmerzhaft ist, sich der bitteren Tatsache zu stellen, verdrängt man leicht die (auch noch undeutlichen) Indizien die einem begegnen mögen.

      Besonders perfide ist das, wenn sich diese Gewalt gegen bestimmte (ethnische, religiöse...) Gruppen richtet. Das trifft für den vorliegenden Fall (wohl?) nicht zu, ist aber leider auch sehr häufig.

      Es geht hier auch nicht darum, einzelne Polizist*innen zu "grillen". Die meisten machen bestimmt auch einen guten Job, und haben es sicher nicht leicht dabei.

      Es geht vielmehr darum, dass *die Polizei als ganzes* keinen adäquaten Mechanismus hat, um diesen Missständen zu begegnen, und dass der politische Wille offenbar fehlt, daran etwas zu ändern.

      Das ist die bittere Wahrheit. Derweil leiden viele Menschen darunter, wie die im vorliegenden Artikel genannte junge Frau. Die meisten leiden still, behalten es für sich. Einige sind danach tot.

      • @tomás zerolo:

        Hieraus ließe sich bspw. die Frage stellen, warum Verg"§%§$& kaum angezeigt wird/verfolgt wird. Sexismus wie auch in diesem Fall ...



        Da sind noch weitere Kategorien bzw. Unterdrückungsverhältnisse und Mehrfachdiskriminierung denkbar und zu nennen. Bspw. wie mit Menschen umgegangen wird, die psychisch nicht stabil und schwer zugänglich erscheinen. Leider werden solche Menschen immer wieder von der Polizist*innen getötet.



        Hier:



        taz.de/Getoetete-F...richshain/!5656527



        und da:



        taz.de/Tod-im-Polizeigewahrsam/!5684340



        Aus oberflächlicher, realpolitischer Sicht betrachtet, ist da Sensiblisierung und Ausbildung offenbar unzureichend.

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @tomás zerolo:

        Großer Respekt für die offene und deutliche Sprache, die dennoch dem Adressaten die Möglichkeit lässt, sich - weitgehend frei von Bedrängt-Sein - zu artikulieren. (Gerne nehme ich Sie an dieser Stelle als Vorbild.)

        Und Respekt auch an @Waldo, wie Sie diesen Ball aufgenommen haben. Große Achtung!

        Ich freue mich, durch solche Beispiele selbst auf meine alten Tage noch etwas lernen zu können ...

      • @tomás zerolo:

        Danke für das Vertrauen.



        Ich "durfte" auch die andere Seite an Polizei kennenlernen. Ihr Hinweis mit den nicht so einfach erkennbaren Indizien hat mich auch wieder zum Nachdenken gebracht.



        Institutionelle Gewalt wie sie durch die Polizei ausgeübt wird braucht ein besonders waches Auge sowohl durch unabhängige Kontrollinstitutionen wie den Medien , Parlament und auch den eigenen Reihen.



        Jeder der mitbekommt das etwas schief läuft hat die Verpflichtung dies auch bekannt zu machen, es sei denn die Person sieht eine Gefahr darin für sich.



        Liebe TAZ bitte bleibt dran.

        • @Waldo:

          Warmen Dank!

  • Ende April '20 berichten verschiedene Medien, dass Beamt*innen der Polizei Essen in Verdacht stehen sich durch die Familie Ayoub geprügelt zu haben. Mehrere Verletzungen wurden dokumentiert; der Tatort ist die Wohnung der Familie.



    Erst vor ein paar Tagen berichtet die taz Nord unter der Überschrift “Unerwünschter Hausbesuch/ Polizeigewalt gegen Senior*innen“ über einen brutalen Polizei-Übergriff auf 60 und 70 jährige Senior*innen in deren Wohnung in Hamburg-Altona.



    Seit diesem Monat stehen zwei Thüringische Polizeibeamte, wegen gemeinschaftlicher Vergewaltigung (Amtsdelikt) einer Frau auf ihrer Dienststelle in Gotha, vor dem Erfurter Landgericht.



    Anfang Mai '20 berichtet die Hessische Niedersächsische Allgemeine (HNA) von einer grundlosen Misshandlung eines Flüchtlings durch einen Kasseler Polizeibeamten im bei sein von Kollegen. Der “Täter in Uniform“ soll gesagt haben: “Warum liegt der Mann noch nicht am Boden? Warum tritt noch niemand auf ihn drauf?“ “Dann habe er dem Verletzten ohne Vorwarnung mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Keiner seiner Kollegen habe etwas gesagt.“, wird dazu von einer Zeugin in der HNA (07.05.20) berichtet.



    www.hna.de/kassel/...t-zr-13753594.html



    Dies nur vier Übergriffsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen in vier Bundesländern. Alle geschilderten (möglichen) Taten wurden gemeinschaftlich begangen bzw. das einschreiten von Kolleg*innen blieb aus. Die Kernfrage, welche sich m. E. daraus ergibt: Was läuft schief innerhalb der Institution Polizei?

  • Haarsträubend.

    Das dürfte die grösste Bedrohung des Rechtsstaats sein.

  • Weimar, Stadt von Göthe und Schiller, aber da war doch noch was anderes, was war das noch? Ach ja stimmt da war noch Buchenwald. Aber das war ja nur ein Vogelschiss.



    Zu den Zeiten dieses Vogelschiss trugen im Bericht beschriebene Menschen erst braune und dann schwarze Uniformen. Scheinbar hat bei der Weimarer Polizei nicht nur die Farbe der Uniformen aus dieser Zeit überlebt sondern auch so manches Gedankengut.

    • @Ressourci:

      Joe Biden zum Mord an George Floyd in einer Videobotschaft



      Die Sklaverei war die “Ursünde“



      "Durch unser Schweigen,durch unsere Selbstgefälligkeit sind wir Komplizen 
der Fortsetzung des Kreislaufs der Gewalt" "Leute: Wir müssen aufstehen. 
Wir müssen uns bewegen. Wir müssen uns ändern."



      Bei uns war UND ist es ’33 - ’45

  • Tja, man muss ja schon froh sein, dass die Polizei uns hierzulande nicht zu Tode foltert wie in Minneapolis.

    Kommentar gekürzt. Bitte halten Sie sich an die Netiquette.

    Die Moderation

    • @Dorian Müller:

      die Frage ist einfach zu beantworten. Wo sonst bekäme ein Sadist mit Machtsucht so einfach, was er will und noch dazu rechtsfrei.

    • @Dorian Müller:

      Weil Organisationen wie die Polizei oder Militär, für Leute mit einem Hang zur Autorität immer attraktiv sind.

      Dazu noch die Tatsache das es in beiden Bereichen eine enorme "Kasernentreue" gibt. Es wird "dicht gehalten" und man "schützt sich gegenseitig".

      Und das oft um jeden Preis.

    • @Dorian Müller:

      Es sind in diesem Sinne leider schon viel zu viele Leute in Deutschland von Beamten "zu Tode gefoltert" worden.

      Oury Jalloh, Christy Schwundeck, Laya Condé, Dominique Koumadio, Halim Dener, Aamir Ageeb, Maryama Sarr, Zdrav­ko Ni­ko­l­ov Di­mit­rov, Mareame N'deye Sarr, Slieman Hamade, Joseph Ndukaku Chiakwa … sind da bei weitem nicht alle Namen, die wahrscheinlich in Frage kämen.

      Zur Frage: Weil er da genau sowas wie oben im Artikel beschrieben völlig straflos ausleben kann?



      Der zweite ja eigentlich ein Musterfall, Anzeige mit Gegenanzeige beantworten, Korpsgeist gezeigt, im Sand verlaufen.

    • @Dorian Müller:

      Weil er da ohne Konsequenzen befürchten zu müssen seinen Neigungen frönen kann.



      Es gibt keine unabhängige mit allen erforderlichen Befugnissen ausgestattete Kontroll- und Ermittelungsbehörde und damit ermittelt und die Polizei gegen sich selbst. Da kommt natürlich nie was raus, der Korpsgeist lässt grüßen und erinnert an doch eigentlich überwunden geglaubte Zeiten.

  • Was für eine frustrierende Meldung! Polizei und Führungssspitze von Weimar kann man als rechtsextrem anziehen Haben die nichts und gar nichts aus der Vergangenheit gelernt?

    Die Notwendigkeit Existenz einer gut geführten Polizei wird niemand für schlecht halten. Wenn aber Polizei und Justiz auf dem rechten Auge blind sind und Nazitum protegieren, dann werden diese Institutionen zu einer Gefahr für die Demokratie!

  • Polizisten können sich offenbar alles, aber auch wirlich alles erlauben. Bei solchen Stories verwundert es nicht, daß viele Leute ein gesundes Grundmißtrauen gegen die Polizei haben. Der Cop kann dein Freund und Helfer sein, er kann aber auch ein irrer Sadist sein oder dich in einer Zelle verbrennen. Wer wäre da nicht lieber ein bißchen vorsichtig?

    • @kditd:

      Die Polizei ist nie ein "Freund".

      Ein Bäcker der einfach nur seinen Job vernünftig macht und dir nicht in die Brötchentüte rotzt, würdest du auch nicht als Freund bezeichnen.

      Es ist schon ziemlich selbsterklärend das wir von der Polizei als "Freund" reden wenn sie einfach nur minimal anständig ihren Job machen,

    • @kditd:

      Ist ja auch ganz praktisch (für den "Staat"), wenn Mensch auf diese Weise Respekt vor der Polizei bekommt ! Gruselig

    • @kditd:

      Die Mär vom "Freund und Helfer" wurde von Heinrich Himmler zwar nicht erfunden, aber doch popularisiert.