Vorwürfe gegen Grünen-Politiker: Wendung in der Causa Stefan Gelbhaar
Die eidesstattliche Versicherung zu Belästigungsvorwürfen soll falsch gewesen sein. Offenbar prüfte der RBB die Identität der Informantin nicht.

Für Gelbhaar, der eine taz-Anfrage am Sonntag unbeantwortet ließ, kommt die neue Lage zu spät: Die Grünen in seinem Wahlkreis Pankow, den er 2021 gewann – als einziger Grüner in einem Ost-Wahlkreis –, haben ihn am 8. Januar durch eine neue Kandidatin ersetzt. Mitte November noch hatten sie Gelbhaar mit über 98 Prozent Zustimmung erneut zum Direktkandidaten gemacht. Eine nochmalige Änderung ist zeitlich nicht möglich, weil die Parteien ihre Kandidaten bis zum 20. Januar bei der Wahlleitung einreichen müssen.
Seine Bewerbung für die Landesliste der Berliner Grünen hatte Gelbhaar Mitte Dezember unmittelbar vor Beginn jenes Parteitags zurückgezogen, der über die Listenbesetzung entschied. „In den letzten Tagen sind Vorwürfe gegen mich erhoben worden. Das muss parteiintern geklärt werden und das will ich jetzt erst klären“, schrieb Gelbhaar damals in einer E-Mail an die taz und andere Medien. Gelbhaar hatte in dieser Mail auf die Ombudsstelle bei der Grünen-Bundesgeschäftsstelle verwiesen. Die aber hat in den seither vergangenen fünf Wochen keine Ergebnisse öffentlich gemacht. Laut Selbstbeschreibung auf der Grünen-Internetseite untersucht diese Stelle nicht grundsätzlich neutral: „Die Perspektive der Betroffenen ist für uns handlungsleitend“, heißt es dort.
Gelbhaar kannte die konkreten Vorwürfe nach eigenen Angaben zeitweise nur über die Darstellung von Journalisten. Auf seiner Internetseite argumentierte er teils mittels detaillierter Zeitabläufe, warum die Beschuldigungen aus seiner Sicht nicht stimmen konnten. Gelbhaar nannte sie „gelogen“ und „frei erfunden“. Dennoch hatte ihn der Pankower Grünen-Kreisvorstand Anfang Januar zum Rücktritt von der Kandidatur aufgefordert. Landes- und Bundesvorsitzende der Partei schlossen sich an.
Umkämpfte Plätze
Die Bundes-CDU zieht eine Verbindung zwischen der Angelegenheit und Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck. Von einem „brutalen Hauen und Stechen“ in dessen direktem Umfeld sprach CDU-Vize-Generalsekretärin Christina Stumpp gegenüber der Nachrichtenagentur dpa. Der Hintergrund: Habecks Wahlkampfleiter Andreas Audretsch stand vor dem Berliner Listen-Parteitag im Dezember vor einem Duell mit Gelbhaar um Listenplatz 2, der einem sicheren Bundestagseinzug gleichkommt. Audretschs Chancen auf einen eigenen Sieg in seinem Wahlkreis in Berlin-Neukölln gelten als gering.
Gelbhaar, verkehrspolitischer Sprecher seiner Bundestagsfraktion, hatte schon 2021 auf Platz 2 kandidiert und gegenüber der taz in seiner erneuten Kandidatur auch ein klares Zeichen für den Osten der Stadt gesehen. Audretsch, anders als Gelbhaar ein Parteilinker, wäre angesichts linker Delegiertenmehrheit zwar ohnehin gewählt worden. Den Berliner Grünen hätte aber eine Ost-West-Debatte drohen können. Audretsch erklärte am Samstag gegenüber der dpa: „Ich weiß nicht, welche Frauen Vorwürfe erhoben haben, und habe mit dem gesamten Vorgang nichts zu tun.“
Für Diskussionen sorgte am Wochenende auch die Frage, wie der RBB seine Berichterstattung auf die Aussage einer Frau stützen konnte, deren Identität er nicht prüfte. Angeblich erfolgte der Kontakt sogar bloß telefonisch. Andere Aussagen sollen nur per E-Mail vorgelegen haben. Dass die eidesstattliche Versicherung nun eine Falschaussage sein soll, heißt für den RBB nach eigenen Worten: „Nicht alle Vorwürfe, über die wir berichtet haben, sind damit automatisch nichtig – ein wesentlicher Vorwurf allerdings schon.“ Man habe sich deshalb entschieden, „sämtliche Beiträge, in denen es um konkrete Vorwürfe geht, aus dem Netz zu nehmen“.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?