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VorratsdatenspeicherungZugriff des Staates

Die Bundesregierung will IP-Adressen künftig drei Monate speichern lassen. Ist das eine gute Idee? Ein Pro & Contra.

Drei Monate die IP-Adresse speichern können, das ist der Wunsch der Polizei und der Justiz Foto: Depositphotos/imago
Inhaltsverzeichnis

Ja!

Zeitlich klug gesetzt war die Präsentation des Gesetzentwurfs zur Vorratsdatenspeicherung sicher nicht. Mit ihrer Idee, IP-Adressen künftig drei Monate lang zu speichern, dürfte sich Justizministerin Stefanie Hubig über die Weihnachtstage jede Menge Arbeit aufgebürdet haben. Datenschützer:innen, die Internetwirtschaft, Grüne und Linkspartei haben dem Papier, das im Frühjahr im Bundestag beschlossen werden soll, sogleich ritualisiert widersprochen.

Dabei kann – so, wie das Kri­ti­ke­r:in­nen seit Jahren mantramäßig behaupten – von einer Massenüberwachung, mit der jede und jeder künftig komplett gläsern und für jeden Zugriff durch Ermittlungsbehörden freigegeben ist, nicht die Rede sein. Denn Hubig sichert ausdrücklich zu, keine Bewegungs- und Persönlichkeitsprofile erstellen zu lassen, eine weitreichende Vertraulichkeit der Kommunikation ist also weiterhin gesichert.

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Die taz ist eine unabhängige, linke und meinungsstarke Tageszeitung. In unseren Kommentaren, Essays und Debattentexten streiten wir seit der Gründung der taz im Jahr 1979. Oft können und wollen wir uns nicht auf eine Meinung einigen. Deshalb finden sich hier teils komplett gegenläufige Positionen – allesamt Teil des sehr breiten, linken Meinungsspektrums.

Viel entscheidender ist doch, was mit der längeren Speicherfrist tatsächlich erreicht werden soll: einer massiven Kriminalität im Netz beizukommen, vor allem der Drogenmafia, Kinderpornografie-Ringen, Onlinebetrüger:innen. Die organisieren sich immer geschickter im Netz, sodass Kinder und Jugendliche in die Fänge von Miss­brauch­stä­te­r:in­nen geraten, Onlinediebe kommen an Geld und Waren, ohne dafür in eine Bank, Geschäfte und Wohnungen einbrechen zu müssen. Wie will man diese Kriminalität erfolgreich bekämpfen, ohne die Überwachungsmöglichkeiten im Netz so zu strukturieren, dass Ermittlungen tatsächlich erfolgreich sind?

Da­ten­schüt­ze­r:in­nen argumentieren stets mit dem Quick-Freeze-Verfahren, also mit der Möglichkeit, Daten bei Verdachtsmomenten einzufrieren. Eine ernsthafte Alternative ist das bei den immer professioneller agierenden Netzkriminellen leider nicht. Denn wo keine Daten eingefroren werden können, weil sie – nach jetziger Rechtslage – schon nach wenigen Tagen gelöscht werden mussten, kann auch nichts mehr ermittelt werden.

Hier schützt der überstrenge Datenschutz die Täter und nicht die Opfer. Gerade in Fällen von Kinderpornografie, Missbrauch, Zwangsprostitution kann ein schneller Zugriff der Behörden für die Opfer lebens- und schicksalentscheidend sein. Datenschutz ist wichtig, aber der Schutz von unschuldigen Opfern, insbesondere Kindern, sollte höher eingestuft werden.

Simone Schmollack

Nein!

Das Argument wird älter, aber nicht besser: Nach jahrelangem Ringen um die Vorratsdatenspeicherung startet die Bundesregierung einen neuen Anlauf – und begründet ihn mit dem Kampf gegen Kinderpornografie. Täter kämen „viel zu oft davon“, sagte Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), als sie am Wochenende ihren neuen Gesetzesentwurf präsentierte. Künftig sollen Internetanbieter die IP-Adressen aller Kunden verpflichtend für drei Monate speichern und auf Anfrage den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen. Theoretisch soll sich kein Nutzer mehr auf seine Anonymität verlassen können.

Das Kinderpornografie-Argument ist praktisch: Bei kaum einer anderen Straftat ist die Empathie für die Opfer ausgeprägter. Gegenrede gerät schnell in den Verdacht des Täterschutzes. Redlich ist das Argument gleichwohl nicht. Vorgesehen ist die neue Speicherpflicht schließlich nicht nur für den Kampf gegen Kinderpornografie, den ebenfalls oft genannten Onlinebetrug oder vergleichbare Delikte. Sie wird für alle Straftatbestände gelten. Sobald irgendein Anfangsverdacht vorliegt, sollen Polizei und Geheimdienste Daten abrufen können.

Im Prinzip kann es damit fast jeden treffen. Wer mit hoher krimineller Energie offensichtliches Unrecht begeht, wird häufig auf Tools zurückgreifen, die seine IP-Adresse verschleiern. Gerade in Feldern wie der Kinderpornografie ist daher fraglich, ob durch die Speicherpflicht wesentlich mehr Fälle aufgeklärt werden. Ihrer Anonymität beraubt werden viel eher Dilettanten, die sich der Strafbarkeit ihres Handelns vielleicht nicht einmal bewusst sind.

Immer wieder gab es in den vergangenen Jahren Fälle, in denen die Behörden politisch fragwürdige Äußerungen im Internet mit nicht weniger fragwürdigem Eifer verfolgt haben. Ermittelt wird wegen zugespitzter Kritik an Regierungsmitgliedern oder missverständlicher Parolen beispielsweise gegen Israel. Je mehr die Anonymität im Netz abgebaut wird, desto mehr solcher Verfahren könnte es in Zukunft geben – und desto mehr Internetnutzer könnten sich mit steilen Meinungsäußerungen präventiv zurückhalten. Die Vorratsdatenspeicherung schützt dann nicht Kinder. Sie gefährdet den freien Diskurs.

Tobias Schulze

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Simone Schmollack
Ressortleiterin Meinung
Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.
Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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9 Kommentare

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  • Vielleicht muss das Ganze in einem größeren Zusammenhang gesehen werden. Massenhafte anlasslose Speicherung von Daten, Ausweitung der Kompetenzen von BND und Bundespolizei. In der Kombination heisst die Richtung "Überwachungs- oder Polizeistaat."

    Dass als Begründung gerne die Bekämpfung von Kindesmissbrauch und Kinderpornografie ins Feld geführt wird, auf der anderen Seite entsprechende Bilder nicht aus dem Netz entfernt werden, weil sich die Strafverfolgungsbehörden nicht darauf einigen können, wer für die Entfernung zuständig sein soll, lässt doch Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Begründung aufkommen.

  • Die Diskussion bewegt sich, wie so oft, im Kreis.



    Menschen, die sich der Strafbarkeit ihres Handelns nicht bewusst sind, müssen durch bessere Anonymität geschützt werden? Echt jetzt? Es soll tatsächlich ein valides Argument gegen Vorratsdatenspeicherung sein, dass wir die Leute schützen müssen, die nicht wissen, dass es strafbar ist, Kinderpornos zu verschicken?

    Viel wichtiger ist doch wohl das Argument: Nützt es was? Und das werden wir ohne validen wissenschaftlichen Versuch nicht herausfinden. Ein valider AB-Test könnte dadurch erreicht werden, dass wir den Bundesländern die Entscheidungsfreiheit geben, wie sie mit dem Thema umgehen wollen und nach zwei Jahren die Statistiken auswerten.



    Diese zwei Jahre müssen dann allerdings auch ohne weitere Eingriffe in die jeweilige Gesetzeslage ablaufen dürfen. Eine lange Zeit für die Medien, ohne eine neue Sau durchs Dorf treiben zu dürfen.



    Danach wüssten wir dann aber genau, ob die Speicherung der IP-Adressen für die Polizei wirklich so einen großen Unterschied machen würde, dass sich der Aufwand lohnt. Und dann erst könnten wir valide diskutieren, ob die Nachteile das Wert sind.

  • Das wichtigste Argument fehlt IMO. Ob man den Absichten und möglichen Begehrlichkeiten des Staates trauen sollte oder nicht, ist eine komplexe Diskussion, aber sie erübrigt sich schon fast dadurch, dass wir der schlichten Handlungskompetenz des Staates ja auf keinen Fall trauen können.

    Eine derartige Überwachung erfordert die Einrichtung von Schnittstellen die vorher nicht existiert haben, die permanente Übermittlung von Daten und deren zuverlässige und endgültige Löschung. Keiner dieser Schritte ist deutschen Behörden fachlich zuzutrauen. Anders ausgedrückt: durch deren Inkompetenz sind gewaltige Datenlecks praktisch vorprogrammiert. Selbst mit besten Absichten ist dieses Vorhaben sicherheitstechnisch ein Alptraum und der Erfolg ist zweifelhaft. Spätestens wenn die ersten Täter vor Gericht stehen, wird sich in jeder Szene herumsprechen, wie man der Überwachung am besten entgeht.

  • Schon mal was von VPN gehört?

  • Wer Straftaten im Netz begeht, verschleiert jetzt schon die IP-Adresse mittels TOR oder VPN



    Am Ende bleibt ein Tool, mit dem man nur Leute bekommt, die das aus Unwissenheit nicht nutzen und das rechtfertigt m.E. nicht die Massenüberwachung der gesamten Bevölkerung. Kinderschutz geht anders.

    • @Piratenpunk:

      Das Kriminelle im Netz immer TOR oder ein VPN nutzen ist, zum Glück, falsch. Das machen tatsächlich die wenigsten, wobei die Nutzung mit steigender Professionalisierung steigt.

      Und ja, es wird Massenhaft Kinderpornografie ohne jede Art von Verschleierung im Netz verschickt. Das selbe gilt auch für Betrugssätzen etc.

      Insoweit ist das Argument des Kriminellen, der immer ein VPN oder TOR nutzt, so nicht zutreffend.

      • @Hortensius:

        Gibt es dazu belastbare Statistiken? Ich könnte mir vorstellen, wer im Netz bewusst strafbare Handlungen verübt und nicht völlig an der Wand pennt, nutzt mit Sicherheit TOR und/oder VPN. Damit läuft die Vorratsdatenspeicherung ins Leere bzw. wird als Instrument etabliert, welches von der leider zu erwartenden kommenden Regierung mit Sicherheit freudig genutzt werden wird.

  • Sollten wir wirklich noch kurz vor der rechten Machtübernahme noch weitere Überwachungsmethoden etablieren? Eigentlich ist die Diskussion ja gleich mit der Frage bereits erledigt.

    • @Šarru-kīnu:

      Sie meinen wohl die Machtübernahme durch die Ultra-Rechten. Die Rechten haben bereits die Macht.



      Nun, ich sehe unsere Zukunft nicht ganz so düster. Die Mehrheit in diesem Land steht nach wie vor zur "freiheitlichen Demokratie".



      Trotzdem bin ich generell gegen jede Form der "totalen Kontrolle".



      Prävention tut not - jeder Einzelne kann sich vor Betrug schützen, indem er mit seinen Daten vorsichtiger umgeht. Ich bin oft im Internet unterwegs, gebe meine Daten, z.B. Namen, Adresse incl. eMail-Adresse, Konto-Nummern, etc. selten preis.