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Foto: Stella Weiß

Verzicht auf DatingDie Liebe, die ich habe

Nach 15 Jahren Ärger und Enttäuschungen entscheidet unsere Autorin: Keine Männer mehr. Keinen Sex, keine Dates, keine Beziehung. Warum sie so glücklicher ist.

N och fünf Minuten bis zur Abfahrt. Nach einer Woche Italienurlaub sitze ich am Bahnhof von Verona im Zug. Die letzten Tage bin ich durch die verwinkelten Gassen von Venedig geschlendert, habe in der Novembersonne Cappuccino getrunken und am Gardasee Pizza Mar­gherita gegessen. Und jetzt sitze ich heulend im Großraumwagen. Nicht wegen einer Post-Urlaubs-Depression, sondern wegen meiner neuen Beziehung. Nach drei Monaten Dating haben wir es vor zwei Wochen offiziell gemacht, doch anstatt mich wie auf Wolke sieben zu fühlen, spüre ich vor allem eins: Wut.

Was mein Freund spürt? Keine Ahnung, der schreibt mir mal wieder nicht. Ob er mich vermisst, seitdem ich in Italien bin? Keine Ahnung, seine Gedanken und Gefühle sind für mich wie eine Blackbox, sein Verhalten so widersprüchlich, dass ich mich frage, ob er überhaupt mit mir zusammen sein will.

„Warum tu ich mir das eigentlich an?“, frage ich eine Freundin am Telefon. Vielleicht werde es besser, wenn ich ihm eine Ansage mache, meint sie. Bei ihr habe das geklappt. Wenn er sich langfristig nicht mehr Mühe gibt, sagte sie damals zu ihrem Freund, sei sie weg. Ein halbes Jahr gab sie ihm. Ich gebe meinem Freund nach meiner Rückkehr vier Tage. Danach ist es vorbei.

Sieben Monate sind seitdem vergangen. Auf Dates war ich nicht mehr. Apps wie Bumble und Hinge? Deinstalliert. Sex? Nur noch mit mir selbst. Partnersuche? Ad acta gelegt.

Ich bin 31, heterosexuell und habe in den letzten Jahren immer wieder auf Dates verzichtet – weil ich mit anderen Dingen beschäftigt war oder keinen Bock hatte. Doch diesmal fühlt es sich anders an. Nicht nach einer Pause oder Detox, sondern nach einem Schlussstrich. Weil es reicht.

Und nicht nur mir: Viele Frauen schwören aktuell den Männern ab, wie ein Blick auf Instagram und Tiktok zeigt. Unter Hashtags wie #celibacy oder #boysober berichten heterosexuelle Frauen von ihrer neuen Freiheit, seitdem sie nicht mehr auf Dates gehen. Von erholsamerem Schlaf, der nicht von Gedankenschleifen über den narzisstisch anmutenden Freund gestört wird, von Urlaubstagen ohne Herzschmerz und von innerem Frieden, weil sie keine Endlosnachrichten mehr in ihr Handy tippen müssen, um dem Ex sein respektloses Verhalten zu spiegeln. Sie feiern ihre Freundinnen als die eigentlichen Lieben in ihrem Leben und ihre Abende, die sie lieber allein mit Tanzeinlagen im Wohnzimmer verbringen als mit einem weiteren Typen von Bumble, der keine Fragen stellt.

Und sie lassen ihre Wut raus: auf Ex-Freunde, die sie erziehen mussten, auf selbsternannte Feministen, die ihren Unwillen zur Verbindlichkeit in intellektuellen Phrasen tarnen und auf Liebschaften, die ihnen ihre Gefühle abgesprochen haben. Viele der Beiträge haben Zehntausende, manche Hunderttausende Likes. In den Kommentarspalten teilen andere Frauen ihre negativen Erfahrungen mit Männern, immer wieder schreiben sie: „We’re all living the same life“ – Wir leben alle das gleiche Leben.

Als Vorbild für ihre Abkehr von den Männern sehen viele der Frauen die 4B-Bewegung in Südkorea, die Ende der 2010er Jahre im Kontext eines Femizids entstanden ist. Gewalt gegen Frauen ist in Südkorea weit verbreitet, Feministinnen riefen im Sinne des Selbstschutzes zum Männerboyktt auf. Der Name der Bewegung steht für die vier Dinge, die ihre Anhängerinnen ablehnen: Dates mit Männern, Sex mit Männern, Ehe und Mutterschaft.

Deutschland ist nicht Südkorea. Trotzdem übertreibe ich nicht, wenn ich sage, dass es auch mir um Selbstschutz geht, wenn ich keine Männer mehr in mein Liebesleben lasse. Aber von Anfang an.

Wer sagt eigentlich, dass Romantik nur stattfinden kann, zwischen Menschen, die sich sexuell anziehend finden? Foto: Stella Weiß

Mit 16 Jahren habe ich mein erstes Date. Nach ein paar Monaten wird aus dem Jungen in Röhrenjeans (es waren die Nullerjahre) mein erster fester Freund. Unsere Beziehung ist eine Teenieromanze, wie sie im Buche steht. Doch unsere Kennenlernphase davor ist ein Kampf. Tagelang warte ich, dass er auf meine SMS antwortet. Einmal vergisst er unser Date, weil er verkatert ist. Ein konstantes Gefühl von Unsicherheit und Ohnmacht begleitet mich in diesen Wochen. Was ich damals nicht ahne: Dieses Gefühl, das sich bis heute als ein dumpfes Ziehen in meiner Magengrube bemerkbar macht, wird mich immer weiter begleiten.

Dabei gebe ich mein Bestes, die Kontrolle zurückzubekommen. Um Enttäuschungen zu vermeiden, schraube ich meine Erwartungen herunter. In der Hoffnung, dass ihr Interesse an mir steigt, mache ich mich Männern gegenüber rar. Ich vermeide es zu fragen, ob wir inzwischen ein Paar sind, und tue betont cool, wenn ich eigentlich verletzt oder wütend bin. Zu groß ist die Angst, als die Frau zu gelten, die immer alles zerreden will und die nicht „einfach locker daten“ kann, wie eine der Suchoptionen auf Bumble heißt. Ich bin sicher: eine Forderung, eine Gefühlsbekundung zu viel, dann kippt die Situation. Dann ist er weg.

Dass das normal ist, suggeriert mir die Popkultur. Zum Beispiel mein damaliger Lieblingsfilm „Eiskalte Engel“, in dem die schüchterne Annette auf den Aufreißer Sebastian reinfällt, der so viel Angst vor seinen Gefühlen hat, dass er Annette lieber abserviert. Oder nehmen wir Bridget Jones, die in „Schokolade zum Frühstück“ von ihrem manipulativen Boss verarscht wird, um sich danach die Zähne an dem emotional verarmten Mark Darcy auszubeißen. Selbst vermeintlich progressive Formate wie „Sex and the City“ machen es nicht besser. Auch hier wird die alte Leier abgespult: Die Hauptfigur (Carrie) jagt einem Mann mit Bindungsphobie (Mr. Big) hinterher. Carries Gespräche und all ihre Gedanken kreisen um Mr. Big wie die Planeten um die Sonne. Sechs Staffeln braucht es, bis er sich nach ewigem Hin und Her für Carrie entscheidet, nur um sie dann im Kinofilm zur Serie am Tag der Hochzeit sitzen zu lassen. Dass Carrie oder Bridget am Ende ihre Männer bekommen, zeigt mir: Wenn ich Liebe will, muss ich leiden. Und die Macht über die Liebe haben die Männer.

So wie Carrie und Co gelitten haben, tue ich es auch. Fast jeder Mann, mit dem ich zusammen bin, macht aus mir ein Nervenbündel, dem das Selbstbewusstsein abhanden gekommen ist. Weil er mir tagelang nicht auf meine Nachrichten antwortet, sich andere Frauen warmhält oder in seinem Dating-App-Profil ein neues Foto hochgeladen hat. Wie eine Dauerwerbesendung schwebt die immer gleiche Frage in meinem Kopf: Will er mich oder nicht?

Die Ursachen für all das Drama suche ich lange Zeit bei mir. Sind meine Erwartungen zu hoch? Bin ich bindungsunfähig? Habe ich einen Vaterkomplex?

Dabei leide ich auch körperlich: Ich schlafe schlecht, esse zu wenig und vernachlässige meinen Sport. Ich verschiebe Deadlines für Artikel und nehme Karenztage, wenn ich zu ausgelaugt bin zum ­Schreiben, nachdem am Vorabend ein Streit mit meinem Ex eskaliert ist, weil ich es gewagt hatte, ihn zu kritisieren. Während andere wegen einer Erkältung ausfallen, sind es bei mir Männer, die mich regelmäßig arbeitsunfähig machen.

Selbst meine Urlaube überschatten sie: In Verona weine ich nicht zum ersten Mal wegen eines Typen, obwohl ich doch eigentlich chillen will. Davor weine ich auf Korfu, weil der Mann, mit dem ich damals etwas habe, sich nicht mehr bei mir meldet. Und ich weine an der Ostsee, weil mich Erinnerungen an meine gewaltvolle Ex-Beziehung heimsuchen. Irgendwann versuche ich mein Datingleben so zu timen, dass potenzieller Liebesstress nicht in meine Urlaubszeiten fällt. Während ich das aufschreibe, muss ich lachen, weil es zu absurd klingt, um wahr zu sein.

Die Ursachen für all das Drama suche ich lange Zeit bei mir. Ich zermartere mir das Hirn: Bin ich bindungsunfähig? Sind meine Erwartungen zu hoch? Habe ich einen Vaterkomplex oder ziehe ich unbewusst nur Arschlöcher an? Gut gemeinte Anmerkungen aus meinem Umfeld wie „Vielleicht suchst du dir die Falschen aus“ oder „Du willst es einfach zu sehr“ machen alles nur noch schlimmer und verstärken meine Selbstzweifel zusätzlich.

So lange, bis der Feminismus in mein Leben kommt. Da erkenne ich, dass das Patriarchat Männern ihre Verletzlichkeit und Frauen ihre Wut abtrainiert. Dass wir in einer Gesellschaft leben, die Männer von Care-Arbeit befreit und notorisch in Schutz nimmt, wenn sie ihre Verantwortung nicht übernehmen, während sie von Frauen permanente Beziehungspflege erwartet.

Ich lese die Zahlen: Laut Bundesfamilienministerium erlebt in Deutschland etwa jede vierte Frau mindestens einmal in ihrem Leben einen körperlichen oder sexualisierten Übergriff durch ihren aktuellen oder Ex-Partner. Alle vier Minuten tut ein Mann seiner (Ex-)Partnerin Gewalt an. Und fast jeden Tag wird eine Frau getötet – nicht selten von dem Mann, der sie vermeintlich liebt.

Eine große aktuelle Auswertung früherer Studien durch ein internationales For­sche­r*in­nen­team rund um die Psychologin Iris Wahring von der Berliner Humboldt-Universität zeigt zwar, dass Frauen im Schnitt von romantischen Beziehungen mit Männern profitieren, sie also zufriedener und weniger depressiv sind als Single-Frauen. Allerdings profitieren Männer noch mehr von diesen Beziehungen, das ergab die gleiche Auswertung.

Als eine mögliche Erklärung dafür nennt Wahring auf taz-Anfrage Care-Arbeit: „Da in heterosexuellen Beziehungen Frauen immer noch den Großteil der Care-Arbeit verrichten, kann eine Partnerschaft für Frauen auch eine Mehrbelastung bedeuten. Ein Beziehungsende kann für sie demnach eine Entlastung sein, während es bei Männern oft umgekehrt ist.“

Welche Folgen dieses Ungleichgewicht haben kann, untersuchte eine 2025 in der Fachzeitschrift Archives of Sexual Behaviour veröffentlichte Studie. Laut der Au­to­r*in­nen kann das hohe Maß an emotionaler Arbeit, die Frauen in heterosexuellen Beziehungen oftmals leisten, nicht nur zu einem höherem Stresslevel führen, sondern auch zu geringerer sexueller Zufriedenheit.

Dass Frauen ohne Männer möglicherweise besser dran sind, legt eine Studie der Universität von Padua aus dem Jahr 2016 nahe. Laut dieser haben Männer nach dem Verlust der Ehepartnerin ein höheres Risiko, gebrechlich zu werden, während es bei den Frauen umgekehrt ist. Untersuchungen zeigen auch: Trennungen in heterosexuellen Beziehungen gehen häufiger von Frauen aus und sie sind es auch, die danach lieber Single bleiben.

Mit diesem Wissen fange ich nicht nur an, mein Liebesleben anders zu betrachten. Ich höre auch meinen Freundinnen anders zu, wenn sie von ihren Dates und (Ex-)Beziehungen mit Männern erzählen. Das hört sich dann oft so oder so ähnlich an:

„Mein Ex ist psychisch krank, war aber nie in Therapie. Also musste ich nach der Trennung in Therapie.“

„Mein Freund kann sich nicht entschuldigen.“

„Mein Ex zahlt keinen Unterhalt für unseren Sohn.“

„Ich glaube, ihm ist es egal, wie ich unseren Sex finde.“

„Er wollte unbedingt meine Nummer, aber hat sich danach nie gemeldet.“

„Ich habe ihn gefragt, ob er mir hilft, in meiner neuen Wohnung klar Schiff zu machen. Er sagte, er setze sich gerne mit einem Buch dazu und schaue mir beim Putzen zu.“

„Als ich ihn auf sein verletzendes Verhalten ansprach, sagte er, das erinnere ihn jetzt viel zu sehr an seine Ex.“

„Letzte Woche hat er gesagt, wie verliebt er in mich ist. Jetzt sind seine Gefühle wieder weg.“

„Mein Freund hat mich im Streit so lange festgehalten, dass ich danach ins Krankenhaus musste.“

„Als wir im Bett waren, habe ich mehrfach Nein gesagt, aber er hat nicht aufgehört.“

Sicher höre ich auch mal eine Lovestory mit Happy End, doch die meisten Liebesgeschichten meiner Freundinnen sind Leidensgeschichten, die von den immer gleichen Verletzungen handeln: vom Warten auf Antworten, dem Kampf um Verbindlichkeit, fehlender Care-Arbeit – und von Gewalt. Ich finde mich in vielen ihrer Geschichten wieder und frage mich irgendwann, ob wir alle mit den selben Typen zusammen waren.

„Das Patriarchat hat Generationen von Männern erzeugt, die emotional distanziert sind, weil ihnen seit der Kindheit beigebracht wurde, ihre Emotionen zu verdrängen und der Liebe und emotionalen Nähe zu Frauen zu widerstehen“, schreibt die feministische Autorin Emilia Roig in ihrem Buch „Das Ende der Ehe“, in dem sie wie ich von einem latenten Gefühl emotionaler Unsicherheit erzählt, das ihre romantischen Begegnungen mit Männern prägte. Geht es nach Roig, verspüren Frauen einen „Durst nach emotionaler Nähe, den Männer nicht befriedigen können, weil deren Sozialisation ihnen das Gegenteil beibringt: emotionale Distanziertheit, ein starkes Bedürfnis nach Unabhängigkeit und ein niedriges Level an Engagement.“

Dieses tiefe Gefühl der Geborgenheit, des Verstandenwerdens Foto: Stella Weiß

Was das für das Verhältnis zwischen Frau und Mann in der Liebe bedeutet, bringt die Autorin Laura Melina Berling in ihrem Buch „Modern Heartbreak: Feministischer Lieben“ auf den Punkt: „Die emotional distanziertere Person hat eine größere Kontrolle über die Situation. Das Bild eines Mannes, der keine Bindung braucht und viele Sexualpartnerinnen hat, gegenüber einer Frau, die sich binden möchte, birgt Überlegenheit und Asymmetrie.“

Dabei date ich in meinem Zwanzigern auch Männer, die nicht auf Distanz bleiben. Im Gegenteil: Sie texten mich auf Whatsapp voll, drängen beim Dating mit subtilen Aussagen auf den ersten Sex oder betteln danach um ein weiteres Treffen, obwohl ich Nein gesagt habe. Aus ihrer anfänglichen Begeisterung für mich wird Besitzanspruch. Womit wir wieder beim Thema Kontrolle wären.

Was also, wenn das, was ich bislang für mein persönliches Pech hielt, das Patriarchat ist? Wenn es nicht (nur) an mir liegt, dass ich in der Liebe so leide, sondern vor allem an den Männern? Es ist ein Gedanke, der ein rauschartiges Gefühl der Erleichterung in mir auslöst.

Nach all den verkorksten Dates und Beziehungsversuchen höre ich erstmals auf, die Schuld allein bei mir zu suchen, meinem Bindungsstil oder meinen Erwartungen, die mir oft als fehlende Gelassenheit ausgelegt wurden. Oder wie es Brigitte Theißl im feministischen Magazin an.schläge im Kontext des 4B-Trends auf Social Media formuliert: „Jedes Tiktok-Video, jedes Reddit-Posting sendet nicht zuletzt die Botschaft: Nicht du persönlich hast versagt, sondern Care-Arbeit auf Frauen abzuladen und sie nicht einmal wertzuschätzen, hat im Patriarchat System.“

Wenn ich feministisch lieben will, muss ich feministisch daten, denke ich irgendwann, und treffe mich weiter mit Männern, fest entschlossen, die Dinge einzufordern, die mir wichtig sind: Sprechen über Gefühle, Empathie, Respekt, Fürsorglichkeit. Doch je mehr ich daraufhin für mich einstehe, desto größer wird der Widerstand. Je selbstbewusster ich Grenzen ziehe oder verletzendes Verhalten benenne, desto ätzender verhalten sich die Männer, unter denen sich auch selbsternannte Feministen befinden. Als ich Forderungen stelle, stellen sie diese in Frage. Als ich Kritik äußere, lenken sie mit Gegenkritik ab. Wenn ich mich unabhängig mache, folgt die Abwertung. Mein Selbstbewusstsein finden sie nur so lange sexy, bis es sich gegen sie richtet.

Wenn ich mit meinen queeren Freun­d*in­nen zusammensitze und die einzige Heteroperson am Tisch bin, kommt gern die Frage: „Und, wie scheiße ist es, als Feministin auf Männer zu stehen?“ „Ziemlich scheiße“, sage ich dann und lache, während mir auch ein bisschen zum Heulen zumute ist.

Vor einem Jahr etwa beginne ich deshalb, Frauen in den Blick zu nehmen, zu denen ich mich nie körperlich hingezogen fühlte. Doch ich bin fest entschlossen, meinem Schicksal im Heteropatriarchat zu entkommen. Also treffe ich mich mit Anna – 33, Hydrobiologin, megacool, megaheiß. Unser Date läuft super, doch ich warte vergeblich auf das Gefühl, was ich habe, wenn mir ein Mann gefällt. Heute würde ich mir mehr Zeit geben, um mein mögliches Begehren einer Frau gegenüber zu erkunden. Damals bin ich sicher: Scheiße, ich bin hetero. Ein Jahr später lachen Anna und ich immer noch über unser Fake-Date, denn inzwischen verbindet uns eine enge Freundschaft – die einzige gesunde Beziehung, die eine Dating-App mir je beschert hat.

Einmal gebe ich einem Mann nach Anna noch eine Chance – seinetwegen finde mich heulend am Bahnhof von Verona wieder. Seitdem halte ich nicht mehr viel davon, Männer zu daten oder mit ihnen zusammen zu sein. Ein Schluss, zu dem bereits der Zweite-Welle-Feminismus der 1970er Jahre kam. Die Radikalfeministinnen von damals prägten den berühmten Satz „Das Private ist politisch“ und kritisierten, dass Frauen in einer heterosexuellen Beziehung sich niemals vom Patriarchat befreien können.

Es ist nicht so, dass ich denke, dass es keine Männer gibt, die Frauen auf Augenhöhe lieben und wirklich Lust haben, eine Beziehung zu gestalten. Ich glaube nur, dass sie eine verschwindend kleine Gruppe sind. Umso mehr nerven mich heute Sätze wie „Der Richtige kommt noch“. Sie sollen mir Hoffnung machen, doch stattdessen machen sie Druck – weiter zu suchen, meine Anforderungen an eine Beziehung noch klarer zu machen, noch besser auf frühe Warnsignale zu achten.

Vor jedem ersten Date, das ich zum Schluss hatte, erzählte ich meinen Freundinnen von den Männern. Dabei fragte ich nicht, ob sie sie süß fanden, sondern: Hast du was Schlechtes über den gehört? Ist der manipulativ? Hat der ein Problem mit Gewalt? Anstatt auf der Suche nach Liebe meine Zeit damit zu vergeuden, psychologische Gutachten und Führungszeugnisse von Männern zu erstellen, die vielleicht ganz süß sind, richte ich meinen Blick inzwischen lieber auf die Liebe, die ich schon habe.

Und, wie scheiße ist es, als Feministin auf Männer zu stehen?, fragen mich meine queeren Freund*innen. „Ziemlich scheiße“, sage ich

Als ich im November in Verona im Zug sitze und mich trotz neuer Beziehung so einsam wie lange nicht mehr fühle, fragt mich meine beste Freundin, ob sie für mich einkaufen soll, damit ich nach meiner Rückkehr etwas im Kühlschrank habe. Sie fragt auch, wann ich ankomme, damit sie mich vom Bahnhof abholen kann. Ich weiß nicht, ob der Frust über die Lieblosigkeit meines Freundes mich in diesem Moment sensibler macht oder ob sich meine Freundin besonders viel Mühe gibt. Doch plötzlich umgibt mich ein tiefes Gefühl der Geborgenheit, des Gesehen- und Verstandenwerdens und vor allem das Gefühl, im Leben einer anderen Person wirklich Priorität zu haben.

Alles Dinge, die ich als Jugendliche einmal in einer eigenen Familie zu finden glaubte, mit Mann und Kindern. Schon in der sechsten Klasse ging es bei uns Mädchen nicht darum, ob wir einmal Kinder haben wollen, sondern wann und wie viele. Erst als ich verstand, dass ich kein Kind kriegen muss, erkannte ich auch, dass ich kein Kind kriegen will. Ein Fakt, der mir den Ausstieg aus dem Dating deutlich leichter gemacht hat.

Auf Romantik muss ich seitdem nicht verzichten. Wenn meine Freundinnen und ich Sprachnachrichten füreinander aufnehmen, sagen wir uns, dass wir uns liebhaben und dass wir uns vermissen. Wenn wir uns sehen, machen wir uns Komplimente, und manchmal auch Geschenk, einfach so. Wir sagen uns, wie schön wir das letzte Treffen fanden und wie froh wir sind, uns zu kennen. Wenn das nicht Romantik ist, was dann?

„Auch wenn es sehr schwer ist, denke ich, dass es einen großen Benefit haben kann, von der großen romantischen Liebe abzurücken und Liebe anders zu definieren“, sagt die Autorin Laura Melina Berling. „Das kann heißen, dass man Rollenbilder hinterfragt und Liebe anders gestaltet, aber auch dass man nicht mehr auf Dates geht, keine romantischen Beziehungen führt und stattdessen andere Beziehungen wie Freun­d*in­nen­schaf­ten intensiver lebt.“

Berling wirft nicht nur in ihrem Buch „Modern Heartbreak“ einen feministischen Blick auf die heterosexuelle Liebe. Auch auf Instagram macht sie Ungerechtigkeiten im Dating für Frauen sichtbar, seziert in Memes die Scheinheiligkeit linker Typen, die ihr mieses Verhalten gegenüber Frauen mit wokem Vokabular schönreden. Zum Beispiel, in dem sie Frauen Heteronormativität vorwerfen, nur weil die sich mehr Verbindlichkeit gewünscht hatten.

In den Kommentaren unter Berlings Posts kommt von Männern immer wieder der Einwand, dass auch Frauen sich im Dating unehrlich und unfair verhielten. „Das stimmt auch“, sagt die 37-Jährige, „aber wir leben in einer Gesellschaft, in der das Verhältnis zwischen Mann und Frau nach wie vor nicht gleichwertig ist und Frauen in eine Abhängigkeit von Männern hineinsozialisiert werden. Umso mehr Leid birgt dieses Machtgefälle in der Liebe für sie.“

Ob auch sie schon an dem Punkt war, die heterosexuelle Liebe aufzugeben? „Ständig“, sagt Berling und lacht. „Aber ich hatte trotzdem immer diese Sehnsucht nach einer romantischen Beziehung.“ Eine Sehnsucht, die ihrer Meinung nach in feministischen Diskursen und bei aller Liebe für Freun­d*in­nen­schaf­ten manchmal zu wenig Raum bekommt. „Es ist gut, wenn wir uns von den Männern unabhängig machen wollen, aber das sollte nicht dazu führen, dass wir gar nichts mehr fühlen und keinen Liebeskummer haben dürfen, wenn es wieder mal nicht geklappt hat.“

Auch mich holt nach dem Ende meiner letzten Beziehung die Traurigkeit ein. Und ich erwische mich noch heute beim Tagträumen über verliebtes Händchenhalten und Pärchenurlaub. Das sind Dinge, die meine Freundinnen nicht ersetzen können. Aber ich brauche diese Dinge nicht, um glücklich zu sein. Mit Männern, so erscheint es mir heute, bekam ich sie oft nur im Tausch gegen meine psychische Gesundheit.

wochentaz

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ein schlechter Deal, den auch meine Freundin Anna (nicht die Hydrobiologin von Hinge) oft eingegangen ist. Sie ist so alt wie ich und hat den Männern, zufällig fast zeitgleich mit mir, ebenfalls abgeschworen. Wie es ihr seitdem geht, will ich wissen, als sie sich auf meinem Balkon eine Zigarette dreht. „Ich habe endlich Frieden“, sagt Anna. Ein Satz, der in meinem ganzen Körper nachhallt, weil ich weiß, was sie meint. „Natürlich habe ich mal Stress auf Arbeit oder so, aber ich habe nicht mehr diesen Krieg.“ Mit Krieg meint sie Dating.

Davon war Anna schon zu Beginn unserer Freundschaft genervt. Als ich sie vor zwei Jahren in einem Café kennenlernte, hatte sie nicht nur einen Cappuccino vor sich, sondern auch einen Notizblock, auf dem sie einen wütenden Brief an ihren Exfreund schrieb. Trotzdem träumte sie damals noch davon, irgendwann einem Mann ihr Ja-Wort zu geben. Ein Traum, den sie inzwischen begraben hat.

Dass sie einmal an diesen Punkt kommen würde, hätte sie nicht gedacht. „Es ist nicht so, dass ich mich nicht über eine funktionierende Beziehung mit einem Mann freuen würde. Ich bin aber nicht mehr bereit, mir von Männern mein Zen nehmen zu lassen.“ Eine Einsicht, da ist sich Anna sicher, zu der in Zukunft immer mehr Frauen kommen werden.

Und die Männer? Seit einiger Zeit beschäftigt sich das Internet aufgeregt mit der Frage, ob die derzeit an einer „male loneliness epidemic“ (auf Deutsch: männlichen Einsamkeitsepidemie) leiden – auch weil sie keine Freundin mehr finden in einer Welt, in der Frauen ihre Ansprüche hochgeschraubt haben.

Eine These, bei der Christoph May nur den Kopf schütteln kann. Der Literaturwissenschaftler hat 2016 das Institut für Kritische Männerforschung mitgegründet und berät seitdem zu Themen wie Männerbilder und Kritische Männlichkeit. Dass es die „male loneliness epidemic“ gibt, bezweifelt May, und verweist auf eine aktuelle Umfrage im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, laut der junge Frauen zumindest in Deutschland häufiger von Einsamkeit betroffen sind als junge Männer. „In einer patriarchalen Gesellschaft aber ignorieren Männer diese Fakten, rufen indes eine männliche Einsamkeitsepidemie aus und fordern Mitleid, weil sie nicht darüber sprechen wollen, was die eigentlichen Epidemien sind, nämlich Sexismus, Misogynie und Gewalt an Frauen.“

Was Frauen aktuell auf Social Media über Männer im Dating und Beziehungen anprangern, findet May schockierend und augenöffnend. Wirklich überraschen sollten die Berichte aber niemanden. „Dass viele Männer beim Dating übergriffig sind und manipulieren, in Beziehungen den Mental Load ihrer Partnerin nicht sehen und ihr die emotionale Arbeit aufdrücken: Das ist ja alles nichts Neues“, sagt May. „Neu ist, dass Frauen das jetzt sichtbar machen.“

Durch Trends wie #boysober spürten Männer zum ersten Mal, „dass ihr Verhalten Konsequenzen hat und sie für manche Frauen im Grunde keine Rolle mehr spielen“. Entweder sie folgten als Trotzreaktion darauf dem Beispiel von Andrew Tate, verhalten sich also erst recht mackerhaft und werten Frauen ab – oder sie machten sich die Arbeit, sich mit ihrer Misogynie auseinanderzusetzen.

Eine Auseinandersetzung, für die wir laut May auch an die Strukturen ranmüssen. Er fordert feministische Bildung für Jungs von der ersten Klasse an und die Bezahlung von Care-Arbeit. Darüber hinaus brauche es als Gegenentwurf zum aktuellen Männlichkeitsbild mehr Männer, die im Erzieher- und Pflegeberuf arbeiten und als Vorbilder auf allen Ebenen in Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport und Medien ihren Anteil der Care-Arbeit übernehmen, drei Jahre in Elternzeit gehen und für die Karriere ihrer Partnerinnen ihre Arbeitszeit deutlich reduzieren.

Er freue sich über jeden Post auf Instagram und Tiktok, in dem Frauen ihre negativen Erfahrungen im Dating teilten, sagt Christoph May, betont aber: „Die Verantwortung dafür, dass heterosexuelle Liebe langfristig gleichberechtigter wird, liegt nicht bei den Frauen, sondern einzig und allein bei den Männern.“

Wenn nur ein paar von ihnen ihre Verantwortung erkennen und an sich arbeiten, vielleicht ist unter diesen dann irgendwann auch einer für mich dabei. Diesen Gedanken hätte mein Hirn nach den Worten von Christoph May noch vor einiger Zeit produziert. Und vielleicht stimmt es ja auch. Aber ich habe keine Lust mehr auf diesen Mann zu warten oder nach ihm zu suchen. Stattdessen mache ich das, was sich wirklich lohnt – Urlaub mit meiner besten Freundin. In ein paar Tagen fliegen wir für eine Woche nach Kroatien.

Ich bin mir sicher: Es wird ein Urlaub ohne Tränen.

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1 Kommentar

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  • Darüber hinaus brauche es als Gegenentwurf zum aktuellen Männlichkeitsbild mehr Männer, die im Erzieher- und Pflegeberuf arbeiten und als Vorbilder auf allen Ebenen in Wirtschaft, Politik, Kultur, Sport und Medien ihren Anteil der Care-Arbeit übernehmen, drei Jahre in Elternzeit gehen und für die Karriere ihrer Partnerinnen ihre Arbeitszeit deutlich reduzieren.

    Dem kann ich 100% zustimmen, sehe jedoch aus eigener Erfahrung und selbst in meinem eher progressivem Umfeld nur wenige Frauen, die bereit sind als Karrierefrauen einen Partner zu akzeptieren, der auf der Karriereleiter unter ihr steht.