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Verpflichtende KZ-Besuche in der SchuleErinnern aber inklusiv

Pauline Jäckels
Kommentar von Pauline Jäckels

Karin Priens Vorstoß für mehr NS-Bildung an Schulen ist ein richtiger Impuls. Einen wichtigen Aspekt lässt dabei sie allerdings völlig außer Acht.

Jugendliche zu Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Sachsenhausen Foto: Jürgen Ritter/imago

C DU-Bildungsministerin Karin Prien will den Besuch von KZ-Gedenkstätten in der Schule verpflichtend machen. Mal ganz abgesehen davon, dass am Ende ohnehin die Länder und nicht der Bund darüber entscheiden, ist das ein guter Vorschlag. Selbstverständlich muss die massenhafte Vernichtung von Jüd*innen, Sin­ti*z­ze und Rom*nja, Kom­mu­nis­t*in­nen, Homosexuellen in den NS-Lagern integraler Bestandteil der Geschichtslehrpläne aller Bundesländer sein. Besuche von KZ-Gedenkstätten können diese, unsere genozidale Geschichte lebensnäher vermitteln als Lehrbücher und Frontalunterricht im Klassenraum.

Ebenso Priens Anstoß, dass die Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte mehr im Mittelpunkt stehen sollte, ist sinnvoll. Denn trotz all der Jahre institutionalisierter Erinnerungskultur glaubt ein Drittel der Deutschen, ihre Vorfahren hätten Widerstand gegen die Nazis geleistet. In Wirklichkeit trifft das laut Schätzungen nur auf etwa 0,3 Prozent der damals lebenden Deutschen zu. Dem ein oder anderen Deutschen fiele es nach der Auseinandersetzung mit dem eigenen Nazihintergrund vielleicht schwerer, Antisemitismus zu Allererst bei Mus­li­m*in­nen und Mi­gran­t*in­nen zu suchen. Priens Parteikollege und Kanzler Friedrich Merz könnte gleich mit gutem Beispiel vorangehen und sich mal öffentlich mit der jahrelang von ihm verharmloste Nazi-Geschichte seines Großvaters befassen.

Was in Priens Vorschlägen allerdings überhaupt keine Erwähnung findet: Ein immer größerer Anteil der Schü­le­r*in­nen hat keine Familiengeschichte, die direkt mit der NS-Geschichte verwoben ist. Migrantischen Kindern einfach deutsch-zentrische Erinnerungserzählungen überzustülpen, ist der falsche Ansatz. Stattdessen braucht es Bildungskonzepte, die es Schü­le­r*in­nen ohne Nazihintergrund ermöglichen, einen eigenen Zugang zum Thema zu finden. Dazu müsste man die NS-Geschichte – vom Aufstieg der Nazis bis zur Massenvernichtung von Minderheiten – in einen Kontext mit globalen Erfahrungen von Vernichtung und Genozid setzen. Das geht auch, ohne den Holocaust zu verharmlosen oder seine Alleinstellungsmerkmale zu vernachlässigen.

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Pauline Jäckels
Meinungsredakteurin
Redakteurin im Meinungsressort seit April 2025. Zuvor zuständig für die parlamentarische Berichterstattung und die Linkspartei beim nd. Legt sich in der Bundespressekonferenz gerne mit Regierungssprecher:innen an – und stellt manchmal auch nette Fragen. Studierte Politikwissenschaft im Bachelor und Internationale Beziehungen im Master in Berlin und London.
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7 Kommentare

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  • Besuche von Gedenkstätten, zumal erzwungene, werden kaum dazuführen, dass sich Menschen mit der Geschichte intensiver auseinandersetzen und daraus Lehren für Gegenwart und Zukunft ziehen.

    Ich habe vor über 22 Jahren eine offizielle Reisegruppe, inklusive JournalistInnen, an den Ort eines Massakers in Ruanda gebracht, der noch im „Originalzustand“ war. Die verwitterten Überreste der Getöteten, Schädel, Knochen, Kleiderfetzen lagen damals noch verstreut auf dem Boden der zerstörten Kirche. Nichts hinter Glas, kein Schutz vor dem Geruch der Verwesung, nichts arrangiert, keine Erklärtafeln. Die Besucher zeigten sich schwer berührt. Danach ging es zu einem anderen Erinnerungsort, wo es ein Treffen mit Überlebenden gab. Schon am nächsten Tag war Business as Usual und man scherzte wieder. Der Tag zuvor war kein Thema mehr.

    Um aus der Geschichte zu lernen, muss man sich intensiv mit ihr auseinandersetzen, statt nur Schulbuchwissen abzuarbeiten. Dabei kann es helfen, wenn man einen persönlichen Bezug wie Familien- oder Ortsgeschichte findet.

  • Bildung ist, wie der Artikel zurecht einschob, Ländersache. Vielleicht findet Prien aber auch noch Felder, die dennoch in ihrem Bereich liegen.



    Es muss nicht zwingend ein ehemaliges KZ sein, und ritualisiertes Vorgehen ist auch hier weniger wirksam als Sprechen, Vorleben und Erarbeiten.



    Und wir müssen heute die Lehren ziehen: Gegen die Ausgrenzung von Menschen streiten, ob sie Moshe, Muammar oder Maik heißen. Gleiche Rechte als Ziel statt asozialen Pseudodarwinismus'. Zuerst hier bei uns am Ort, doch auch anderswo im Rahmen unserer Möglichkeiten.



    Und immer wieder wahre Fakten statt der bewussten Verdummung v.a. von Rechtsextrem. Was dazu führt, hilft.

  • Meines Erachtens wäre es zielführender Berichte von überlebenden Opfern wie zum Beispiel Primo Levis " Ist das ein Mensch" zur Pflichtlektüre an Schulen ab Klassenstufe 10 zu machen.

  • Denkanstoß:



    Der Holocaust wird bereits seit Jahrzehnten in den Schulen breitgetreten, und zwar in mehreren Fächern und Klassenstufen. Viele haben auch Gedenkstätten besucht.



    Und nun schaue man sich unsere Gesellschaft an. Erfüllt die Maßnahme ihren Zweck?



    Aber natürlich wird alles anders, wenn _alle_ in Gedenkstätten fahren. Ganz bestimmt, viel hilft viel ...

  • "Kom­mu­nis­t*in­nen"

    Es wurden nicht nur Kommunist*innen von Nazis ermordet sondern auch Sozialdemokrat*innen, Gewerkschaftler*innen, Friedensaktivist*innen und viele weitere Gruppen die den linken politischen Spektrum zu zuordnen waren. Leider werden die meisten Menschen, die aufgrund ihrer politischen Gesinnung von den Nazis ermordet worden sind in Deutschland gerne mal unter den Teppich gekehrt und höchstens angedeutet. Wenn man Kommunist*in als Sammelbegriff für alle linken Todesopfer der Nazis verwendet, übernimmt man damit leider auch den Diffamierungsbegriff den die Nazis gegen ihre politischen Opfer verwendet haben.



    Nicht alle Linken sind und waren Kommunisten und sobald man sich offen als links zu erkennen gegeben hat, hatte man unter den Nazis nicht mehr lange zu leben.

  • Die Idee ist ja im Grunde gut, allerdings nützt das eher wenig wenn man es mit von sog. sozialen Medien oder gar dem Elternhaus indoktrinierten Jugendlichen zu tun hat. Die breitere und tiefere Behandlung des Themas im Unterricht tut Not, da kann man multimedial auch viel tun, zu meiner Zeit waren Bücher, Broschüren und Diskussionen die Mittel, bei den meisten hat das auch gereicht um aus der Geschichte zu lernen.



    Gerade auch in Hinsicht auf die vielen Jugendlichen mit Migrationshintergrund sollte man sich nicht auf den Holocaust verengen, sondern den Faschismus mit seinen internationalen Verbindungen behandeln. Denn die Einflüsse auf die außereuropäischen Herkunftländer vieler Migranten sind ja mittlerweile gut erforscht und bei den innereuropäischen Nachbarn kann man die Geschichten der Opfer und Mitläufer betrachten. Leider bieten ja auch Russland und die USA mittlerweile Beispiele dafür,



    Was komplett falsch wäre, dem AgD Märchen vom Schuldkult aufzusitzen, hier muss man die individuelle Verantwortung für die eigene Zukunft und gemeinsame für die des Landes Demokratie wecken.







    m.youtube.com/watch?v=J94qECdx73M

  • Leider scheint es keine Korrelation zu geben, dass mehr Besuche von Gedenkstätten auch auf Dauer eine humanere Weltanschauung zur Folge haben. Trotzdem darf man da nicht nachlassen, muss es aber nicht für migrantische Kinder auf eine globale Ebene heben.

    "..größerer Anteil der Schü­le­r*in­nen hat keine Familiengeschichte, die direkt mit der NS-Geschichte verwoben ist. Migrantischen Kindern... "



    Auch diese Kinder könnten im Familienstammbau nachforschen, wie es mit dem Antisemitismus war/ist. ZB erfreute sich der - hier verbotene - NS-Propagandafilm "Jud Süß" noch in den 50er und 60er Jahren einer großen Beliebtheit im arabischen Raum (Niven, 2022 bpb).