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Verhandlungsoption der EUEin Klimadeal mit Russland

Gastkommentar von Karl-Martin Hentschel

Russland hat mit dem Export von Öl und Gas nur auf absehbare Zeit eine sichere wirtschaftliche Existenz. Die EU kann Russland Alternativen bieten.

Bau der EUGAL Pipeline 2019 in Mecklenburg Foto: Paul LangrockF

E s ist erstaunlich! Im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt wird über die Versorgung von Deutschland mit Gas und die Pipeline Nord Stream 2 und Kohlegruben im Osten der Ukrai­ne geredet, was in Zeiten des Klimawandels recht seltsam anmutet. Warum verhandeln Annalena Baerbock oder Emmanuel Macron mit Russland stattdessen nicht über handfeste langfristige ökologische und ökonomische Lösungen. Die EU und gerade Deutschland können Russland viel bieten, wenn sie es klug anstellen.

Die Ausgangssituation für Russland ist extrem schwierig. Die russischen Exporte resultieren in den letzten Jahren zu fast zwei Dritteln aus dem Export von fossilen Rohstoffen. Mit den Einnahmen aus dem Erdgas für unsere Heizungen bezahlt Russland die Importe von Maschinen und Konsumgütern aus Deutschland. Die drei mit Abstand größten russischen Konzerne Gazprom, Luk­oil und Rosneft produzieren Öl und Gas. Im russischen Staatshaushalt bringen die Steuern und Zölle auf fossile Energien fast die Hälfte der Einnahmen.

Als in den 1990er Jahren diese Einnahmen wegfielen, konnte der damalige Präsident Boris Jelzin die Renten nicht mehr bezahlen. Das Renommee von Putin basiert nicht zufällig auf der Renationalisierung großer Teile der Energiewirtschaft, die nach der Perestroika privatisiert worden war. Auch wenn die Renten nicht hoch sind und Millionen von Rentnern durch Nebenjobs etwas dazu verdienen müssen, hat Putin zumindest dafür gesorgt, dass die Renten pünktlich bezahlt werden.

Mittlerweile wurden aus den Öl- und Gas-Einnahmen sogar über 150 Milliarden Dollar in einem sogenannten Wohlfahrtsfonds zurückgelegt, der auch als geheime Kriegskasse dient und sicherstellt, dass Russland im Falle von Sanktionen zahlungsfähig bleibt. Noch setzt Russland auf steigende fossile Exporte. Nach der Energiestrategie von 2020 soll der Export von Kohle bis 2035 um 20 bis 90 Prozent zunehmen, der von Erdgas um 50 bis 100 Prozent.

Karl-Martin Hentschel-

war Fraktionsvorsitzender der Grünen in Schleswig-Holstein und arbeitet im Bundesvorstand von Mehr Demokratie e. V. Er war Projektleiter der Handbücher Klimaschutz (Oekom 2020), Klimaschutz Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen (www.handbuch-klimaschutz.de/anlagen).

Vorerst keine Klimaschutzmaßnahmen

Dies soll durch erhöhte Förderung und durch den Ausbau der Atom- und Wasserkraft für die heimische Energieversorgung ermöglicht werden. Dagegen kommen Wind- und Solarenergie in den Planungen schlicht nicht vor. Und was ist mit dem Klimaschutz? Russland hat zwar das Pariser Abkommen unterschrieben, plant aber kaum Klimaschutzmaßnahmen und beruft sich darauf, dass sich durch die Perestroika die CO2-Emissionen seit 1990 halbiert haben.

Eine Senkung der Emissionen ist bislang nur durch Aufforstungsmaßnahmen vorgesehen. Die Emissionen der Energiewirtschaft bleiben nach dem Protest der Konzerne Gazprom und Co. unangetastet. Bis 2030 sollen die Emissionen nach der aktuellen Planung sogar um 50 Prozent zunehmen. Erst für die Zeit danach hat Putin eine Senkung versprochen.

Was also kann Russland der EU bieten, wenn die Gas- und Ölexporte nicht mehr benötigt werden? Und was kann die EU bzw. Deutschland Russland anbieten? Das „Handbuch Klimaschutz“ rechnet auf Basis der vorhandenen wissenschaftlichen Studien damit, dass Deutschland bis 2040 maximal 1.200 Terawattstunden Primärenergie – davon 90 Prozent Strom aus Solar- und Windkraftwerken – bereitstellen kann. Damit kann der heimische Strombedarf mehr als abgedeckt werden.

Trotzdem wird Deutschland weiterhin ein Drittel der Primärenergie importieren müssen. Dabei geht es nicht um Strom, sondern um grünes Kerosin für den Flugverkehr, grünen Treibstoff (voraussichtlich Methanol) für die Schifffahrt, grünes Naphta (Rohbenzin), Ammoniak und andere Rohstoffe für die chemische Industrie. Als Lieferanten kommen solche Regionen in Frage, in denen günstig in großen Mengen mit Wind und Sonne erneuerbarer Strom produziert werden kann.

Russland hat zwar das Pariser Abkommen unterschrieben, plant aber kaum Klimaschutzmaßnahmen

Abu Dhabi, Marokko und Jordanien sind schon besonders aktiv und veranstalten regelmäßig internationale „Desertec-Konferenzen“, wo Regierungen, Forschungseinrichtungen und internationale Konzerne die Zukunft ohne Kohle, Öl und Gas planen. Aus Deutschland sind unter anderem Siemens, EON, Thyssen-Krupp und die Fraunhofer-Gesellschaft beteiligt.

Reichlich Sonne und Wind

Russland hat große Gebiete mit hohen Windgeschwindigkeiten am Weißen Meer, insbesondere auf der Halbinsel Kola, sowie in den Steppen zwischen Rostow am Don und dem Kaspischen Meer. Südrussland hat naturgemäß auch eine hohe Sonneneinstrahlung durch die südliche Lage und das sehr trockene Klima. Die Ampelregierung könnte den Russen also anbieten, über langfristige Verträge die Abnahme von Wasserstoff, Strom oder anderen grünen Roh- und Brennstoffen zu garantieren.

Die Verträge könnten auch durch deutsche Investitionsbeteiligungen abgesichert werden, die langfristig im Rahmen der Lieferungen abgezahlt werden. Der Transport der Lieferungen kann über eine gemeinsam finanzierte Infra­struktur laufen, was beiden Seiten wirtschaftliche Sicherheit gewährleisten würde. Der Transport in die EU kann entweder in Form von Strom über Hochspannungsgleichstromleitungen erfolgen.

Als Alternative kommen Pipelines für grüne Rohstoffe wie Wasserstoff, Naphta und Methanol in Frage. Der Transport in Form von Methan sollte nicht ins Auge gefasst werden, da die Gefahr von ­Leckagen bei dem extrem klimaschädlichen Gas zu groß ist. Langfristige wirtschaftliche Beziehungen sind für beide Seiten nicht nur ökonomisch wichtig.

Sie vergrößern auch die gegenseitige Abhängigkeit, schaffen Vertrauen und sichern damit den Frieden. Russland braucht dringend eine Perspektive für die Zeit nach 2030, wenn die Nutzung von fossilen Brenn- und Rohstoffen ausläuft. Die EU kann sie bieten und zugleich günstige Rohstoffe für den Flug- und Schiffsverkehr und für die chemische Industrie bekommen. Es ist ein Win-win-Konzept. Gerade jetzt ist die Gelegenheit günstig, über langfristige Perspektiven der Zusammenarbeit zu reden.

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