Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen: Kann denn Hilfe Sünde sein?
Joachim Volz führte als Chefarzt jahrelang Schwangerschaftsabbrüche durch. Nun pfuscht ihm der neue katholische Träger des Klinikums in seine Arbeit.
Joachim Volz’ Stimme ist ruhig. „Ich werde das nicht akzeptieren“, sagt der Chefarzt am Klinikum Lippstadt. Seit Februar verbietet sein Arbeitgeber ihm, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen. Der Grund: Nach einer Fusion ist das bis dahin evangelische Krankenhaus nun in katholischer Trägerschaft. Für Volz gehören Schwangerschaftsabbrüche an einer Frauenklinik zur medizinischen Grundversorgung. Für die katholische Amtskirche sind sie Mord.
Auch der deutsche Staat verbietet Schwangerschaftsabbrüche. Sie sind eine „Straftat gegen das Leben“, die nur unter bestimmten Bedingungen in den ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft nicht bestraft wird. Das gilt zumindest für 96 Prozent der jährlich rund 100.000 Abbrüche in Deutschland. Nicht aber für die, die Joachim Volz am Klinikum Lippstadt durchführt.
„Wir machen Abbrüche bei medizinischer Indikation“, sagt der Arzt. Also solche, die „aus ärztlicher Sicht angezeigt“ sind, „um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden“. Diese Abbrüche sind explizit nicht rechtswidrig.
Seit 13 Jahren arbeitet Volz am Klinikum Lippstadt. Er hat dort die Frauenklinik und das Perinatalzentrum mit aufgebaut. „Wenn ich so etwas an meiner Klinik haben will, wenn ich Patientinnen auf so einem Weg begleite, dann ist für mich klar: Wir tragen auch die Konsequenzen zusammen, ob gut oder schlecht“, sagt er.
Kinder wären meistens nicht lebensfähig
Rund 300 Abbrüche haben er und sein Team in den vergangenen Jahren durchgeführt. Oft seien das „brutale Geschichten“, sagt Volz. „In den meisten Fällen wären die Kinder gar nicht lebensfähig.“ Wenn zum Beispiel Teile des Schädels und Gehirns fehlten, oder bei einer Trisomie 13 oder 18, bei denen die Kinder spätestens kurz nach der Geburt sterben würden.
Die Klinik habe einen sehr guten Ruf, so Volz. „Und zwar ganz sicher auch, weil wir uns konsequent für die Frauen und ihr Recht auf Selbstbestimmung einsetzen.“ Immer sei das Team professionell und empathisch mit den Betroffenen umgegangen. „Kein Paar, das sich von einem Kind trennen musste, ist bei uns rausgegangen, ohne gut aufgefangen zu sein“, sagt Volz.
„Und niemals hätten wir suggeriert, dass sie etwas Verwerfliches tun, wenn sie sich in dieser Situation für einen Abbruch entscheiden.“ Genau das aber müsse er nun tun: Den Frauen sagen, dass die Klinik ihnen aus ethischen Gründen nicht helfen werde, und sie an ein anderes Krankenhaus verweisen.
Anfang Dezember hatten das Evangelische Krankenhaus und das katholische Dreifaltigkeits-Hospital die geplante Fusion bekannt gegeben, aus wirtschaftlichen Gründen. Mitte Januar dann erhielt Volz eine Dienstanweisung: Ab Februar gelten die im neuen Gesellschaftsvertrag vereinbarten ethischen Kriterien. Dazu zählt: Das Klinikum macht keine Schwangerschaftsabbrüche mehr.
Abbrüche auch in seiner Privatpraxis verboten
Für Volz nicht hinnehmbar. „Meine Patientinnen vertrauen auf mein Urteil. Darauf, dass ich sie nach bestem Wissen und Gewissen berate – und nicht nach irgendwelchen Vorgaben“, sagt der Mediziner. „Erst wollte ich die Abbrüche einfach in meiner kassenärztlichen Praxis in Bielefeld machen. Aber dann kam die zweite Dienstanweisung: auch das dürfe ich nicht mehr.“
Ein Chefarzt einer katholischen Klinik schädige den Ruf der Kirche, wenn er Schwangerschaften abbreche, berichtet Volz. Er habe versucht, mit der Klinikleitung zu verhandeln, habe die Schwere der Fälle geschildert, um die es geht. „Umsonst“, sagt er. „Nichts zu machen.“
Volz wehrt sich juristisch. Eine erste Güteverhandlung, die er noch allein bestritt, endete ohne Einigung. Inzwischen hat er juristischen Beistand, im August wird am Arbeitsgericht Lippstadt verhandelt. Das Klinikum Lippstadt betont in einer Erklärung von Mitte Mai, Volz’ „großer Einsatz“ für seine Patient*innen verdiene „höchste Anerkennung“. Man hoffe auf eine Einigung, mehr wolle man mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht sagen. Aber Volz ist bereit, durch die Instanzen zu ziehen.
Einmal sei er in der Güteverhandlung „kurz böse“ geworden, erzählt der Arzt. Da habe der gegnerische Anwalt gesagt, natürlich könne er medizinisch gebotene Abbrüche machen – wenn die Frau Gefahr laufe, zu sterben. „Wann ein Abbruch medizinisch geboten ist, das ist doch keine juristische Entscheidung, und auch keine katholische oder päpstliche“, empört sich Volz. „Da entscheiden allein das ärztliche Urteil und der Wille der Frau.“
Laut Anwalt rechtswidrige Dienstanweisungen
So argumentiert auch Volz’ Anwalt Till Müller-Heidelberg. Nach dessen Ausführungen sind beide Dienstanweisungen „rechtswidrig und unwirksam“. Volz habe sich bewusst für das Evangelische Krankenhaus entschieden, weil er dort – anders als an katholischen Häusern – Abbrüche nach medizinischer Indikation durchführen konnte. Am Inhalt seines Vertrages habe sich durch die Fusion nichts geändert. Ohnehin sei ein Chefarzt nicht, wie von der Gegenseite argumentiert, an das kirchliche Selbstverständnis gebunden.
So habe Volz weder einen Verkündigungsauftrag wie etwa ein Seelsorger, noch repräsentiere er eine kirchliche Organisation nach außen – das tue etwa der Geschäftsführer. Der Anwalt bezieht sich hierbei auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesarbeitsgerichts im Fall eines Chefarztes, dem eine katholische Klinik gekündigt hatte, nachdem er ein zweites Mal geheiratet hatte.
Zudem gebe es zumindest „eine Reihe von katholischen Kliniken“, die durchaus Abbrüche aus medizinischer Indikation durchführten. Darunter etwa das St.-Vincent-Klinikum in Paderborn. Man tue dies nur in einzelnen Fällen, aber gegebenenfalls eben auch bei Fehlbildungen, „die zweifelsfrei nicht mit dem Leben vereinbar“ sind, sagte die Klinik der Süddeutschen Zeitung.
Und auch der Katholische Krankenhausverband scheint weniger rigoros als die Entscheider*innen in Lippstadt: „Aus dem katholischen Glauben heraus steht der Schutz des Lebens im Mittelpunkt“, sagt der Verband auf Anfrage der taz. Dies gelte „für das ungeborene Kind und auch für die Mutter. Deshalb nehmen auch katholische Krankenhäuser Schwangerschaftsabbrüche vor, wenn die Schwangerschaft das Leben der Frau bedroht oder sie ihre Gesundheit schwer gefährdet“. Darüber werde vor Ort „jeweils im Einzelfall und anhand der konkreten Umstände mit der Patientin beraten und entschieden, oft auch mit Unterstützung von Ethik-Komitees.“
Versorgung bundesweit schlecht
Die Frage, wie sich katholische Krankenhäuser in dieser Frage positionieren, ist nicht trivial. Die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen ist in Deutschland schlecht. Dabei sind die Länder gesetzlich verpflichtet, eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Die meisten Abbrüche werden ambulant durchgeführt, nicht am Krankenhaus.
Aber die Zahl der Ärzt*innen, die bereit sind, sie durchzuführen, sinkt seit Jahren. Sowie auch die Zahl der Krankenhäuser mit Geburtshilfe; 2022 waren es bundesweit 606. Darunter sind viele katholisch. 2024 sind bundesweit 130 Krankenhäuser mit Geburtshilfe katholisch.In Nordrhein-Westfalen, wo auch Lippstadt liegt, sind von 125 Kliniken mit Geburtshilfe 57 katholisch. Das sind über 45 Prozent.
NRWs Gleichstellungsministerin Josefine Paul (Grüne) hatte im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen grünen Landesminister*innen die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen gefordert. Eine Anfrage zum Fall Lippstadt und der Versorgungslage im Land leitet ihr Ministerium an das CDU-geführte Gesundheitsministerium weiter. Von dort heißt es, in NRW sei „die Möglichkeit zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs sichergestellt“, gleichwohl es „Hinweise“ gebe, dass die Möglichkeiten zurückgingen, gerade im ländlichen Raum.
Die Krankenhäuser in Lippstadt führten auch nach der Fusion weiterhin Schwangerschaftsabbrüche durch, wenn „Leib und Leben der Mutter bzw. des ungeborenen Kindes akut bedroht“ seien“, erklärt das Ministerium. Und betont: „Aus dem grundgesetzlich geschützten kirchlichen Selbstbestimmungsrecht folgt für kirchliche Krankenhausträger die Möglichkeit, Schwangerschaftsabbrüche – jedenfalls für bestimmte Indikationen – in ihren Krankenhausstandorten zu untersagen.“
Scharfe Kritik von vielen Seiten
Anders sieht es die Landesärztekammer. Es sei „unethisch und nicht akzeptabel, erst dann zu handeln, wenn das Leben der Mutter akut gefährdet ist“, erklärte deren Präsident Hans-Albert Gehle in einer Pressemitteilung Mitte Mai. Kein Arzt dürfe gezwungen werden, Abbrüche durchzuführen – genauso wenig aber dürfe er gezwungen werden, sie zu unterlassen, wenn er einer Schwangeren in einer Notlage helfen wolle. Der Vorstand der Landesärztekammer erklärte „ausdrücklich seine Solidarität mit dem betroffenen Arzt bei seinem Vorgehen gegen das Verbot des neuen Krankenhausträgers“.
Empört ist auch Ulle Schauws, frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Es sei „unerträglich, wie die katholische Kirche immer noch meint, über das Leben und den Körper von Frauen bestimmen zu können“, sagt sie. „Wer Mitmenschlichkeit predigt, muss doch Frauen helfen, die in Not mit einem nicht lebensfähigen Kind sind.“ Dass die katholische Kirche im Jahr 2025 immer noch solch großen Einfluss auf medizinische Entscheidungen haben dürfe, müsse „unterbunden“ und das katholische Arbeitsrecht „grundlegend reformiert“ werden.
Auch Pro Familia in NRW kritisiert das Krankenhaus scharf – und widerspricht der Darstellung des Ministeriums. In vielen Regionen von NRW sei die Versorgungslage ohnehin „prekär“, sagt Geschäftsführerin Rita Kühn. Joachim Volz sei „bereit, diese für Mediziner*innen und Patient*innen nicht einfachen Eingriffe durchzuführen. Ihm diese Arbeit zu untersagen, ist unverantwortlich.“ Das Festhalten des Klinikums „am fast vollständigen Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen“ nennt Kühn „reaktionär“ – es spiegle nicht die gesellschaftliche Haltung zu dem Thema wider.
Tatsächlich halten laut einer repräsentativen Befragung im vergangenen Jahr 80 Prozent der Menschen in Deutschland die Rechtswidrigkeit von Abbrüchen für falsch. Selbst unter Katholik*innen waren es 65 Prozent. Der Fall von Joachim Volz mag ein spezieller sein. Doch er hat das Zeug, eine sehr grundsätzliche Debatte auszulösen.
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