Unterschiede zwischen Berlin und München: Fremdscham fürs Feindesland
Auch wenn der Wegzug aus Bayern schon Jahre zurückliegt, ist man vor Nostalgie nicht gefeit. Vor allem nicht bei Kontakt mit Berliner Behörden.
S chockschwere Not, dachte ich, als ich diese Woche sah, dass #münchen auf Twitter trendete. Jetzt haben wir uns schon wieder unmöglich gemacht. Dieses „wir“ in Bezug auf die Stadt, in der ich geboren bin und die ersten 22 Jahre meines Lebens verbracht habe, hat sich in mir auch erst formuliert, als ich weggezogen war. Überall sonst aber, stellte ich bald fest, gilt München, diese mir immer etwas langweilige Stadt, in der ich trotz allem eine recht wilde Jugend verlebt hatte, als „Feindesland“.
So nennen es manche unserer Verwandten aus Thüringen und Sachsen-Anhalt, und wenn sie zu Besuch kommen, stellen sie erstaunt fest, dass es „landschaftlich ja ganz schön“ ist. Ein Satz, den meine Münchner Familie inzwischen immer lachend zitiert, wenn wir irgendwo auf eine Ansammlung richtiger Unsympathen treffen.
Der fragliche Twitter-Trend bezog sich gar nicht auf den jüngsten Fauxpas der CSU oder eine andere Söderei, sondern – viel schlimmer – auf das Attentat im Olympiaeinkaufszentrum (OEZ) vor 5 Jahren. Das trotz eindeutiger Hinweise – etwa fand der Anschlag am Jahrestag des rechten Terrors von Utøya statt, die Opfer hatten alle eine Migrationsgeschichte – vielen lange als Amoklauf galt, nicht als rechtsextreme Tat.
Auch in meinem inneren Kompass steht OEZ nicht so wirklich in einer Reihe mit Halle, Hanau und Kassel, den anderen rechtsextremen Anschlägen der letzten Jahre – warum eigentlich nicht? Weil es noch länger als in Deutschland üblich gedauert hat, bis er als solcher anerkannt wurde? Und warum hab ich heute Morgen beim Radiohören über die Opfer von Utøya geweint, nicht aber über die von München? Oder anders: Warum hab ich mir den einen Beitrag angehört, den anderen aber nicht?
Eigentlich ist es doch so: Nähe, ob räumlich oder aus irgendeiner gefühlten Verbundenheit heraus, verzerrt immer die Wahrnehmung, auch von Nachrichten. Aber ja eigentlich andersherum: Die Überschwemmung im Nachbardorf wühlt mehr auf als die am anderen Ende der Welt, genauso wie Menschen, die man liebt, immer ein bisschen schöner erscheinen, als sie sind.
Bekloppter Boykott
Nur bei den Behörden in Berlin ist man da schon weiter. Nähe gibt wenigstens hier keinen unsachgemäßen Vorteil. Es kommt einfach keiner rein. Da spielt Nähe schon mal gar keine Rolle. Mein Freund etwa ist kürzlich Vater geworden. Doch obwohl er bei der Geburt direkt neben mir stand, taucht er bisher nirgends als Vater auf. Und wird es, so will es das Berliner Beamtentum, auch in absehbarer Zeit nicht.
„Notbetrieb!“, muffelte man, als ich – lange vor der Geburt – zaghaft fragte, ob man vielleicht, möglicherweise, einen Termin zur Vaterschaftsanerkennung … nein? „Sie hatten doch neun Monate Zeit!“, schrie es, diesmal spitz, aus dem Telefon, als ich es, naiv wie ich bin, neulich noch mal probierte. Worin die Not beim Betrieb genau besteht, traute ich mich gar nicht mehr zu fragen. Vermutlich hat es mit der besten Ausrede zu tun, die den Behörden jemals in den Schoß gefallen ist: Corona.
Man würde die Bürger ja vorlassen, aber man darf halt nicht, schade. So könnte es ewig für sie weitergehen. Nicht nur in solchen Momenten, aber vor allem dann, sehne ich mich nach München zurück. Man wird mich hier als Law-and-Order-Freak schimpfen, vielleicht war ich das trotz ausgelassenem Lebenswandel qua Geburtsort ja auch schon immer – oder aber, und das vermute ich –, die Berliner Wurschtigkeit hat mich erst dazu gemacht.
Blödheit geht nicht spurlos an einem vorüber, sie verändert einen auch. Ich weiß nicht, wie viele bekloppte Boykottaufrufe ich noch davon entfernt bin zu sagen: Die Siedlungen im Westjordanland sind doch gar nicht so schlimm! Einfach aus Entnervtheit und Trotz. Noch ist es nicht so weit, klar sind die ein Problem. Sehe ich so, sehen auch eigentlich alle Israelis, die ich kenne, so.
Um die Rechte der Palästinenser geht’s aber leider weder den Matscheisherstellern von Ben & Jerry’s, die sich diese Woche mutig mit dem Rücken zum Zeitgeistwind stellten und verkündeten, im Westjordanland und in Ostjerusalem nicht länger ihr Zeug zu verkloppen, noch anderen tapferen Schneiderlein, die gern billig als Menschenrechtsfreunde davonkommen wollen.
Sich als Unternehmen oder auch privat dafür einzusetzen – bitte, immer gern. Aber nicht so verlogen und vor allem inkonsequent. Wenn, dann richtig, wenn, dann bitte mit dem selben Bohei erst recht kein Eis für Katar, die Krim oder alle andere Regionen, wo Menschenrechte – sehr viel drastischer als in Ostjerusalem! – missachtet werden.
Das würde dann halt den Umsatz merkbar schmälern und außerdem – wie gesagt – geht’s nicht um Menschenrechte, sondern nur darum, den Hass auf Israel mal wieder neu und noch ein bisschen smarter (weil’s ja diesmal nur um die besetzten Gebiete geht) zu verpacken. Trendet eben ganz gut wieder zurzeit, nicht nur auf Twitter.
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