Unterbrechung des Koalitionsausschusses: Böses Erwachen der Ampel
Nach stundenlanger Sitzung verschiebt die Ampel ihren Koalitionsausschuss auf den nächsten Tag. Wie die Parteien zueinander finden wollen, ist noch unklar.
E s ist schon skurril. Da sitzen die Chef:innen der selbsternannten Fortschrittskoalition 19 Stunden zusammen und herauskommt: nichts. Abgesehen von einer dürren Pressemitteilung endete die Sitzung des Koalitionsausschusses am Montagmittag im Stillstand. Es war, als ob nicht nur Bahn und öffentlicher Dienst streikten, sondern die gesamte Regierung.
Nun ist es nicht ungewöhnlich, dass man sich in einer Dreierkoalition auch mal verhakt. Schließlich handelt es sich bei SPD, Grünen und FDP um drei ziemlich unterschiedliche Parteien, die nicht aus purer Zuneigung zueinanderfanden, sondern weil es die beste Machtoption schien. Doch die am Anfang dieser Beziehung propagierte Fortschrittserzählung ist dann doch nicht so alltagstauglich, wie es sich alle drei einredeten. Der überlang tagende Koalitionsausschuss ist ein böses Erwachen aus diesem Märchen.
Wenn es um die Modernisierung der Gesellschaft geht, funktioniert die Ampel reibungslos. Aber dass Kinder die Doppelnamen ihrer Eltern tragen oder Ärzt:innen straflos über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürfen, kostet den Staat kaum etwas und verlangt den meisten Menschen auch nichts ab.
Anders ist es beim Klimaschutz. Hier geht es nicht nur um sehr viel Geld – die Transformation der Wirtschaft wird geschätzte 5 Billionen Euro kosten. Dieser Umbau berührt auch die grundsätzliche Frage: Wie viel „Weiter so“ können wir uns leisten, wenn wir ernsthaft dazu beitragen wollen, die Erderwärmung zu begrenzen?
Die Planungsbeschleunigung gerät ins Stocken
Darüber gibt es in der Ampel tiefe Differenzen. Wenn die FDP von Antriebswende und die Grünen von Mobilitätswende sprechen, dann klingt das ähnlich, meint aber etwas ganz anderes. Die Grünen wollen weniger Autos und mehr Nahverkehr. Die FDP findet, dass niemand umsteigen muss – höchstens vom Diesel auf die E-Fuel-Limousine. Und die SPD will den Leuten nicht zu viel abverlangen, sonst könnten sie wie in Frankreich massenhaft auf die Straße gehen.
Und so werden vereinbarte Projekte wie die Planungsbeschleunigung in der Umsetzung zu Glaubensfragen. Der Koalitionsausschuss ringt etwa darum, ob es nötig ist, neue Schienen und Straßen in gleichermaßen hohem Tempo zu bauen. Ja, finden SPD und FDP mit Blick auf den wachsenden Straßenverkehr. Nein, denken die Grünen im Hinblick auf die Klimaziele.
Wie alle drei zusammenfinden, ist noch unklar. Der Koalitionsausschuss wird zu nachgelagerten Koalitionsverhandlungen. Mühsam, kleinteilig und allen alles abverlangend. Manchmal hilft es, bei so komplizierten Gesprächen eine Nacht drüber zu schlafen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen