Unionsparteien gegen Tempolimit: Immer diese Verbotsparteien
Die CDU will kein Gendern an Schulen, keine Abtreibungen, kein Tempolimit – und Kiffen schon gar nicht. Wie gut, dass sie nicht mehr regiert.
D ie Minderjährige, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehört, findet mich übellaunig. Ich stelle hierzu fest: Es stimmt. Die Pandemie ist vorbei, die Testzentren geschlossen und die Masken entsorgt. Nur das Coronavirus scheint die politische Beschlusslage nicht mitbekommen zu haben und hat eines der wenigen Exemplare Mensch angefallen, die sich bisher der kollektiven Krankheitserfahrung entzogen haben: mich.
In der unmittelbaren Folge muss man sich als Vegetarierin nicht nur mit Hühnersuppe auseinandersetzen, die einem ungefragt von allen Seiten kredenzt wird, sondern auch mit Sorgen, für die man normalerweise keine Zeit hat. Ich sorge mich insbesondere um die Union. Wie gefährlich ist es für die Demokratie in unserem Land, wenn CDU und CSU beständig als übellaunige Verbotspartei auftreten?
Gendern in Schulen beispielsweise gehört nach Ansicht der Union verboten. Denn wo kämen wir hin, wenn Schüler*innen selbst bestimmen könnten, wie gendergerecht sie schreiben wollen?, fragen sich die C-Parteien. Zu einer freiheitlichen Demokratie gehöre schließlich nicht, dass Halbstarke ihren eigenen Willen entwickeln. Obwohl mir Letzteres persönlich auch schwer auf die Nerven geht, ist die Ideologie, mit der die Union an das Thema Gendern herangeht, doch überaus besorgniserregend.
Natürlich würden CDU-Chef Friedrich Merz und sein bayrischer Bierzelt-Cowboy Markus Söder auch gern den Klimawandel untersagen. Weil das bisher nicht gelungen ist, würden sie gern die „Letzte Generation“ verbieten oder wenigstens vom Verfassungsschutz als „extremistisch“ einstufen und mit geheimdienstlichen Mitteln beobachten lassen. Wen kümmert es, dass der Präsident des Verfassungsschutzes, Thomas Haldenwang, das diese Woche ausdrücklich ablehnte?
Überholte Wertvorstellung
Auch ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen steht für die Union auf der Verbotsliste sehr weit oben. Es kostet zwar nichts und könnte ganz einfach zwischen 6 und 11 Millionen Tonnen CO2 im Jahr einsparen. Doch den konservativen Parteien fällt es schwer, ihre Selbstwahrnehmung der tatsächlichen Lage in unserem Land anzupassen. Für unsere Werte und freiheitliche Grundordnung ist diese radikale Haltung eine große Herausforderung.
Als Verbotsparteien haben CDU und CSU eine lange Geschichte. Das Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen gehört beispielsweise zur DNA der konservativen Parteien. Wäre die Union noch an der Macht, wären selbst Informationen von Ärzt*innen über Abtreibungen noch immer verboten. Sie ist in diesem Zusammenhang nicht in der Lage, die Konsequenzen ihres politischen Handels realistisch einzuschätzen.
Auch zu Cannabis hat die Union ein allein von Verboten geprägtes Verhältnis. Dabei würde sich ein Slogan wie „Kiffen, Küche, Kinder“ oder „Morgens einen Joint und der Tag ist dein Freund“ hervorragend für den bayrischen Wahlkampf eignen. Söder verbindet doch so gern Tradition und Moderne, Laptop und Lederhose. Er könnte dabei sogar einen Baum umarmen und keiner würde sich wundern.
Aber ich will nicht übertreiben. Neben den Sorgen, die ich mir um die Union mache, hat man in der krankheitsbedingten Horizontalen natürlich auch Zeit für Videos, die man in jüngster Zeit verpasst hat. Da wäre etwa eines aus Lützerath, auf dem die Polizisten immer wieder im Schlamm stecken bleiben und hinfallen. Die zur Hilfe eilenden Kollegen ziehen sie heraus, nur um dann selbst zu versinken und hinzufliegen. Als endlich fast alle stehen, kommt ein als Mönch verkleideter Klimaaktivist und schubst sie wieder um.
Nein, nein, das ist kein Grund für klammheimliche Schadenfreude. Ich finde es einfach nur informativ und lehrreich. Auch meine üble Laune hat sich deutlich aufgehellt. Es hat sich übrigens herausgestellt, dass die Katzen, die zu meiner Infektionsgemeinschaft gehören, große Hühnersuppen-Fans sind. Ich hatte den Topf offen stehen lassen – zu meinem großen Bedauern und natürlich nur ganz aus Versehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg