Union und Grüne bei Bundestagswahl: Grünschwarzer Schlamassel
Grüne und Union werden nach der Bundestagswahl im Herbst bei aller Unliebe zusammengehen müssen. Bis dahin heißt es, die Fehler des anderen hinzunehmen.
I nteressant ist das schon, oder? Da bereitet sich die Republik auf eine schwarz-grüne oder sogar grün-schwarze Regierung vor, also auf eine neue, vor einiger Zeit noch unvorstellbare Allianz der alten mit der neuen Mittelschicht, die Verbindung von Keine-Experimente-Konservatismus mit Sowohl-als-auch-Ökologie, bis in die Familien hinein vielleicht:
Freitags für die Zukunft, wahlweise fürs Klima oder für die Natur, weil beides irgendwie nicht mehr geht, und der Rest der Woche Wachstum und Konsum, damit es nicht zum Massenabsturz des Kleinbürgertums kommt. Man könnte sagen: Die vernünftigste Lösung für alle, die gern weiter so machen wie bisher, aber noch hoffen, ein bisschen vom Allerschlimmsten verhindern zu können. Vor allem den Griff des rechten Randes nach der Macht.
Der historische Kompromiss, der uns vielleicht die Zukunft kostet, aber die Gegenwart rettet. Und dann das! Der progressistische Teil der allerneuesten Mitte bemerkt mit verhaltener Freude, dass sich die CDU/CSU in einen halb komischen und halb anrüchigen Machtkampf begibt. Laschet, der so radikal die Mitte vertritt, dass man an eine gewisse Katze denkt: Sie verschwindet, aber ihr Grinsen bleibt, und Söder, der so fundamental sich selbst vertritt, dass ihm ein neues Verb gewidmet werden muss: södern.
Man wird in Zukunft von gewissen Karrieristen behaupten, sie hätten sich nach oben oder eben in die Mitte gesödert. Aber dann hat doch das breite Grinsen gegen das geschlängelte Södern gewonnen. Erst mal. Und das war irgendwie ein Signal. Der konservative bis reaktionäre Teil des Kleinbürgertums, dem immer noch ein Maaßen näher ist als eine Baerbock, hat verstanden, worum es geht. Wir müssen, sagt das Grinsen ohne Katze, einfach hocken bleiben.
ist freier Autor und hat über 20 Bücher zum Thema Film veröffentlicht. Zuletzt erschien von ihm „Coronakontrolle. Oder nach der Krise ist vor der Katastrophe“ bei bahoe books
Die Fusion der Konservativen mit den Ultrarechten
Wenn uns alles egal ist, ob sich da ein paar von uns an den Coronamasken eine goldene Nase verdient haben, ob ein paar von uns das Programm und die Rhetorik der AfD übernehmen – grinst es weg! Die anderen machen schon Fehler. Und zur Not gibt es ja auch immer noch die Bild-Zeitung.
Das heißt also: Der konservativ-reaktionäre Teil des deutschen Kleinbürgertums wittert die Chance, die dann doch nicht so ersehnte Fusion mit dem eher ökologisch-liberal eingestellten Teil abzuwehren und dann auf ein ganz anderes historisches Projekt (mit Vorbildern in der Geschichte) zu setzen: die Fusion der Konservativen mit den Ultrarechten. Eine stramme Werte-Union für Deutschland.
Wenn wir erst mal einfach weitermachen, können wir uns später immer noch entscheiden, ob wir mit den neuen Schnöselspießern zusammengehen oder doch gleich zu den Nazis. Daher lässt auch das Grinsen den rechten Kläffer gewähren. Denn dieses Grinsen ist nach beiden Seiten offen und steht noch mehr vielleicht für ein Erst-mal-gar-nichts. Das Erst-mal-gar-nichts wird sogar zur großen, verführerischen Botschaft: Weitergrillen, und eurem Fernsehen treiben wir die kritische Unbequemlichkeit schon noch aus.
Die Sehnsucht nach dem Großen Erst-mal-gar-nichts bringt sogar die lächerliche FDP wieder nach oben, die immer noch glaubt, den Neoliberalismus verkaufen zu können. Wo doch schon jede*r genug davon hat. Zur Abwehr einer Fusion auf Augenhöhe (als braven Tigerenten-Verein kann man die Grünen dann immer noch aufnehmen, die machen doch alles mit, wenn sie ein bissel regieren dürfen) bedarf es einer Figur, die öffentlich demontiert werden kann. Nennen wir sie Annalena Baerbock.
Sie hat ein paar Fehler gemacht, die zwar gegenüber denen der „Konservativen“ nicht allzu schwer wiegen, abgesehen davon, dass man bei denen so etwas gewöhnt ist. Es ist auch nicht, weil sie eine Frau ist. Oder gar wegen ihres politischen Programms. Diese Kandidatin macht nicht nur Fehler, sie ist ein Fehler. Und das, obwohl sie gerade dafür eigentlich gar nichts kann.
Vakuum in der Mitte
Sie ist eine so perfekte Vertreterin einer Generation, eines sozialen Status, eines Karriereweges, eines öffentlichen Auftretens, einer Sprechweise, eines Denkens und möglicherweise sogar Fühlens, eines Familienmodells, eines textilen Codes, eines Medienumgangs und so weiter, dass sie zum Idol von vielen ihrer Generation, ihrer Klasse, ihres Denkens und so weiter wurde.
Ein Spiegel, in den jede*r „machtbewusste, gut vernetzte und ehrgeizige“ (so eine wohlwollende Charakterisierung zu Zeiten, als sie noch als nächste Kanzlerin gehandelt wurde) Insasse*in der neuen deutschen Mittelschicht zu blicken liebte. Der grinsende Laschet und die ehrgeizige Baerbock, das Traumpaar von altem und neuem Kleinbürgertum, und beide narzistisch genug, sich über die Widersprüche hinwegzumogeln.
Die Mitte war leer, und in dieser Leere war Angela Merkel so lange unanfechtbar, denn die Herrschaft der leeren Mitte hatte immerhin größere Katastrophen abgewandt. Nun verlagerten sich aber Teile dieser Mitte immer weiter nach rechts, sodass die Basis der leeren Mitte nicht mehr ausreichen würde, eine Regierung zu tragen. Die Mitte musste wieder breiter werden, und zugleich sollte sie nicht mehr ganz und gar leer sein. Irgendwas musste in diese neue breite Mitte hinein.
Aber das Spiegelbild des neuen deutschen Kleinbürgertums, das Bild der Annalena, die Karriere und Moral miteinander zu verbinden versprach, Neoliberalismus und Ökostyle, Feminismus und Anpassungsfähigkeit, hat auch ein paar blinde Stellen. So sehr sich die Menschen eines bestimmten Milieus in ihr wiederzuerkennen lieben, so sehr schließt es auch andere aus.
Die Erfolgsformel von Karriereplanung, Selbstvermarktung und Vernetzungskunst offenbart nicht nur ein paar der Tricks, die man dabei schon anzuwenden bereit sein muss, sondern auch, dass es nicht für alle gelten kann. In aller Regel ist ein Grinsen ohne Katze erträglicher als ein Spiegel ohne Bild: In Zeiten des Leidens kann aber auch ein solches Grinsen unerträglich werden.
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