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Unabhängigkeitstag in Polen„Wir müssen kämpfen!“

PiS-Chef Kaczyński will den Machtwechsel nach den verlorenen Wahlen verhindern. Ein Nationalistenmarsch lief am Samstag durch Warschau.

Unabhängigkeitsmarsch „Polen ist noch nicht verloren“ am Samstag, den 11. November in Warschau Foto: Pawel Supernak/PAP/dpa

Warschau taz | Rot qualmende Bengalo-Fackeln, ein wogendes Meer an rot-weißen Nationalfahnen und durch die Luft zischende rote Feuerwerksraketen schrecken allerdings auch etliche Warschauer ab. „Wie im Krieg!“, entsetzt sich eine dick eingemummte junge Frau, die am Unabhängigkeitstag Polens eigentlich nur „ein bisschen Patriotismus feiern“ wollte. Angelockt hatte sie das diesjährige Motto des Marsches „Noch ist Polen nicht verloren!“. Mit diesem Satz beginnt sowohl die polnische als auch – in leichter Abwandlung – die ukrainische Nationalhymne. Nach Behördenangaben marschierten am Samstag rund 40.000 Menschen durch die polnische Hauptstadt, polnische Medien sprachen von 90.000 Teilnehmern.

„Ich dachte, das ist ein Solidaritätsmarsch für die Ukraine, also gegen Wladimir Putin und die russische Aggression gegen die Ukraine“, sagt sie, dreht sich langsam um ihre Achse und deutet auf ein PolExít-Transparent der rechtsextremen Partei Konföderation. Davor trampeln ein paar Männer auf einer EU-Fahne herum und lachen dazu dreckig. „Aber das ist ja widerlich! Da mache ich nicht mit! Nigdy! – Niemals!“, schüttelt sie sich, macht kehrt und sagt leise hoffend: „Irgendwo in Warschau gibt es sicher auch eine schöne Feier!“

Jedes Jahr am 11. November erinnert ganz Polen an das Ende des Ersten Weltkriegs, mit dem die Republik Polen nach 123 Jahren der Unfreiheit ihre staatliche Unabhängigkeit wiedererlangt hatte. Russland, Preußen und Österreich-Ungarn hatten das politisch und militärisch schwache Königreich Polen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 so lange unter sich aufgeteilt, bis das Nachbarland von der Landkarte Europas verschwunden war. Während die drei Teilungen Polens in der europäischen Erinnerung kaum noch eine Rolle spielen, wirkt in Polen selbst das Trauma der über 120-jährigen Besatzung bis heute nach, zumal 1939 erneut das Deutsche Reich, Österreich und die Sowjetunion Polen überfallen und entlang der Demarkationslinie des Hitler-Stalin-Pakts unter sich aufgeteilt hatten.

Kaczyński: die Dreierkoalition eine „deutsche Partei“

Nationalpopulisten wie Jarosław Kaczyński von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hatten in der Vergangenheit immer wieder die Angst vor einem erneuten Verlust der Unabhängigkeit Polens geschürt. Obwohl die PiS die Parlamentswahlen am 16. Oktober verloren hat, kann sich ihr Parteivorsitzende Kaczyński auch nach knapp einem Monat noch nicht mit der politischen Niederlage abfinden. „Wir müssen kämpfen, kämpfen und nochmals kämpfen“, hetzte der 74-Jährige am Vorabend des polnischen Unabhängigkeitstages vor dem weiß-rot angestrahlten Piłsudski-Denkmal in Warschau. Denn Polen werde durch einen „deutschen Plan“ und die Europäische Union existenziell bedroht. „Die Umsetzung dieses Plans durch die EU würde nicht nur zum Verlust unserer Unabhängigkeit und Souveränität führen, sondern sogar zur Vernichtung des polnischen Staates!“, prophezeite Kaczyński düster. „Wir würden zu einem von Polen bewohnten, aber von außen regierten Gebiet werden.“

Der Verfassungsausschuss des Europäischen Parlaments habe diesem Plan bereits zugestimmt. Während die Umstehenden den Atem anhielten, wetterte Kaczyński weiter: „Wir wollen nicht den Deutschen unterworfen sein.“ Das sei der Plan, der im Koalitionsvertrag der deutschen Regierung enthalten sei und von Kanzler Scholz als Streben nach deutscher Hegemonie in Europa verkauft werde. „Wir dürfen nicht die Generation sein, die kapituliert. Auf uns wartet ein harter Kampf, denn diejenigen, die jetzt in Polen die Macht übernehmen wollen und gerade eine Vereinbarung unterschrieben haben, werden mit aller Sicherheit danach streben, diesen Plan zu realisieren.“

An der Spitze dieser Koalition stehe nämlich keine „polnische Partei, sondern eine deutsche“, wiederholte Kaczyński seine Verleumdung der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) mit Donald Tusk an der Spitze. Seit Jahren behauptet der Nationalpopulist, dass Tusk, die KO und alle ihre Wähler in Wahrheit keine Polen seien, sondern Landesverräter, die sich dem „deutschen Herren“ andienten. „Wir müssen den Kampf gewinnen, und wir können ihn gewinnen“, so Kaczyński weiter. „Freiheit, Unabhängigkeit und Souveränität stehen an der Spitze der politischen Werte. Wir müssen sie um jeden Preis verteidigen!“ Seine Anhänger skandierten: „Wir danken Dir!“

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23 Kommentare

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  • Bei den rechten Polen ist immer die spannende Frage wen die gerade mehr hassen - Deutsche oder Russen.

  • Wenn schon deutsch-polnische Geschichte, dann aber richtig. Vor 34 Jahren gab es große Demos in der ehemaligen DDR. Kohl flog am 11.11. von Warschau nach Berlin, da war die Mauer gut einen Tag offen. So, wie damals K. an der Mauer ausgepfiffen wurde, so sollte heute K. in Polen ausgepfiffen werden.

  • "Wir müssen kämpfen, kämpfen und nochmals kämpfen“



    Hört sich an wie Abstiegskampf. Ist es auch hoffentlich.

  • Ich möchte gerne mal wissen, warum die polnische Bevölkerung den Rechtsextremen so sehr in den Arsch kriecht?

    Haben die nichts aus ihrer Geschichte gelernt? Haben die vergessen, dass im Dritten Reich polnische Menschen massenexekutiert worden sind? Sind die Opfer von damals denen schlichtweg egal oder in ihren Augen anderweitig wertlos gewesen, als dass es die Glorifizierung rechtsextremer Menschen rechtfertigt?

    Nationalimus ist scheiße. Kriegt das endlich mal in eure Köpfe.

    • @Troll Eulenspiegel:

      "Haben die nichts aus ihrer Geschichte gelernt?"



      Doch. Nämlich dass die Nationalisten aus der Nachbarschaft äußerst erfolgreich darin waren, Polen einzunehmen und zu unterdrücken.



      Es hat dann eine gewisse Logik, selber starker Nationalist zu sein, oder?

    • @Troll Eulenspiegel:

      " Haben die vergessen, dass im Dritten Reich polnische Menschen massenexekutiert worden sind?"

      Ganz im Gegenteil. Die PiS nutzt es für ihre Propaganda. Nationalisten sind gut in so was...

  • Bei den politisch-historischen Fakten hapert es ein bisschen:

    "Russland, Preußen und Österreich-Ungarn hatten das politisch und militärisch schwache Königreich Polen in den Jahren 1772, 1793 und 1795 so lange unter sich aufgeteilt, bis das Nachbarland von der Landkarte Europas verschwunden war."

    Österreich-Ungarn gab es zu dieser Zeit gar nicht. Diese Sonderstellung im Kaisertum Österreich konnte sich Ungarn erst 1867 erkämpfen. Vor 1804 gab es übrigens nicht mal österreichische Kaiser. Vorher war Österreich selbst Erzherzogtum und seine Erzherzög*innen hatten einen Haufen Titel, mit denen sie ihr Habsburgerreich kontrollierten, aber das ist zugegebenermaßen kompliziert.

    "zumal 1939 erneut das Deutsche Reich, Österreich und Russland Polen überfallen"

    Das Deutsche Reich und die Sowjetunion waren das. Österreich gab es schon etwa ein Jahr politisch nicht mehr und zum Zeitpunkt des Polenfeldzugs trug es den Namen Ostmark. Diese besondere Hervorhebung des Namens lässt es ja klingen, als wäre da eine besondere Rolle in einem Militärbündnis eingenommen worden inklusive europäischer Großmachtstellung. Die Slowakische Republik war übrigens auch beteiligt und hat als deutscher Satellitenstaat ein paar Territorien beanspruchen dürfen, aber das passt nicht in das Geschichte-wiederholt-sich-Bild, also kann man es wohl ignorieren. Und in der Sowjetunion gab es die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik RSFSR, aber die war so sehr die Sowjetunion wie England das UK ist oder Preußen Deutschland war.

    Die PiS bedient also wieder nationale Ängste und Komplexe in der Hoffnung sie müsste sich dann nicht - Verzeihung für den Kalauer - aus der Regierung verPiSsen. Haben Trump und Bolsonaro nicht geschafft, jetzt geht es in die nächste Runde.

    • @Paul Anther:

      Was in Polen immer wieder vergessen wird ist auch der Fakt, dass die Sowjetunion 1939 nur die Gebiete bis zur Curzon Linie besetzte, d.h. Gebiete, die Polen 1921 im Polnisch-Sowjetischen Krieg eroberte, der übrigens von Polen begonnen wurde. Sicher kann man darüber streiten, ob ein Lord Curzon das Recht hatte, eine Grenze zwischen Polen und Russland zu definieren, allerdings war das zumindest ein Kompromiss, der damals eigentlich tragfähig hätte sein können.

  • Es ist schon interessant in unserer heutigen Zeit, welche angeblich so aufgeklärt ist, zu beobachten, wie ein Populist seiner Bevölkerung einen angeblichen "Feind" präsentiert, der das eigene Land unterjochen will. Man sitzt und liest das mit Verwunderung, dass diese Massenpsychose verfängt nur wenn die Krakeeler sie häufig genug wiederholen. Es gibt keine neutralen Quellen, kein Internet oder andere Informationen, nur noch das, was der nationalistische Populist auf einer Bühne von sich gibt und was staatsgesteuerte Medien bis zum Erbrechen wiederholen.



    Insgesamt sind die Menschen in Europa (EU) besser ausgebildet, leben einigermaßen im Wohlstand, können reisen und sich einen eigenen Eindruck von der Welt machen und haben freien Zugang zu Informationen, als im Vergleich von vor 100 Jahren und trotzdem funktioniert diese geölte Maschine aus Desinformation, Aufbau von Feindbildern und dem Schüren von Hass, wie eh und je.

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Was konnte man von Rechtsextremen und Nationalisten, von Anti-Demokraten erwarten?



    Dass sie demokratische Regeln akzeptieren?



    Ganz bestimmt nicht.



    Und wo ist die EU?



    Wann endlich spricht sie Klartext?



    Sagt: Wir wollen mit rechtsextremen Nationalisten nichts zu tun haben!?

    • @655170 (Profil gelöscht):

      "Und wo ist die EU?



      Wann endlich spricht sie Klartext?



      Sagt: Wir wollen mit rechtsextremen Nationalisten nichts zu tun haben!?"



      Und wenn sie das gesagt hat, was soll dann passieren?

  • Ob da noch eine Therapie hilft?

  • Das ist erschreckend!



    Klingt so, als würde die AfD hetzen.



    Mit den Polinnen und Polen, die einer neuen Koalition eine Mehrheit gewählt haben, freue ich mich.



    Mit den Polen, von denen ich hier lese, habe ich wenig gemein.



    Kaczynski zeigt hier in aller Deutlichkeit, dass er kein Demokrat ist.



    Ja, liebe DemokratInnen, gebt Polen nicht verloren, fordert Eure Demokratie zurück!

  • Stimmt. Und Scholz ist ein U-Boot der Polen. Oder so ähnlich.

    Erstaunlich, wie man mit solch kruden Parolen (nicht nur in Polen, wohlgemerkt!) Wahlen gewinnen kann. Oder nur knapp verlieren.

  • Immer diese kleinen Männer die den Willen des Volkes verneinen. 1,57 Metern ist Jarosław Kaczyński : Ironisch könnte man ja eine Mindestkörpergrösse für Staatslenker einführen. Mindestens 1.71 dann darf auch Putin (1.70) nicht mehr kandidieren - Slava Ukraine !

    • @Timelot:

      Grad spaßenshalber mal nachgegoogelt. Wird so leider doch nix.

      Alexandar Vucic 1,98m, Donald Trump 1,90m, Baschar al-Assad 1,89m, Recep Tayyip Erdoğan 1,85m, Alexander Lukaschenko 1,82m, Ji Xi Ping 1,80m, Viktor Orban 1,74m.

      Fun Fact: Marine le Pen(1,74m) ist größer als Emmanuel Macron (1,73m).

    • @Timelot:

      Und auch die allermeisten Frauen nicht mehr. Tell Ihres Plans?

  • Ich wusste gar nicht, dass Deutschland in Polen regiert.

    • @Gnutellabrot Merz:

      na mal ne andere Zeitung lesen ;-)

    • @Gnutellabrot Merz:

      Das ist der Kanzler Schulz. Steht doch im Text! 😉

    • @Gnutellabrot Merz:

      Davon steht im Artikel nichts! Die PiS behauptet, dass Deutschland Polen regieren w i r d, wenn Polen von Tusk/ die Parteienkoalition, die gerade die Wahlen gewonnen hat, die Regierung übernehmen sollten.

  • Österreich überfällt 1939 Polen???

    • @Lee May Rebecca:

      Nun ja - das war/ist in der Tat etwas unglücklich formuliert. Keine Ahnung warum der Autor es für nötig hält, das (zwangs-„angeschlossene“) Österreich hier separat zu erwähnen.