Umgangston im Spitzensport: „Jetzt halt die Fresse!“
Hockeybundestrainer Valentin Altenburg blafft in einer Auszeit eine Spielerin an. War das eine Grenzüberschreitung?
Der Zuschauer rückt den Sportlern dicht auf den Pelz. Kameras halten das Geschehen aus allen Winkeln fest, Mikrofone schneiden mit, was gesprochen wird auf den Plätzen. Im US-Sport dürfen Journalisten sogar die Umkleide betreten. Sportler und Trainer haben sich mit der Distanzlosigkeit, die gern als Nahbarkeit verkauft wird, abgefunden. Es geht zum Beispiel in den Auszeiten überraschend nüchtern und zielorientiert zu.
Nur selten sind die Momente, in denen die Darsteller trotz zudringlicher Medien die Nerven verlieren: Man erinnert sich an den Basketballbundestrainer Gordon Herbert, der Dennis Schröder harsch zurechtwies. Nun wird über eine Szene aus dem Hockey der Frauen diskutiert.
„Anne, jetzt halt die Fresse und komm her“, fauchte Bundestrainer Valentin Altenburg in einer Auszeit nach dem ersten Viertel im Spiel gegen Frankreich, eine Partie, die das deutsche Team mit 5:1 gewann. „Das nervt mich, deine Körpersprache. Das ist genau das, was ich vor dem Spiel gesagt habe. Das ist schlecht von dir. Meine Güte. Jetzt reiß dich zusammen.“
Starker Tobak
In diesem Moment, der von der ARD eins zu eins in die Wohnzimmer transportiert wurde, horchten nicht nur die Experten für Mikroaggression und verbale Übergriffigkeiten im Lande auf, nein, das war so oder so starker Tobak. Was ist da los bei den Hockeyspielerinnen, fragte man sich. Ist dieser Altenburg ein autoritärer Knochen der alten Schule? Muss sich der Deutsche Olympische Sport-Bund einschalten wegen der Gefährdung des Sportlerinnenwohls? Und warum die Aufregung, wo das Hockeyteam doch so souverän aufspielte?
Nun, im Teamsport geht es mitunter robust zu. Der Trainer macht Ansagen, die im Arbeitsumfeld aus guten Gründen verpönt (und sanktionswürdig) wären. Im Sport gelten aber offenbar immer noch andere Maßstäbe. Sie kommen weiterhin zur Anwendung, weil, wie gesagt wird, sich das Blaffen und Bölken bewährt habe und schon immer so gesprochen worden ist. Das sei pragmatisch und bringe Disziplin in die Truppe.
Und dies scheint nun am Tag nach dem Vorfall auch die gescholtene Anne Schröder verstanden zu haben. Sie bagatellisiert die Szene: „Er hatte das Gefühl“, erklärt Schröder, „dass ich meine Schultern habe hängen lassen, und dann habe ich halt eine kurze Ansage gekriegt. Ist auch okay.“ Und weiter: „Ich kenne Vali super lang, wir haben ein sehr, sehr enges Vertrauensverhältnis, dementsprechend nehmen wir uns das gegenseitig nicht übel.“
Auch Altenburg versicherte, „es sei nichts auszuräumen“ – schon gar nicht mit Schröder, die sein „verlängertes Herz auf der Wiese“ sei. Aber selbst wenn das stimmt und man den kumpelhaft-deftigen Austausch ritualisiert hat: Muss das wirklich sein?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken