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Touristenvisa für Rus­s:in­nenNicht die Falschen bestrafen

Anne Frieda Müller
Kommentar von Anne Frieda Müller

Der Vorstoß, Rus­s:in­nen die Einreise zu verwehren, ist unüberlegt. Für Privilegierte würde sich nichts ändern, und Putin-Kritiker:innen säßen fest.

Touristen-Visa für Russ:innen: Grenze zu machen? Grenze offen lassen?

N achdem einige europäische Staaten keine Touristenvisa mehr an Rus­s:in­nen vergeben, gab es aus den Reihen der Union einen ähnlichen Vorstoß in dieser Richtung. Bundeskanzler Olaf Scholz lehnte die Forderung zu Recht ab, und selbst aus den CDU-Reihen wurde inzwischen Kritik daran laut. Eine solche Maßnahme träfe schlicht die Falschen.

Schön wäre, wenn nur Pu­tin­un­ter­stüt­ze­r:in­nen die Einreise in die EU verboten werden könnte. Doch gerade reiche, regime-nahe Rus­s:in­nen verfügen oft über den sogenannten goldenen Pass. Sie haben sich in Ländern wie Zypern oder Malta eine zweite Staatsbürgerschaft mit Geld besorgt und könnten auch bei einem generellen Visa­verbot in der EU frei umherreisen.

Zwar sollen diese Pässe künftig nicht mehr ausgeteilt werden, doch Halter:innen, denen die jeweilige Staatsbürgerschaft nicht entzogen wurde oder gegen die explizit keine Reisesanktionen ausgesprochen wurden, können weiterhin von ihrem zweiten Pass Gebrauch machen. Gerade die, die man mit dem ­Visastopp treffen will, kämen ungeschoren davon.

Davon abgesehen erscheint die CDU-Forderung wie ein billiges Nachahmen der Politik anderer EU-Staaten und wie ein Ablenkungsmanöver von der eigentlichen und viel sinnvolleren Debatte über Sanktionen gegen Russland, wie zum Beispiel ein Gasembargo. Nach jahrelanger russlandfreundlicher Politik hat gerade die Union Deutschland in die fatale Gasabhängigkeit von Russland geführt, die uns aktuell ­beschäftigt.

Das Visum kann lebenswichtig sein

Die Forderung nach einem Stopp der Visa­vergabe ist auch insofern nicht zu Ende gedacht, da sie insbesondere die russische ­Opposition treffen würde. Im Gegensatz zu CDU-Politiker:innen müssen Re­gie­rungs­kri­ti­ke­r:in­nen in Moskau mit harten Restriktionen bis hin zu langjährigen Haft- und ­Lagerstrafen rechnen.

Schon kurz nach Russlands flächendeckendem Angriff gegen die Ukraine verließen Tausende Rus­s:in­nen dank der Touristenvisa ihre Heimat. Wenn die Vergabe solcher Visa jetzt gestoppt wird, wären ­Oppositionelle, Medienschaffende und ­Angehörige der LGBT+-Community, die noch nicht fliehen konnten, im schlimmsten Fall gezwungen, in Russland zu bleiben.

Das deutsche Innenministerium vergibt zwar humanitäre Visa, die Einzelfallprüfung dauert jedoch viel zu lang und oft werden die Anträge abgelehnt. Solange es keine schnelle und problemfreie Bearbeitung von Visaanträgen russischer Oppositioneller gibt, darf Deutschland den Fluchtweg über Touristenvisa nicht verbauen. Die Reise in die EU hat nichts mit Shopping zu tun, sondern sie kann überlebenswichtig sein.

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27 Kommentare

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  • @SURYO

    Es ist nichts als billige Symbolpolitik. Konsequentere Sakntionen gegen regimefreundliche Oligarchen [1], das wär' mal was.

    [1] nitter.namazso.eu/...559528130041319429

    • @tomás zerolo:

      Was haben Sie gegen Symbole?

      Umgekehrt wird ein Schuh draus. Das russische Regime suggeriert der Bevölkerung, dass die Lage ganz normal sei. Dass es keinen Krieg gäbe, dass sich für die Leute nichts ändere. Es ist wichtig, ihnen zu zeigen, dass es eben nicht so ist. Dass das Leben eben nicht einfach normal weiterlaufen kann, wenn man gerade einen Angriffskrieg führt. Was ist denn die Alternative? Bomben auf Moskau? Immerhin würden die Russen dann ja mal am eigenen Leib spüren, was sie den Ukrainern antun. Da ist es sicher geradezu extrem human, ihnen den Urlaub zu versauen. Warum sollten sie den verdienen?

  • @SIEGFRIED BOGDANSKI

    Und wo bitteschön sollen sie den Asylantrag stellen? In der Deutschen Botschaft in Moskau?

    Das ist ja der Zynismus der "Festung Europa". Um Asylanträge zu stellen muss man "so gut wie" im Land sein. Das wird aber konsequent verhindert. Teilweise zu einem hohen Preis (Frontex, Verträge mit autokratischen Regierungen, Pushbacks u.v.a.).

    Ich werde mal freundlicherweise unterstellen, dass Sie das alles nicht mitbekommen haben.

    • @tomás zerolo:

      "Für alle in Deutschland ankommenden Asylsuchenden gilt: Sie müssen sich unmittelbar bei oder nach ihrer Ankunft bei einer staatlichen Stelle melden. Dies kann schon an der Grenze oder später im Inland geschehen. Wer sich bereits bei der Einreise als asylsuchend meldet, wendet sich an die Grenz- behörde. Sie leitet Asylsuchende dann an die nächstgelegene Erstaufnahme- einrichtung weiter. Wer sein Asylgesuch erst im Inland äußert, kann sich hierzu bei einer Sicherheitsbehörde (zum Beispiel der Polizei), einer Aus- länderbehörde, bei einer Aufnahmeeinrichtung oder direkt bei einem Ankunftszentrum oder AnkER-Einrichtung melden."

  • Was bitte sind "Russ"? Die männliche Form von Russen jedenfalls nicht.

  • Danke für diesen Artikel.



    Wenn man so durch die Kommentare schweift, wird einem Angst und Bange...



    Visa-sperren für die Belvölkerung, weil sie Staatsbürger eines Landes sind, welches im Begriff ist einen Angriffskrieg zu führen? So, so... alle schön in eine Schublade gesteckt und die Oligarchen lachen sich ins Fäustchen, weil sie längst im Besitz einer 2.Staatsbürgerschaft sind und gar kein Visum brauchen.

    Zwei Fragen dazu:



    1) Wann wird damit begonnen russische LiteratuR aus unseren Bibliotheken zu VeRbannen?

    2) Wann werden endlich die Visa-Sperren für US-Amerikaner aufgehoben, die während des Irak-Kriegs eingeführt.... ach nee warte Mal, gab's ja gar nicht! (Verzeihung, vergessen Sie bitte diese zweite Frage sie ist naiv und relativierend und erfordert auch noch humanistische Denkansätze)

    • @Axel Foley:

      Es geht hier um etwas ganz einleuchtendes: bürgern eines Landes, das sich als mit uns im Krieg begreift, nicht noch mit einem Urlaub in unseren Ländern zu verwöhnen.

      Und gerade wir als Deutsche sollten doch wohl wissen, dass man die Verantwortung für die Greuel des eigenen Landes eben nicht auf den Führer oder die eigene Unwissenheit schieben kann.

      • @Suryo:

        Danke für Ihren Kommentar.



        Zum ersten Teil: das klingt ganz einleuchtend was sie da schildern, aber das ändert nichts an der Ideologie, die dahinter steckt. Wie kann es sein, das wir über Visa-Sperren diskutieren, während es beispielsweise keine Sanktionen gegen die Atomindustrie gibt?

        Zum zweiten Teil: Klingt für mich eher nach Schuldverdrängung, was sie beschreiben.



        Die Ausmaße der Nazi-Verbrechen in dem Zusammenhang oder Vergleich mit dem aktuellen Angriffskrieg zu setzen,



        ist ein verdeckter, vielleicht in Ihrem Fall, unbewusster Versuch, eben diese kleinzureden oder zu relativieren. Wenn Sie schon von “unserer“ Verantwortung sprechen wollen, dann sollte sich diese in erster Linie darauf beziehen, das wir aktuelle und zukünftige Kriege mit allen Mitteln zu verhindern versuchen. Und zwar nicht nur dort, wo es uns politisch und ideologisch in den Kram passt. Haben “wir“ das getan? Sind “wir“ als NATO-Mitglied dazu überhaupt in der Lage?

        Das Problem sind nicht die Visa-Sperren für potentielle Touris, sondern die rein ideologische Beurteilung der Welt. Eine ungezügelte schwaz-weiß Malerei bei der ein



        Angriffskrieg an einem Ort der Welt als Verbrechen gilt, während er an einem anderen Ort als demokratischer Wandel verkauft wird... (und “verkaufen“ empfinde ich da als wirklich sehr passendes Verb)

  • 3G
    39538 (Profil gelöscht)

    Obwohl Teile meiner Familie davon betroffen sind, sind wir uns eigentlich alle einig. So kann es einfach nicht weitergehen. Der Versuch der russischen Machthaber den Eindruck zu verfestigen, es fände gar kein Angriffskrieg statt, und man möchte am liebsten einfach weiter business as usual betreiben, ist ja Teil des Verbrechens.Ein Visa-Stopp ist eine drastische Maßnahme in drastischen Zeiten.

  • Zusätzlich möchte ich noch ein Argument hinzufügen, dass meiner Meinung nach auch eine Rolle spielen sollte bei solchen Überlegungen: Die Chance für diese Menschen, aus der russischen Filterblase zu entkommen. Einen Einblick bekommen in andere Berichterstattung, erkennen, dass die russische Darstellung sehr einseitig ist.

    • @Ingo Knito:

      Das Gegenteil ist der Fall. Die Sachlage verstärkt noch die Verachtung der reichen Russen für den Westen. “Unser Geld nehmen sie aber gerne, die heuchlerischen Europäer.” Was ja nicht mal ganz falsch ist.

    • @Ingo Knito:

      Dafür müssen die Leute nun nicht nach Deutschland kommen.

      Das könnten sie auch im Internet haben.

      Umgekehrt halten sich nicht wenige Russen, die in Deutschland leben, bereitwillig in der russischen Filterblase auf.

  • Guter Artikel!



    Spiegelt meine Meinung, wie ich schon in anderen Artikeln zum Thema geschrieben habe.



    An Afghanistan sueht man/frau, wie schwierig es werden kann, wenn derart falsche Entscheidungen getroffen werden.



    Das zum Glück nicht taussndjährige 3.Reich sollte in uns für die genannte Zeit verpflichten, beim Thema Asyl und Ausgrenzung die Augen offen zu halten.



    Danke!

    • @Philippo1000:

      Nur geht es doch gar nicht gegen Asylbewerber.

      Im Focus stehen Touristen.

      Gerade wegen den Erfahrungen mit Faschismus hier könnte man begründen, anderen Fans von Faschisten und Imperialisten als Touristen die Rote Karte zu zeigen.

  • Die armen reichen Russ*innen, da schließen wir ihnen die Tore…. Dass Olaf Scholz, dessen Partei die Oligarchen mit gefördert hat, hier die Freiheiten für die ‚Touristen‘ erhalten will und damit aus der Phalanx der direkten Anrainer, die den Zugang einschränken wollen wieder einmal durchbricht, hat da schon ein Geschmäckle. Niemand will Leute, die sich verfolgt und eingesperrt fühlen, zurückweisen, aber es sollten nur diejenigen kommen, die Hilfe benötigen.

  • Es ist schlimm genug, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, die Gerichte und die Ausländerbehörden in der Vergangenheit LGBTQ+ Personen, die aus Russland geflohen waren, den Asylstatus verweigerten und sie abschieben wollten oder ließen.

    Dieses Unrecht sollte nicht noch getoppt werden dadurch, dass für alle Verfolgten die Tür geschlossen wird.

    Aufgrund geschlossener Grenzen kommen jedes Jahr zahlreiche Geflüchtete ums Leben. Die EU-Außengrenzen sind dafür nur ein Beispiel.

    Jetzt keine Touristenvisa für Russ:innen zu vergeben, würde alles noch ein wenig schlimmer machen.

    Dem Artikel kann ich insofern nur auf der ganzen Linie zustimmen.

  • Unsinn. Am Flughafen Helsinki ist das Parkhaus voll mit russischen Luxuskarren. Reiche Russen besorgen sich ein Schengenvisum, fahren nach Helsinki und fliegen von dort in den Urlaub.

    Asyl wird nicht berührt, wenn man Russen grundsätzlich kein Visum mehr erteilt. Sollen sie doch nach Dubai. Aber mit der Fettlebe an der Côte d’Azur muss Schluss sein!

    • @Suryo:

      Du bist falsch informiert. Asyl ist nur möglich, wenn die betreffende Person bereits nach Deutschland gekommen ist.

      Abgesehen davon, dass Deine Statistik nicht aussagekräftig ist, hast Du überprüft, ob dieser Rus:innen mit einem Touristenvisum oder mit anderen Pässen eingereist sind?

      • @PolitDiscussion:

        Hier: Porsches und Bentleys. Mit Sicherheit sind das keine Flüchtlinge und Dissidenten. Es sind Systemstützen. Nur zehn Prozent der Russen reisen überhaupt ins Ausland, nämlich die oberen zehn Prozent.

        amp.theguardian.co...ope-travel-finland

      • @PolitDiscussion:

        Die Finnen werden es ja wohl wissen.

  • Ich habe gerade Frau Müllers Biographie gelesen, und verstehe jetzt, wieso sie diesen fundierten und empathischen Artikel schreiben konnte.

    Bitte mehr von dieser Autorin zu solchen Themen - und viel Glück und Erfolg bei ihrem weiteren Lebensweg!

    • @Ajuga:

      Weshalb finden Sie den Artikel fundiert?

      Den Zusammenhang, den die Autorin zwischen Touristenvisum und Asyl herstellt, wäre zu belegen.

      Das tut sie nicht.

      Wenn Staaten wie Finnland noch immer jeden Russen reinlassen, der ssgt, er bräuchte Asyl, läge die Autorin falsch.

      "Ein billiges Nachahmen der Politik anderer EU-Staaten" ist dagegen typisch deutsche Überheblichkeit, die den Osteuropäern kein größeres Maß Kompetenz in Sachen Russland zutraut.

      Nach dem Einmarsch Putins sollte man in diesem Land vielleicht mal kleinere Brötchen backen.

      Welche Biographie haben Sie gelesen? Was ich gefunden habe, ist nichts besonderes.

      • @rero:

        Das ist überhaupt etwas, was mich überrascht. Wie kommen Deutsche - auch Ostdeutsche! - eigentlich dazu, sich selbst größere “Russlandkompetenz” zuzuschreiben als denjenigen, die tatsächlich jahrzehntelang unter der direkten Herrschaft Moskaus standen, die russisch sprechen mussten und die russifiziert werden sollten, also insbesondere den Balten?

  • Volle Zustimmung in allen Punkten.

  • Hier ein eindrücklicher Bericht eines FSB-Mitarbeiters, der Nawalnys Stab ausspioniert hat, jetzt ausgestiegen ist... und es in der EU unendlich schwer gemacht bekommt:

    www.theguardian.co...being-fsb-informer

    Wenn wir es nur annähernd ernst meinen, dann sollten wir so jemanden mit offenen Armen empfangen, oder?

    Stattdessen sollten wir das mit den Sanktionen ein wenig gründlicher tun:

    nitter.namazso.eu/...559528130041319429

    Aber klar: Geld ist eine ernste Sache. Menschenleben hingegen...

    • @tomás zerolo:

      Dass er als "Flüchtling" behandelt wird, ist im Prinzip okay. Der Missstand ist, wie Flüchtlinge in der EU teilweise untergebracht und behandelt werden. Im Guardian-Artikel steht nicht, ob er Asyl beantragt hat. Das wäre der richtige Weg, um auf der Flucht vor Repressionen in der EU aufgenommen zu werden. Putin-Kritiker:innen säßen damit nicht fest. Touristen-Visa für Russ:innen sollten zurzeit generell verweigert werden.