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Thüringens neuer Ministerpräsident„Keine Mehrheit mit der AfD“

Vor seiner Wahl wollte Thomas Kemmerich nicht mit der AfD zusammenarbeiten. Nun haben rechtsextreme Stimmen ihn ins Amt befördert.

Thomas Kemmerich nach der Wahl Foto: Hannibal Hanschke/reuters

Berlin taz | St. Gangloff im Thüringer Wald, wenige Tage vor der Landtagswahl. Die FDP hat ins Gemeindehaus des 1.200-Seelen-Dörfchens zu einer Veranstaltung gegen Windräder eingeladen, ein Thema, das die AfD besetzt hat. Der FDP-Spitzenkandidat Thomas Kemmerich kommt zu spät, wird aber freundlich empfangen. „Wir wollen dafür sorgen, dass kein Grüner ins Landwirtschaftsministerium kommt“, ruft er.

Der Raum ist voll, unter den Anwesenden sind etliche Klimalwandelleugner*innen und Gegner*innen der Grünen, die für den Ausbau der Windkraft verantwortlich gemacht werden. Kemmerich kommt gut an. Er wettert gegen die „Klimahysterie“ und die Fridays-for-Future-Bewegung. „16-jährige Gören erklären einem die Welt“, ruft er empört und erntet Applaus.

Am Mittwoch ist Kemmerich nun zum zweiten Ministerpräsident der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik gewählt worden. Und er ist der Erste, der mit Stimmen einer AfD-Landtagsfraktion ins Amt gewählt wurde.

Die FDP und mit ihr Kemmerich hatte vergangenen Sommer in Thüringen einen scharfen Anti-links-Wahlkampf geführt. Generalsekretärin Linda Teuteberg sprach von der Linken als der „SED und ihren Nachfolgeorganisationen“. Kemmerich hatte noch vor den Wahlen in einem Brief an Christian Lindner eine deutliche Abgrenzung von linksliberalen Positionen in der Partei gefordert. Damit schafften sie es denkbar knapp in den Landtag.

Nicht auf AfD bauen – dann aber doch

Bei den ersten Hochrechnungen rutschte die FDP unter die 5-Prozent-Hürde. Erst die letzten, städtischen Wahlkreise sicherten den Sprung darüber und damit in den Landtag. Der 54-jährige Kemmerich, der in Erfurt und Weimar lebt und arbeitet, ist seit 2015 Landeschef der Freidemokraten und führt die fünfköpfige Landtagsfraktion an. Von 2017 bis 2019 war er Mitglied im Bundestag.

Am Mittwochabend vor der Wahl des Ministerpräsidenten sagte er in einem Interview des MDR: „Wir suchen keine Mehrheit mit der AfD.“ Nun hat er gefunden, was er nicht gesucht hat.

Die Strategie seiner Partei beschrieb er so: Sollte die AfD im dritten Wahlgang einen Kandidaten vorschlagen, würde die FDP das ebenfalls tun. Das sei „die Aufgabe der bürgerlichen Parteien“, grenzte er sich nach rechts ab. Er wolle nicht den Eindruck erwecken, auf die AfD aufzubauen. Nun ist aber genau das passiert.

Gewählt ohne Mehrheit im Parlament

Im gleichen Interview sagte er auch, dass dieser Vorschlag keine Mehrheit im Parlament habe. Die AfD-Fraktion stimmte offenbar geschlossen für den FDP-Kandidaten. Kemmerich nahm die Wahl direkt im Anschluss an.

Seit 2015 ist Kemmerich Landesvorsitzender der FDP Thüringen und seit 2019 Vorsitzender der FDP-Fraktion des Freistaats. Der Vater von sechs Kindern wurde 1965 in Aachen geboren und studierte Rechtswissenschaften in Bonn. Seit 2011 ist er Mitglied im Verband kinderreicher Familien Deutschland.

Im Thüringer Wald, kurz vor der Landtagswahl, zieht Kemmerich seinen Anti-links-Kampf durch. „Die Mobilität gehört aufs Land, der Diesel auch“, sagt er. Und die FDP? Gehört ab sofort zur AfD. Thomas Kemmerich nimmt das zumindest hin.

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21 Kommentare

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  • Jetzt labert die AfD genauso dumm daher wie zuvor die Linkspartei und die CDU.



    Bei der Suche nach Mehrheiten kann die FDP genauso wenig die Stimmen der AfD bei Abstimmungen wegzaubern wie die Linkspartei, Grüne, SPD und die CDU.

    Minderheitsregierungen gegen die AfD funktionieren nur mittels starker informeller oder realer Koalitionen einer Mehrheit.

    • @Rudolf Fissner:

      Wieso tritt ein Typ überhaupt an, der aus einer Fraktion mit 5 Abgeordneten stammt? Schon das ist eine merkwürdige Aktion. Er wusste doch genau, dass er nur mit dem Segen Höckes gewählt werden kann.

  • Gibt es in der Thüringer Verfassung eigentlich eine konstruktiven Misstrauensantrag?

    Damit könnte man sehr schnell Klarheit schaffen.

  • Wie will denn dieser .Ministerpräsident "erfolgreich" regieren? Wahrscheinlich wird er sich die AfD-Stimmen sichern, indem er AfD-Politik macht...

  • "Kemmerich nahm die Wahl direkt im Anschluss an."

    Damit hat er sich aus dem Kreis der Demokraten endgültig verabschiedet. Wer nicht nur im Wahlkampf AfD Parolen von sich gibt, sondern sich auch noch zum Ministerpräsidenten von Höckes Gnaden machen lässt, verdient die Bezeichnung "Demokrat" nicht.

    FDP und CDU haben heute eindrucksvoll gezeigt, was von den bürgerlichen Erklärungen zur AfD zu halten ist. Nichts!

  • 0 Tage im Amt, 0 Minister - und trotzdem schon bei Wikipedia:



    de.wikipedia.org/w...Kabinett_Kemmerich

  • Eigentlich ist die FDP ja die Partei der ganz Reichen und viel Besitzenden! Das wussten zwar nur die wenigsten ihrer Wähler. Aber jetzt ist sie auch noch die Partei der Steigbügelhalter der ideellen Nachfolger des Naziregimes. Und die 'Christlichen' mussten natürlich nichts Besseres als mitzuhelfen !

    Da darf man hoffen, dass bei den nächsten Wahlen in Ländern und im Bund Die Bunte Republik die Bewährungsprobe in Demokratie bestehen wird und diese rechten Rattenfänger bestraft werden.

  • Das ist eine Hindenburgiade. Wer jetzt noch CDU/CSU/FDP wählt, wählt den eigenen Untergang

  • FDP halt alles für die Macht und die Kohle.



    Guido war sich ja auch nicht zu schade im rechten Becken zu fischen ...



    AFDP ???

  • "Sie haben daneben gegriffen" würde Herbert Wehner heute zu... Bodo Ramelow sagen. Dass Willy Brandt 1972 mit von dem MfS gekauften Stimmen aus der Union im Amt blieb ist nur noch eine Anekdote der Geschichte.



    Dass der siegessichere Bodo doch von den Oppositionsparteien ausgebremst wurde kam nicht wirklich überraschend. Wollte er nicht auch wechselnde Mehrheiten für seine Regierungsgeschäfte suchen?



    Die Arbeit der Regierung Kemmerich muss kritisch betrachtet werden, nicht mit welchen Mehrheiten sie zustande kam, denn nicht Kemmerich wurde gewählt, sondern Ramelow wurde abgewählt.



    Keine Mehrheit ist nun mal keine Mehrheit, auf ein unterstützendes Wahlverhalten der politischen Gegner zu spekulieren, ja dieses geradezu einzufordern ist eben nicht in jedem Fall erfolgreich.



    Da mag ein vor die Füße geworfener Blumenstrauss ein Symbol für Wut und Enttäuschung sein, aber gerade die Linkspartei hat sich mit der lautstarken Einforderung der Wiederwahl Ramelows letzten Endes selbst blamiert.

    • @Saccharomyces cerevisiae:

      "Keine Mehrheit ist nun mal keine Mehrheit, auf ein unterstützendes Wahlverhalten der politischen Gegner zu spekulieren, ja dieses geradezu einzufordern ist eben nicht in jedem Fall erfolgreich."



      Das hat mich auch gestört. Wer für Herrn Ramelow ist, dessen Stimmen sollen zählen, wer gegen ihn ist, soll einfach stillhalten. Seltsames politisches Gebaren.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Saccharomyces cerevisiae:

      Eine beeindruckende Meinung, die gewürdigt werden soll.

      Beeindruckend nicht etwa wegen argumentativer Brillianz, sondern wegen der selektiven Verteilung von Verantwortlichkeit. Bodo Ramelow und Die Linke haben es tatsächlich - zumindest in Ihren Ausführungen - geschafft, direkt oder indirekt das Verhalten ALLER Akteure zu bestimmen. Einfach grandios.

      Welche Macht die haben. Sa-gen-haft.

      Btw: Danke für den Hinweis auf die Sternstunde mit dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972. Eines der Highlights meines Lebens!!!

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Wo bitte habe ich Ramelow und der Linken unterstellt, "direkt oder indirekt das Verhalten ALLER Akteure zu bestimmen" (sic!)?



        Ramelow hat lautstark verkünden lassen, dass er spätestens im dritten Wahlgang zum Ministerpräsidenten gewählt würde, die CDU und die FDP ja mit ihm zusammenarbeiten müsse, um sich von der AfD abzugrenzen.



        Zitate dazu:



        "Spitzen mehrerer Parteien warnen vor der Wahl die CDU davor, einen Gegenkandidaten zum Regierungschef zu wählen, der von der AfD unterstützt wird. Grünen-Chef Robert Habeck sagte heute dem „Tagesspiegel“, dieser Schritt wäre kein Versehen, sondern das Einreißen einer „Brandschutzwand“. Die CDU müsse weiter dafür stehen, nicht mit der AfD zu koalieren. Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD sagte heute dazu: „Wenn sie ihr Verhältnis zu den Feinden der Demokratie tatsächlich geklärt hat, kann sie keinen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten mit Aussicht auf Erfolg aufstellen“. Auch der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Dietmar Bartsch, zog die CDU in Verantwortung die Wahl Ramelows nicht zu verhindern und in eine „konstruktive Opposition“ zu gehen, um Thüringen in Sachfragen voranzubringen." (Quelle: phoenix.de vom 05.02.20 Von Can Demirden mit Material von dpa)

        Wenn das mal keine primitive Gängelei ist. Nur hat es eben nicht funktioniert. Was mich sehr freut.

  • Ich finde es etwas viel verlangt von den Kandidaten anderer Parteien zu erwarten, dass sie auf ihre Kandidatur verzichten, damit eine bestimmte Partei, in diesem Fall Die Linke, erneut den Ministerpräsidenten stellt.

    Man hat die AFD als zweitstärkste Partei aus der Regierung herausgehalten, in Ordnung. Aber nun auf Biegen und Brechen einen Ministerpräsidenten der Linken durchsetzen zu wollen, der auch keine Mehrheit hinter sich hat, ist meiner Meinung nach nicht sehr demokratisch. Dann müssen halt die Gesetze geändert werden, wenn man das so nicht haben will.

    Ministerpräsident eines Landes zu sein, ist ein gutbezahlter Job mit vielen Vorteilen und weshalb sollten alle zu Gunsten eines Kandidaten verzichten? Wer von den Kritikern verzichtet denn selbst in seinem eigenen Leben freiwillig auf einen interessanten, guten Job, damit ihn ein anderer bekommt?

    Wenn der FDP-MP schlecht arbeitet, ist es in vier Jahren vorbei.

  • Neoliberalismus und Neofaschismus heute, 75 Jahre danach.

    Warum schweigen die Lämmer?

  • Mein Kommentar von heute Mittag zu folgenden Artikel



    taz.de/Thueringer-...bb_message_3910712



    AUSZUGSWEISE



    "Waldo



    heute, 11:47

    Oh Mann, was für ein unwürdiges Geschachere von der FDP wo sich Wendegewinner Kemmerich mal wieder selbst ins Abseits stellt. Die CDU ist bis auf die Vernunftsbegabten auch nur bedingt besser. Naja und die AfD ist erst recht die Partei mit Fremdschämfaktor."

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    Dass ausgerechnet ein FDP-Mitglied sich für diesen Tabubruch hergibt, kann Ältere nicht verwundern.

    Wer sich ein klein wenig in der Geschichte dieser Partei bis in die 1980er Jahre hinein auskennt, weiß: um an die Futtertröge der Macht zu kommen, ist denen alles rechts.

    Wenn dies Demokratiekonform sein soll, finde ich den sofortigen Abschied von dieser Demokratie angesagt.

    Als Freund von Demokratie (wie sie früher einmal existierte) mein Fazit: voll für den Allerwertesten.

    De-Maskierte Bürgerlichkeit der allerschlimmsten Sorte. Wer dies feiern möchte, hat mehr als nur EÍN Rad ab. Dessen Wagen ist ein 'Autostabil' - ganz ohne Räder.

    • @76530 (Profil gelöscht):

      "Wenn dies Demokratiekonform sein soll, finde ich den sofortigen Abschied von dieser Demokratie angesagt."

      Also Demokratie nur, solange das Ergebnis paßt?

      • 7G
        76530 (Profil gelöscht)
        @Mzungu:

        Ein erwartbarer Post von der Abt. für Vereinfachung.

        Nicht gelesen - oder nicht verstanden?

        Es geht natürlich nicht nur um das ERGEBNIS, sondern vor allem um das PROCEDERE.

        Aber vielleicht ist das für Sie auch okay, dass eine 5 Prozent Partei mit geschlossener Unterstützung der AfD MP wird?

        Ihr Ideal von Demokratie?

  • Er wusste vom AfD Manöver bescheid, so war das zumindest dem MDR zu entnehmen. Nichts mit "Nun hat er gefunden, was er nicht gesucht hat".

    • @FancyBeard:

      Sie sehen das falsch. Es steckt kein System dahinter, es ist immer nur ein bedauerlicher Einzelfall.