„Tatort“ aus Hamburg: Bizarre Realitätsverschiebung
Der „Tatort“ „Schattenleben“ aus dem Norden spielt in linken Milieus und will möglichst divers sein. Dabei versteht er am Ende alles falsch.
Viel ließe sich über diesen Tatort sagen. Über die warme kollegiale Freundschaft zwischen Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz), die selbstverständlich wirkt. Über die Ermittlung des Duos im Fall eines folgenreichen Brandanschlags auf das Zuhause eines Polizisten.
Daneben hat jemand „ACAB“ gesprüht, „All Cops Are Bastards“, gerne als „linksextremistisch“ gelabelt. Über die alte Liebe von Grosz, die nun als verdeckte Ermittlerin arbeitet, plötzlich Kontakt aufnimmt, dann verschwindet, und Grosz selbst undercover geht. Über die tolle Besetzung.
Stattdessen ist es etwas anderes, das die NDR-Folge „Schattenleben“ bemerkenswert macht. „Ich kann mit der Darstellung linker Milieus im deutschen Fernsehen oft wenig anfangen, weil dort fast alle Figuren deutsch und weiß sind“, wird Regisseurin Mia Spengler in der Pressemappe zitiert. Und erklärt, wieso sie auf einem „Inclusion Rider“ bestanden hat, bevor sie für den Tatort zugesagt hat. Also Vertragsklauseln, die Diversität auf allen Posten beim Dreh zur Voraussetzung machen.
Feine Sache. Aber als der Fall dann einer „Serie von Anschlägen aus der linken Szene“ zugeordnet wird, fängt’s an mit der bizarren Realitätsverschiebung.
Wenn niemand widerspricht
„Nach aktuellem Stand liegt der Fokus der Beobachtung auf der FLINTA-Szene“, heißt es. Und: „Wir gehen gerade in fünf Objekte der Szene gleichzeitig, Hausdurchsuchungen.“ Und: „Mir ist schon klar, dass die Leute in der Szene gut aufpassen.“ Und: „FLINTA? Ja, auch linke Szene, aber ganz andere Ecke. Kennen tu ich da niemanden und mögen auch nicht wirklich. Weißte, ich will mir nicht nach 20 Jahren Aktivismus vorwerfen lassen, ich sei ein Sexist.“
Hamburg-“Tatort“: „Schattenleben“, So., 20.15 Uhr, ARD und in der ARD-Mediathek
Ähm. Und niemand widerspricht. Auch Falk und Grosz nicht. Nur: FLINTA ist keine „Szene“. FLINTA ist ein inklusiver Sammelbegriff für eine heterogene Personengruppe. Er steht für: „Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen“. Niemand, niemand, niemand würde jemals sagen: „Die Männer-Szene“. Auch wenn der vermeintliche Kampf in den sozialen Medien immer wieder suggeriert, es gebe klar umrissene Szenen, wie FLINTAs gegen TERFs.
Heißt das, Falke und Grosz stimmen dieser Faktenverdrehung zu, was etwas über die Haltung der Figuren aussagte? Oder wissen weder Drehbuchautorin Lena Fakler noch die Redaktion, wovon sie da sprechen? Sorry, aber wer einen heterogenen Sammelbegriff mit quasiterroristischem Aktivismus verwechselt, kann sich einen „Inclusion Rider“ auch sparen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Preiserhöhung bei der Deutschen Bahn
Kein Sparpreis, dafür schlechter Service
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Housing First-Bilanz in Bremen
Auch wer spuckt, darf wohnen