Subventionen für den Klimaschutz: Prämie für kein Auto
Für ein Umdenken weg vom Auto braucht es einen Anreiz. Denkbar ist eine Abschaffprämie. Vorläufig wird belohnt, wer am Auto festhält.
V erkehrswende rückwärts: mehr Autos, mehr PS und mehr Straßen. Die Pendelstrecken werden länger und das Fahrzeuggewicht schwerer. Findet die Autonation Deutschland einen Weg zum Weniger? Es sollte 2.000 Euro vom Staat geben, wenn man sein Auto abschafft. Verkehrsexperten vom Wuppertal Institut gehen davon aus, dass viele Menschen in urbanen Räumen eine „Abschaffprämie“ zum Anlass nähmen, zunächst für ein Jahr den Kauf eines neuen Wagens aufzuschieben und anschließend auch ohne Privatauto glücklich zu leben.
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Vor einigen Jahren hatte ich eine interessante Begegnung im Zug. Mir gegenüber saß ein Geschäftsmann aus der Automobilindustrie. Wir kamen ins Gespräch und nach einer Weile fragte ich: „Warum fahren ausgerechnet Sie (als Mann der Autobranche) mit der Bahn, sogar mit einer BahnCard 100?“ Seine Antwort: „Vor einigen Jahren habe ich mir den Fuß gebrochen. Daraufhin meinte der Chirurg, ich könne jetzt ein Jahr kein Auto fahren, ich war auf die Bahn angewiesen.
Anschließend konnte ich mir gar nicht mehr vorstellen, mit dem Auto zu fahren. Wenn ich jetzt nach Hause komme, sind die Berichte geschrieben, die Listen fertig und ich habe meistens Feierabend. Früher musste ich mich dann noch Stunden an den Schreibtisch setzen. Deswegen ist es für mich auch nicht so schlimm, wenn es mal etwas später wird mit der Bahn.“
So wie der Geschäftsmann haben alle Menschen Gewohnheiten und Routinen. Als Routine bezeichnen Psychologen das, worüber man nicht mehr nachdenkt, nicht mehr nachdenken muss. Das macht sie so nützlich. Sie entlasten und ermöglichen es, dass die Menschen sich auf das konzentrieren können, was eine bewusste Entscheidung verlangt. Anders wäre der Alltag gar nicht zu bewältigen. Sie lenken das Fahrzeug, ohne die einzelnen Handlungsabläufe zu planen. Und sie erledigen ihre Einkäufe, Arbeitswege und vieles mehr mit dem Auto, einfach, weil sie es immer so gemacht haben.
ist wissenschaftlicher Projektleiter am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie und Autor zahlreicher Bücher, darunter „Energiewende. Aber fair!“, „Ökoroutine“, „Schluss mit der Ökomoral“ und „Wirtschaft ist mehr!“.
Weg von der Gewohnheit
Die Umstellung auf ein Leben ohne eigenes Automobil wird als radikal empfunden – auch von weiten Teilen der grünen Bewegung. Es ist sozialkulturell und mental fest verankert. Es ist einfach sehr bequem – meistens. Und man hat seine Privatsphäre. Stau auf der Autobahn, nervige Parkplatzsuche, steigende Spritpreise und Parkplatzgebühren reichen offenbar nicht aus, um einen Wandel der Mobilitätskultur einzuleiten.
Die Frustrationstoleranz ist enorm. Der Autobestand nimmt kontinuierlich zu, inzwischen sind mehr als 48 Millionen und damit knapp sieben Millionen Pkw mehr auf Deutschlands Straßen als 2010. Der Carsharing-Trend hat diese Entwicklung nicht umgekehrt.
Doch was könnte ein Umdenken auslösen? So wie gestresste Menschen nach einem Herzinfarkt ihr Leben neu ordnen, erging es dem Geschäftsmann aus der Automobilindustrie. Der komplizierte Fußbruch veranlasste ihn, über Alternativen nachzudenken, die er vermutlich sonst nie erwogen hätte. Er fährt mit der Bahn! Es braucht also einen kräftigen Impuls von außen, um alte Gewohnheiten infrage zu stellen.
Vorläufig scheint die Bundesregierung nicht daran interessiert zu sein, dass die Leute Abschied vom geliebten Fahruntersatz nehmen. Im Gegenteil verschenkt Berlin Milliarden, damit sie ihre automobilen Gewohnheiten beibehalten. In Deutschland gibt es viel Geld vom Staat, wenn man einen Dienstwagen fährt, wenn man einen Diesel fährt, wenn man E-Auto fährt, wenn man ein Hybrid-Auto kauft oder wenn man zur Arbeit pendelt.
Klimaschädliche Subventionen
Insgesamt fördern die Behörden klimaschädliches Mobilitätsverhalten mit knapp 30 Milliarden Euro, bilanziert das Umweltbundesamt. Nur wenn man sein Auto abschafft, dann gibt es kein Geld. Warum gibt es keine Förderung für das Naheliegende, wo es doch der effektivste Beitrag zu Klimaschutz und Verkehrswende wäre, den man leisten kann. Funktionieren würde es so: Wer sein privates Auto abschafft und mindestens für ein Jahr autofrei bleibt, bekommt 2.000 Euro.
Zum Vergleich: Im Jahr 2009 gab es für die Verschrottung 2.500 Euro, heute bekommen Käufer eines E-Autos bis zu 9.000 Euro. Der Bund zahlt, die Städte können die Prämie mit eigenen „Incentives“ verstärken: etwa durch ein günstiges Ticket für den Nahverkehr, einen Zuschuss für E-Bike oder Cargobike und – ganz wichtig – besondere Angebote für Carsharing. Denn die Umstellung fällt leichter, wenn sich ein Gemeinschaftsauto in unmittelbarer Nähe befindet.
Es gab Modellprojekte wie etwa „Ein Monat ohne Auto“ oder „autofasten“. Doch zum einen war der Zeitraum viel zu kurz, denn so schnell werden Alternativen zum Getränkeholen, Kinderwegbringen und mehr nicht zur Routine. Zum anderen stand der Privatwagen bei den Testhaushalten weiter vor der Tür. Nach einem Monat war dann eher klar: ohne ist es extrem umständlich und der Wagen muss bleiben. Ein Selbstversuch über ein Jahr wäre hingegen lang genug, um neue Routinen zu etablieren.
Diese innovative Form einer Abwrackprämie könnte als Milliardenprogramm die Transformation der Mobilitätskultur initiieren. Wenn man die Prämie auf 2.000 Euro festlegt, würden bei einem Gesamtvolumen von vier Milliarden Euro zwei Millionen Autos abgeschafft. Vorausgesetzt freilich, es finden sich genügend Interessenten.
2.000 Euro Abwrackprämie
Der Zeitpunkt ist günstig, aktuell wünschen sich knapp 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger weniger Autos in ihrer Gemeinde und rund 40 Prozent können sich vorstellen, zukünftig auf ein eigenes Auto zu verzichten, wie eine Befragung aus dem Jahr 2019 ergab. Demnach haben Millionen Menschen schon einmal darüber nachgedacht, ihr Auto abzuschaffen. Der naheliegende Moment für eine Umsetzung ist, wenn man seinen alten Wagen abstoßen will und einen neuen anschaffen.
Der Kaufpreis macht beim Privatwagen den größten Anteil aus. Anschließend ergeben sich nur die Kosten für den Unterhalt, und in der Regel sehen die Nutzenden allein den Spritpreis. Im Vergleich dazu erscheinen Bus und Bahn dann sehr teuer, ebenso wie Carsharing, weil dort mit jeder Fahrt die gesamten Unkosten abgerechnet werden. Aus dem Besitz des Fahrzeugs ergibt sich regelrecht der ökonomische Zwang, es auch zu nutzen.
Die Rahmenbedingungen für eine Abschaffungsprämie sind günstig, denn die politische Debatte zur Verkehrswende nimmt an Fahrt auf. Der Bund hat seine Investitionen in die Bahn deutlich erhöht, viele Städte verbessern ihre Nahverkehrs- und Sharingangebote, erweitern ihre Radwegenetze, und vieles mehr. München, Hamburg und Berlin haben mit dem Rückbau von Parkflächen begonnen. Parken wird teurer und der Treibstoffpreis steigt.
All das hat bisher nicht bewirkt, dass sich nennenswerte Teile der automobilen Stadtgesellschaft vom Privatauto trennen. Hier setzt die Prämie an. Sie soll eine gesellschaftliche Debatte in Gang bringen. Die Zahl der zugelassenen Pkw muss sich verringern – vor allem in den Städten, da man in vielen ländlichen Räumen auch langfristig auf ein Auto angewiesen sein wird. Es ist ein kaum vorstellbarer Kraftakt, die Autoflotte auf elektrische Motoren umzustellen, betrieben mit grünem Strom.
Immer mehr Autos und Straßen
Das ganze Vorhaben hängt von der Bereitschaft unserer Nation ab, ihre Mobilitätsroutinen zu überdenken. Verschiedene Klimaschutzszenarien gehen von einem notwendigen Pkw-Rückgang um 30 bis 50 Prozent auf 25 bis 35 Millionen aus. Die Besitzquote stieg kontinuierlich auf zuletzt 580 Pkw pro 1.000 Einwohner, dabei müsste die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung gehen. Das Umweltbundesamt schlägt als Zielwert für Großstädte 150 Pkw auf 1.000 Einwohner vor.
Nun lässt sich fragen, ob es angemessen ist, den Autobesitzern noch mehr Geld hinterherzuwerfen. Wer hingegen nie ein Auto besessen hat oder bereits vor fünf Jahren auf Carsharing umgestiegen ist, bekommt nichts. Stimmt, das ist ungerecht, aber bei der Einrichtung von Anreizen nicht zu vermeiden. Politik ist zukunftsorientiert. Wer vor Einführung des Elterngeldes Kinder bekam, ist leer ausgegangen ebenso wie die Käufer eines Elektroautos.
Eine ähnlich seltene wie verschwenderische und populistische Ausnahme war die 2014 beschlossene, rückwirkende Auszahlung der Mütterrente, eine grundsätzlich zu befürwortende Anerkennung von Kindererziehungszeiten für Kinder, die vor 1992 geboren wurden.
Deutschland war mal vorbildlich beim Klimaschutz. Dass es jetzt nicht mehr vorangeht, liegt nicht zuletzt am Versagen der Verkehrspolitik und einem Ex-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer, der ein zigmal untersuchtes Tempolimit mit nachweislich positiven Effekten für Klima und Todesraten als „gegen jeden Menschenverstand“ bezeichnete, unterstützt vom Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt, der Luisa Neubauer, Aktivistin der Fridays for Future, empfahl, sie solle auch mal über die „Seele des Autos“ reflektieren.
Das Ziel der Bundesregierung, bis zum Jahr 2030 die Emissionen im Sektor Verkehr um 40 Prozent zu senken, ist nicht annähernd zu erreichen. Die Emissionen liegen heute fast auf dem gleichen Niveau wie 1990. Dennoch stehen die Zeichen auf Wachstum, mehr Straßen, mehr Autos, mehr Lkw, mehr Logistikzentren. Diese für Klima, Landschaft und Gesundheit desaströse Entwicklung zu stoppen, ist inzwischen sogar verfassungsrechtlich geboten. Die Antriebswende ist auf dem Weg, die Mobilitätswende steht noch aus.
In Verbindung mit den avisierten Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen könnte eine Abschaffprämie als förderpolitische Innovation der Anfang sein für einen Wandel unserer Mobilitätskultur, einer mentalen Transformation. Damit wir den jungen Menschen nicht die Zukunft klauen. Es muss ein Ruck gehen durch Autodeutschland.
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