Studie zur medizinischen Versorgung: Hälfte der Krankenhäuser soll weg

600 Kliniken könnten in Deutschland reichen, so eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. VertreterInnen von ÄrztInnen und PatientInnen protestieren.

Das Charité-Klinikum in Berlin

Soll das älteste Krankenhaus Berlins etwa auch die Türen schließen? Das Charité-Klinikum Foto: imago images/Reiner Zensen

BERLIN taz | Iserlohn, ein kleines Städtchen irgendwo im Sauerland. Rund 92.000 EinwohnerInnen, eine Hand voll Krankenhäuser. Eines davon ist das Marienhospital Letmathe, ein Haus mit langer Tradition. Gut 146 Jahre wurde hier gepflegt, umsorgt und geheilt, jetzt soll damit Schluss sein. Im Juni hat der Kreistag beschlossen, dass die Geschichte des Krankenhauses im Winter ihr Ende nehmen wird. Bis zuletzt hatten AnwohnerInnen und Belegschaft für den Erhalt ihres Krankenhaus vor Ort protestiert.

So wie dem Marienhospital könnte es nach dem Vorschlag von Wissenschaftlern der Bertelsmann-Stiftung vielen Kliniken in Deutschland ergehen. In einer neuen Studie wollen sie festgestellt haben, dass nur noch 600 der bundesweit über 1.400 Krankenhäuser für eine bessere medizinische Versorgung notwendig seien. Und der Rest? Der könnte wegfallen.

Ausgangspunkt der Untersuchung war die Annahme, dass die Krankenhäuser sowohl Überkapazitäten aufweisen als auch zu wenig spezialisiert sind. Projektleiter Jan Böcken von der Bertelsmann-Stiftung verdeutlicht das Problem am Beispiel NRW: Nach Einwohnerzahl und Fläche sei das Land vergleichbar mit den Niederlanden, habe dabei allerdings dreimal so viele Kliniken mit einer zum Teil schlechteren Versorgung. „Da sieht man sofort: Irgendwas stimmt da nicht“, so Böcken.

Um dem Problem zu begegnen, arbeiteten die Forscher ein Zweistufenmodell aus: In der ersten Stufe würden sogenannte Maximalversorger eine bessere Versorgung mit Fachärzten bieten. Überregionale Großkliniken also, die stark spezialisierte Abteilungen etwa für Herzchirurgie und Nuklearmedizin beherbergen könnten. Regional würden sich dann die Regelversorger der zweiten Stufe verteilen: Kliniken, die in einem Abstand von maximal 30 Minuten Fahrtzeit für jeden potenziellen Patienten mit klassischen Beschwerden erreichbar wären. Diese Einrichtungen könnten normale InternistInnen, ChirurgInnen und andere beherbergen.

„Kahlschlag“

Um die Effektivität dieser Zweistufenversorgung zu testen, haben die Forscher ihr Modell für den Raum Köln/Leverkusen mit solchen Schwerpunkthäusern und Maximalversorgern durchgerechnet. Das Ergebnis: Statt der aktuell 38 Kliniken könnten bereits 14 Häuser mit dem Modell ausreichen, so die Forscher. Die durchschnittliche Fahrtzeit für PatientInnen würde sich gleichzeitig kaum verändern. Zwar bietet das Rheinland sowohl Ballungsgebiete als auch ländliche Peripherie. Repräsentativ sei der Bereich um Köln und Leverkusen allerdings nicht, gesteht Böcken.

Die fachärztliche Versorgung könnte sich laut den Wissenschaftlern mit dem Modell bessern. Aber: „Wir werden das Problem so nicht lösen, aber wir machen es ein bisschen kleiner“, sagt Böcken. Zwar würde eine so zentralisierte Versorgung besser mit dem gegebenen Personal arbeiten können, die bestehende Fachkräftelücke würde allerdings bleiben.

Beim Fachpublikum treffen die Vorschläge auf ein geteiltes Echo. Eugen Brysch, Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, hält das Konzept für einen „Kahlschlag“. Gerade ältere Pflegebedürftige bräuchten sowohl eine Grundversorgung vor Ort als auch Hochleistungsmedizin in der Region, sagt er.

Auch Vertreter der Ärzteschaft sparen nicht mit Kritik an dem Vorschlag. „Gerade im ländlichen Raum müssen wir die flächendeckende Versorgung der Patienten sicherstellen“, sagt Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Allerdings könne es in Ballungsgebieten durchaus sinnvoll sein, wenn ÄrztInnen und Pflegepersonal in größeren Strukturen behandelten.

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