Streit um die EU-Taxonomie: Ums Atom geht es nicht
So ärgerlich die EU-Vorschläge zur Atomkraft sind: Entscheidend ist jetzt, die Regeln für klimapolitische Investitionen zu sichern und auszubauen.
D ie hitzige Debatte um die „EU-Taxonomie“ und die geplante Einstufung von Investitionen in Atomkraft und Gas als „nachhaltig“ geht am eigentlichen Kern vorbei. Denn die Frage ist nicht, ob in Deutschland die Atomkraft subventioniert zurückkommt (wird sie nicht) oder ob wir neue Gaskraftwerke verhindern können (sollten wir nicht). Entscheidend ist auch nicht, ob die Bundesregierung diese EU-Regeln verhindern sollte (kann und will sie nicht) oder ob die Grünen dafür einen Koalitionskrach riskieren müssten (sollten sie erst recht nicht). Die Frage muss lauten: Wie retten wir die EU-Taxonomie?
Sicher: Die Vorschläge der EU-Kommission sind ein Ärgernis. Aber sie kommen nicht überraschend. Es bleibt zwar falsch und skandalös, gerade der Atomkraft mit ihren ökologischen und finanziellen Risiken das Label „richtet keinen Schaden an“ anzuheften. Aber das sehen eben viele andere Länder in der EU wie Frankreich, Ungarn oder Tschechien ganz anders, die dringend frisches Geld für alte oder neue Meiler brauchen. Und beim Gas war immer klar, dass gerade Deutschland mit dem endgültigen Atomausstieg Ende dieses Jahres eine Menge neuer flexibler Kraftwerke braucht, um die Energiewende abzusichern. Die heikle Frage ist nur, wie man jetzt Turbinen für fossiles Gas baut, die man möglichst bald auf den Betrieb mit „grünen“ Gasen wie Wasserstoff umstellen kann. Kippen kann Deutschland diesen Kompromiss nicht, dafür reichen die Mehrheiten nicht. Und kippen will ihn Deutschland auch nicht, weil das Gas auf dem Spiel steht – und weil die Regelung ein Hebel sein kann, die vielen anderen Zumutungen des „Fit for 55“-Pakets der EU gerade in Osteuropa durchzusetzen.
Es gab und gibt für den grünen Klimaminister Habeck deshalb wenig Grund, mit seinen Kollegen in Berlin und Brüssel darüber den Konflikt zu suchen. Viel wichtiger ist es, die Taxonomie zu sichern: Also auf der EU-Ebene einen klaren Maßstab dafür beizubehalten, welche Investitionen in Zukunft für eine klimagerechte Transformation von Industrie, Stromnetzen und Gebäuden gebraucht werden und welche nicht. Manche Experten wollen die Liste verbessern, andere diese Unterscheidung etwa über den CO2-Preis regeln. Mit der Taxonomie wollte die EU weltweit Vorreiter für grünes Investment sein. Diesen Vorsprung gilt es zu halten, klare Regeln müssen für Vertrauen bei Investoren und Gesellschaft sorgen. Die bisherige umfangreiche Taxonomie-Liste ist ein guter Anfang, sie muss aber noch klarer und konkreter werden. Denn die Klimapolitik der EU wird sich daran entscheiden, wohin die Billionen Euro privaten Kapitals in den nächsten 20 Jahren fließen. Nicht an ein paar Milliarden für alte AKWs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Sensationsfund Säbelzahntiger-Baby
Tiefkühlkatze aufgetaut