Streit in der Linkspartei: Vorsitzende befürchten Spaltung
Wissler und Schirdewan beschwören die Einheit der Linkspartei. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, wann das Wagenknecht-Lager geht.
Sprechen möchte das Linken-Führungsduo über das beschlossene Konzept zur Verstaatlichung von Energiekonzernen. Oder über die Planungen für einen „heißen Herbst gegen die soziale Kälte“. Über die wieder heftig aufgeflammten innerparteilichen Konflikte wollen Schirdewan und Wissler hingegen nicht so gerne reden.
Doch angesichts der bohrenden Nachfragen bleibt ihnen nichts anderes übrig. Wortreich beschwören sie die Einheit der Partei. Die Linkspartei sei eine „historische Errungenschaft“, sagt Wissler mit deutlich verfinsterter Miene. Deswegen appelliere sie „an alle, wirklich dieses historische Projekt nicht zu gefährden“. Er werde die Existenz dieser Partei verteidigen und an ihrer Zukunft arbeiten, sagt Schirdewan mit nicht minder ernstem Blick. Das klingt nach Durchhalteparolen.
Seit dem umstrittenen Bundestagsauftritt Sahra Wagenknechts vergangene Woche, bei dem die Ex-Fraktionsvorsitzende der Bundesregierung vorgeworfen hatte, einen Wirtschaftskrieg gegen Russland „vom Zaun“ gebrochen zu haben, brodelt es heftigst in der Partei. Für etliche ist nun endgültig die Schmerzgrenze überschritten.
Ein Beispiel dafür ist der langjährige nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Knud Vöcking. 28 Jahre war er Mitglied erst der PDS, dann der Linkspartei. Unmittelbar nach der Wagenknecht-Rede hat er seinen Austritt erklärt. „Meine Geduld ist zu Ende“, schreibt Vöcking in seiner Austrittserklärung.
„Grenze des Erträglichen schon lange erreicht“
„Wir sind es leid“, heißt es auch in einem Offener Brief, den Katharina König-Preuss, Jule Nagel und Henriette Quade am Freitagabend veröffentlicht haben. Mit ihrer Rede habe Wagenknecht „die Verteilungsungerechtigkeit in Deutschland gegen die angegriffene Bevölkerung in der Ukraine ausgespielt, damit Putin in die Hände gespielt und die Redezeit für rechtsoffene populistische Plattitüden verschwendet“, schreiben die drei Linken-Landespolitikerinnen aus Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
König-Preuss, Nagel und Quade konstatieren: „Die Grenze des Erträglichen ist mit Blick auf das Gebaren von Sahra Wagenknecht und ihrer Getreuen schon lange erreicht.“ Konkret zählen sie Äußerungen gegen die Aufnahme von Geflüchteten, gegen die europäische Integration, gegen Coronaschutzmaßnahmen oder gegen Bündnispartner:innen aus den antirassistischen, Klima- oder Queerbewegungen auf.
Auch beklagen sie Wagenknechts Glorifizierung einer Querfrontdemonstration in der tschechischen Hauptstadt Prag Anfang September. Dort hatte die – seit 2021 nicht mehr im Parlament vertretene – Kommunistische Partei gemeinsam mit rechtsextremen Parteien- und Organisationen sowohl gegen hohe Energiepreise und Sanktionen gegen Russland als auch gegen Corona-Impfungen, die Aufnahme von Flüchtlingen und die EU demonstriert. Wagenknecht sieht diese Demo als Vorbild für Deutschland an, wie sie in einem am Donnerstag auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlichten Video bekundet hat.
Nun seien Konsequenzen erforderlich, so König-Preuss, Nagel und Quade: „Wir fordern den Ausschluss von Sahra Wagenknecht aus der Bundestagsfraktion.“ Und sie verlangen auch den Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, die die Rede Wagenknechts „trotz massiver Kritiken und wohlwissend um die von ihr vertretenen Inhalte“ ermöglicht hätten. Der Brief wird von zahlreichen Kommunal- und Landespolitiker:innen der Linkspartei unterstützt.
„Solche Reaktionen waren erwartbar, der Unmut ist verständlich“, sagt dazu Parteichefin Wissler der taz. „Das zeigt noch einmal, wie dringend es ist, dass die Abgeordneten der Linken öffentlich die Positionen der Linken vertreten.“ Zu den geforderten Konsequenzen sagt sie allerdings nichts.
Wann geht das Wagenknecht-Lager?
Der Grund für diese Zurückhaltung: Die Parteiführung sieht sich in einem Dilemma. Knapp einen Monat vor der Landtagswahl in Niedersachsen will sie kein weiteres Öl ins Feuer kippen. Vor allem versuchen Wissler, Schirdewan & Co aber, dem Wagenknecht-Lager keinen Vorwand für seine wohl ohnehin bevorstehende Abspaltung von der Linkspartei zu liefern.
Die Frage, so heißt es aus Parteivorstandskreisen, sei nicht mehr, ob die Wagenknechtianer:innen gehen, sondern nur noch wann – und mit wie vielen. So sollen bereits in Landes- und Kreisverbänden Leute angesprochen werden, ob sie mitgehen. „Mit Befremden hat der Parteivorstand zur Kenntnis genommen, dass bekannte Mitglieder der Linken in verschiedenen Kontexten öffentlich über die Bildung eines konkurrierenden politischen Projekts gesprochen haben und damit die Einheit der Partei Die Linke in Frage gestellt haben“, heißt es dazu in einem Beschluss der Vorstandsklausurtagung.
Bereits Ende August hatte die taz darüber berichtet, dass der frühere Bundestagsabgeordnete Diether Dehm, einer der prominentesten Vertreter des linkskonservativen Flügels, beim UZ-Pressefest der DKP eine Konkurrenzkandidatur bei der Europawahl 2024 ins Gespräch brachte. „Es muss eine Kraft antreten, die diesem Abbruchunternehmen da drüben im Karl-Liebknecht-Haus eine Alternative entgegensetzt“, sagte er dort im Beisein der Linken-Bundestagsabgeordneten Sevim Dağdelen, die – wie auch andere anwesende Linkspartei-Mitglieder – nicht widersprach.
Gerade angesichts der dramatischen sozialen Verwerfungen in Deutschland finde sie es „verantwortungslos, wenn Mitglieder dieser Partei davon sprechen, irgendwie etwas Neues machen zu wollen, die Partei verlassen zu wollen“, sagte Wissler am Sonntag. „Wir haben eine Verantwortung, nicht für uns nur als Partei, sondern für Millionen von Menschen, die uns gewählt haben.“
Aber ist es da wirklich eine gute Idee, auf Durchhalteparolen zu setzen und den mutmaßlichen Spalter:innen weiter das Gesetz des Handelns zu überlassen? Tobias Schulze, stellvertretender Vorsitzender der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hat daran Zweifel: „Wagenknecht und ihr Apparat arbeiten nach ‚Aufstehen‘ zum zweiten Mal an einem konkurrierenden Parteienprojekt“, twitterte er am Samstag. „U.a. damit sie dafür nicht wiederholt die Infrastruktur und Reichweite unserer Fraktion missbrauchen, müssen sie die Fraktion verlassen.“
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?