Strafverteidiger über Letzte Generation: „Geht um Stigma des ‚Kriminellen‘“

Rechtsanwalt Lukas Theune hält die Razzien für politisch motiviert. Die Organisation stelle keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar.

Ein Mann mit Brille schaut in die Kamera

Razzien sollen die Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation einschüchtern, sagt Rechtsanwalt Theune Foto: Wolfgang Borrs

taz: Herr Theune, laut Paragraf 129 Strafgesetzbuch ist eine Vereinigung kriminell, „deren Zweck oder Tätigkeit auf die Begehung von Straftaten gerichtet ist“. Trifft das auf die Letzte Generation zu?

Lukas Theune: Nein, das trifft nicht zu. Die Letzte Generation hat sich zum Ziel gesetzt, Aufmerksamkeit für die Folgen des Klimawandels zu schaffen und Druck auf die Bundesregierung auszuüben, die Klimaziele, zu denen sie sich nach dem Pariser Klimaabkommen verpflichtet hat, einzuhalten.

Der 36-jährige ist Strafanwalt in Berlin und Geschäftsführer des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV), einer seit 1979 existierenden bundesweiten Anwaltsorganisation. Er vertritt unter anderem Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation.

Aber um dieses Ziel zu erreichen, begehen sie hauptsächlich Straftaten?

Die allermeisten Aktionen, die im Namen der Letzten Generation verübt werden, sind Straßenblockaden. Ob die eine Straftat sind oder nicht, lässt sich pauschal nicht sagen, da gilt es den Einzelfall zu prüfen. Für die Blo­ckie­re­r:in­nen spricht die Versammlungs- und Meinungsfreiheit und auch Artikel 20a des Grundgesetzes, der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Dagegen steht das Grundrecht jener, die an der Weiterfahrt gehindert sind. Das muss abgewogen werden.

Bei anderen Aktionen der Letzten Generation, etwa dem Abdrehen von Pipelines oder Flughafenblockaden, ist die Definition der Straftat eindeutiger. Auch sind das Straftaten, die mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind – eine weitere Bedingung für die Ermittlung nach §129.

Faktisch sind fast alle Straftatbestände mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedroht, auch Nötigung. Weil der Tatbestand des Paragrafen 129 so unfassbar weit definiert ist, hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung aber klargestellt, dass die Voraussetzungen für Ermittlungen nur dann vorliegen, wenn die Straftaten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedeuten. Und das ist ganz offensichtlich nicht so. Die Aktionen werden mitten am Tag mit Gesicht in der Kamera begangen, um die Bundesregierung anzuhalten, ihrem Verfassungsauftrag nachzukommen. Es geht nicht darum, die Regierung zu stürzen oder Einzelne in ihren Grundrechten zu treffen.

Wie kann es sein, dass die Berliner Staatsanwaltschaft Ihre Argumentation teilt, man das aber in Bayern und Brandenburg offensichtlich anders sieht?

Die Generalstaatsanwaltschaft in Bayern stützt sich ebenso wie die in Brandenburg auf die symbolische Blockade von Ölpipelines. Hier wird die erhebliche Gefahr konstruiert, dass dadurch das Öl nicht in die Haushalte fließen könne. Dabei gibt es zwei Denkfehler. Erstens müsste man sagen, dass sich die Letzte Generation auf solche Aktionen spezialisiert hat. Das ist aber nicht so, es sind vereinzelte Aktionen aus dem Frühjahr vergangenen Jahres. Zweitens unterscheiden beide Staatsanwaltschaften nicht zwischen symbolischen Protest von faktisch wirkendem. Ich kenne den Schwedter Fall: Das führte gerade nicht dazu, dass tatsächlich die Ölzufuhr für die PCK Raffinerie dauerhaft gesperrt war.

In den bayerischen Ermittlungen wird den Beschuldigten vor allem vorgeworfen, eine Spendenkampagne organisiert zu haben. Wie kann das strafbar sein, wenn bislang noch gar nicht festgestellt wurde, dass es sich um eine kriminelle Vereinigung handelt?

Die gleiche Frage habe ich mir auch zuerst gestellt. Spätestens daran, was Ju­ris­t:in­nen den subjektiven Tatbestand nennen, also den Vorsatz, wird das rechtlich scheitern. Wie soll jemand, der für einen Verein Geld sammelt, der öffentlich auftritt und von der Bundesregierung als Gesprächspartner angesehen wird, davon ausgehen, dass das irgendwie strafbar sein könnte. Das ist natürlich absurd.

Der Paragraf ist politisch unterschiedlich auslegbar?

Absolut. Paragraf 129 war aufgrund seiner schwammigen Formulierung schon immer politisch sehr auslegbar. Bei Ermittlungsbehörden ist er so beliebt, weil er wahnsinnig umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht, die weit über das hinausgehen, was Ermittlungen etwa wegen Nötigung erlauben, etwa Telefonüberwachung, Hausdurchsuchung oder GPS-Peilsender. Ganz selten kommt es zu Anklagen oder gar Verurteilungen, aber darum geht es auch nicht. Vor allem geht es auch um ein Stigma des „Kriminellen“. Damit kann man sich der Erfordernis entziehen, sich inhaltlich mit den Positionen der Gruppe auseinanderzusetzen. Wer kriminell ist, ist raus aus dem Diskurs.

Wieso braucht es so umfangreiche Ermittlungsmaßnahmen bei einer Gruppe, die so transparent ist?

Der Aktionskonsens der Letzten Generation ist es, mit Namen und Gesichtern für das einzustehen, was sie tun. Das klassische Ermitteln, wer hat mit wem was organisiert, braucht es nicht. Das Durchsuchen von Wohnungen oder Abhören von Telefonaten soll vor allem einschüchternd wirken. Das trifft die jungen Leute und soll es auch.

Sie kennen andere Verfahren, in denen es um den Vorwurf der kriminellen Vereinigung geht. Worin unterscheidet sich die Letzte Generation von anderen Gruppierungen?

Die Offenheit, das nichtklandestine Vorgehen ist ein gewichtiger Unterschied. Dazu kommt: Die Forderungen der Letzten Generation sind im politischen Diskurs eher in der Mitte angesiedelt. Das ist nicht besonders radikal. Es wird kein Umsturz der Regierung gefordert, sondern auf relativ einfach umzusetzende Klimaschutzmaßnahmen gedrängt. Das ist zutiefst im Rahmen des Grundgesetzes verankert.

Womit müssen die Betroffenen jetzt rechnen?

Das ist völlig unklar. Die Staatsanwaltschaften haben noch keine Anklagen erhoben. Ich kann mir vorstellen, dass die Verfahren insgesamt wieder eingestellt werden. Möglich ist auch, dass der Vorwurf der kriminellen Vereinigung vor der Anklageerhebung fallen gelassen wird und dann nur einzelne Aktionen angeklagt werden. Die ganzen Ermittlungen wirken chaotisch und konfus, weil gleichzeitig von zwei Staatsanwaltschaften Ermittlungen vorgenommen werden, die sich teilweise überschneiden. Noch vor kurzem hat die bayerische Generalstaatsanwaltschaft noch keinen Grund für solche Ermittlungen gesehen. Jetzt heißt es, sie habe mehrere Anzeigen von Bürgern bekommen; will also zeigen, dass sie im Sinne der wütenden Bevölkerung handelt.

Wäre eine Verurteilung in Bayern oder Brandenburg gleichzusetzen mit einem Verbot der Organisation?

Die strafrechtliche Verfolgung ist zu trennen vom Vereinsrecht. Bestraft werden würden nur Einzelne. Für ein Verbot, wie der PKK oder von Linksunten Indymedia wäre die Bundesinnenministerin zuständig.

Wann wurde der Paragraf eingeführt und wozu war er eigentlich gedacht?

Der Paragraf 129 ist mit Geburt des Strafgesetzbuches 1872 eingeführt worden und diente ursprünglich der Verfolgung der gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie. Der Reichsgesetzgeber wollte den Sumpf des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins, der gerade seinen 160. Geburtstag feiert, trockenlegen. 2017 wurde eine Ausweitung beschlossen. Die EU wollte, dass Vereinigungen verfolgt werden müssen, deren Zweck die Begehung von Straftaten ist, die von mindestens vier Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind und die sich einen finanziellen Vorteil verschaffen wollen. Diese Einschränkung des finanziellen Vorteils setzte die Große Koalition aber nicht um.

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