Staatsknete für Kreuzfahrtschiffe: Große Werft, kleiner Fluss
Die Papenburger Meyer-Werft baut riesige Kreuzfahrtschiffe weit im Binnenland. Jetzt braucht sie 2,7 Milliarden Euro vom Staat.
W enn die Kreuzfahrtschiffe der Papenburger Meyer-Werft ausgeliefert werden, lässt das nur die Schafe kalt. Die grasen friedlich weiter, während ein Schiff von der Größe einer Kleinstadt an ihnen vorbei geschleppt wird. Links und rechts sind nur wenige Meter Platz, obwohl die schmale Ems hier im Binnenland eigens gestaut wird für die riesigen Schiffe.
Eine Werft rund 35 Kilometer im Binnenland muss kein Problem sein – sofern der Fluss und die Schiffe zusammenpassen. An der Ems in Papenburg tun sie das schon lange nicht mehr. Damit ein Meyersches Kreuzfahrtschiff zur See fahren kann, musste die Ems vertieft, ein Sperrwerk gebaut und laufend gebaggert werden. Hunderte Millionen Euro haben der Bund und das Land Niedersachsen schon dafür ausgegeben. Und gerade sieht es wieder einmal so aus, als könnte alles für die Katz gewesen sein.
Wie Ende Mai bekannt wurde, befindet sich die Werft in einer „angespannten finanziellen Lage“ – ein Euphemismus, wie sich kurze Zeit später herausstellte: Der Werft fehlen gut 2,7 Milliarden Euro.
Die Finanzierungslücke entstand durch die Nachwirkungen der Coronapandemie: Schiffe wurden unter Quarantäne gestellt, Reisen abgesagt, Bestellungen blieben aus. Dazu kam noch der russische Angriff auf die Ukraine, der die Energie- und Rohstoffpreise steigen ließ.
Thomas Gelder, Bevollmächtigter der IG Metall in Leer und Papenburg, spricht von der „größten Krise seit Gründung der Werft 1795“. Auf dem Spiel stehe der Fortbestand des Unternehmens in Papenburg und Rostock.
Die Verträge für die Kreuzfahrtschiffe waren zum Teil vor der Pandemie abgeschlossen worden und enthielten keine Anpassungsklauseln für steigende Energie- und Rohstoffpreise. Heißt: Die Werft hat höhere Kosten, kann diese aber nicht an ihre Kunden weitergeben. Dazu kommt, dass die Werft wie in der Branche üblich 80 Prozent des Kaufpreises erst bei der Auslieferung erhält. Den Rest muss sie zwischenfinanzieren. Das wurde zum Problem, als die Reeder während der Pandemie zögerten, die Schiffe abzunehmen und dementsprechend auch kein Geld floss.
Als die Probleme sichtbar wurden, baute der Firmenpatriarch Bernard Meyer die Geschäftsführung um und holte den Sanierungsexperten Ralf Schmitz an Bord. Meyers Söhne verließen die Geschäftsführung, einer kümmerte sich jetzt um die Meyer-Werft im finnischen Turku, ein anderer um Produktinnovationen und das neue Geschäft mit Konverterplattformen für Offshorewindparks. Anfang Juli hat die Werft mit dem Bau einer solchen Anlage begonnen, die den Wechselstrom der Windkraftanlagen für den Transport an Land in Gleichstrom verwandelt.
Das macht Hoffnung für die Zukunft, ändert aber nichts am Handlungsbedarf. Sanierer Schmitz jagte den Arbeitnehmervertretern einen Schrecken ein, als er in Juni ankündigte, 440 Stellen in Papenburg abzubauen. 3.300 Mitarbeiter hat die Werft in Papenburg, zusammen mit den Werften in Rostock und Turku sind es insgesamt 7.000.
Ganz so schlimm wird es wohl nicht kommen mit dem Stellenabbau. Für die Papenburger Belegschaft haben Betriebsrat, IG Metall und Geschäftsführung eine Perspektive entwickelt: Die Arbeitnehmerseite stimmte dem Abbau von 340 Stellen zu, der ohne betriebsbedingte Kündigungen umgesetzt werden soll. Bis Ende 2030 soll die Werft in Papenburg mindestens 3.100 Mitarbeiter beschäftigten, davon mindestens 1.200 nach Tarif. Wie viele über Werkverträge beschäftigt werden, darüber soll die Arbeitnehmerseite künftig mitreden.
Ob sich das Arbeitsplatzversprechen halten lässt, hängt davon ab, ob Land und Bund mit Steuergeldern aushelfen und so die bis Ende 2027 bestehende Finanzierungslücke schließen. Es geht um 2,3 Milliarden Euro Bürgschaften der öffentlichen Hand für Bankkredite und an die 400 Millionen Euro zusätzliches Eigenkapital. Die Bürgschaften seien für die Vorfinanzierung zweier Schiffsneubauten bestimmt, sagt Schmitz.
Dass der Bund und die Länder den Werften mit Finanzierungsbürgschaften aushelfen, kommt häufiger vor und ist auch in einigen Fällen schon schief gegangen, sodass die öffentliche Hand auf Milliardenschulden sitzen blieb. Bevor der Steuerzahler zur Rettung der Werft einspringt, will der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) deshalb das Ergebnis eines Gutachtens zur Perspektive des Unternehmens abwarten. „Ansonsten wird sich die öffentliche Hand nicht engagieren können“, sagte er dem Ostfriesischen Kurier.
Bei dem Gutachten handele es sich um einen Private Investor Test, sagt Christian Budde, Sprecher des niedersächsischen Wirtschaftsministeriums der taz. Damit stellen EU-Mitgliedsländer sicher, dass ihre Unterstützung von Firmen nicht gegen die Beihilfe-, also Subventionsregeln verstößt. Daneben lasse die Werft prüfen, wie groß die Chancen für eine erfolgreiche Sanierung sind.
Im Gespräch ist dabei auch ein direkter Einstieg der öffentlichen Hand beim Unternehmen, um dessen Eigenkapital zu stärken. Priorität hat aus Sicht des Landes Niedersachsen aber die Suche nach einem Investor, der sich engagieren könnte. „Das Land hat sicher keinen Ehrgeiz, sich operativ zu betätigen“, sagte Ministerpräsident Weil.
Künftig mit Aufsichtsrat
Eine Forderung, die das Land zur Voraussetzung für die umfangreichen Hilfen gemacht hat, ist inzwischen erfüllt: Die Meyer-Werft wird künftig einen Aufsichtsrat haben und einen Konzernbetriebsrat, der die Mitbestimmung der Arbeitnehmer gewährleistet. Auch soll der Firmensitz wieder von Luxemburg nach Deutschland verlegt werden.
Bernard Meyer hatte den Sitz seines Unternehmens 2015 in das ehemalige Briefkastenfirmenparadies verlegt – ausdrücklich um keinen Aufsichtsrat einrichten zu müssen. Ein Aufsichtsrat sei hinderlich bei den Verhandlungen mit potenziellen Auftraggebern und könnte rasche Entscheidungen verhindern, argumentierte Meyer damals. Mancher Auftrag wäre dem Unternehmen dadurch womöglich entgangen, behauptete er unter Verweis auf kurz zuvor abgeschlossene Verhandlungen. Nicht auszuschließen, dass ein Aufsichtsrat Preisanpassungsklauseln in den Verträgen mit den Reedereien gefordert haben würde.
Die Frage eines Aufsichtsrates habe die niedersächsische Landesregierung schon lange umgetrieben, sagt Ministeriumssprecher Budde. Schließlich sei die Meyer-Werft ja „kein mittelständisches Unternehmen mehr“, sondern ein großer Player. Ein Neustart müsse deshalb transparent und mitbestimmt sein.
Für den Wunsch, den Unternehmenssitz zurück ins Emsland zu verlegen, seien keine steuerlichen Gründe maßgeblich gewesen. „Meyer ist ein Unternehmen, das engstens von der Landesregierung begleitet wird“, sagt Budde. Das Land habe die Werft auf vielfache Weise unterstützt, etwa mit dem 2002 eröffneten Emssperrwerk und dem Masterplan Ems.
Tatsächlich haben das Land und der Bund Hunderte Millionen Euro ausgegeben, um es der Werft zu ermöglichen, immer größere Schiffe zu bauen. Die Ems wurde zwischen 1985 und 1992 drei Mal von 5,70 auf 7,30 Meter vertieft. Und weil das nicht reichte, kam das Sperrwerk bei Gandersum kurz vor der Mündung des Dollarts hinzu. Das Sperrwerk dient auch dem Küstenschutz, wird aber hauptsächlich dazu verwendet, die Ems aufzustauen, wenn mal wieder ein großes Schiff auslaufen muss.
Die Vertiefungen wie die Staus haben massive ökologische Folgen für den Fluss. Aufgrund der Nähe zur Nordsee und des flachen Landes ist die Ems bis hinauf nach Papenburg der Tide ausgesetzt. Im Gefolge der Vertiefungen ist der vom Meer kommende Flutstrom schneller und heftiger geworden, sodass er mehr Schlick und Sand die Ems hinauf trägt als der Ebbstrom mit ins Meer nehmen kann. In der Ems ist das Problem gravierender als in den ebenfalls vertieften und tidebeeinflussten Nachbarströmen Elbe und Weser: In der Ems finden sich 100- bis 1.000-mal mehr Schwebstoffe.
Die Werften
Der allergrößte Teil der Kreuzfahrtschiffe wird in Europa gebaut, und zwar von drei großen Werftengruppen. Die meisten Kreuzfahrtschiffe hat nach eigenen Angaben die französische Werft Chantiers de l‘Atlantique gebaut. Es folgt die italienische Werft Fincantieri mit 100 Schiffen und die Papenburger Meyer-Werft mit 58. Zu Meyer gehört auch eine Werft im finnischen Turku, die ebenfalls Kreuzfahrtschiffe baut, und die Neptun-Werft in Rostock, die sich auf Flusskreuzfahrtschiffe und Spezialschiffe konzentriert. Die Werft in Turku hat Meyer 2014 gekauft, um einen Größenvorteil zu bekommen und seine Auslastung zu optimieren.
Die Schiffe
Kreuzfahrtschiffe sind schwimmende Hochhäuser mit dem Angebot von Kleinstädten. Meyer Papenburg hat im vergangenen Jahr die „Carnival Jubilee“ ausgeliefert. Mit einer Bruttoraumzahl (BRZ) von 183.000, 345 Metern Länge, 45 Metern Breite und 20 Decks bietet sie Platz für 5.228 Passagiere in 2.626 Kabinen. Dazu kommt eine Crew von 1.551 Mann. Das bisher wohl größte Kreuzfahrtschiff, die „Icons of the Sea“, hat Meyer in Turku gebaut. Es hat eine BRZ von 250.000, ist 365 Meter lang und 67 Meter breit. Solche Schiffe bieten Restaurants, Veranstaltungssäle, Spas, Außenschwimmbecken, Joggingstrecken und Kletterwände.
Seit den 1990er Jahren hat sich das Sediment in manchen Bereichen zu flüssigem Schlamm verdichtet, der im Strom hin und her schwappt. Darin regt sich kein Leben. Parallel dazu hat aufgrund der Trübung der Sauerstoffgehalt im Wasser abgenommen. Besonders im Sommer, wenn das Wasser ohnehin weniger Sauerstoff lösen kann, ersticken die Fische in weiten Teilen der Ems.
Um der öffentlichen Kritik zu begegnen und europäischen Umweltvorschriften Genüge zu tun, setzte eine rot-grüne Landesregierung den Masterplan Ems ins Werk. Im Mai 2014 hatte die EU-Kommission angedroht, ernsthaft ein Vertragsverletzungsverfahren einzuleiten, wenn Deutschland nicht endlich etwas gegen den schlechten Zustandes der Ems unternehme. Die Kommission monierte Verstöße gegen die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, die Vogelschutz- und die Wasserrahmenrichtlinie. Diese schreibt vor, dass die europäischen Gewässer bis allerspätestens 2027 in einem guten chemischen und ökologischen Zustand sein müssen.
In der Folge setzte sich das Land mit der Politik vor Ort, der Meyer-Werft, Umweltverbänden sowie der Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt zusammen, um einen Kompromiss zwischen Fluss und Werft, Naturschutz und Wirtschaft zu finden. Es geht darum, des Schlickproblems Herr zu werden, die Wasserqualität zu verbessern, typische Lebensräume wiederherzustellen – aber auch freie Fahrt zu den Häfen an der Ems zu gewährleisten.
Konkret ist im Rahmen des Masterplans damit begonnen worden, dem Fluss wieder mehr Raum zu geben. Der Bau eines ersten Tidepolders in Coldemüntje hat begonnen, eines eingedeichten Gebiets, das mit einem Sperrwerk für Ebbe und Flut geöffnet wird. Dadurch soll eine Flachwasserzone mit Röhricht, Sand- und Schlickwatten sowie Tideauwald geschaffen werden. Wenn alles läuft wie geplant, werden sich hier in Zukunft Rohrsänger, Schwirle, Blaukehlchen und Rohrweihen tummeln und vielleicht auch Fische durch die Röhren im Deich schwimmen wie der Dreistachliger Stichling, die Flunder und der Aal.
Um den Masterplan umsetzen zu können, müssen für derartige Flächen 500 Hektar Land gekauft werden. Dazu kommen 200 Hektar, die den Wiesenvögeln zugute kommen sollen. In Summe ist das viermal mehr als die Fläche der Hamburger Außenalster. Bei den Bauern im Emsland weckte das Befürchtungen, ihre Äcker hergeben zu müssen, weshalb der Suchraum für die 700 Hektar extra weit geschnitten wurde.
Hoffnungsträger Emssperrwerk
Geplant ist auch eine neue Treppe für Wanderfische an einem Stauwehr hinter Papenburg, das Aufbrechen von Uferbefestigungen und der Abbau von Sommerdeichen, sodass die Ems wieder eine natürlichere Gestalt annehmen kann. Große Hoffnungen, der Verschlickung beizukommen, sind mit dem Emssperrwerk verbunden. Im Rahmen des Masterplans wurde 2020 versucht, das Sperrwerk dafür zu nutzen, um Ebb- und Flutstrom einander anzugleichen und so den Schwebstoffanteil im Wasser zu verringern.
Der Versuch verlief erfolgreich, sodass der Lenkungskreis des Masterplans 2023 beschloss, ein Genehmigungsverfahren einzuleiten. Nötig ist das, weil das Emssperrwerk lediglich für den Sturmflutschutz und das Aufstauen zur Schiffsüberführung genutzt werden darf.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Dass sich der ganze Aufwand lohnt, davon ist Hartmut Neumann von der Industrie- und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg überzeugt. Die Meyer-Werft habe wegen der vielen Zulieferbetriebe eine riesengroße Bedeutung über die eigene Belegschaft hinaus. In der Region gebe es nur wenige Unternehmen von ähnlichem Format wie das VW-Werk in Emden und den Windkraftanlagenbauer Enercon mit Sitz in Aurich. „Wenn Meyer hustet, bekommt die Region eine Lungenentzündung“, sagt Neumann.
„Ohne die Meyer-Werft würde Deutschland seine Kompetenz im zivilen Schiffbau verlieren“, warnt Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD). Schon wegen der nationalen Sicherheit müsse sichergestellt werden, dass Deutschland ausreichend Werftkapazitäten habe.
Der Minister mahnt deshalb zur Eile: „Wir haben keine Zeit, um zu taktieren, wer jetzt wie viel übernimmt“, sagte er der dpa. Bund und Länder müssten schnell entscheiden, wer welche Anteile tragen könnte. „Es wäre fatal, auf den anderen zu zeigen“, sagte Lies. Die wesentlichen Frage müssten noch diesen Monat geklärt werden.
Aus Sicht des Sanierers Schmitz sollte bis September ein Gesamtpaket geschnürt werden, damit die Werft bis 2027 durchhalten kann. An Arbeit mangelt es nicht. Mehrere Schiffe sind im Bau und erst vor ein paar Tagen kam ein vielversprechender Auftrag dazu: Erstmals bestellte die japanische Oriental Land Company ein Kreuzfahrtschiff für den japanischen Markt. Der Auftragswert soll bei deutlich über einer Milliarde Euro liegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen