Spitzenkandidat*innen für Landtagswahlen: Grüner und weiblicher
Die Grünen in Berlin küren Bettina Jarasch zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2021. In BaWü darf Kretschmann feiern.
Landes- und Fraktionsvorstand der Partei hatten Anfang Oktober überraschend Jarasch als Spitzenkandidatin vorgeschlagen. Favoritinnen waren eigentlich Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (in Berlin heißen die Landesminister Senatoren, d. taz) und Fraktionschefin Antje Kapek – in den vergangenen Jahren ihre bekanntesten Gesichter der Grünen. Als Grund gelten Schwierigkeiten, den Landesverband geschlossen hinter eine der beiden zu bekommen.
Jarasch war zwar von 2011 bis 2016 Parteivorsitzende der Berliner Grünen und führte in dieser Zeit mit ihrem Co-Vorsitzenden einen zeitweise tief gespaltenen Landesverband wieder zusammen. Nachdem sie sich aber Anfang 2017 vergeblich um eine Kandidatur für die Bundestagswahl bewarb, verschwand sie auf Jahre aus der vordersten Reihe und agierte als religions-und flüchtlingspolitische Sprecherin der Abgeordnetenhausfraktion. Außerhalb der Partei gilt sie weithin als unbekannt.
In ihrer 25-minütigen Bewerbungsrede am Samstag sah sich Jarasch an einem zentralen Punkt der Berliner Geschichte und als mögliche Regierungschefin in einer Reihe mit den früheren Stadtoberhäuptern Adolf Wermuth, Willy Brandt und Richard von Weizsäcker. „Es geht um nicht weniger, als den Planeten zu retten“, sagt die 52-jährige gebürtige Augsburgerin, die für ein Politologie-Studium nach Berlin kam, dem Realo-Lager der Partei zugerechnet wird und stark in der katholischen Kirche engagiert ist.
Kritik an Koalitionspartner SPD
Jarasch stellte ebenso wie der Landesvorstand in einer kurzen Rede die Grünen als treibende Kraft in der jetzigen rot-rot-grünen Landesregierung dar und als verantwortlich für mehr Mieterschutz, den Beginn einer Mobilitätswende und mehr Ökologie in der 3,8-Millionen-Stadt. In Richtung des grünen Regierungspartners SPD sagte Jarasch, es sei nicht verantwortungsvoll, „wenn ihr jetzt so tut, als wärt ihr die Opposition.“
Annalena-Baerbock, Grünen-Bundesvorsitzende, über Jarasch:
Die Berliner Sozialdemokraten hatten zwei Wochen zuvor bei einem Parteitag Bundesfamilienministerin Franziska Giffey zur Landesvorsitzenden gewählt und zwei Tage später auch zur Spitzenkandidatin gekürt. Michael Müller als aktueller Regierende Bürgermeister, wie der Ministerpräsident in Berlin heißt, tritt nicht erneut an. Er will stattdessen in den Bundestag und strebt ein Ministeramt an.
Gleich zwei mal versprach Jarasch, dass die Grünen eine Klimawende sozialverträglich gestalten würden – die SPD hatte der Partei zuletzt mehrfach vorgeworfen, das außer Acht zu lassen. „Ohne soziale Nachhaltigkeit keine ökologische Transformation“, sagte Jarasch. Ihr Regierungsstil soll ausdrücklich kein Macher-Stil sein, sondern einer, der vorrangig auf Bündnisse und Kompromisse setzt. Als Beispiel nannte Jarasch einen „KlimabürgerInnen-Rat“, den ihre Fraktion am Dienstag beschlossen habe. Das soll laut Jarasch zu „radikal-vernüftigen Lösungen“ führen. „Zusammen noch viel weiter“ war auch das Motto des Parteitags.
In einer Videobotschaft hatte Grünen-Bundesvorsitzende Annalena Baerbock für Jarasch geworben: Die sei „aus Augsburg und doch vom Land, gläubig und grün – eine Frau mit Power, eine Mutter, die weiß, was wirklich zählt, wenn es darum geht Prioritäten zu setzen.“
Kretschmann siegt bei Parteitag in Baden-Württemberg
Auch in Baden-Württemberg versammelten sich am Samstag die Grünen zum digitalen Parteitag. Dort bestätigten sie Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann mit 91,47 Prozent als Spitzenkandidaten. Es dürfte das wohl letzte Mal sein. Kretschmann möchte nach der jetzigen, dritten Kandidatur, nicht noch mal antreten. Und die Grünen im Südwesten wissen, was sie an dem grünen Konservativen haben. Nur er kann einen weiteren Wahlerfolg garantieren.
Kretschmann dankt spitzbübisch für das Ergebnis, auch für die Abgabe der wenigen Gegenstimmen. Das zeige, dass die Wahl echt ist, sagt er.
Bei der letzten Landtagswahl 2016 sah es schon einmal so aus, als würde der erste Grüne Ministerpräsident eine Episode in dem ansonsten fast immer schwarz regierten Baden-Württemberg bleiben. Doch wenn auch von beiden Seiten ungewollt, war es die AfD, die mit ihrem Einzug ins Parlament der CDU entscheidende Sitze wegnahm und den Grünen die Mehrheit sicherte. Mit gravierenden Folgen für die politische Kultur im Land.
Diesmal könnte eine Kleinstpartei vom Fleisch der Grünen dafür sorgen, dass es gerade nicht mehr reicht für einen Grünen Ministerpräsidenten: Die Klimaliste ist noch damit beschäftigt, in jedem Wahlkreis überhaupt genügend Unterstützer zu finden. Doch hat Kretschmann sie schon vor Wochen zum politischen Gegner geadelt. Sie könnten schon jetzt dafür sorgen, dass sich die Kretschmann-Grünen in diesmal Wahlkampf nicht bis zur Verwechselbarkeit der CDU anverwandeln.
Kohleausstieg 2030
Schon beim letzten Parteitag in Sindelfingen hatte Kretschmann gesagt, dass die Fridays-For-Future-Bewegung ihm zu einem „radikaleren Sound“ verholfen hatte. Natürlich appelliert Kretschmann trotzdem auf dem Parteitag in Reutlingen gewohnt präsidial an den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Aber er watscht auch gleich die Corona-Demonstranten ab „die wohl eher verquer als quer denken“. Er lobt pflichtgemäß den schwäbischen Tüftlergeist, der die Grundlage für den baden-württembergischen Wohlstand sei. Aber er sagt auch, dass die tiefgreifenden Veränderungen gestaltet werden müssen. Etwa die Dekarbonisierung von Industrie und Individualverkehr. Dazu gehöre auch ein Kohleausstieg schon bis 2030.
Es geht den Landes-Grünen nach zehn Jahren als Regierungspartei an diesem Wochenende darum, ein Bild der Ge- und Entschlossenheit abzugeben. Zuletzt hatte das gelitten. Da ist koalitionärer Kleinkampf mit Kultusministerin Susanne Eisenmann über die Frage, ob und wann die Schulen vor den Weihnachtsferien wegen der Pandemie geschlossen werden. Eine Debatte, die weder Kretschmanns Herausforderin noch den Grünen genutzt hat. Zumal er sich doch eigentlich mit der CDU-Spitzenkandidatin darauf verständigt hatte, keinen Wahlkampf mit Corona zu führen.
Und da muss ausgerechnet der grüne Umweltminister Franz Untersteller mit über 170 in der 120er-Zone gestoppt werden. Vor allem aber haben die Grünen die Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart leichtfertig aus der Hand gegeben. „Ein Schuss vor den Bug sei das gewesen“, sagt Kretschmanns Regierungssprecher und grüner Langzeitstratege Rudi Hoogvliet in der Stuttgarter Zeitung. Und warnt: „Wir werden die Landtagswahl nicht im Schlafwagen gewinnen.“
Winfried Kretschann, grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Deshalb würzt die grüne Landesvorsitzende Sandra Detzer ihre Begrüßungsworte auf dem Parteitag mit viel Pathos und einem bemerkenswert anhaltenden Lächeln. Aber sie setzt auch den ersten Akzent gegen die CDU als Koalitionspartner, der ein Klotz am Bein der Grünen gewesen sei. Die CDU habe eine Reform des Wahlrechts und an vielen Stellen mehr Klimaschutz verhindert. Das ist schon richtig, lag aber wohl auch daran, dass der Ministerpräsident in den letzten fünf Jahren lieber das eine oder andere Grüne Ziel hintanstellte – um des lieben Koalitionsfriedens willen. Und so weigert sich Kretschmann, im heraufziehenden Wahlkampf eine Koalitionsaussage zu treffen.
Dass der Parteivorstand eine rot-rot-grüne Regierung ins Spiel gebracht hat, dürfte Kretschmann nicht gefallen, zumal die Linkspartei wenig Aussicht auf einen Einzug in den Landtag hat und die Landes-SPD wegen chronischer Schwäche als alleiniger Partner ausfallen dürfte.
Auf dem Landesparteitag, der wegen der Pandemie wie überall nur digital stattfindet, präsentieren sich die Grünen deshalb grüner, als sie es sich das im letzten Wahlkampf getraut haben. Ein erster Wahlwerbespot listet die umweltpolitischen Erfolge der beiden grünen Regierungsperioden vom Nationalpark bis zum Artenschutzgesetz auf. Robert Habeck sagt in einer Videobotschaft, Kretschmanns Regierungszeit sei eine „Grünpause“ für die Bundespartei. Schließlich wird von der ersten Landtagswahl im Jahr 2021 ein wichtiges Signal für die Grünen im Bund ausgehen. Kretschmann, vom Lob des Bundesvorsitzenden und dem Wahlergebnis sichtlich geschmeichelt, sagt: „Ich werde alles geben.“
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