Vor Landtagswahl in Baden-Württemberg: Strategiestreit bei der Klimaliste
Zwei Gründungsvorstände verlassen die junge Kleinstpartei. Sie fürchten, der Antritt bei der Landtagswahl könnte das öko-progressive Lager spalten.
KARLSRUHE taz | Stärkt oder spaltet die neue Klimaliste das öko-progressive Lager? Diese Diskussion hat Winfried Kretschmann schon im Herbst aufgeworfen, als er die junge Partei kurz nach ihrer Gründung als gefährlich bezeichnet hat, weil sie die Grünen wichtige Prozente kosten könnte.
Jetzt, nachdem die Kleinstpartei in fast allen 70 Wahlkreisen Baden-Württembergs Kandidaten aufgestellt hat, sehen auch Gründungsmitglieder der jungen Partei plötzlich diese Gefahr. Die Vorstände Jessica Stolzenberger aus Freiburg und Jessica Hubbart aus Calw haben deshalb ihre Landtagskandidatur zurückgezogen und wollen aus der Partei austreten.
Zuvor hatten die beiden gefordert, dass die Partei auf einen Antritt bei der Landtagswahl verzichtet. „Mir war das Risiko zu hoch, dass unsere Stimmen für das Klima verloren gehen“, sagt die junge Frau, die über ihr Engagement bei Fridays for Future zur Klimaliste gekommen war.
Der Auslöser für den Rückzug ist für sie, dass die Landespartei der Grünen das 1,5-Grad-Ziel bis 2035 ins Wahlprogramm geschrieben hat und diesem Beispiel auch SPD und Linkspartei gefolgt sind. „Dass sich die Grünen unter jemandem wie Kretschmann so bewegt haben, ist ein großer Erfolg von FFF und der Klimaliste“, sagt Stolzenberger. Damit habe die Partei ein wesentliches Ziel erreicht. Gleichzeitig habe die Klimaliste aber ihr „Alleinstellungsmerkmal verloren“.
Misstrauen gegen die etablierten Parteien
Zudem habe ihr der Stuttgarter Oberbürgermeister-Wahlkampf gezeigt, was passiert, wenn sich das progressiv-ökologische Lager spalte, sagt Stolzenberger. In Stuttgart hat im Dezember mit Frank Nopper ein CDU-Kandidat gewonnen, obwohl der unabhängige SPD-Mann Schreyer und Hannes Rockenbausch von Stuttgart Ökologisch Sozial (SÖS) zusammen mehr Stimmen errungen hatten. Doch eine Einigung auf einen gemeinsamen Kandidaten war zwischen Grünen, SPD und SÖS gescheitert.
Die andere Seite bei der Klimaliste bemüht sich um Schadensbegrenzung. Der Strategiestreit und der Rückzug der beiden Klimalisten-Gründerinnen sei keine Spaltung der Partei, betont Sandra Overlack, Vorstandsmitglied und weiterhin Landtagskandidatin der Klimapartei, gegenüber der taz. Die Mitglieder hätten sich im Januar in einer Befragung für das Antreten der Partei bei der Landtagswahl ausgesprochen. Den beiden Rücktritten seien nur noch zwei weitere Landtagskandidaten gefolgt.
Auf dem Parteitag Anfang Februar, auf dem auch das endgültige Wahlprogramm beschlossen werden soll, sollen auch Nachfolger für die ausgeschiedenen Vorstände gewählt werden. Aber auch Overlack sieht das Dilemma der Partei, grüne Stimmen zu binden und so der CDU-Kandidatin Eisenmann ins Ministerpräsidenten-Amt verhelfen zu können. Aus Sicht der Klimaliste die schlechteste Option.
Aber auf der anderen Seite könne man eben auch nicht sicher sein, dass die Grünen in einer neuen Regierung das 1,5-Grad-Ziel durchsetzten, sagt Overlack. Dahinter steckt Misstrauen gegen die etablierten Parteien bei der Klimapartei, besonders gegen die Grünen.
Und auch wenn sich beide Seiten in der Partei darum bemühen, den Konflikt auf sachliche Fragen zu reduzieren, wurde die Auseinandersetzung im Vorstand offenbar recht persönlich ausgetragen. So steht gegen die ausgetretenen Gründungsmitglieder der Vorwurf im Raum, „von den Grünen gekauft worden zu sein“.
Stolzenberger dagegen bezeichnet das Misstrauen einzelner Vorstandsmitglieder der Klimapartei gegen die Grünen als „irrational“. Stolzenberger will sich jetzt wieder mehr bei Fridays for Future engagieren. In einem Statement via Twitter ruft sie dazu auf, bei der Landtagswahl im März „aktivistisch zu denken“. Eine Wahlempfehlung für die Klimaliste ist das ausdrücklich nicht.
Leser*innenkommentare
Tae Ezr
Wenn die Grünen in die Mitte rücken, muss jemand die Öko-Lücke die sie hinter lassen füllen.
Natürlich hätte man auch versuchen können, die Lücke mit Ödp oder Linken zu füllen.
Aber "Klima" ist deutlich populärer als "Ödp" oder "Linke" in Baden-Württemberg.
Die Öko-Bewegung wird natürlich gestärkt wenn die Grünen in die Mitte rücken. Dadurch werden die Grünen von mehr Menschen gewählt.
Das es jetzt noch eine ökologischer Partei gibt, als die Grünen, unterstreicht nur die Strategie der Grünen als Partei der Mitte und macht sie für noch mehr Menschen wählbar.
Barti
Nach der Blianz der letzten Jahre kann man nicht sagen, dass es die Klimabewegung schwächen würde, wenn die Grünen Prozente verlieren.
Die Grünen sind keine Umwelt- oder Klimaschutzpartei mehr.
Das sieht man unter anderem überall wo es die Grünen in die Landesregierung geschafft haben.
Es gibt nicht umsonst das Sprichwort "Sobald die Grünen gewähl werden werden sie schwarz."
Die Klimaliste wurde in der Metropolregion nürnberg zuerst gegründet. Da ist das passiert weil der Klimabewegung die Klima- und Umweltschutzpolitik der Grünen bei Weitem nicht gereicht hat.
Die Klimaliste ist eine direkte Konsequenz mangelhafter Klimapolitik der Grünen.
Das jetzt als Schwächung oder Spaltung der Klimabewegung darzustellen ist einfach nur Spalterei.
Ajuga
Mit dem Rückzug von Stolzenberger und Hubbart ist die Klimaliste ein von besserverdienenden Männern aus energieaufwendigen Tech-Berufen dominierter Verein. Also exakt die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die seinerzeit die Piraten versenkt hat. Dort meinte am Ende eine elitäre relativ gutverdienende Herrenriege, dass es keine sozialen Probleme gäbe außer Datenschutz, und dass generell alle Probleme durch Technik lösbar sind. Der Gesamtbevölkerung ging das am Allerwertesten vorbei, und die Piraten gingen den Weg der Autofahrerpartei, der Biertrinkerpartei, und jeder anderen xbeliebigen Ein-Themen-Partei.
Schade, denn auf Kretschmann kann man wirklich verzichten - vor allem, wenn man politisch zu den Grünen tendiert.
Andererseits: ein Versagen mit Ansage, denn eine Partei muss eben eine umfassende Programmatik vorlegen können, um bei Wahlen nicht bloß ähnlich aber nicht identisch gesonnenne Parteien möglicherweise entscheidende % wegzunehmen - wer ein Thema weit vor allen anderen bearbeiten will, ist mit einer Bürgerinitiative o.ä. besser bedient, denn eine Partei bringt einen erheblichen logistischen Aufwand mit sich und bindet wichtige Kräfte. Insofern also eine absehbare Entwicklung, geboren aus politischer Unkenntnis und Blauäugigkeit. Und angesichts dessens tellt sich die Frage, ob ein Erfolg genutzt hätte, oder nicht sogar in vielen Belangen geschadet. Herumstümpern kann sich die Klimapolitik nicht erlauben, selbst wenn es noch so "gut gemeint" ist. Außerhalb der Parteipolitik, das zeigt XR, kommt man aber mit "gut gemeint" tatsächlich sehr weit. Und von Stolzenberger und Hubbart ist zu erwarten, dass sie in Zukunft - von der Bürde der Vorstandsarbeit befreit - sich noch kräftiger ins Zeug legen werden. Dass sie ihre Eitelkeit gegenüber ihrem Ziel zurückstellen können, haben sie ja bewiesen. Ihnen also viel Glück und Erfolg!
Britzer
Eine große Stärke der Linken ist immer der Kampf gegen die „nicht-ganz-Linken“ und Halblinken. Und natürlich die, die nur links tun. In diesem Bereich waren die Linken schon immer erfolgreich und es macht ja auch mehr Spaß, als sich an den Rechten abzuarbeiten.
Auch in BW ist man dabei diesen erfolgreichen Weg fortzusetzen. Auf den Bänken der Opposition kann man dann aber die Fahne der reinen Lehre besonders hoch halten.
tomás zerolo
Schwierige Sache. Beide Seiten haben meine Sympathie.