Spekulativer Leerstand in Berlin: Leer ist lukrativer

Eine Kampagne prangert spekulativen Leerstand in Berlin an. Laut Mieterverein handele es sich um ein wachsendes Problem infolge des Mietendeckels.

Ein Briefkasten, auf denen die Namen fehlen.

An dieser Stelle könnten Namen stehen, wenn es keinen spekulativen Leerstand gäbe Foto: imago

BERLIN taz | Die Wohnungssuche hat sich nach Beobachtungen vieler durch den Mietendeckel noch einmal erschwert: Immobilienportale sprechen von 25 Prozent weniger Angeboten und von im Schnitt 137 Anfragen pro Inserat, auch wenn gleichzeitig die Mieten erstmals seit Jahren gefallen seien.

Wie aber lässt sich das erklären? Gibt es weniger Umzüge, obwohl es erstmals seit Langem zumindest leistbar wäre umzuziehen, weil Vermieter wegen des Mietendeckels keine horrenden Mieten bei Wiedervermietungen nehmen können?

Einige glauben, dass Ver­mie­te­r:in­nen derzeit ihre Wohnungen nach einem Auszug absichtlich leer stehen lassen, weil eine Wiedervermietung zu Mietendeckel-Konditionen nicht genug Rendite abwirft. Der spekulative Leerstand könnte in Berlin also als Nebeneffekt des Mietenstopps gestiegen sein.

Als Vermieter darf man in Berlin eine Wohnung nicht länger als drei Monate leer stehen lassen. Das Zweckentfremdungsverbotsgesetz soll gegen Ferienwohnisierung und Leerstand helfen, wird aber wegen seiner Ausnahmen kritisiert und weil es häufig nicht greift.

Leerstand nimmt offenbar zu

Um spekulativen Leerstand zu problematisieren, hat sich in Mitte nun die Kampagne „Leerstand in Berlin-Mitte“ der Mie­te­r:in­nen­in­itia­ti­ve „Mietenwahnsinn Nord“ gegründet. Sie will das zuständige Bezirksamt zwingen, gemäß Zweckentfremdungsverbot tätig zu werden.

Deswegen macht die Kampagne nun auf Leerstand an drei Adressen in Gesundbrunnen aufmerksam: Ein seit geraumer Zeit leer stehendes Vorderhaus in der Osloer Straße, das offenbar teilweise Baustelle ist und in ein Hotel umgewandelt werden sollte. Ebenso ein dazugehöriges Haus in der Stettiner Straße, das seit zehn Jahren leer stehen soll.

Die Sammlung Seit Freitag sammeln über 1.700 Aktivist:innen Unterschriften für das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. Enteignen. Die Kampagne will große Wohnkonzerne vergesellschaften. Für einen Volksentscheid werden über 175.000 Unterschriften in vier Monaten benötigt. Laut Kampagne sind in Neukölln an den 2 Tagen 6.000 Unterschriften zusammengekommen.

Die Unterschriften-Listen für das Volksbegehren sind unter Hygienegrundsätzen (Abstand, Desinfektionen, Masken) an öffentlichen Plätzen unterschreibbar. Listen liegen aber auch in Bürgerämtern aus sowie an „solidarischen Orten" wie Spätis und Restaurants. Zudem kann man Listen selbst ausdrucken und per Post verschicken. Die Plattform innn.it übernimmt dafür sogar das Porto. (gjo)

Ein weiteres leeres Haus befinde sich ebenfalls in der Osloer Straße mit offenbar sanierten und bezugsfertigen Wohnungen, die leer stehen, weil sie als Eigentumswohnungen für größtenteils über 5.000 Euro pro Quadratmeter verkauft werden sollen. Laut der Kampagne berichten Anwohner:innen, dass die Wohnungen teilweise seit vier Jahren leer stehen.

Mit dem Bekanntmachen dieser Immobilien wollen die Mie­te­r:in­nen Druck auf das Bezirksamt ausüben, gegen Leerstand tätig zu werden. „Die Bezirkspolitik unternimmt kaum etwas, um Mie­te­r:in­nen vor dem Profitstreben privater Immobilienkonzerne zu schützen“, so Max Prause vom Bündnis. Leider kämen Bußgelder von bis zu 500.000 Euro nur selten zum Einsatz – „für uns ist das ein klares Zeichen des fehlenden politischen Willens“, sagt er.

Die Kampagne Leerstand in Mitte werde systematisch Leerstand und ihre Profiteure in ihren Kiezen öffentlich machen. „In einer Zeit, wo immer mehr Menschen sich ihre Miete nicht mehr leisten können und obdachlose Menschen in der Kälte hausen müssen, halten wir Leerstand für skandalös“, sagt Prause.

Das Bündnis spricht in seiner Pressemeldung sogar von 150.000 leer stehenden Wohnungen, bezieht sich damit allerdings auf Schätzungen auf Basis des Mikrozensus von 2018, laut dem 6,8 Prozent der Berliner Wohnungen unbewohnt gewesen sein sollen. Dass diese Zahl deutlich zu hoch liegen dürfte, aber das Problem dennoch existiert, zeigen aktuelle Zahlen aus Mitte: Laut einer schriftlichen Anfrage gab es im September 2020 rund 3.850 Amtsermittlungsverfahren wegen Zweckentfremdung. Das entspricht bei rund 203.000 Wohnungen in Mitte 1,9 Prozent – ohne mutmaßliches Dunkelfeld.

Auch Reiner Wild vom Berliner Mieterverein sagt auf taz-Anfrage, dass Leerstand ein wachsendes Problem ist. „Nach unserer Beobachtung nimmt der spekulative Leerstand seit gut einem Jahr massiv zu“, bestätigt er. Die über den Mikrozensus geschätzten Leerstandszahlen von 2018 hält er für die aktuelle Debatte aber für nicht aussagekräftig.

Genau beziffern kann er das Problem allerdings auch nicht. Die Wohnungsämter hätten kaum Erkenntnisse, weil Leerstand selten angezeigt würde, sagt Wild. Zudem gebe es Schlupflöcher. „Vermieter können bei Modernisierung den Wohnraum bis zu zwölf Monate lang leer stehen lassen“, sagt Wild. Im Zweifel könne man also einfach behaupten, man modernisiere.

Wild glaubt, dass das anstehende Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Mietendeckel der Grund für gestiegenen Leerstand ist, ihm zufolge warten Ver­mie­te­r:in­nen bis dahin ab. Bei Verfassungswidrigkeit des Mietenstopps könnten sie mit Investitionen gleich auch die Mietpreisbremse vermeiden und bei Wiedervermietung 15 Euro pro Quadratmeter und mehr erzielen, so der Mieterverein-Chef. Und wenn der Deckel drauf bliebe, investierten sie halt nicht, vermutet er.

Spontan 222 Airbnb-Wohnungen frei

Laut der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen von Sebastian Scheel (Linke) wurde zuletzt beim Zensus 2011 systematisch gesamtstädtischer Leerstand erfasst. Damals lag er mit 66.000 Wohnungen bei 3,5 Prozent. Der nächste Zensus stehe für 2021 an. Dennoch lassen laut Sprecherin Katrin Dietl Teilmarktuntersuchungen Aussagen über das jetzige Leerstandsniveau zu: Demnach gebe es derzeit eine Quote von 0,8 bis 2 Prozent, was zwischen 15.000 und 40.000 Wohnungen wären.

Dass Berlins Wohnungsmarkt lädiert ist, bestreitet die Senatsverwaltung indes nicht. „Als Fluktuationsreserve für ein reibungsloses Funktionieren des Wohnungsmarktes sollten Leerstandsquoten von 2 bis 3 Prozent gegeben sein“, so Dietl. Messungen zeigten stagnierende und sinkende Leerstandsquoten, demnach dürfte es in Berlin also noch schwerer geworden sein, eine Wohnung zu finden.

Wie groß dabei das Problem spekulativer Leerstand ist, weiß die Verwaltung allerdings auch nicht: Es gebe zwar „viele Gerüchte“ über mehr Leerstand aufgrund des Mietendeckels, allerdings lägen dafür keine Indizien oder Hinweise aus den Bezirken vor, sagt Dietl.

Dass derzeit sogar Ferienwohnungen komplett leer stehen, zeigt eine kurze Recherche auf der Plattform Airbnb: Am Sonntagmittag waren in Berlin spontan für die Nacht 222 Unterkünfte verfügbar, wenn man „nur ganze Unterkunft“ sucht. Es stehen also 222 ungenutzte Wohnungen als Ferienwohnungen, auffindbar bei Airbnb, leer. Trotz Wohnungsnot und Pandemie bietet ein Superhost das frisch renovierte 2-Zimmer-Luxusloft „im Herzen Kreuzbergs“ für 120 Euro am Tag an oder ein Pete die 1-Zimmer-Wohnung in Mitte, mit Coronaverzweiflungs-Rabatt für nur noch 36 Euro pro Nacht. Deutlich mehr als die Anzeige-Höchstgrenze von 300 Wohnungen findet man, wenn man zu einem späteren Zeitpunkt sucht.

Die Kampagne Leerstand in Mitte will weiter auf leer stehende Häuser und Zweckentfremdung aufmerksam machen. Sie sei sich dabei bewusst, dass es nicht ausreiche, dem Bezirk leere Häuser zu melden. Auch deswegen fordert die Mieter-Initiative die Vergesellschaftung großer privater Immobilienkonzerne und unterstützt das Volksbegehren Deutsche Wohnen und Co. Enteignen, das seit Freitag Unterschriften sammelt. Nur Vergesellschaftung könne „der Spekulation endlich ein Ende setzen“.

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