Sozialwissenschaftlerin Ilona Otto: „Klimaneutralität würde uns mehr Freiheiten geben“
Mit Klima ließe sich Wahlkampf machen, sagt die österreichische Forscherin Ilona Otto. Dafür müsste die Politik die Chancen thematisieren.
taz: Frau Otto, bislang dringt die Klimabewegung im Bundestagswahlkampf kaum durch. Was macht sie falsch?
Ilona Otto: Ich würde nicht sagen, dass sie was falsch macht. Es ist derzeit sehr schwierig, mit anderen Themen wie den Kriegen in der Ukraine und in Gaza zu konkurrieren, und auch innerhalb Deutschlands gibt es viele Spannungen.
taz: Heißt das, es besteht keine Chance, dass Klimaschutz noch zum Wahlkampfthema wird?
Otto: Es gibt schon Klimathemen, mit denen man die Wähler*innen abholen könnte. Ein Beispiel ist das Klimageld. Wenn man vermitteln würde, dass jede*r Bürger*in pro Jahr 300 Euro mehr auf dem Konto hätte, wäre das sehr attraktiv. Oder das Klimaticket …
taz: … das in Deutschland „Deutschlandticket“ heißt …
Ilona Otto
45, ist Professorin für gesellschaftliche Auswirkungen des Klimawandels am Wegener Center für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz.
Otto: Genau, das ist ein ganz anderes Framing. Ich verstehe, dass sich viele Bürger*innen darüber aufregen, dass Benzin teurer wird. Aber wenn die Parteien sagen würden: „Dafür gibt es jetzt ein günstiges Klimaticket“, wäre das ein echtes Angebot. In Österreich kostet das Klimaticket 1.000 Euro im Jahr und man kann auch Schnellzüge nutzen. Klar, Österreich ist kleiner. Aber in Deutschland geht der Trend in die falsche Richtung, das Ticket gilt ja nur für Regionalzüge und wird immer teurer.
taz: Warum trauen sich die Parteien im Wahlkampf nicht an Klimathemen heran?
Otto: Weil wir zu sehr in negativen Narrativen verhaftet sind. „Klima“ bedeutet meistens schlimme Folgen oder Verzicht. Wenn ich „Klimakatastrophe“ sage, kann man sich darunter etwas vorstellen. Wenn ich Sie frage, ob Sie sich eine klimaneutrale Welt vorstellen können, wird es schwieriger.
taz: Warum wissen wir so wenig über positive Szenarien?
Otto: Das ist auch ein Fehler der Wissenschaften. Viele sehen den Weg zur Klimaneutralität bei Technologien, die es noch nicht gibt. Ein Wunderversprechen: Dann müssten wir unser Verhalten nicht ändern. Ich habe gerade einen Forschungsantrag zu Klimakommunikation, sozialem Wandel und Narrativen bei einem Exzellenzcluster eingereicht, aber er wurde abgelehnt. Es ging um zehn Jahre Forschung, ein großes Projekt. Das Geld hat ein Projekt der Ingenieurswissenschaft bekommen, das eine technologische Wunderlösung versprochen hat.
taz: Unterschätzt die Gesellschaft die Relevanz von Klimakommunikation?
Otto: Ja. Aber wenn man sich mit positiven Klimadiskursen beschäftigt, merkt man, wie die Gesellschaft profitieren würde. Klimaneutrale Lebensentwürfe würden uns mehr Zeit geben, mehr Freiheiten und mehr Kontrolle. Wenn ich meinen eigenen Strom produziere, bin ich unabhängig von Konzernen. Ich hätte weniger Druck, Geld zu verdienen. Ich hätte auch bessere Beziehungen zu den Nachbar*innen. Politik und Wissenschaften müssen sich mehr mit der Frage beschäftigen, wie solche Szenarien aussehen könnten und was wir für ein gutes Leben bräuchten.
taz: Stattdessen gilt Wirtschaftswachstum als Voraussetzung für das gute Leben.
Im Wahlkampf spielt die Klimakrise keine große Rolle. Dabei schreitet die Erderhitzung weiter voran. Die taz schaut in dieser Woche dahin, wo es brennt. Alle Texte zum Thema finden Sie hier.
Otto: Von Wirtschaftswachstum profitieren hauptsächlich diejenigen, die schon sehr reich sind. Statistiken zeigen, wie die Ungleichheit wächst und sich Eigentum immer stärker konzentriert – nicht nur global, auch innerhalb der EU. Große Konzerne und sehr wohlhabende Personen zahlen ihre Steuern da, wo sie niedrig sind. Aber wenn es um von ihnen verursachte Schäden geht, erwarten sie, dass die Steuerzahler*innen dafür aufkommen.
taz: Also müsste auch ein gerechteres Steuersystem zur Klimapolitik gehören.
Otto: Wer in hoher Position im fossilen Sektor arbeitet, verdient sehr gut. Da ist es nur gerecht, dass man auch zahlt, wenn es zum Schaden kommt. Aber wir können das nicht auf nationaler, vielleicht auch nicht auf EU-Ebene klären. Wohlhabende Menschen sind sehr mobil und haben Eigentum auf verschiedenen Kontinenten. Wir brauchen neue internationale Kooperationen, um Reiche und Großkonzerne zu Zahlungen zu verpflichten.
taz: Fridays for Future hat in der vergangenen Woche die Parteien aufgefordert, sich für Steuern für fossile Unternehmen und Superreiche einzusetzen – neben einem Gasausstieg und Klimaneutralität bis 2035. Sind das die Forderungen der Stunde?
Otto: Es ist wirklich gravierend, wie stark superreiche Menschen und Konzerne mit ihren Emissionen zur Klimazerstörung beitragen. Und irgendwo muss das Geld für ein Klimaticket, das Klimageld oder den Ausbau klimaneutraler Infrastruktur herkommen. Deshalb sind Themen wie Gerechtigkeit gerade besonders wichtig. Wir müssen mehr darüber reden, was wir voneinander erwarten. Das ist sehr komplex und es gibt bisher wenig Experimente dazu.
taz: Sie meinen zum Beispiel Bürgerräte.
Otto: Ja, unter anderem. Der Bürgerrat zum Klima in Österreich im Jahr 2022 hat sehr erfolgreich gearbeitet und gute Empfehlungen an die Regierung gegeben. Leider wurden sie nicht implementiert. Man müsste die Politiker*innen verpflichten, solche Empfehlungen umzusetzen. Wir brauchen mehr Brücken zwischen Bürger*innen und Politik, wo sich Menschen über längere Zeit mit einem Thema beschäftigen.
taz: Trotz solcher Erfolge wendet sich die Gesellschaft in Österreich jedoch von der progressiven Stimmung ab – jetzt wird es sogar eine rechtsextreme Regierung geben. Haben Sie eine Erklärung für diesen Gegensatz?
Otto: Viele Bürger*innen waren sehr enttäuscht, dass die Empfehlungen des Bürgerrats nicht umgesetzt wurden. Forschungsergebnisse zeigen auch, dass viele Menschen nicht verstehen, woher das Klimageld kommt und warum es so heißt. Die Kommunikation der Klimapolitik muss auch in Österreich verbessert werden. Trotz der aktuellen Schwierigkeiten auf der nationalen Ebene gibt es Fortschritte auf den lokalen Ebenen. In Graz etwa ist die lokale Regierung aus KPÖ, Grünen und SPÖ sehr umwelt- und klimaorientiert. Es gibt zum Beispiel Förderungsprogramme für Bürger*innen, die beim Klimaschutz aktiv werden möchten.
taz: Sind Klimastreiks und Großdemonstrationen noch zeitgemäß?
Otto: Sie sind nach wie vor sehr wichtig, um Aufmerksamkeit zu schaffen. Außerdem ist eine wichtige Funktion der Demos, dass Menschen dort zusammenkommen. Gleichzeitig brauchen wir auch andere Strategien der Vernetzung. Für junge Menschen ist es zum Beispiel wichtig, zu erfahren, wo sie eine zukunftsträchtige Ausbildung in einem nachhaltigen Bereich finden und welche Jobs es dort gibt.
taz: Hat der Bedeutungsverlust von Greta Thunberg durch ihre Haltung im Nahostkonflikt der Bewegung geschadet?
Otto: Es war eine schöne Vorstellung, dass es eine Heldin gibt, die uns alle retten wird. Diese Hoffnung konnte sie natürlich nicht erfüllen, denn sie ist einfach eine junge Frau, die das Recht hat, verschiedene Meinungen zu verschiedenen Themen zu vertreten. Greta Thunberg hatte eine wichtige Rolle und hat viel für die Bewegung und uns alle getan, aber man kann nicht erwarten, dass sie immer in dieser zentralen Position bleibt.
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