Sozialstaat in Deutschland: Linnemann zeigt Folterwerkzeuge vor
Die CDU will das „Bürgergeld“ wieder abwickeln und durch eine „Neue Grundsicherung“ ersetzen. Das Ziel: mehr Kontrolle, mehr Sanktionen.
Mehr Sanktionen sollen nach dem Willen der Union schneller und härter greifen. Lehnt ein arbeitsfähiger Grundsicherungsempfänger ohne Grund eine zumutbare Arbeit ab, solle der Bezug staatlicher Unterstützung im Extremfall ganz gestoppt werden können. Arbeitsagenturen sollen mit Empfängerinnen und Empfängern staatlicher Leistungen verbindliche Vereinbarungen treffen, der Erhalt soll noch stärker an Bedingungen geknüpft werden.
„Wir werden ein gerechtes System schaffen, indem wir vor allen Dingen für die Menschen da sind, die Hilfe bedürfen“, sagte Generalsekretär Carsten Linnemann nach Sitzungen der CDU-Spitzengremien am Montag in Berlin. In einer Zeit des wachsenden Arbeitskräftemangels und begrenzter staatlicher Ressourcen müssten mehr Arbeitskräfte mobilisiert werden, sagte er. Die Hürde für den Bezug staatlicher Hilfen müssten erhöht werden. Dem Einzelnen müsse wieder mehr Eigenverantwortung abverlangt werden. „Das ist CDU pur“, betonte Linnemann.
Kaum echte „Totalverweigerer“
Auch an anderer Stelle will die CDU Verschärfungen. Das Schonvermögen soll herabgesetzt werden, die jährliche Erhöhung der Zahlungen begrenzt werden. Das Konzept wird auch vom Arbeitnehmerflügel der CDU unterstützt. Aktuell gebe es „leider eine abnehmende Akzeptanz des Bürgergelds“, sagte der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann. „Der normale Bürger sieht jeden Tag auf Schritt und Tritt, dass es einen Arbeitskräftemangel gibt“, fügte er hinzu.
Gerade bei Menschen, die für wenig Lohn arbeiteten, schwinde das Verständnis für die Zahlungen an Menschen, die nicht arbeiten wollten, sagte Laumann. Zugleich hob Laumann hervor, dass die Zahl der so genannten Totalverweigerer, die eine zumutbare Arbeit ablehnten, „sehr sehr gering“ sei.
Vertreter von SPD und Grünen übten scharfe Kritik an dem CDU-Konzept. Das Konzept sei „auf Stimmungsmache gegen Menschen mit wenig Geld ausgelegt“, kritisierte Grünen-Chefin Ricarda Lang. SPD-Chef Lars Klingbeil hatte am Wochenende von einem „Angriff auf den Sozialstaat“ gesprochen.
Kritik der Sozialverbände
Auch die kirchlichen Sozialverbände Diakonie und Caritas kritisieren die Pläne der CDU. Die geplante Verschärfung der Sanktionen bei Arbeitsverweigerung seien „populistisch“. „Das ist verantwortungslos“, sagte Diakonie-Vorstand Maria Loheide am Montag in Berlin. Menschen, die auf Grundsicherung angewiesen sind, hätten laut Loheide mit erheblichen Problemen zu kämpfen und benötigen wirksame Unterstützung zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt. „Die ständigen Debatten über Sanktionen auf dem Rücken der Schwächsten gehen an der Realität vorbei“
Ein Großteil der Grundsicherungsempfänger sei entweder nicht erwerbsfähig oder stehe dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung“, sagte Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa. Sie verwies auf die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vom Februar 2024: Danach sei für 700.000 erwerbsfähige Leistungsberechtigte (18 Prozent) eine Arbeit derzeit nicht zumutbar, weil sie zum Beispiel kleine Kinder betreuen, Angehörige pflegen oder zur Schule gehen.
Loheide wies zudem darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht 2019 das klare Urteil gesprochen habe, dass das Existenzminimum besonders geschützt sei. „Dieses Urteil wurde mit dem Bürgergeld umgesetzt. An dieses Urteil wäre jede Bundesregierung gebunden.
FDP und CSU freuen sich
Die FDP hingegen begrüßte das CDU-Konzept. Sie warf den Christdemokraten aber zugleich Ideenklau vor. „Es ist schön zu sehen, dass die CDU der FDP jetzt programmatisch folgt“, sagte FDP-Vizefraktionschef Christoph Meyer der Nachrichtenagentur AFP. CDU-Chef Friedrich Merz treibe damit „die Abwicklung der sozialdemokratisierten Merkel-CDU scheinbar weiter voran“. Ähnlich sieht das die CSU. Man unterstütze die CDU-Pläne und halte sie für absolut richtig, sagte Parteichef Markus Söder am Montag nach einer CSU-Vorstandssitzung in München. „Wir empfinden es ohnehin seit Monaten so, dass CDU und CSU da echt im Gleichklang marschieren.“
An der Vorstellung des Sozialstaatskonzepts in der Berliner CDU-Zentrale nahm auch Rainer Schlegel, der frühere Präsident des Bundessozialgerichts, teil. Er erklärte, die geplante Streichung von Zahlungen an Totalverweigerer wäre rechtlich „ganz klar“ möglich.
Politisch gehe es in diesem Punkt aber auch um ein Signal, sagte der Ex-Gerichtspräsident. „Es gibt eine kleine Minderheit, die mit ihrem Verhalten das gesamte System diskreditiert und seine Akzeptanz gefährdet“, so Schlegel. „Sie diskreditiert auch diejenigen, die in dem System sind, und stößt denen auf, die das System durch ihre Sozialabgaben bezahlen müssen.“
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