Skandalurteil eines Gießener Gerichts: „Migration tötet“
Die NPD klagte gegen die Abhängung ihrer Plakate. Ein hessischer Verwaltungsrichter gab ihr Recht. Mit einer Begründung im Duktus der NPD.
„Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt“, lautet der volle Wortlaut des NPD-Plakats. Cäcilia Reichert-Dietzel, die SPD-Bürgermeisterin der hessischen 5.000-Einwohner-Gemeinde Ranstadt, ließ die Plakate im Mai kurz vor der Wahl abhängen.
Das Plakat schüre Angst vor Ausländern und erwecke den Eindruck, dass alle in Deutschland lebenden Migranten potenzielle Mörder seien. Das verletze die Menschenwürde dieser Bevölkerungsgruppe. Die Bürger würden unverhohlen aufgefordert, sich nun selbst gegen einreisende Ausländer zu wehren.
Wie auch in mehreren weiteren Fällen klagte die NPD gegen die Abhängung. In diesem Fall bekam die rechtsextremistische Partei im August beim Verwaltungsgericht Gießen Recht: Die Plakate seien zu Unrecht abgehängt worden. (Az.: 4 K 2279/19.GI)
Entschieden hat den Fall, so erfuhr die taz aus Kreisen der Verfahrensbeteiligten, Richter Andreas Höfer. Eigentlich hätte er es sich einfach machen können, denn die Ranstädter Bürgermeisterin hatte die NPD nicht angehört, bevor sie die Plakate abhängte. Schon wegen dieses Verfahrensfehlers war die Aktion rechtswidrig. Doch Höfer wollte die NPD-Parolen auch inhaltlich bewerten.
Der Richter stieg tief in die Weltgeschichte ein, um seine Entscheidung zu begründen. Über Seiten hinweg schildert er hobbyhistorisch den Untergang des „fremdenfreundlichen“ Römischen Reichs als Konsequenz der Völkerwanderung.
Dann thematisiert er die europäische Besiedelung Amerikas mit ihren tödlichen Auswirkungen für Indianer, Azteken und Inkas. „Aus den zitierten beispielhaften historischen Wanderungsbewegungen wird deutlich, dass Migration tatsächlich in der Lage ist, Tod und Verderben mit sich zu bringen“, schreibt Höfer.
Wie einst im römischen Reich
Solche Bedrohung ist für den Richter aber auch hochaktuell: „In der Tat hat die Zuwanderungsbewegung nach Deutschland ab dem Jahr 2014/15 zu einer Veränderung innerhalb der Gesellschaft geführt, die sowohl zum Tode von Menschen geführt hat, als auch geeignet ist, auf lange Sicht zum Tod der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu führen“, führt er aus.
Höfers Urteilsbegründung liest sich über weite Strecken wie ein Positionspapier für einen NPD- oder AfD-Parteitag. Alles was rechten Hasspredigern zum Thema Migration einfällt, findet sich feinsäuberlich aneinandergereiht. Der erhöhte Anteil von Zuwanderern unter den Tatverdächtigen bei Sexual- und Tötungsdelikten, die Kölner Silvesternacht 2015, die Wuppertaler „Scharia-Polizei“ und Zustände in deutschen Freibädern. Dazu Ehrenmorde, Blutrache und Salafismus.
„Hier eine reale Gefahr zu negieren hieße, die Augen vor der Realität zu verschließen“, so der Richter. „Sollte die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr in der Lage sein, das Gewaltmonopol innerhalb ihrer Grenzen effektiv und wirksam auszuüben, ist hiermit ein schleichender Untergang verbunden, wie es einst im römischen Weltreich auch der Fall war.“
Invasion „objektiv feststellbar“
Höfers Schlussfolgerung: „Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats ‚Migration tötet‘ nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten“, so sein Gerichtsbeschluss.
Auch den Begriff der „Invasion“ findet Richter Höfer nicht volksverhetzend, sondern völlig in Ordnung. Der Begriff beschreibe „hier im übertragenen Sinne lediglich den Zustand des Eindringens von außen in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, wie es insbesondere im Jahr 2015 objektiv feststellbar war“, schreibt er.
In diesem Jahr seien „die deutschen Grenzen durch die Wanderungsbewegung im Sinne eines Eindringens in das deutsche Staatsgebiet überrollt“ worden, glaubt Höfer. Der Begriff „Invasion“ beinhalte deshalb in diesem Kontext „keine Wertung“.
Höfer findet es also offenkundig normal, die Welt im hetzerischen Duktus der NPD zu beschreiben. Demnächst wird sich die nächste Instanz damit zu beschäftigen haben, dass hier ein deutscher Richter Rechtsprechung mit Rechtssprechung verwechselt hat.
Mehrdeutige Parole
Nun kann man tatsächlich darüber streiten, ob das NPD-Plakat zwingend als Volksverhetzung einzustufen ist. So hat das Bundesverfassungsgericht im Mai 2019 in einem anderen Fall entschieden, die mehrdeutige Parole „Migration tötet“ könne auch so ausgelegt werden, dass sie nicht strafbar ist, weil etwa nur auf einzelne Straftaten von Migranten hingewiesen werde. Allerdings ließen die Verfassungsrichter offen, „ob das Plakat unter anderen Gesichtspunkten als verfassungsrechtlich unzulässig gedeutet werden kann“.
Die Ranstädter Bürgermeisterin Reichert-Dietzel war zwar „fassungslos“ über die Begründung des Gießener Gerichts. Sie verzichtete aber in Absprache mit ihrem Gemeinderat sowie dem hessischen Städte- und Gemeindebund auf ein Rechtsmittel. Die Erfolgsaussichten schienen ihr zum einen wegen der Karlsruher Entscheidung, zum anderen aber auch wegen des Verfahrensfehlers eher gering.
Außerdem fühlte sich Reichert-Dietzel vom Land „allein gelassen“, obwohl sie frühzeitig auf die skandalösen Formulierungen hingewiesen hatte. Wenige Stunden vor Ende der Berufungsfrist meldete sich das Wiesbadener Innenministerium des CDU-Mannes Peter Beuth dann doch noch und forderte Reichert-Dietzel auf, Berufung einzulegen. Das war ihr nun aber zu überstürzt.
Stattdessen legte dann der Wetteraukreis als Kommunalaufsicht im Namen der Kommune Berufung ein. Grund für den plötzlichen Aktivismus des Landes könnte sein, dass kurz zuvor in Altenstadt-Waldsiedlung (ebenfalls im Wetteraukreis) ein NPD-Mann zum Ortsvorsteher gewählt worden war.
Jetzt liegt der Fall mit den NPD-Plakaten also beim Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel. Da dieser ganz neu über die Klage der NPD entscheiden wird, könnte er zumindest die Begründung des Verwaltungsgerichts Gießen beseitigen – selbst wenn das Abhängen im Ergebnis rechtswidrig bliebe. Der VGH wird aber wohl erst nächstes Jahr entscheiden.
Kämpfer für's Deutsche
Bisher hat der Gießener Verwaltungsrichter Höfer erst einmal überregionale Aufmerksamkeit auf sich gezogen: 2014 bezweifelte er in einem Urteil, ob ein Jobcenter eine deutsche Behörde sein könne.
Für seine eigenwillige Auffassung lieferte Höfer eine originelle Begründung: Bei der Bezeichnung „Jobcenter“ handele es sich nicht um eine aus der deutschen Sprache herrührende Begrifflichkeit. „Von daher ist mehr als fraglich, ob eine unter dem Begriff ‚Jobcenter‘ firmierende Einrichtung eine deutsche Verwaltungsbehörde sein kann“, befand Höfer. (Az.: 4 K 2911/13.Gl)
Aus seiner Sicht hätten „derartige Anglizismen oder andere Fremdworte weder in der deutschen Gerichtsbarkeit noch im deutschen Behördenaufbau einen Platz.“ Bei weiterem Fortschreiten „derartiger sprachlicher Auswüchse erscheint infolge der verursachten Verwirrung die Funktionsfähigkeit des Verwaltungshandelns insgesamt gefährdet“.
Die Rechtsaußenpostille Junge Freiheit jubilierte seinerzeit: „Solche Richter braucht die deutsche Sprache!“
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