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Skandal um Sänger Konstantin WeckerNicht zu bremsender libertärer Geist

Was die Beziehung Konstantin Weckers zu einem 16-jährigen Mädchen mit der Backstage-Kultur von Rammstein und ihrem Sänger Till Lindemann zu tun hat.

Lustvoll sich ausbreitender, kerniger, aber auch weicher Mann: Konstantin Wecker 2015 Foto: Sven Simon/imago

Konstantin Wecker, damals 63, schläft also in den Jahren 2011 und 2012 mit einer damals 16-Jährigen, die er schon, als sie noch 15 war, durch seine Überredungskünste ins Hotelzimmer mitnahm. Die moralische Empörung ist erwartbar und berechtigt. Aber sie neigt manchmal dazu, den Mann zu überhöhen und den Fall zu individualisieren.

Das Aufschlussreiche an Konstantin Wecker aber ist die Struktur. Und der Hinweis, dass Dämonisierung zur Klärung wenig beiträgt und vor allem der Betroffenen potenziell eher schadet, ist richtig. Sie verstärkt die Scham, die bislang leider noch gar nicht daran denkt, die Seite zu wechseln, und erschwert das Darüberreden. Der Schriftsteller Anselm Neft hat kürzlich darauf hingewiesen: „Es ist nicht empowernd, Menschen zu verdammen.“

Dämonisierung verstellt zudem den Blick auf das leider Sturznormale, das Gängige des ganzen Falls. Hier findet sich die erste von vielen Überschneidungen mit der Affäre um den Sänger der Berliner Schockrockband Rammstein, Till Lindemann. Die Formen, in denen Wecker und Lindemann ihre Bilder von Männlichkeit konstruieren (brunftiger Chansonsänger hier, Pimmelkanone auf der Bühne da), sind besonders: Einfach weil beide künstlerische Formen zur Verwendung haben. Das ist nun mal ihr Beruf.

In den Körperbildern begründet

Die Ästhetik des einen wird als politisch links, die des anderen – inklusive Ironie- und Meta-Ebenen-Debatte – als rechts rezipiert. Diese Rezeption liegt auch in den jeweiligen Körperbildern begründet: Auf der einen Seite der lustvoll überall hin sich ausbreitende, kernige, aber auch weiche Mann, dort der soldatische Comic-Körperpanzer.

Die Unterschiede zwischen beiden Performances verdecken die Ähnlichkeiten und Überschneidungen aber nur partiell. Auch ist bei Konstantin Wecker bislang unklar, ob das Grooming systematischen Charakter hatte, so wie das Junge-Frauen-Casting um Lindemann. Da könnte man bald mal eine historische Recherche zur Atmosphäre in Weckers damals eigener Münchner Kneipe Kaffee Giesing in den 1980ern unternehmen.

Konstantin Wecker jedenfalls hat sich als dauerviriles bayerisches Mannsbild inszeniert, ein von den Konventionen nicht zu bremsender libertärer Geist am Piano. „Ich sehe oft keine Jugend oder Alter, sondern nur noch Bewusstseinsstufen“, versicherte Wecker der damals 16-jährigen, mit der er besoffen ins Bett ging. Kategorien wie Verantwortung gegenüber Unerfahrenen, großer Altersunterschied und eine Konsensualität frei von Manipulation gelten dem sich als anarchisch inszenierenden Mann nichts.

Ausgeprägtes Pathos

Der entsprechende ästhetische Modus ist bei Wecker ein ausgeprägtes Pathos, in dem das Banale bedeutsam und lebensprall daherkommt. Wenn das lyrische Ich einen einfachen Sachverhalt kommuniziert, zum Beispiel, dass es gerne in den Puff geht, um mit jüngeren Frauen zu schlafen („Noch Kind, doch trotzdem dieser Welt / bewusstlos in den Arsch gestellt“), geht der Wecker-Refrain mit Karacho in die Vollen: „Ja, Freunde, ja! Ich liebe diese Hure!“

Beispiele für diese Überhöhung von einer unter patriarchal verfassten Bedingungen eher normal strukturierten Männersexualität finden sich in Weckers Liedern viele. Analog bei Till Lindemann, aber in einem anderen Register.

Wenig an der mit Perversion und Transgression kokettierenden Rammstein-Performance verlässt den Rahmen der Bildermassen von Internetseiten wie Youporn. Wenn es auch hier wieder mit großem Gestus und hochwertig daherkommt, zum Beispiel als Gedichtband. Lindemanns viel zitiertes K.-o.-Tropfen-Poem („Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas) / Kannst dich gar nicht mehr bewegen / Und du schläfst / Es ist ein Segen“) war dann aber nur eine sich reimende Vergewaltigungsfantasie.

Nummer eins der Suchanfragen bei Pornhub

Der große Gestus und das Großkünstlertum verdecken in beiden Fällen, dass sich hier eigentlich was Tristes artikuliert. Alte Männer, die 15-jährige Mädchen vögeln wollen (Wecker hat dann noch den 16. Geburtstag abgewartet), sind keine Ausnahmeerscheinung. „Teen“ war für Jahre Platz 1 unter den Suchanfragen bei Pornhub.

Die Fantasie liegt also massenhaft vor, Wecker und Lindemann setzen das nur um. In symbolischen Welten, der Kunst, und im Realen, zum Beispiel in Hotelzimmern. Das Beruhigende an der Fantasie ist gerade das Machtgefälle. Mit Frauen auf Augenhöhe müsste man sich auseinandersetzen, im Bett und auch sonst. Teen Porn ist für Erwachsene immer Dominanzfantasie.

Die Kommentatoren, die es mit Nachdruck und Wut verteidigen, wenn mächtige Künstlertypen mit um Jahrzehnte jüngeren Frauen ins Bett gehen, sind in beiden Fällen zahlreich.

Allergisch gegen Grenzensetzen

Man kann sich das Affektinvestment eigentlich nur darüber erklären, dass sich Menschen hier mitgemeint fühlen: Der Eindruck, dass viele Männer nach wie vor allergisch auf alles, was droht, ihnen Grenzen setzt, reagieren, drängt sich sehr auf. Hinweise auf Manipulation, Machtgefälle und Grooming sollen mit einem Verweis auf den angeblich freien Willen weggebügelt werden: Sie wollte es doch so. Dafür, dass der freie Wille in Fragen der Sexualität und des Begehrens entscheidend sein soll, klingen all diese Stimmen dann aber doch sehr vorhersehbar und uniform.

Dabei geht es gerade um die Übertretung. Und es ist – in dieser Hinsicht – relativ egal, ob diese sich in Form einer anarchischen Libertinage-Fantasie wie bei Wecker oder in einer Swinger-Club-S/M-Bilderwelt wie bei Lindemann ausdrückt.

In beiden Fantasiewelten sind Machtgefälle und das eben gerade nicht konsensual-spielerische Übertreten der Grenzen des Anderen lustvoll besetzt. Einmal explizit als manifeste Übertretungsfantasie bei Till Lindemann, einmal implizit als Fantasie von der eigenen Unbändigkeit und Grenzenlosigkeit bei Konstantin Wecker.

Im Realen kommen zur Selbstentgrenzung dann aber die zwangsläufigen Verletzungen und Beschädigungen der Betroffenen hinzu. Wenn die versuchen, sich Gehör zu verschaffen, werden, ganz bürgerlich, die Anwälte mobilisiert.

Weckers Anwalt formulierte in seiner Entschuldigung einfach einen sehr deutschen Satz: An vieles könne sich sein Mandant – krankheitsbedingt – leider nicht mehr erinnern.

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26 Kommentare

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  • Konstantin Wecker war mir noch nie sympathisch. Dieses schmierig Gérard-Depardieu-hafte, das sich in eine zugewandt linke Attitüde kleidet, hat mich auch schon vor vierzig Jahren innerlich zurückweichen lassen. Aber eine Neigung zu Kindern und Jugendlichen gab es ja auch bei den friedensbewegten "Martins" dieser Zeit, nicht zu knapp, und wer erinnert sich nicht an die befremdlichen Kinder-Diskussionen auf dem Gründungsparteitag der Grünen? Till Lindemann kenne ich nicht so gut, immerhin mimt er nicht den Menschenfreund. Machtgefälle ist eines, Bigotterie das andere. Den Versuch, beide in einen Topf zu werfen, finde ich unpassend.

    • @HerbN:

      Ich stimme Ihnen da zu. Ich hab seine pathetische Art (= übertrieben feierlich und gefühlvoll) nie gemocht. Übrigens, im Englischen gibt es das Wort "pathetic" und meint "erbärmlich oder armselig". Passt doch irgendwie!

  • Als reflektierter Mann darf ich das mal sagen: Ich mag keine "chauvinistischen" Männer, ob nun jung oder alt, die sich Frauen, egal welchen Alters, in irgend einer Form "aufzwingen".

  • Ohne die Opfer zu verhöhnen, sollte man schon etwas mehr über die runzeligen alten Lustgreise lachen.

    In Farcen, Opern, Theaterstücken, Kunstgeschichte ist das doch ein völlig eingefahrenes Motiv und - mit Recht - lachen sich alle schief drüber, wie der hässliche Alte dringend Selbstbestätigung sucht und sich dabei blamiert.

    Wir sollten das auslachen, und zugleich den Opfern helfen. Es ist unglaublich schwach, wenn man keine selbstbestimmten Frauen ins Bett bekommt, sondern nur gnadenlos Unterlegene und Abhängige.

  • Mir drängen sich da ganz andere Fragen auf:



    1. Warum wird dieses Thema gerade jetzt aufgerollt?



    2. Seit wann ist Wecker libertär? Er ist ein Linker und ein Pazifist, das passt aber vielen Grünen nicht mehr ins neue, militaristische Weltbild.



    3. Wie weit sind wir, wenn hier in den Kommentaren schon die BILD zitiert wird (mit angeblichen weiteren Fällen...).

    Was geschehen ist, ist geschehen (vor 10 Jahren) und hat immer zwei Seiten, so lang es einvernehmlich war. Eine Cancel-Debatte, wie sie hier einige Moralisten fordern, ist einseitig und folgt den üblichen Schemen des derzeitigen gesellschaftlichen Diskurses.

    Und alle hier moralisch hoch angebundenen mögen sich an den Fall Assange erinnern! Wie wir heute wissen, zu unrecht angeklagt in Schweden, nach GB ausgeliefert und damit ein Martyrium beginnend, was nur eins zum Ziel hatte: Vernichtung von Integrität und Person, damit von den Leaks und deren Relevanz abgelenkt wird.

    Also zitiert mal lieber Weckers Friedenslieder und fragt Euch, wohin wir grad gehen...

    • @Marco Bünger:

      "So lang es einvernehmlich war?". Ab welchem Alter gilt das? Ab 12, 13, 14, 15, 16, 17?

      Gefährlich...

      • @EH 553:

        Das regelt da Gesetz und nicht der User Marco Bünger oder sie.

        • @Eulennest:

          Ist irgendwie schon gruselig, dass Wecker "geduldig" gewartet hat, bis das Mädchen sechzehn wurde. Den Staatsanwalt musste er dann nicht mehr fürchten. Und das Gewissen? Ach was, das Gewissen ist doch in Alkohol löslich.

    • @Marco Bünger:

      Immer schön alles relativieren.

      • @Il_Leopardo:

        In eigener Sache ist das Relativieren erlaubt. Mehr dazu weiß das Politbüro.

  • Hut ab für die taz, dass sie auch ideologisch verwandte Künstler keineswegs schont. Zeigt Rückgrat.

  • Ich muss gestehen, dass ich Weckers Gebahren schon in den 00-Jahren mitbekommen habe. Nur lachten wir damals, was er von unsrer jungen Kommilitonin wollte? Sie auch von ihm - by the way.



    Den pädophilen Straftäter Konstantin Wecker macht der Artikel aber deutlich. Vielen Dank.

    • @Zuversicht:

      "Sie auch von ihm" betont dann doch das Konsensuelle, also nix mit "by the way". Im Übrigen ist "Pädophilie" ziemlich klar definiert und hat so gar nichts mit 16jährigen zu tun, geschweige denn Studentinnen.



      Und strafbar ist da, sofern kein Zwang im Spiel war, auch nix. Insgesamt also weder pädophil noch Straftäter, auch wenn der Artikel das vielleicht andeuten möchte.

    • @Zuversicht:

      Den " pädophilen Straftätet" macht der Artikel kein Stück deutlich.

      Mit 15 bzw. 16 Jahren ist das nicht mehr Pädophilie.

      Ob Weckers Verhalten strafrechtlich relevant ist, wird sich zeigen.

      Die Qualität dieses Artikels macht gerade aus, dass Herr Moldenhauer nicht mehr hinzufügt als da ist.

  • Danke für diese gut zu lesende Auseinandersetzung mit Dimensionen der Männlichkeit. Diese deutsche sehnsuchtsvolle selbstreferenzielle Pathos - es lohnt sich, dazu zum Einstieg das Vorwort der beiden Mitscherlichs zu ihrem Werk "Die Unfähigkeit zu trauern" zu lesen. (Ende der 60er erschienen). Mensch versteht mehr danach.

  • Hübsch wie immer die automatisierten (?) Artikelempfehlungen zwischen rosa tazlesenkannjede:r-Balken und Kommentarwand: „Konstantin Wecker über Soli-Konzerte: ‚Das Patriarchat hat ausgeschissen!‘ Der linke Liedermacher Konstantin Wecker glaubt, dass Poesie als Widerstand funktioniert und dass Musik helfen kann, das Patriarchat zu Fall zu bringen.“

    Er meint wohl das Patriarchat der anderen. Der künstlichen Intelligenz ist‘s derweil wurscht, die fühlt sich auch im Patriarchat pudelwohl.

  • Können wir den eigentlich auch endlich mal canceln? Mit ner 16-jährigen backstage, das geht garnicht.

    Im (besonders queeren) Feminismus ist Till Lindemann zum Glück zu einer Hassfigur geworden. Lediglich ein paar TERFs finden den noch toll. Die misogynen Männer sowieso.

    • @Troll Eulenspiegel:

      Im Gegensatz zu Herrn Wecker wurde bei den Vorwürfen gegen Till Lindemann strafrechtlich nichts bewiesen. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen den Rammstein-Sänger im August 2023 eingestellt, da sich nach Auswertung der verfügbaren Beweismittel kein hinreichender Tatverdacht für Sexualdelikte oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz ergeben hat.



      Und nein, ich relativiere weder die Backstage-Praktiken von Herrn Lindemann noch bin ich misogyn aber man sollte seine (Vor)Urteile im auf Fakten basieren lassen.

      • @Stefan L.:

        Man braucht aber doch kein Strafrecht, um Verhaltensweisen eines Künstlers abstoßend oder absurd zu finden und deswegen nicht mehr auf seine Konzerte zu gehen.

      • @Stefan L.:

        Was wurde bei Herrn Wecker strafrechtlich bewiesen in diesem Zusammenhang?

  • Tiefenpsychologische Erklärungen gut und schön, bei Beiden hilft das aber nicht weiter. Sie haben ihren Status als 'Musikstars' (obwohl es kaum unterschiedlichere Genres gibt) eingesetzt und die Anhimmlung und auch Naivität der jungen Frauen schamlos ausgenutzt.



    Wecker als linker Liedermacher und mit einer sympathisch, anarchischen Ausstrahlung ausgestattet und ihm gegenüber Lindemann, als ein überdreht, sexistisch auftretender, rechts angehauchter Krachmusiker': grösser könnten die Unterschiede nicht sein



    Und dennoch darf hier Sympathie oder Antipathie keine Rolle spielen.



    Was sie taten ist in höchstem Maße verwerflich, wenn nicht sogar kriminell und ohne wenn und aber zu verurteilen.

    • @Klaus Waldhans:

      Till Lindemann und generell Rammstein haben sich selbst aber immer eindeutig als politisch links bezeichnet.

    • @Klaus Waldhans:

      So ist es! Danke

  • Die Süddeutsche hat dazu eine weitgehende Berichtserstattung gebracht.

    Wecker war zwar auch engagiert und für wichtige Sachen auf der Bühne, doch letztlich Team Ego-Spaß. Ein aufgesetzt viriler Möchtegern-Bohème aus dem feinen Lehel/Schwabing, der im Radiokonzert "Ich brauche keinen Alkohol" knödelte, und das Publikum lachte ihn kurz aus; man erinnert sich. Ich wünsche der jungen Dame und dem unjungen Herren alles Gute im jeweiligen Nachgang!

  • "Das Beruhigende an der Fantasie ist gerade das Machtgefälle. Mit Frauen auf Augenhöhe müsste man sich auseinandersetzen, im Bett und auch sonst."



    Was für ein großartiger Satz, um zu erklären, was bei Beziehungen/ Sexualität mit erheblichem Altersunterschied Phase ist.

    Ich wünsche der/ den Betroffenen sehr, dass sie das Erlebte schnell loslassen möge. Oder sie schnell einen Weg finden mögen, es in die Biografie zu integrieren.

  • "An vieles könne sich sein Mandant – krankheitsbedingt – leider nicht mehr erinnern." (Zitat oben)



    Das ist schon erstaunlich, denn er kannte das Mädchen längere Zeit und hatte ihr zahlreiche SMS geschickt.



    Inzwischen hat sich eine weitere junge Frau gemeldet, der er wohl back stage eine Hand auf den Oberschenkel legte und sie auf sein Hotelzimmer einlud.



    www.bild.de/unterh...3918b978b3b9f56e47