Sexualisierte Gewalt der Hamas: Kampf um Anerkennung des Horrors
Die Hamas wollte am 7. Oktober gezielt Frauen schänden. Israel kämpft um internationale Anerkennung dieser Taten. Warum ist das so schwer?
Vergangene Woche war Mendes mit einer israelischen Delegation sowie der Frauenrechtlerin und Unternehmerin Sheryl Sandberg nach Berlin gereist, um auf Einladung des Auswärtigen Amts über die Gewalt der Hamas gegen Frauen zu berichten. Mendes ist Architektin und gehört zu einer Reserveeinheit von Frauen, die in Kriegssituationen verstorbene Soldatinnen identifiziert und zur Bestattung vorbereitet.
Nach dem Massaker der Hamas-Terroristen soll sich ihre Einheit um die Leichen getöteter Frauen kümmern. Mendes entfernt den blutverschmierten Schmuck der Frauen, säubert ihn, um ihn den Angehörigen zurückzugeben. Manchmal legt sie nur ein Tuch über die Frauen, gibt ihnen, so sagt sie, den Respekt zurück, der ihnen durch die erlebte Gewalt genommen wurde. Macht aus den Frauen wieder Subjekte. Eine unbegreifliche Situation nennt sie das, was sie erlebt hat.
Im Krieg, sagt Mendes, träfen die Toten langsam ein. Es gebe Zeit, sich um jeden einzelnen zu kümmern. Nach dem 7. Oktober sei das System der Armee aber zunächst überfordert gewesen. Die Helfer hätten in 24-Stunden-Schichten gearbeitet, in Zelten auf der Militärbasis übernachtet, nicht weit entfernt von den Leichen. Anders sei die Arbeit nicht zu bewältigen gewesen. Mendes habe das an New York nach dem islamistischen Anschlag vom 11. September 2001 erinnert.
Ermittlungen werden Jahre andauern
Mendes erzählt vom Grauen, das sie gesehen hat: Von Frauen, denen mehrfach ins Gesicht geschossen worden ist. In die Augen, in die Nase. Von Gesichtern, die blutüberströmt waren, so stark, dass sie kaum noch zu erkennen waren. Von Frauen mit verbrannten Gliedmaßen. Von Frauen, die fast immer leicht bekleidet, deren Unterwäsche voller Blut war. Frauen, denen in die Brust, in die Vagina geschossen worden war. Frauen, denen das Becken gebrochen worden war. Frauen, die Spuren von brutalster Vergewaltigung, von Folter aufwiesen.
Seit dem 7. Oktober hat die israelische Polizei Tausende solcher Beweise gesichert. Sie hat Videos ausgewertet, meist selbst von den Hamas-Terroristen mit Bodycams aufgenommen und ins Internet gestellt. Sie hat forensische Untersuchungen unternommen, Zeugenaussagen gesammelt, Überlebende und freigelassene Geiseln befragt, festgenommene Terroristen der Hamas verhört. Die Ermittlungen dauern weiter an. Sie könnten, das teilt die Polizei immer wieder mit, noch Jahre andauern.
Vier Monate nach dem Massaker lässt sich dennoch bereits ein Bild dessen zeichnen, was am 7. Oktober passierte – und wie diese Taten intendiert waren. „Sexualisierte Gewalt war ein systematisch geplanter Teil der Attacke“, sagt Mirit Ben Mayor, Oberkommissarin und Kommunikationsleiterin der israelischen Polizei. Teile der vorläufigen Ergebnisse ihrer Untersuchungen stellte sie in Berlin vor. Ähnlich wie Mendes spricht sie von Verstümmlungen und Vergewaltigung von Frauen, die sie an über 20 Orten in Israel feststellen konnten. Von Körpern, die kaum noch zu erkennen waren. Menschlichen Überresten, die zum Teil nicht mehr zugeordnet werden konnten. Und sie erzählt von Terroristen der Hamas, die in ihren Verhören keine Reue zeigten und die zugaben, nach Israel geschickt worden zu sein, um die Frauen „zu beschmutzen“, sie zu vergewaltigen.
Heilung passiert im eigenen Tempo
Doch auch wenn die bisherigen Ermittlungen unzählige Beweise sichern konnten, solche, die darauf hindeuten, dass sich die Gewalt vom 7. Oktober auch gezielt gegen Israelinnen richteten und der Staat Israel auf diese Weise gedemütigt werden sollte, haben Frauenrechtsorganisationen diese spezifische Gewalt noch nicht ausreichend verurteilt – so die Kritik aus Israel. Über zwei Monate versäumten es allein die Vereinten Nationen und ihre Frauenrechtsorganisation UN Women, die Taten anzuerkennen. Erst Mitte vergangener Woche reiste die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, nach Israel. Sie forderte, 115 Tage nach dem Massaker, Opfer und Zeugen auf, nicht mehr zu schweigen.
In Fällen von sexualisierter Gewalt herrscht oft eine Erwartungshaltung, die Betroffenen mögen doch sprechen, ihre Geschichten öffentlich teilen – und somit Beweise liefern. Doch ob und wann jemand nach einem extremen Trauma in der Lage ist über das Erlebte zu sprechen, ist ungewiss. Manchmal könne es Monate, gar Jahre dauern, sagt Sharon Gal Van-Raalte der taz. Sie ist Psychologin und Expertin für extremes Trauma und sexuellen Missbrauch. Seit dem Hamas-Angriff betreut sie die Überlebenden des Kibbuz Kfar Aza. Selbst für Gal Van-Raalte, eine erfahrene Traumaspezialistin, ist das Massaker eine einzigartige und überfordernde Erfahrung. Wer sich mit sexuellen Traumata befasst, sieht die Betroffenen meist nicht unmittelbar nach der Tat. Gibt es sonst ein Protokoll dafür, wie in Traumatherapien mit den Klienten umgegangen werde, mussten Psychologen wie Gal Van-Raalte nun improvisieren.
Die öffentlichen Aufforderungen danach, Betroffene mögen Zeugnis ablegen über die erlebten Gewalttaten, irritieren sie. „Die Überlebenden sind weit davon entfernt, Traumata zu verarbeiten“, sagt sie. Die Betroffenen müssten niemanden überzeugen. Sondern: „Sie müssen heilen. Und sie müssen das in ihrem eigenen Tempo tun.“ Ob und wie lange der Heilungsprozess dauert werde, hänge auch davon ab, wie sicher sich die Menschen fühlten. Die nur zögerlichen Verurteilungen internationaler Organisationen hätten Einfluss, der nicht unterschätzt werden dürfe, erklärt Gal Van-Raalte: „Frauen, die sehen, dass die Welt anzweifelt, dass das, was ihnen widerfahren ist, jemals passiert ist, sind tief verunsichert. Woher sollen sie die Kraft nehmen, über ihr Trauma zu sprechen?“
Überlebende sind körperlich und seelisch verwundet
Hinzu kommt: Sich einzig auf das Trauma zu fokussieren, auf die Gewalt, greift zu kurz und wird der Realität nicht gerecht. Denn es ist nicht nur das Trauma an sich, mit dem die Überlebenden in Israel nun umgehen müssen. „Ihr gesamtes Leben wurde zerstört“, sagt Gal Van-Raalte. Menschen mussten ihre Wohnorte verlassen, da sie zerstört wurden. Sie wurden in Hotels evakuiert und sind dort mit vielen ihnen fremden Menschen auf engem Raum untergebracht. Sie können ihre Berufe nicht weiterführen, haben keine finanziellen Einnahmen. Es ist ungewiss, ob die Betroffenen jemals in ihre Kibbuzim zurückkehren werden, ob die Gemeinschaften überleben. „Ein solches massives kollektives Trauma wie am 7. Oktober haben wir Experten noch nie erlebt“, sagt Gal Van-Raalte.
Die Psychologin erzählt von Überlebenden, die körperlich, aber auch seelisch verwundet sind, die sich verraten fühlen, tief verunsichert sind, die unter Schock stehen. Noch Tage nach dem 7. Oktober trug ein Bewohner von Kfar Aza Tag und Nacht sein Gewehr bei sich, sagt Gal Van-Raalte. Er konnte es nicht ablegen, hatte Angst, dass die Terroristen jederzeit zurückkehren würden. Es brauchte viele Gespräche, bis er sich davon überzeugen ließ, in Sicherheit zu sein, das Gewehr ablegen zu können.
Shari Mendes und Sharon Gal Van-Raalte verweisen auf die Resilienz des israelischen Volkes. Auf ein Land, das als Antwort auf das extreme Trauma, die Shoa, entstanden ist. Mit einer Einschränkung: „Meine Großmutter, eine Holocaustüberlebende, war resilient. Sie starb mit 94. Ich habe sie immer gefragt: Was ist dein Geheimnis? Sie antwortete: Harte Arbeit. Über ihr Trauma hat sie mit uns, ihrer Familie, aber nie gesprochen, sie wollte uns nicht belasten“, sagt Gal Van-Raalte.
Es gibt kein Versprechen darauf, dass die abscheulichen Gräueltaten vom 7. Oktober jemals durch die Betroffenen selbst weitergegeben werden können. Doch ohne die internationale Anerkennung dieser Gewalt, speziell der gegen israelische Frauen, wird es wenig Hoffnung geben.
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