Rhetorik der Klimabewegung: Die Realität ist schrecklich genug
Die Weltuntergangrhetorik der Klimabewegung wird immer stärker. Doch Übertreibungen sind nicht hilfreich.
D ie neue Klimabewegung habe ich in den vergangenen Jahren mit großer Sympathie verfolgt. Der politische Druck, den Fridays for Future aufgebaut hat, war dringend erforderlich, und die Forderungen waren durch die Wissenschaft vollständig gedeckt. Doch in den letzten Monaten hat sich das geändert.
Schon beim jüngsten Weltklimagipfel in Glasgow hat mich die aggressive Rhetorik bei den Demonstrationen der Klimabewegung befremdet. Natürlich kann und muss man feststellen, dass die Realität bisher stets hinter den Ankündigungen solcher Gipfel zurückbleibt. Aber dass sie reine „Greenwashing-Events“ sind, wie Fridays-for-Future-Initiatorin Greta Thunberg dort erklärte, wird den Gipfeln und dem politischen Druck, der von ihnen ausgeht, keineswegs gerecht. Auch bei der ersten Bilanz der neuen Ampel-Koalition konzentrieren sich viele Akteure allein darauf, was diese noch nicht erreicht hat, und ignorieren die großen Fortschritte, die es – auch durch den Druck der Klimabewegung – im Vergleich zur Vorgängerregierung gibt.
Die größten Probleme habe ich aber mit der Weltuntergangsrhetorik, die in der Szene immer stärker wird. Besonders ausgeprägt ist sie bei den Aktivist*innen der selbst ernannten „Letzten Generation“, die apokalyptische Zukunftsszenarien mit viel Hybris verbinden: „Wir sind die letzte Generation, die den absoluten Klimakollaps noch aufhalten kann“, schreiben sie auf Twitter. Und fragen vorwurfsvoll: „Wirst du Zuschauer:in sein und dich an der Vernichtung von Milliarden Menschen mitschuldig machen?“
Mit den wissenschaftlichen Szenarien über die Auswirkungen der Klimakrise haben solche Aussagen nichts zu tun. Zwar warnt der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten Bericht, dass immer größere Gebiete der Erde von Hitze, Dürre und Überflutungen bedroht sein werden. Das wird Fluchtbewegungen auslösen und das Leben von vielen Millionen Menschen bedrohen, was eine Katastrophe ist und dringend verhindert werden sollte. Aber die „Vernichtung von Milliarden Menschen“ ist – zum Glück – in keinem bekannten Szenario zu finden. Und besonders motivierend ist diese Form der Kommunikation offenbar auch nicht. Jedenfalls ist es der „Letzten Generation“ trotz extremer Medienpräsenz bisher nicht gelungen, ihre Bewegung stark zu vergrößern.
Auch die Aktivist*innen von „Extinction Rebellion“ stellen die ohnehin schon düsteren Zukunftsprognosen gern noch düsterer dar, als sie sind: etwa wenn sie in einem Video „das Ende unserer Gesellschaft“ vorhersagen und warnen, dass im Jahr 2050 nicht nur große Teile von Vietnam und Bangladesch regelmäßig überflutet sein dürften (was leider stimmt), sondern auch große Bereiche von Norddeutschland (was nicht stimmt, weil die auch anderswo häufig genutzten Szenarien die Existenz von Deichen und anderen Schutzmaßnahmen komplett ignorieren).
Fridays for Future widersteht zumindest in Deutschland der Versuchung, durch immer drastischere Rhetorik gegen die sinkende öffentliche Aufmerksamkeit anzukämpfen. In Österreich dagegen bedient auch diese Bewegung bereits das Narrativ, dass die Weiterexistenz der Menschheit auf dem Spiel steht. „Um das Überleben auf dem Planeten zu sichern, muss die Erderwärmung unter 1,5° C bleiben“, schreibt FFF Österreich auf einer Webseite.
Solche Übertreibungen sind nicht hilfreich. Die Entwicklungen, die durch die Klimakrise tatsächlich drohen, sind schrecklich genug; sie weiter zu übertreiben, schadet der Glaubwürdigkeit der Bewegung – und auch ihren Erfolgsaussichten. Denn dass der Temperaturanstieg tatsächlich noch auf 1,5 Grad begrenzt werden kann, ist extrem unwahrscheinlich. Wenn der Eindruck erweckt wird, dass oberhalb dieser Grenze alles verloren ist, kann das schnell zu Resignation führen.
Und nicht nur das: Manche Aktivist*innen wollen keine Kinder mehr bekommen, weil sie fürchten, dass diese angesichts der Klimakrise keine lebenswerte Zukunft mehr haben würden. Natürlich ist das eine höchst persönliche Entscheidung, die jede*r nur für sich selbst treffen kann. Aber es wäre schon sinnvoll, wenn dabei realistische Szenarien zugrunde gelegt werden. Und wenn man berücksichtigen würde, dass die Existenz einer „nächsten Generation“ der wichtigste Antriebsgrund ist, die Klimakrise noch aufzuhalten.
Denn trotz aller Kritik: Die Klimabewegung ist wichtig. Und zu wichtig, um sich von Untergangsszenarien in die Resignation treiben zu lassen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren