Regierungskrise in Deutschland: Ampel kaputt!
Was heißt das für Frauen, Demokraten, Friedrich Merz, für queere Familien, Rentner, Karl Lauterbach und Mieter*innen?
Frauen
In Sachen „Frauen und Familie“ hatte der Koalitionsvertrag auf der taz-Fortschrittsskala seinerzeit immerhin 8 von 10 Punkten ergattert. Viel ist aber bis heute nicht umgesetzt – und mit dem Ampel-Aus sind die Aussichten dafür mehr als düster. Da ist das Gewalthilfegesetz, das seit Monaten festhing, weil die Ampel über die Finanzierung etwa von Frauenhausplätzen stritt – während gleichzeitig schreckliche Fälle von Partnerschaftsgewalt Schlagzeilen machten. In der vergangenen Woche gab Familienministerin Lisa Paus (Grüne) den Gesetzentwurf endlich in die Ressortabstimmung. Dass er es überhaupt bis in den Bundestag schafft, ist mehr als fraglich.
Ebenso ist kaum vorstellbar, dass es in dieser Legislatur noch zu einer Entkriminalisierung von Abtreibungen kommt. Das hatte die Ampel ohnehin nur zu „prüfen“ versprochen. Das Ergebnis der Expertinnen aber war eindeutig: Das grundsätzliche Abtreibungsverbot in Deutschland ist auch in rechtlicher Sicht „nicht haltbar“. SPD und Grüne trommeln für einen Gruppenantrag im Bundestag. Der hatte bei FDP und Union eh schlechte Aussichten, die jetzt nicht gestiegen sein dürften. Das ist umso fataler, als sich mit dem Ende der Ampelkoalition das Zeitfenster für eine menschenrechtskonforme Regelung beim Schwangerschaftsabbruch auf lange Jahre schließt.
Dinah Riese
Demokrat*innen
Die Zitterpartie, die Bürokratie, der Stress – all das geht weiter. Auch in Zukunft müssen viele zivilgesellschaftliche Initiativen, die von engagierten Menschen gestemmt werden, um ihre Existenz bangen. Das Demokratiefördergesetz sollte sie davon eigentlich entlasten: die kurzen Finanzierungszeiträume sollten langfristiger werden, und anstatt funktionierende Konzepte immer wieder abändern zu müssen, wollte man die Folgefinanzierung erleichtern.
Seit März lag das fertige Gesetz im Bundestag, verabschiedet wurde es jedoch nicht. Die FDP bremste. Sie forderte eine Extremismusklausel, die dazu geführt hätte, dass sich jede Organisation zum Grundgesetz bekennen müsste. Kritiker:innen sahen darin jedoch einen Generalverdacht genau gegenüber jenen, die sich gegen Extremismus und für Demokratie einsetzten.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Mit dem Ende der Ampel müssen sich engagierte Menschen künftig anderswo umsehen. Während die AfD und rechtsextreme Gruppen an Zulauf gewinnen, gibt es für die politische Bildungsarbeit, für Kulturvereine, Bürgerinitiativen, und Solidaritätsgruppen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus keine nachhaltige Absicherung durch den Bund. Vor allem für Organisationen in strukturschwachen Regionen im ländlichen Raum wird das dramatische Auswirkungen haben.
Amelie Sittenauer
Friedrich Merz
Der Crash der Ampel heißt für Friedrich Merz vor allem, dass er mit noch größerer Wahrscheinlichkeit Bundeskanzler wird – und das früher als gedacht. In den Umfragen liegt die Union, deren Spitzenkandidat Merz ist, so weit vorn, dass man sich nur mit viel Fantasie und bei groben Fehlern der Union vorstellen kann, dass SPD oder gar die Grünen innerhalb einiger Wochen nicht nur aufholen, sondern sich gar an die Spitze setzen können.
Das ist auch einer der Gründe, der hinter dem Gezerre um den Termin für die Vertrauensfrage des Kanzlers und damit für die vorgezogene Bundestagswahl steckt. Scholz’ Vorhaben, bis zur Auflösung des Bundestags mit den Stimmen seiner rot-grünen Minderheitsregierung und der Union doch noch ein paar relevante Punkte durch den Bundestag zu bringen, ist für CDU und CSU eine zweischneidige Sache: Einerseits wollen sie nicht zum Mehrheitsbeschaffer für die Fußgängerampel werden. Andererseits könnten sie bei Ablehnung als Totalverweigerer dastehen, die ihrer staatspolitischen Verantwortung nicht gerecht werden.
Und dann ist da noch die Sache mit der AfD. Wenn die Union eigene Initiativen in den Bundestag einbringt, wird es sich die AfD vermutlich nicht nehmen lassen, diesen zuzustimmen. Dann hätte die Union auch auf Bundesebene eine Diskussion über die Brandmauer an der Backe.
Sabine am Orde
Rentner*innen
Rentner*innen müssen nach dem Ende der Ampel bangen und hoffen, dass sie nicht vergessen werden. Schon jetzt beziehen so viele Senior*innen Sozialhilfe wie nie zuvor. Denn die Bevölkerungsentwicklung, das wissen alle seit Jahrzehnten, verheißt nichts Gutes. Das deutsche Rentensystem kommt deswegen nicht ohne Milliardenzuschüsse aus.
Eigentlich wollte die Ampelregierung das Rentenpaket II auf den Weg bringen, um die Situation zu verbessern. Zum einem sollte das derzeitige Rentenniveau bis zum Jahr 2039 garantiert werden – das war der SPD besonders wichtig. Dafür sollten zum Unmut vieler aber auch die Beiträge steigen. Zum anderen war im Paket das sogenannte Generationenkapital, also der Einstieg in eine Aktienrente, enthalten. Die Idee war, dass künftig Erträge aus einem staatlichen Fonds die Rentenversicherung entlasten sollen. Das war das Wunschprojekt der FDP und ein durchaus kontroverses Vorhaben.
Ob irgendetwas von diesen Plänen nun noch umgesetzt werden kann, ist fragwürdig. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat zwar bereits angekündigt, an den Plänen der Koalition festhalten zu wollen. Auch Kanzler Scholz zeigt sich entschlossen. Ob das realistisch ist, ist aber eine ganz andere Frage. Sicher ist nur: Das Thema Rente wird den Wahlkampf mitbestimmen.
Jasmin Kalarickal
Mieter*innen
Für Mieter*innen bedeutet das Ende der Ampelkoalition mehr Unsicherheit. Denn die Mietpreisbremse steht vor dem Aus. Das heißt, dass Miethöhen, wenn nicht andere lokale Beschränkungen gelten, nach Gusto festgelegt werden können – zumindest bis irgendwann der Mietwucherparagraf greift. Erst kürzlich hatte der damalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) mit Ach und Krach einen Gesetzesentwurf präsentiert, um die Ende 2025 auslaufende Mietpreisbremse um drei Jahre zu verlängern.
Das war ein Jahr weniger, als SPD und Grüne wollten. Außerdem enthielt der Entwurf nichts, was die Mietpreisbremse verbessert hätte, etwa schärfere Regelungen beim möblierten Wohnen. Mehr war mit der FDP, die die Mietpreisbremse ja am liebsten komplett in die Tonne getreten hätte, nicht zu machen. Das Signal der Ampel an Mieter*innen war also: Alles bleibt, wie es ist – in einer Zeit, in der sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt verschlechtert.
Nun wird diese Abwärtsspirale noch weiter angefeuert werden. Zwar hofft SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich darauf, dass man bis zu den Neuwahlen noch zeigen könnte, was ohne die FDP im Mietrecht möglich wäre. Es fragt sich nur, wie er dafür die notwendigen Mehrheiten im Bundestag organisieren will. Ohne die Stimmen der Union wird das nicht gehen.
Jasmin Kalarickal
Queere Familien
Da waren FDP und Grüne sich mal einig: Das traditionelle Familienbild tut der Realität längst nicht mehr Genüge. Die Ampel wollte Schluss machen damit, dass lesbische Frauen die Kinder ihrer Ehefrauen nach der Geburt adoptieren müssen – während Männer automatisch Vater des Kindes ihrer Ehefrau sind. Und auch Co-Elternschaft sollte rechtlich abgesichert werden. Familien also, in denen etwa zwei lesbische Frauen mit einem befreundeten schwulen Paar ein Kind bekommen.
Die Entwürfe dafür liegen seit über einem Jahr vor. Im Kabinett aber wurde noch keiner davon diskutiert. Justizminister Marco Buschmann (FDP) blockierte, stellte Bedingungen, wollte im gleichen Zug auch das Unterhaltsrecht reformieren – zugunsten der Väter. Hier hatten die Grünen Redebedarf.
Nun wird aller Voraussicht nach nichts aus dem ganzen Paket. Das ist vor allem bitter für die lesbischen Mütter, denen Buschmann die Umsetzung ursprünglich mal bis Herbst 2023 versprochen hatte. Ganz hoffnungslos ist die Sache für sie aber nicht: Gleich sechs Verfassungsbeschwerden liegen derzeit beim Bundesverfassungsgericht. Das Gericht, so scheint es, wartete aber bislang auf den Gesetzgeber – der ja Änderungen versprochen hatte. Wenn die Ampel nun nicht mehr liefert, könnte Karlsruhe doch noch zur Tat schreiten.
Dinah Riese
Karl Lauterbach
Zehn Gesetzesvorhaben hat Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) noch auf der Agenda. Kurz vor Abschluss stand die Reform der Notfallmedizin, um die überlasteten Notaufnahmen umzustrukturieren. Außerdem wollte er eine Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge, ohne die kleinere Pflegekassen in ernste Zahlungsschwierigkeiten kommen könnten. Wie am Freitag bekannt wurde, will Lauterbach eine Beitragssatzerhöhung um 0,2 Prozentpunkte nun über eine Rechtsverordnung erlassen. Weitere Gesetze zur Entlastung der Hausarztpraxen und Pflegekräfte sowie zur Digitalisierung liegen in der Pipeline.
FDP-Gesundheitspolitiker Andrew Ullmann betont zwar auf taz-Anfrage: „Wenn wir etwas im Sinne der Patienten und Leistungserbringer verbessern können, werden wir uns nicht verschließen“ – eine Zustimmung der FDP zu den Ampelvorhaben ist trotzdem fraglich. Die Opposition wiederum hat drei Jahre lang so erbittert gegen die Gesundheitspolitik der Ampel gewettert, dass ein Umdenken kaum vorstellbar ist. Selbst die bereits beschlossene Krankenhausreform könnte noch kippen. Sollten die Bundesländer am 22. November im Bundesrat Einspruch einlegen, landet sie im Vermittlungsausschuss. Ein verändertes Gesetz müsste nochmals im Bundestag beschlossen werden. Dann wäre die größte Krankenhausreform seit 20 Jahren wohl gescheitert.
Manuela Heim und Amelie Sittenauer
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