Regeln der Intimität beim Dating: Knutschen muss genug sein dürfen
Wenn es beim Daten zum Kuss kommt, ist die Erwartung auf anschließenden Sex oft groß. Warum wir deshalb ein Recht auf Intimität ohne „Ziel“ brauchen.
W enn man einem Date körperlich nahkommt, kuschelt oder sich küsst, scheint man in unserer Gesellschaft einen unsichtbaren Vertrag zu unterschreiben, in dem steht: Wir werden Sex haben. Wenn wir cis und hetero sind, mit Penetration.
Ich glaube, uns entgeht durch diese Vertragsklausel viel. Ich kuschel und knutsche sehr gerne. Oft ist es einfach genau das, was ich gerade mit einer bestimmten Person machen möchte. Solche schönen Momente halten aber meist nicht lange.
Eher früher als später wird der Punkt kommen, an dem ich sagen muss: Bis hierhin und nicht weiter. Anstatt einfach da weiterzumachen, wo es sich gerade für beide noch gut angefühlt hat, wird die andere Person insistieren, oder den zärtlichen Moment ganz beenden. So habe ich es oft erlebt, mit verschiedenen Geschlechtern.
Eine Zeit lang versuchte ich, schon auf dem gemeinsamen Weg nach Hause klar zu sagen, was ich möchte und was nicht. Der Vorteil war, dass ich mich etwas entspannen konnte. Ich hatte nicht mehr die ganze Zeit im Hinterkopf: Gleich kommt der Moment, an dem du der anderen Person eröffnen musst, dass du den Vertrag brechen wirst. Der Erfolg dieser Methode war trotzdem mäßig. Es hielt meine Dates selten davon ab, zu insistieren oder aufzustehen mit einem Spruch wie: „Ich gehe mal nach Hause, kalt duschen.“
Kuscheln als neue Genusskategorie
Bei meinem letzten Tinder-Profil-Update schrieb ich in meine Bio: „Ich möchte wahrscheinlich keinen Sex, melde dich gern, wenn du Lust auf kuscheln oder knutschen hast.“ Jetzt kann nichts mehr schiefgehen, dachte ich. Die Leute wissen von Anfang an, woran sie sind, und ich werde nur noch mit denjenigen matchen, die das gleiche Bedürfnis haben. Toll, diese Dating-Apps.
Die zwei Dates, die ich daraufhin hatte, verliefen ähnlich. Wir küssten uns an einem schönen Ort an einem warmen Spätsommerabend. Doch statt das zu genießen, verschwendeten beide die gemeinsame Zeit damit zu insistieren, ich solle mit zu ihnen nach Hause kommen, obwohl ich längst nein gesagt hatte. Aus einem schönen Knutsch-Date war wieder nichts geworden.
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder sie hatten den einzigen Satz im Profil nicht gelesen. Oder ihn nicht ernst genommen. Das konnte entweder an der verbreiteten Rape-Culture-Denkweise liegen, ein Mann müsse eine Frau „rumkriegen“, egal was sie dazu sagt. Oder der unsichtbare Vertrag hatte in den Augen dieser Dates mehr Gewicht, als mein gut sichtbares geschriebenes und gesprochenes Wort.
Ich wünsche mir, dass Kuscheln im Vertragswerk der Intimität als eigene Genusskategorie anerkannt wird und nicht bloß als ein Schritt auf dem Weg zu einem Ziel. Überhaupt wünsche ich mir mehr intime Begegnungen ohne Ziel. Am besten auch ohne Vertrag. Die einzige Klausel müsste sein, dass alle Beteiligten zu jeder Zeit einverstanden sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Stromversorgung im Krieg
Ukraine will Atomkraft um das Dreifache ausbauen
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja