Rechter Anschlag in Hanau: Psychologen in die Behörden!
Die steile These: Der Amoklauf von Tobias R. hätte durch psychologisch geschultes Personal in der Justiz eventuell verhindert werden können.
H ätte es eine Chance gegeben, die schreckliche Tat von Hanau zu verhindern, wenn man vorher erkannt hätte, wie gefährlich der Sportschütze Tobias R. ist?
Wer kann das schon mit Gewissheit sagen. Aber es lässt natürlich aufhorchen, dass die Bundesanwaltschaft diese Woche bestätigt hat, dass sie bereits im November einen Brief erhalten hatte, in dem Tobias R. seine wahnhaften Ideen über seine angebliche Überwachung durch fremde Geheimdienste ausbreitete.
Es ist unklar, ob sich aus dem Schreiben schon eine Gefahr herauslesen ließ. Es bestand wohl nur zum Teil aus dem sogenannten Manifest, jenem von Rassismus und Wahn durchsetzten Konvolut, das nach dem Tod des Attentäters gefunden wurde. Und all jene, die der Bundesanwaltschaft da jetzt eine Mitverantwortung zuweisen, machen es sich nach heutigem Stand zu einfach.
Für die Juristen in Karlsruhe wird R. damals nur einer von Hunderten gewesen sein, die sich jeden Tag mit zum Teil abstrusen Klagen an deutsche Gerichte, Behörden und auch Redaktionen wenden. Menschen schreiben von Verschwörungen oder – ähnlich wie Tobias R. – von Außerirdischen, die ihnen Chips eingepflanzt hätten. Sie schicken Steuerunterlagen in Kartons, um eine Staatsverschwörung gegen sie zu beweisen. Auch haben viele Rechtspfleger und Richter schon vor Jahren Bekanntschaft mit Reichsbürgern gemacht, als dieses Phänomen noch wenig beachtet wurde.
Die sinnlosen Eingaben verstopfen den ohnehin zähen Aktenfluss. Beim Bundesverfassungsgericht zum Beispiel sorgen offensichtlich unbegründete Verfassungsklagen für hohen Arbeitsaufwand, weil jeder Bürger erst einmal ohne jede formale Voraussetzung Klage einreichen kann. Es kommen so viele Beschwerden, dass schon mal eine Strafgebühr für offensichtlich unbegründete Verfassungsbeschwerden im Gespräch war.
Querulanten heißen solche Leute unter Juristen. Es gibt eine regelrechte Szene, die sich in Internetforen über die richtigen juristischen Wendungen austauscht, mit denen sie erreichen können, dass sich ein Gericht mit ihrer Klage beschäftigen muss. Es gibt auch pensionierte Richter, die die Querulanten beraten, um ihren ehemaligen Kollegen etwas heimzuzahlen. Die Diagnose für dieses Verhalten lautet „krankhafter Querulantenwahn“, auch wenn sie unter Experten umstritten ist.
Menschen helfen, wo sie auffällig werden
Die wenigsten Querulanten greifen später zur Waffe. In dem roten Band „Querulanz in Gericht und Verwaltung“, einem der wenigen Bücher, in dem sich Psychologen mit dem Phänomen anhand empirischer Daten beschäftigen, kann man nachlesen, dass ein wesentliches Bedürfnis vieler darin liege, Aufmerksamkeit zu gewinnen. Und es gebe nur ein Rezept, das hilft: „Erfahrene Juristen berichteten, dass durch ausführliche Gespräche hartnäckige juristische Auseinandersetzungen beendet werden konnten“, schreiben die Autoren.
Dafür ist im Alltag von Behörden allerdings wenig Zeit, und Juristen sind dafür auch nicht qualifiziert. Deshalb wäre es geboten, dass Behörden bei solchen Fällen mit Psychologen oder Sozialarbeitern zusammenarbeiten, statt die Briefe der nervigen Beschwerdeführer mit einem Aktenzeichen im Archiv zu entsorgen.
Aber dazu müssten erst einmal rechtliche Voraussetzungen geschaffen werden. Denn Behörden dürfen Anzeigen oder Eingaben nicht einfach an den Psychologischen Sozialdienst weitergeben. Das verhindert der Datenschutz. Nur wenn offensichtliche Gefahr droht oder eine Straftat angekündigt wird, müssen die Behörden handeln.
Der Fall von Tobias R. zeigt, dass vielleicht Schlimmstes hätte verhindert werden können, wenn qualifiziertes Personal dieses Dokument des Wahnsinns nicht nur unter juristischen, sondern auch unter psychologischen Gesichtspunkten geprüft und mit dem Absender Kontakt aufgenommen hätte.
Man sollte Menschen da helfen, wo sie auffällig werden. Gerichte und Behörden sind ein Magnet für Querulanten – und übrigens auch Journalisten. Vor einigen Jahren stand ein Mann mit einem Rollkoffer voller Papiere vor meiner Tür. Nachdem er bei der Bundesanwaltschaft abgeblitzt war, wollte er nun einem Journalisten Beweise dafür vorlegen, dass ihn eine Stadtsparkasse im Schwäbischen um sein Haus gebracht hatte.
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Aus den Dokumenten konnte man das nicht so einfach herauslesen, Kopien wollte er mir nicht überlassen. Nach zweieinhalb Stunden zog er weiter. Er war zornig, aber wahrscheinlich nicht gefährlich. Psychologische Betreuung hätte er mit Sicherheit gebrauchen können.
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