Rechte Hetze gegen Brosius-Gersdorf: Der lange vorbereitete Feldzug der FundamentalistInnen
Eine massive Kampagne von christlichen FundamentalistInnen hat die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf vorerst verhindert. Wer genau steckt dahinter?

Die Wahl von Brosius-Gersdorf wäre „katastrophal“, heißt es auch in einem Brief der Aktion Lebensrecht für alle (ALfA) an Abgeordnete des Bundestags. Brosius-Gersdorf, die Mitglied der Expert*innenkommission für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen war, deute „ganz bewusst“ die Verfassung um, um ideologische Ziele zu verwirklichen. So solle manchen Menschen – Föten – Grundrechte abgesprochen werden. Ohne Kinder aber habe ein „Staat keine Zukunft“.
Die Organisation 1000plus schreibt auf ihrer Website: „Das Unfassbare“ sei eingetreten: Brosius-Gersdorf sei nominiert, obwohl sie sich „klar und deutlich“ für die Legalisierung von Abtreibung ausgesprochen habe. Und die internationale Kampagnenorganisation CitizenGo schreibt, die SPD versuche, eine „radikale linke Lebensfeindin“ ins Bundesverfassungsgericht zu bringen.
Aktion SOS Leben
Das wollen die Vereine und Organisationen, die sich gegen Schwangerschaftsabbrüche einsetzen, allerdings nicht hinnehmen – und liefern die Instrumente, Brosius-Gersdorf zu verhindern, gleich mit. Grün hinterlegt ist etwa auf der Seite von 1000plus ein Banner, auf dem steht: „Schreiben Sie dem Unions-Abgeordneten Ihres Wahlkreises“.
Druck auf Abgeordnete
Die Aktion SOS Leben lädt zum Klick auf eine Petition namens „Nein zu Abtreibungsaktivisten im Bundesverfassungsgericht – Nein zu Brosius-Gersdorf!“. Auf der Seite von CitizenGo heißt es: „Keine radikale Lebensfeindin ins Bundesverfassungsgericht: Stimmen Sie gegen Frauke Brosius-Gersdorf!“. Und die ALfA richtet sich per Brief förmlich und direkt an die Abgeordneten des Bundestags: „Ich bitte Sie daher dringend, Frau Brosius-Gersdorf nicht Ihre Stimme zu geben.“
Die Stimmung, die die Vereine und Organisationen aus der Anti-Choice-Szene gegen Brosius-Gersdorf gemacht haben, zeigte bekanntermaßen Wirkung – flankiert noch durch Hetze etwa der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch. Die behauptete bei der Generaldebatte im Bundestag vergangene Woche, Brosius-Gersdorf spreche einem neun Monate alten Fötus keine Menschenwürde zu. Auf „Nius“, dem rechten Portal des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt, sind seit Anfang Juli mehr als 20 Texte erschienen, die gegen die „Richterin des Grauens“ mobil machten.
Bei Redaktionsschluss stand die Petition auf CitizenGo bei 146.000 Unterschriften. 37.000 E-Mails, so die Organisation 1000plus, seien an Unionsabgeordnete versandt worden. „Sie haben es geschafft!“, jubelt deshalb der Vorsitzende Kristijan Aufiero, nachdem die Wahl der RichterInnen am Freitag abgesagt wurde, obwohl sich die Koalition zuvor darauf verständigt hatte: Die Unionsfraktion habe angekündigt, Brosius-Gersdorf nicht zu wählen.
Aufiero, das am Rande, war im Februar als Sachverständiger für die AfD bei einer Anhörung im Rechtsausschuss zu Schwangerschaftsabbrüchen geladen. Und auf CitizenGo heißt es: Dass die Wahl von Brosius-Gersdorf verhindert worden sei, sei „ein großer Sieg für den Lebensschutz für die nächsten zwölf Jahre“.
Die konzertierte Kampagne gegen Brosius-Gersdorf ist kein Zufall. Ultrakonservative ChristInnen, die mit der autoritären und extremen Rechten gemeinsame Sache machen, arbeiten seit Jahren an einem Rollback von Frauenrechten und Rechten von LGBTIQ in Europa.
Finanzstarkes Netzwerk
Erst Ende Juni hatte ein progressiver Thinktank, das Europäische Parlamentarische Forum für sexuelle und reproduktive Rechte (EPF), einen Bericht namens „Die nächste Welle“ vorgelegt. Darin beschreibt EPF-Geschäftsführer Neil Datta ein weit verzweigtes Netzwerk, dem unter anderem AktivistInnen der sogenannten Lebensschutzszene, religiöse ExtremistInnen, extrem rechte PopulistInnen und AristokratInnen angehören, teils enorm finanzkräftig.
Zwischen 2019 und 2023, so der EPF-Bericht, wurden von 275 Organisationen Mittel in Höhe von fast 1,2 Milliarden Dollar aufgebracht, die in Europa an Anti-Gender-Initiativen beteiligt waren – also solchen, die gegen Schwangerschaftsabbrüche und Rechte von LGBTIQ sowie gegen Geschlechtergleichheit mobil machen. Den AktivistInnen, so das EPF, gehe es darum, „Jahrzehnte von hart erkämpften sexuellen und reproduktiven Rechten in ganz Europa zu demontieren.“
Eine Organisation, deren Name dabei immer wieder fällt, ist CitizenGo – eine derjenigen also, die auch gegen Brosius-Gersdorf mobil machen.
CitizenGo ist nicht irgendeine Plattform. Schon 2013 schreibt der spanische Anti-Abtreibungs-Aktivist Ignacio Arsuaga, Gründer von CitizenGo: Die Plattform solle „die einflussreichste internationale christlich inspirierte Mobilisierungswebsite“ werden. Eine, die „nationale Regierungen, Parlamente und internationale Institutionen effektiv beeinflusst“. Über die Dokumente, in denen Arsuaga das schrieb, zudem über Adresslisten, Finanzberichte und Strategiepapiere von CitizenGo berichtete die taz bereits 2021, sie liegen ihr vor.
Das Gute und das Böse
Rechtlich ist CitizenGo eine in Spanien eingetragene Stiftung. Sie setzt sich ein für „Leben, Familie und Freiheit“, so steht es auf der Website. Intern ist die Darstellung martialischer: Die Organisation sieht sich in einem Kulturkampf, zwischen der Kultur des Lebens und der des Todes, Gut gegen Böse. Das Böse sind für CitizenGo unter anderem Menschen, die sich für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche einsetzen – das Gute sind die „wahren“ ChristInnen, die den Kampagnen der globalen Linken etwas entgegensetzen. Deshalb will CitizenGo „eine Generation von konservativen Führern“ aufbauen, national und international.
Der Aktivismus von CitizenGo hat sich seit 2013 deutlich professionalisiert. Dabei nutzt die Organisation Daten von FundamentalistInnen und LGBTIQ-GegenerInnen als Währung, knüpft Kontakte zu rechtsextremen Parteien und nimmt immer mehr Einfluss – unter anderem auf das Europäische Parlament. Dort erinnert eine Aktion von CitizenGo schon Ende 2013 frappierend an die konzertierte Kampagne gegen Brosius-Gersdorf im Juli 2025.
Damals sollte nicht das deutsche, sondern das Europäische Parlament abstimmen, nicht über eine Richterin, sondern über ein Papier: eines, in dem sich das EU-Parlament dazu bekennt, dass allen Europäer*innen der Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen und Sexualaufklärung zusteht. Dreimal steht das Papier zur Entscheidung, dreimal wird es abgelehnt – eine herbe Niederlage für viele Sozialdemokrat*innen, Linke und Liberale im EU-Parlament.
Die Strategie, mit der CitizenGo damals vorging, hat sich bewährt: Christlich-fundamentalistische und rechte AktivistInnen fluten die Post- und E-Mail-Eingänge von Abgeordneten mit Mails und Petitionen, innerhalb kürzester Zeit sammeln sie Unterschriften. Bis 2013 ist eine solche Mobilisierung für die europäische Rechte beispiellos. Heute übernehmen die Strategie von CitizenGo längst Vereine und Organisationen wie ALfA, 1000plus und Aktion SOS Leben.
Jens Spahn: Mittendrin, statt nur dabei
Das Thema Geschlechterpolitik funktioniert dabei als Scharnier. Es ist zum einen anschlussfähig an die gesellschaftliche Mitte, zum anderen Kernthema der Rechten. Rechte Politik ist ohne die Kontrolle weiblicher Körper nicht denkbar, schließlich geht es dabei auch um Reproduktion von Bevölkerung, um eine „Willkommenskultur für Kinder“, wie etwa die AfD in ihrem Wahlprogramm schreibt – deutsche Kinder, versteht sich.
Dabei erinnert der Kampf um die Besetzung von RichterInnenposten an die USA, wo US-Präsident Donald Trump in seiner ersten Amtszeit ultrakonservative RichterInnen für den Obersten Gerichtshof ernannte. Dieser kippte in der Folge 2022 in einem Grundsatzurteil das Recht auf Schwangerschaftsabbruch im Land. Auch hierzulande, so der Soziologe und Antifeminismus-Experte Andreas Kemper, versuche die Bewegung, die eigenen Ziele über konservative und rechte RichterInnen zu flankieren – und liberale RichterInnen zu verhindern.
Fraktionschef Jens Spahn musste in den vergangenen Tagen viel Kritik dafür einstecken, die Stimmung in der Fraktion entweder falsch eingeschätzt oder seine Fraktion nicht im Griff zu haben, vielleicht auch beides. Interessant dabei ist allerdings auch Spahns eigene Positionierung zu Schwangerschaftsabbrüchen.
2019 hatte er als Gesundheitsminister eine Studie in Auftrag gegeben, die zunächst „die seelischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen“ untersuchen sollte. Dieses sogenannte „Post-Abortion-Syndrom“ behauptet etwa, dass Frauen von Abtreibungen krank werden, zum Beispiel schwere Depressionen bekommen. Es gilt als Erfindung der US-amerikanischen Anti-Choice-Bewegung aus den 1980ern Jahren und ist wissenschaftlich längst widerlegt.
Im Januar 2020 postete zudem die Vorsitzende der ALfA, Cornelia Kaminski, die nun Stimmung gegen Frauke Brosius-Gersdorf macht, ein Foto auf Facebook. Man sieht Kaminski dort eng neben Jens Spahn stehen, beide lächeln freundlich-beschwingt in die Kamera.
Während sich das Gesundheitsministerium damals nicht zu „einzelnen Fotos“ äußern wollte, freute sich die ALfA offensichtlich über den Kontakt. „Beim Künzeller Treffen der CDU Hessen in Fulda“, beschrieb Kaminski das Bild. Und: „Ein gutes Gespräch.“
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