Rassismus nach EM-Finale: Im Schatten der Wut
Nach der Niederlage gegen Italien fluten sogenannte Fans der englischen Nationalmannschaft das Netz mit Hass – und die Straßen.
Nur eine Stunde nach dem großen Match am Sonntagabend wurde das meterhohe Graffito des englischen Fußballnationalspielers Marcus Rashford mit einem rassistischen Slogan beschmiert. Zeitgleich treten englische Fußballfans vor dem Wembleystadion in London auf einen am Boden liegenden jungen Mann ein. Für den verlorenen Sieg sollten nun andere bezahlen. Nämlich all diejenigen, die in den Augen der englischen Fans nicht zur Mehrheitsgesellschaft gehören. „Die N*** haben uns den Eurosieg gekostet. Bestraft einen N***“, hieß es bei Twitter.
Beim Endspiel konnte England drei der fünf Elfmeter nicht verwirklichen. Ihren Frust ließen die Fans auf den Straßen aus. Am Leicester Square in London musste beispielsweise die Polizei eingreifen, um ein Ausschreiten zu verhindern. Die Polizei verzeichnete insgesamt 49 Festnahmen, einen registrierten sexuellen Übergriff und 19 Polizeibeamte wurden verletzt. Rassistische Beleidigungen verzeichnete die Polizei vor allem online.
Der Nationalspieler Marcus Rashford traf nur den linken Torpfosten, und der italienische Torhüter Gianluigi Donnarumma hielt einen Schuss von Jadon Sancho davor genauso wie den Schuss des 19-jährigen Bukayo Saka. Das Gemeinsame der drei ist, dass sie Schwarze Spieler der englischen Mannschaft sind. Das reichte wohl für rassistische Englandfans, sich über diese herzumachen.
Schon in den vergangenen Wochen wurde die Hautfarbe der Spieler thematisiert. Als die englische Mannschaft sich dazu entschloss, vor dem Anpfiff als Zeichen gegen Rassismus zu knien, gab es wütende Reaktionen der Fans. Boris Johnson und seine Innenministerin Priti Patel hatten immer wieder Verständnis für Menschen gezeigt, die ihren Unmut über das Knien der Spieler gegen Rassismus sowie die Bewegung Black Lives Matter äußerten.
Doch als die rassistischen Reaktionen nach Ende des Spiels bekannt wurden, beeilten sich dann doch auf einmal viele mit klaren Verurteilungen, darunter auch Prinz William und Premierminister Boris Johnson. Prinz William, der unter anderem Ehrenpräsident der englischen Football Association (FA) ist, erklärte, dass die Fußballspieler dieses verabscheuungswürdige Verhalten nicht hätten erfahren dürfen. Johnson bezeichnete das Verhalten als widerwärtig. Statt rassistisch beschimpft zu werden, hätte es das englische Team verdient, als heldenhaft beschrieben zu werden.
Die Wut von der Straße
Auch von der FA gab es eindeutige Aussagen gegen den nach dem Spiel aufflackernden Rassismus. Die FA sage „klipp und klar, dass das ekelhafte Verhalten nicht hingenommen werden kann“, und sie setze alles daran, die betroffenen Spieler zu unterstützen und fordere die strengsten Strafen für die für diesen Rassismus Verantwortlichen.
„Wir rufen die britische Regierung auf, möglichst schnell neue Gesetze zu schaffen, damit derartige Schmähungen künftig Konsequenzen nach sich ziehen.“
Tony Burnett, der Geschäftsführer von Kick it Out, einer Organisation, die sich die Bekämpfung des Rassismus im Fußball seit Langem zum Anliegen gemacht hat, bestätigte, dass bessere Regulierung und Strafvollstreckung notwendig seien und dass die sozialen Netzwerke einen Teil der Lösung darstellen müssten, darunter mit verbesserten präventiven Filtern und Blockierungstechnik. „Sie müssen verantwortlich für die Sicherheit online sein, indem sie eine effektivere Identitätsbestätigung einführen und sicherstellen, dass derartiges Verhalten echte Konsequenzen für das Leben der Täter*innen hat.“
Facebook gab inzwischen an, dass niemand Rassismus erfahren dürfe und dass der Konzern schnell Kommentare gegen Englands Fußballer entferne und weitere rechtliche Schritte ergreifen werde. Doch auch am Tag nach dem Spiel waren in den diversen sozialen Medien noch rassistische Kommentare zu lesen.
Ob die Wut von der Straße noch bis in die Häuser gelangt ist, ist unklar. Bisher gibt es keine konkreten Zahlen zu erhöhter häuslicher Gewalt. Die Geschäftsführerin von Women's Aid, einer wichtigen Organisation gegen Gewalt gegen Frauen, gab an, dass Fußball nicht der Auslöser von häuslicher Gewalt sei, jedoch Tätlichkeiten während und nach Fußballspielen anstiegen, nicht zuletzt aufgrund der starken Emotionen und höheren Alkoholkonsums. Seit 2014 würden sie mit Fußballvereinen und anderen Organisationen dazu Aufklärungsarbeit leisten und Hilfstelefone und Live-Online-Chats bereitstellen.
In einer Studie der Fußballweltmeisterschaften der Jahre 2002, 2006 und 2010 heißt es, dass bei Niederlagen des englischen Teams häusliche Gewalt um 38 Prozent angestiegen sei. Rassistische Gewalt online wie offline und die Gefahr eines Anstiegs von häuslicher Gewalt: Und das alles wegen drei verschossenen Elfmetern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos