Rabbis in der Bundeswehr: Militärgeheimnis jüdische Soldaten
Die Bundeswehr wäre gern divers und weltoffen. Dazu verbreitet das Verteidigungsministerium offenbar falsche Zahlen über jüdische Soldaten.
Anfang des kommenden Jahres sollen deshalb die ersten von zehn Militärrabbinern ihren Dienst bei der Bundeswehr antreten. Dafür wird ein Militärrabbinat – eine eigene religiöse Behörde – errichtet, mit fast 50 Dienstposten in einem 1000 qm großen Büro in Berlin. Knapp viereinhalb Millionen Euro soll das Ganze jährlich kosten, 900.000 Euro kommen im ersten Jahr oben drauf. Die Behörde soll sich primär um die religiöse Bedürfnisse von jüdischen Soldaten kümmern: Dazu gehören etwa die Einhaltung der Tora-Gebote und die Gewährleistung der koscheren Verpflegung. Nur: Wie viele Juden gibt es in der Bundeswehr überhaupt, die diesen Aufwand berechtigen würden?
Das Verteidigungsministerium behauptet, dass etwa 300 jüdische Soldaten ihren Dienst tun. Damit gäbe es prozentual mehr Juden in der Bundeswehr als in der Gesamtbevölkerung. Selbst wenn diese Zahl stimmen würde, käme somit ein Rabbiner auf 30 jüdische Soldaten. Laut dem Staatsvertrag mit der evangelischen und der katholischen Kirche soll ein christlicher Militärseelsorger für jeweils 1.500 gläubige Soldaten eingesetzt werden.
Recherchen der taz haben aber bereits gezeigt, dass die Zahl von 300 jüdischen Soldaten jedoch weit übertrieben sein dürfte – und, dass jüdische Soldaten offenbar nicht gefragt wurden, ob sie religiösem Beistand überhaupt wollen. Der Ehrenvorsitzende des Bunds Jüdischer Soldaten, Michael Fürst, sagte der taz, er kenne nur sechs Juden im aktiven Militärdienst. Und religiös seien die meisten nicht. Nun wird deutlich: Auch das Verteidigungsministerium wusste, dass die Zahl 300 viel zu hoch ist – und verbreitete sie trotzdem.
Auf Nachfrage: Schweigen
Doch woher kommt diese Zahl? Gegenüber der taz hatte das Verteidigungsministerium eingeräumt, die Zahl sei eine „Hochrechnung“. Grundlage dafür ist eine Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaft, ein wissenschaftliches Institut, das zur Bundeswehr gehört. Im Jahr 2013 hatte das Institut 7.744 Soldaten im Intranet der Bundeswehr befragt, unter anderem zum religiösen Bekenntnis.
Anruf bei einer der Autorinnen der Studie: Gibt es 300 Juden in der Bundeswehr? „Das kann man daraus nicht ableiten“, sagt sie. „Aus der Perspektive der Sozialwissenschaftlerin kann ich sagen: Wir haben keine validen Zahlen“.
Die Wissenschaftlerin betont, dass sie bei der Umfrage bewusst nicht nach Konfession gefragt hätten, sondern danach, welcher Glaubensrichtung sich ein Soldat verbunden fühle. Auf dieser Grundlage die Zahl der Juden in der Bundeswehr zu bestimmen, sei nicht möglich.
Auf die Bitte, die Studie der taz zu schicken, sagt die Autorin erst zu. Dann antwortet sie nur noch mit einem Verweis auf die Pressestelle. Kurze Zeit später heißt es aus dem Verteidigungsministerium, die Studie sei ein internes Gutachten. Andere Teile der Studie, etwa zum Thema Innere Führung, sind für die Öffentlichkeit in zahlreichen Bibliotheken zugänglich.
300 jüdische Soldaten? Oder doch eher 50?
Ein Teil der Ergebnisse, die das Ministerium nicht öffentlich machen will, liegt der taz nun vor. Die statistische Hochrechnung auf die gesamte Bundeswehr ergab demnach jedoch nicht 300 Soldaten, sondern einen Wert zwischen 51 und 294. Das ist etwas niedriger als die mögliche Zahl von Anhängern heidnisch-germanischer Religionen oder des Buddhismus.
Am 5. April 2013 stellten die AutorInnen die Ergebnisse im Verteidigungsministerium vor. Dass die Zahl der Soldaten, die sich dem Judentum verbunden fühlen, genauso gut nur 50 sein könnte, dass gar nicht nach Religiosität oder Zugehörigkeit zu einer Gemeinde gefragt wurde, all das war der Bundeswehr also bekannt – und wurde offenbar ignoriert, um eine deutlich zu hohe Zahl verbreiten zu können.
Dabei müsste die Bundeswehr gar nicht auf irgendwelche Studien und zweifelhafte Hochrechnungen zurückgreifen, um die Zahl der jüdischen Soldaten zu erfassen. Anders als muslimische Gemeinden sind jüdische Gemeinden rechtlich den beiden großen Kirchen gleichgestellt. Für sie treibt der Staat in der Regel die Kirchensteuer bzw. Kultussteuer ein. Dadurch müsste der Staat auch wissen, wie viele seiner Soldaten jüdischen Gemeinden angehören.
So konnte die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion aus diesem Jahr genau sagen, wie viele evangelische (53.451) und wie viele katholische Soldaten (40.889) aktuell im Dienst sind.
Falsche Angaben auch gegenüber Abgeordneten?
Auf taz-Anfrage weigert sich das Verteidigungsministerium aber, die Zahl der kultussteuerpflichtigen Juden in der Bundeswehr zu nennen. Es verweist auf das Bundesverwaltungsamt, eine Behörde des Innenministeriums, und an das Bundeszentralamt für Steuern. Beide Behörden antworten der taz, dass diese Daten nicht bei ihnen, sondern nur der Personalverwaltung der Bundeswehr vorliegen.
Ein letzter Versuch, diesmal beim Bundesamt für Personalmanagement der Bundeswehr. Dort heißt es zunächst, dass man der taz die Zahl gern zur Verfügung stelle, aufgeschlüsselt nach Geschlecht und Dienstgrad. Ein Offizier ist redselig: Er glaube, es gebe überhaupt keine Juden in der Bundeswehr, oder nur sehr wenige. Einen Tag später heißt es, die Zahlen würden zwar vorliegen, seien aber „nicht valide“ und könnten deshalb nicht herausgegeben werden: „Das ist nicht das richtige Ergebnis“, sagt eine Sprecherin. Nur: Wer entscheidet das?
Laut Auskunft der Personalverwaltung existiert in der Datenbank der Bundeswehr neben dem Vermerk zur Kultussteuer noch eine weitere, freiwillige Angabe zur Religionszugehörigkeit. Auch diese will die Sprecherin der taz nicht nennen.
Der Verdacht, dass die Abgeordneten des Bundestags falsch über die zahl der jüdischen Soldaten informiert wurden, wiegt schwer: Als das Gesetz zur jüdischen Militärseelsorge im Mai im Bundestag debattiert wurde, hatten Abgeordnete der SPD, CDU, AfD und FDP die Zahl von 300 jüdischen Soldaten wiederholt. Der Gesetzentwurf wurde von allen Fraktionen einstimmig angenommen. Das passiert äußerst selten.
Mehrere Abgeordnete aus dem Verteidigungsausschuss bestätigen der taz, dass die Zahl 300 immer wieder zur Begründung genannt wurde. „Wäre das in der Form bekannt gewesen, dass es möglicherweise kaum mehr jüdische Soldaten gibt als die zehn geplanten Militärrabbiner, hätte das Gesetz keine Mehrheit gefunden,“ sagte ein Mitglied des Verteidigungsausschusses der taz.
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