piwik no script img

Prozess gegen Letzte GenerationWie die Hoffnung auf Klimaschutz stirbt

Vor dem Amtsgericht Hamburg steht ein Aktivist der Letzten Generation wegen Sachbeschädigung. Begegnung mit einem Mann, der keine Zukunft mehr sieht.

Schwer zu beseitigen: orangene Farbe am Hamburger Audimax Foto: Moritz Löhn

Hamburg taz | Der Richter am Amtsgericht und der Angeklagte Philipp F. kennen sich bereits. F. war zum ersten Verhandlungstermin nicht erschienen, sodass der Richter ihn per Haftbefehl kommen ließ. F. sagt, dass der Brief des Gerichts bei ihm untergegangen sei. Kein Wunder, der 25-Jährige gehört zur Letzten Generation und ist gerade mit mehreren Verfahren beschäftigt. Heute steht er zum fünften Mal vor Gericht.

F. ist ein schmaler Mann mit dunklem Zopf. Von Beruf ist er Solarmonteur, aber derzeit arbeitslos. Das, was ihm das Gericht vorwirft, räumt er umstandslos ein: F. hat im Oktober 2023 mit einem anderen Mitglied der Letzten Generation die Glasfassade sowie die angrenzenden Betonstützpfeiler und Türen des Audimax der Uni Hamburg großflächig mit wasserfester Farbe besprüht. Pres­sever­tre­te­r:in­nen haben die Aktion gefilmt, sodass das Beweismaterial ohnehin solide ist.

Juristisch ist dieser Prozess erst einmal nicht besonders interessant. Presse ist kaum da, aber eine Schulklasse sitzt im Zuschauerraum. Was sie sieht, könnte einmal als Absatz in Geschichtslehrbüchern auftauchen: Klimaschutzbewegungen im 21. Jahrhundert. Bei der Letzten Generation steht dann vielleicht als Zusatz: und ihr Scheitern.

Für Philipp F. geht es heute um Finanzielles, aber nicht um Entscheidendes. Am Anfang sei er auf jeder Klimademo gewesen, sagt er, habe gespendet und gemerkt, dass er damit nichts ausrichtete. Deshalb habe er sich der Letzten Generation angeschlossen – aber das 1,5-Grad-Ziel hätten sie trotz aller Aktionen verfehlt. „Seit Anfang des Jahres habe ich keine Aktion der Letzten Generation mehr mitgemacht, weil ich einfach keine Hoffnung mehr habe“, sagt F. Er sagt es sachlich.

Hartnäckiges Orange

Das Gericht beschäftigt sich noch kurz mit der Beweisaufnahme. Es gibt Rechnungen der Universität, die gleich zwei Unternehmen mit der Farbentfernung beauftragen musste, weil das Orange, das die Aktivisten versprüht hatten, hartnäckig war. Im ersten Durchgang lagen die Kosten bei 7.999 Euro und 47 Cent und für den zweiten schrieb ein Maler Poppe eine Rechnung über 12.003 Euro und 27 Cent.

Es gibt auch ein Gutachten des Landeskriminalamts Hamburg zur Frage, wie aufwendig die Farbentfernung war. Ein Teil der Farbe war mit Wasser vermischt, ein anderer nicht, und der vermischte Teil war deutlich leichter zu entfernen. Liegt es da für einen umsichtigen Aktivisten nicht nahe, vermischte Farbe zu nehmen, um nicht bis ans Ende aller Tage für den Schaden aufkommen zu müssen? Das ist eine Frage, zu der Philipp F. nach dem Prozess etwas Erhellendes sagen wird, aber erst einmal fragt der Richter ihn nach seinen wirtschaftlichen Verhältnissen.

F. bezieht als Arbeitsloser 900 Euro, davon zahlt er 700 Euro Miete. Er arbeitet ehrenamtlich auf einem „Lebenshof“, den Freun­d:in­nen betreiben. Von ihnen bekommt er „Unterstützung und Essen“, sagt F. Der Lebenshof ist ein Gnadenhof für Nutztiere, so erklärt er auf Nachfrage des Staatsanwalts. „Beim letzten Mal sollte doch ein Schwein kommen“, wirft der Richter ein. Das ist einer der wenigen Momente, in denen F. seine Zurückhaltung verliert. „Leider ist es noch nicht geliefert worden“, sagt er und lacht.

Staatsanwalt und Richter sind freundlich

Der Staatsanwalt und der Richter sind freundlich zu F., der ohne anwaltliche Vertretung im Gericht sitzt. Vielleicht sind sie freundlich wegen der Schulklasse, vielleicht wertschätzen sie eine Sachbeschädigung aus Motiven, die, so sagt es der Richter, „nicht Jux und Dollerei“ sind. „Sind Sie desillusioniert?“, fragt der Staatsanwalt den Angeklagten. „Mein Fokus ist auf kleinen Projekten wie dem Lebenshof“, antwortet der. Der Richter gibt ihm das letzte Wort, aber er hat nichts zu sagen. Dann fällt ihm doch noch etwas ein: „Durch andere Verfahren zahle ich schon 50 Euro pro Monat.“

Der Staatsanwalt fordert in seinem Plädoyer 60 Tagessätze, die nicht über 20 Euro liegen sollen. Das, so sagt er, sei weniger als der übliche Satz. Der Richter schließt sich ihm an. Was zum Strafrechtlichen hinzukommt: F. muss zivilrechtlich für den Schaden am Unigebäude aufkommen.

Der nimmt das Urteil ruhig entgegen, wünscht einen guten Tag und verlässt den Raum. Auf dem Gang erklärt er, was ihn so ruhig bleiben lässt. Kann er die Strafe für die Sachbeschädigung nicht zahlen, droht ihm Haft. Aber für die knapp 20.000 Euro, die er der Uni schuldet, gilt ein Pfändungsschutz auf seinem Konto: dort müssen 1.500 Euro bleiben. Was bei seinen wirtschaftlichen Verhältnissen ohnehin ambitioniert ist.

Farbwahl ist kein Versehen

Die Farbwahl ist kein Versehen, das ihm im Nachhinein leid täte: Schließlich sei es darum gegangen, ein dauerhaftes Zeichen zu setzen. F. setzt sich im Gang auf eine Bank und fragt: „Möchten Sie noch etwas wissen?“ Warum hat er im Gericht nicht, wie viele andere Angeklagte der Letzten Generation, die Möglichkeit für einen Appell in Sachen Klimaschutz genutzt – schließlich saß da eine ganze Schulklasse? Weil es zu spät ist. Das Klimaziel von 1,5 Grad sei gerissen, sagt F. „Es wird nun nicht mehr schlechter werden“, sagt er und korrigiert sich, „Entschuldigung, es wird nicht besser“.

Der Gnadenhof sei ein Projekt von ehemaligen Ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation, die den Kampf ums Klima aufgegeben haben. Fand F. das Gericht und sein Urteil milde? Na ja, sagt er, es habe auch schon Urteile mit Tagessätzen von zehn Euro gegeben. Dann erzählt er noch von dem Lebenshof, der auf einem Grundstück in einem Kleingartenverein Schweinen eine Zuflucht geben will.

Am Tag, als sein Haftbefehl vollstreckt wurde, wollte F. einen Stall für das erste Schwein bauen, schließlich ist er der einzige mit handwerklichen Kenntnissen. Da der Stallbau ausfiel, musste das Schwein anderweitig vermittelt werden. Nun warten sie auf ein anderes. Während F. erzählt, was Zukunft ist, wenn es keine gibt, kommt der Staatsanwalt vorbei. Er tippt an das Baseballcap, das er nun trägt, und das ist vielleicht eine Respektsbekundung.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Ja, es ist eine Respektsbekundung. Aber es nützt nichts, weil das Rechtssystem unerbittlich ist. Was genützt hätte, wäre der Aufstand Zehntausender, die sich erhoben und den Schadensersatz sowie seine Strafe bezahlt hätten - was erlaubt ist. Aber tatsächlich glaubt niemand mehr, den unbändigen Hunger der Welt nach billiger fossiler Energie irgendwie aufhalten zu können. Wäre Deutschland damit alleine gewesen, hätte es auch nichts genützt - außer dass es uns den Respektgriff an die Baseballkappe der restlichen Welt eingetragen hätte.

  • Mir tut es für Philipp F. und seine Mitstreiter leid und ich wünsche mir, dass sie ihre Hoffnungslosigkeit verlieren und wieder (auch Zukunfts-)Mut fassen. Vor allen Dingen wünsche ich ihnen privates Glück, das über die Schrecknisse der Zeit hinwegtrösten kann.

    Ich persönlich kann akzeptieren, dass wir Menschen aus Klima- oder anderen Gründen einmal aussterben werden und denke, Flora und Fauna haben es verdient, sich auf diesem Planeten wieder so richtig ausbreiten zu können. Tatsächlich verstehe ich nicht, weshalb wir Menschen ein höheres Lebensrecht haben sollten als beispielsweise Wale. Weshalb können sich Philipp F. und seine Mitstreiter nicht damit zufriedengeben, dass es für Tiere und Pflanzen auf jeden Fall weitergehen wird. Sogar in Salzwüsten leben Pflanzen und Tiere.

    Ich denke öfter an die Region Tschernobyl, wo sich erneut Tiere und Pflanzen angesiedelt haben und sich anscheinend wohlfühlen.

    • @*Sabine*:

      Es gibt wohl kaum ein Tier, dass so anpassungsfähig ist wie der Mensch. Der Mensch hat jeden Kontinent und jede Klimazone besiedelt und anders als die meisten anderen Tiere, kann er sich innerhalb kürzester Zeit an neue Gegebenheiten anpassen. Stirbt der Mensch auf Grund der klimatischen Bedingungen aus, hat es viele Säugetiere vorher schon erwischt. Ihre Annahme, dass es für Tiere und Pflanzen auf jeden Fall weitergeht wenn der Mensch verschwindet, ist also höchstens eingeschränkt gültig. Zum Glück rechnen seriöse Forscher aber auch gar nicht mit einem aussterben des Menschen

  • Was die Einschätzung der Situation im Kontext Klimaschutz angeht, dürfte Philipp F. jedenfalls richtig liegen. Das Ziel von 1.5° kann man zu den Akten legen. Das nächste Ziel, das nicht erreicht werden wird, sind die 2°

  • Als wenn das 1,5 Grad Ziel das einzige Ziel ist, dass Bedeutung hat.

  • Ein langer Text, der Verständnis dafür wecken möchte, dass man - so die demokratischen Prozesse nicht schnell genug oder nicht in die gewünschte Richtung laufen - auch mal auf seine Gefühle hören und Dinge kaputt machen möchte.

    Alles okay, kann man so machen. Nur sollte man dann Abstand davon nehmen, bei der nächsten Gelegenheit von rechten Demagogen zu warnen und die Demokratie verteidigen zu wollen. Das wirkt sonst unglaubwürdig.

    • @engineer:

      Diese leichte Sachbeschädigung ist aber doch schon was anderes als Mord, gefährliche Körperverletzung, Morddrohung, Bedrohung mit Vergewaltigung, Rufmord, Einschüchterung usw. usf. Denn alles was ich das aufgezählt habe ist genau das, was von und mit "rechten Demagogen" kommt. Oder schon die NSU vergessen? Oder die vielen Brandanschläge auf Asylunterkünfte? Den Mord an Walter Lübke? Oder vielleicht die vielen SA und SS Sprüche eines Bernd Hoecke und die damit verbundene Relativierung und Verharmlosung der Verbrechen der Nazis? Das wollen Sie ernsthaft mit abwaschbarer Farbe an einer Fassade vergleichen? Geht's noch?

    • @engineer:

      ..."so die demokratischen Prozesse nicht schnell genug oder nicht in die gewünschte Richtung laufen"...



      Nun ja, es gibt Problemfelder, da ist das nicht so wichtig, wie lange die Prozesse laufen, und es gibt Problemfelder, da ist es sehr wichtig. Weil die folgenden Generationen davon in einem riesigen Ausmaß betroffen sind. Hat das Bundesverfassungsgericht ja auch schon bestätigt.



      Rechte Demagogen und Menschen, denen es, wissenschaftlich untermauert, um die zukünftigen (Über)Lebensmöglichkeiten aller geht, in einen Topf zu werfen, erscheint mir unangemessen.

    • @engineer:

      Es wurde nichts kaputt gemacht.....und auch keine Gewalt ausgeübt.....und noch wichtiger, er hat sich selbst hinterher nicht als Opfer einer willkürlichen Justiz dargestellt sondern alle Punkte offen eingeräumt.....von daher finde ich den Vergleich mit den rechten etwas daneben auch wenn ich den Grundgedanken dahinter verstehe

    • @engineer:

      Die Klimaschützer wollen mit ihren Aktionen sagen "Bitte hört auf unser Leben schlechter zu machen und uns umzubringen."

      Die Aktionen gegen Rechts wollen sagen " Bitte hört auf unserer Leben schlechter zu machen und uns umzubringen."

      Klingt für mich sehr geradlinig. 🤷‍♀️

    • @engineer:

      Die Rechten wollen die Demokratie beseitigen (und machen damit täglich Fortschritte, indem sie die den gesellschaftlichen Austausch vergiften). F. will das nicht. Motive sind relevant.



      Wenn Farbe auf öffentlichen Gebäuden das schlimmste wäre, das wir von AfD und Konsorten zu befürchten hätten, würde ich ruhiger schlafen.

    • @engineer:

      Sie bewerten die Ziele der "Letzten Generation" und von "rechten Demagogen" anscheinend gleich. Außerdem betrachten Sie die Einschätzung, dass eine KlimaKATASTROPHE droht, nicht als wissenschaftlich untermauerte Tatsache, sondern als Ausdruck von "Gefühle[n]".

  • Der Pfändungsschutz hilft zwar im Moment, dass der Aktivist nicht ganz nackt dasteht und, wenn überhaupt mal Geld da ist, ein kleiner Notgroschen verbleibt. Allerdings können die 20 000 € insgesamt 30 Jahre lang eingeklagt werden, plus Zins und Zinseszins. Da hilft auch eine Privatinsolvenz nichts. Also entweder einen Job annehmen, das Geld in den nächsten Jahren zurückzahlen oder die nächsten 30 Jahre an der Pfändungsgrenze leben.

    • @Offebacher:

      Es ist sogar noch schlimmer: Forderungen aus Straftaten verjähren meines Wissens nach garnicht

    • @Offebacher:

      Danke für die Info, den Pfändungsschutz und die zu erwartende Dauer der Zahlungsverpflichtung betreffend. Ich hoffe, das lesen viele der Anhänger von angeblich aufrüttelnden "klimaschützenden Sachbeschädigungen". Eine solche Aussicht auf zukünftiges Leben halte ich für wahrlich desillusionierender.

    • @Offebacher:

      Die Aktivisti haben doch den Weltuntergang fest eingeplant. In 30 Jahren sterben wir alle in den Klimakriegen nach der Sichtweise.

      • @Šarru-kīnu:

        Nein, in 30 Jahren sterben nicht alle, alle sterben eh nie. Hauptsächlich sterben erst mal die Leute, die am wenigsten zu dem Problem beigetragen haben und am wenigsten Geld haben. Betrifft in Deutschland sicher weniger Menschen als z.B. in Zentralafrika.