Proteste in der Rigaer Straße 94: Berliner Chaostag
Autonome setzen in Berlin Barrikaden in Brand. Sie wollten verhindern, dass Eigentümervertreter ins Haus kommen. Am Ende erreichen sie das per Gericht.
Am Mittwoch gegen 11 Uhr haben mehrere Dutzend Autonome Reifen, Sperrmüll und Absperrgitter auf die Fahrbahn an der Kreuzung Rigaer Straße, Ecke Liebigstraße gezogen und angezündet. In den sozialen Medien riefen sie eine „autonome Zone“ aus und forderten Unterstützer*innen auf, in einen etwa 130 Meter langen Straßenabschnitt zu kommen und das 1990 besetzte Haus in der Rigaer Straße 94 zu verteidigen. Etwa eine Stunde lang schleppten sie immer mehr Materialien zu drei Barrikaden, deren Rauchwolken weit über Berlin zu sehen waren. Polizist*innen hielten sie mit Stein- und Böllerwürfen – auch vom Dach des Hauses – auf Abstand.
Mit der Aktion versuchten die Bewohner*innen und Unterstützer*innen der Rigaer 94 der Polizei zuvorzukommen. Diese wollte mit einer „roten Zone“ den Bereich rings um das Haus von Mittwoch 15 Uhr bis Freitagmitternacht zur Demoverbotszone erklären. Der Grund für diese Allgemeinverfügung: Am Donnerstag wollten Vertreter der Eigentümer eine sogenannte Brandschutzbegehung des Hauses vornehmen, die durch einen Polizeigroßeinsatz abgesichert werden sollte. Die Hausbewohner*innen befürchteten, dass die Überprüfung des Brandschutzes in einer Räumung münden könnte.
Empfohlener externer Inhalt
Bei vergangenen Räumungen alternativer Projekte in Berlin, etwa der Neuköllner Kiezkneipe Syndikat im August vergangenen Jahres oder der Kreuzberger Kneipe Meuterei im März waren die Einsatzbereiche ebenso im Vorfeld weiträumig abgesperrt worden. Proteste, die die Einsätze hätten behindern könnten, waren damit unmöglich. Dies hatte viel Kritik innerhalb der linksradikalen Szene hervorgerufen. Die Aktion in der Rigaer Straße am Mittwoch sollte offensichtlich die Strategie der Polizei und die eigene Ohnmacht durchbrechen.
Räumpanzer und Wasserwerfer
Nach etwa einer Stunde war es mit der „autonomen Zone“ jedoch vorbei. Zunächst löschte ein Wasserwerfer den Brand auf der von Autonomen „Dorfplatz“ genannten Kreuzung. Dann durchbrach ein Räumpanzer die Barrikade. Die Angreifer*innen, teils mit Taucherbrillen ausgestattet, flüchteten ins Haus, vor dem sich bald darauf die Polizei postierte.
Eine Sprecherin der Behörde erklärte, 200 Beamte seien im Einsatz, 60 seien verletzt worden. Dabei war zunächst unklar, um was für Verletzungen es sich handelte. Zum weiteren Vorgehen sagte die Sprecherin der taz: „Wir werden, wenn die Schuttreste geräumt wurden, die Allgemeinverfügung umsetzen und dann den Raum so freihalten, dass morgen im Rahmen des Amtshilfeersuchens die Begehung des Hauses durch den Brandschutzgutachter gewährleistet werden kann.“
Außerhalb des verbarrikadierten Bereichs versammelten sich im Verlauf des Vormittags immer mehr Menschen. Eine benachbarte Grundschule forderte Eltern auf, ihre Kinder abzuholen. In der Liebigstraße riefen einige Unterstützer*innen Sprechchöre gegen die Polizei und für das autonome Projekt. Als mit Leitern ausgerüstete Spezialeinheiten über ein Nachbarhaus auf das Dach der Rigaer 94 vorstießen, vermuteten Beobachter*innen ein Eindringen in das Haus und eine mögliche Räumung. Bis Redaktionsschluss kam es aber nicht zu einem entsprechenden Versuch; Beamt*innen sicherten jedoch das Dach.
Empfohlener externer Inhalt
Ewiger Konflikt
Der Streit über mangelnden Brandschutz in dem teilbesetzen Haus, das nach der Räumung der benachbarten Liebigstraße 34 im vergangenen Oktober das letzte umkämpfte und regelmäßig militant agierende autonome Projekt der Stadt ist, zieht sich bereits seit Jahren hin. Erst im Dezember hatte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf Druck des Berliner Senats eine Begehung durch einen Gutachter angeordnet.
Einem geplanten Termin im März – mit Hunderten auch auswärtigen Polizist*innen und Vertretern der verhassten Eigentümergesellschaft Lafone Investments Limited – kam der Bezirk allerdings zuvor. Eine eigene Brandschutzprüfung durch einen Sachverständigen der Bauaufsicht im Einvernehmen mit den Bewohner*innen führte dazu, dass der zwei Tage später anberaumte Großeinsatz abgesagt wurde. Dem zuständigen Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) wurde daraufhin etwa von Innensenator Andreas Geisel (SPD) ein Paktieren mit Linksextremisten vorgeworfen. Er selbst betonte, eine Eskalation vermeiden zu wollen.
Die Prüfung des Bezirkes war zu dem Ergebnis gekommen, dass die vorgefundenen Mängel beseitigt werden können; eine vom Eigentümer angestrebte Nutzungsuntersagung von Seitenflügel und Hinterhaus sei nicht nötig. In den vergangenen Monaten machten sich die Bewohner*innen daran, die Mängel zu beheben und ließen dies bei zwei Nachkontrollen überprüfen. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts und die Anweisung der Bezirksaufsicht zwangen Schmidt und den Bezirk jedoch dazu, eine weitere Begehung eines Brandschutzexperten im Beisein von Vertreter*innen der Eigentümer anzuordnen – mit dem Recht das ganze Haus inklusive aller Wohnungen zu untersuchen.
Eigentümer dürfen nicht ins Haus
Am Mittwochnachmittag dann aber die überraschende Wende: Die Bewohner*innen erreichten mit einem Einspruch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG), dass die Eigentümervertreter bei der Begehung am Donnerstag nicht in das Haus dürfen, sondern nur ein Gutachter und der Bezirk, sicherlich mit Polizeibegleitung.
Grundsätzlich wurde der Antrag gegen die Begehung zurückgewiesen, aber in einem Punkt änderte das OVG den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Vortag. Demnach werde die aufschiebende Wirkung wieder hergestellt, „soweit die Antragsteller dazu verpflichtet worden sind, das Betreten des Gebäudekomplexes Rigaer Straße 94 durch einen Vertreter oder eine Vertreterin der Eigentümer zu dulden. Das Gericht stützt sich dabei auf die grundgesetzlich verankerte Unverletzlichkeit der Wohnung. Die Befürchtung, dass die Eigentümer im Zuge der Begehung vollendete Tatsachen schaffen und eine Räumung vorbereiten könnten, ist damit minimiert.
Jahrelang hatte sich die Riager 94 juristisch erfolgreich gegen die Eigentümer gewehrt. Der nordenglischen Briefkastenfirma, hinter der sich der Besitzer versteckt, war es weder gelungen nachzuweisen, dass ihr Geschäftsführer ordnungsgemäß ernannt noch ihr Anwalt rechtmäßig bestellt ist. Ein Durchbruch gelang erst im Februar: Zwei Urteile hatten der Lafone gestattet, mit Polizeibegleitung in das Haus zu gehen. Zuletzt waren der Hausverwalter und ein Anwalt im Juni im Rahmen der Vollstreckung von Durchsuchungsbeschlüssen im Haus. Als sie am nächsten Tag wiederkommen wollten, wurden sie vor der Tür von Bewohner*innen attackiert.
Wahlkampfthema Rigaer Straße
Wie schon vor fünf Jahren, dürfte die Rigaer Straße 94 nun wohl wieder zum Wahlkampfthema der Berliner Abgeordnetenhauswahl werden. Damals unterstütze die Polizei die Eigentümer bei der Räumung der Autonomenkneipe Kadterschmiede im Seitenflügel des Gebäudes, obwohl es keinen Räumungstitel gab. Für den damaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) endete die Aktion in einem Desaster und der Abwahl seiner Partei aus der Landesregierung. Der heutige Fraktionschef Burkhard Dregger sagte am Mittwoch: „Viel zu lange haben Teile der Koalition ihre schützende Hand über die Gewaltchaoten in der Rigaer Straße gehalten.“
In der SPD gibt es ebenfalls wenig Sympathien für das Projekt, aber eine Räumung ohne Titel hat Innensenator Geisel ausgeschlossen. Nach der Gewaltaktion sagte Geisel: „Wer Autoreifen anzündet, kämpft nicht für linke Freiräume, sondern drangsaliert den eigenen Kiez.“ Er fügte hinzu: „Es gibt keine Lex Rigaer Straße. Straftaten werden konsequent verfolgt, Gerichtsentscheidungen durchgesetzt.“ Aufgrund des bevorstehenden Einsatzes hat Geisel seine Teilnahme an der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz abgesagt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin