Räumung der Kneipe „Syndikat“ in Berlin: Letzte Runde, doch die Wut bleibt

Eine ganze Nacht lang hatten Unterstützer*innen versucht, die Räumung zu verhindern. Vergeblich: Die Polizei hatte Neukölln komplett abgesperrt.

Eine Menschengruppe demonstriert in der Weissestrasse eine Frau steht im vordergrund und hält ihren arm nach oben

Alles versucht: am Donnerstag demonstrierten hunderte Menschen gegen die Räumung des Syndikats Foto: Christian Mang

BERLIN taz | Soeben hat die Nachricht die Runde gemacht, dass der Gerichtsvollzieher um 8.30 Uhr die Kiezkneipe Syndikat in Berlin-Neukölln erreicht hat, da eskaliert für wenige Minuten die Lage an der Polizeiabsperrung in der Weisestraße. Polizist*innen schubsen Demonstrant*innen, schlagen und versprühen Pfefferspray. Die Antwort Pyrotechnik, vereinzelte Flaschenwürfe und wütende Chöre.

Es ist der Moment, in dem der lange Kampf ums Syndikat verloren ist. Die ganze Nacht hatten Demonstrant*innen Stellung gehalten, ab morgens kamen hunderte dazu. Eine Sitzblockade auf der Hermannstraße, Materialbarrikaden, volle Kundgebungen – doch die Blockade des Gerichtsvollziehers blieb eine unlösbare Aufgabe.

Das Syndikat ist keine gewöhnliche Kneipe. Es ist ein Nachbarschaftstreff und seit 35 Jahren eine Institution der linken Szene in Neukölln. Der Mietvertrag war Ende 2018 ausgelaufen, aber das Kollektiv hatte sich geweigert, die Räumlichkeiten zu verlassen.

Stattdessen deckte es auf, dass hinter ihrer nicht ansprechbaren Eigentümerfirma, die lediglich einen Briefkasten in Luxemburg unterhält, ein Londoner Immobilienimperium steht. Recherchen ergaben, dass Pears Global über viele verschiedene Scheinfirmen mehr als 3.000 Wohnungen in der Stadt gehören. Von einer möglichen Enteignung der großen Immobilienkonzerne, wie sie derzeit eine Volksbegehren in Berlin einfordert, wäre somit auch Pears Global betroffen. Der Protest gegen die Räumung wurde so auch zum Symbol für den Einsatz gegen Gentrifizierung schlechthin. Und die Räumung dürfte zum Problem für die rot-rot-grüne Regierungskoalition in Berlin werden.

Lilafarbene Rauchtöpfe

Exakt um 8.34 Uhr steigt der Gerichtsvollzieher aus einem Polizeivan. Zunächst versucht er, über den Hinterhof ins Syndikat einzudringen. Als sich auf der Kundgebung 40 Meter weiter herumspricht, dass der Gerichtsvollzieher da ist, eskaliert die Situation kurz. Ein lilafarbener Rauchtopf geht hoch und Demonstrierende versuchen, über die Absperrung zu kommen. Allerdings erfolglos: Die behelmte 13. Hundertschaft der Bereitschaftspolizei drängt die Demonstrant:innen weg und nimmt einen Punk mit grünen Haaren fest.

Die Demo tobt. Die Wut im Kiez ist förmlich greifbar.

Die Demo tobt. Die Wut im Kiez ist förmlich greifbar. Eine halbe Stunde später hat ein Schlüsseldienst die Vordertür des Syndikats aufgebohrt. Doch drin ist dort niemand mehr. Das Mobiliar hatte das Kollektiv längst ausgeräumt.

Zwei Menschen schlagen auf Töpfe ein um krach zu machen

Ordentlich Krach fürs Syndikat gemacht Foto: dpa

Erst geht ein behelmter Einsatztrupp ins Syndikat, dann folgt wenig später der Gerichtsvollzieher. Danach tauscht der Schlüsseldienst die Schlösser aus. 35 Jahre Syndikat sind vorbei.

Es war eine unfassbare Materialschlacht, die die Polizei hier auf die Straße brachte: 700 Polizist*innen sind laut Sprecher Thilo Cablitz in der Frühschicht seit 5 Uhr morgens im Einsatz. Am Vorabend und in der Nacht dürfte es eine ähnliche Anzahl gewesen sein.

Dazu hatte die Polizei zwei größere Straßenabschnitte seit dem Donnerstagmittag gesperrt. Diese Sperrzone wurde im Laufe des Einsatzes bis zur Hermannstraße und dem Herrfurthplatz ausgeweitet, um Blockaden zu verhindern.

Nachts kreiste ein Hubschrauber, eine Hundestaffel war im Einsatz, sogar so etwas wie eine Klettereinheit wurde auf den Dächern um das Syndikat von Nachbar:innen fotografiert. Wie viel der Einsatz koste? Könne er nicht sagen, so Cablitz.

Rund 40 Festnahmen in der Nacht

Im Laufe der Nacht hat es laut Polizei rund 40 Festnahmen gegeben. Es sei zu Sachbeschädigungen gekommen. Einige Mülltonnen seien auch angezündet worden. Zwei Demo-Sanitäter berichten der taz am Morgen von etwa 40 Verletzten auf Seiten der Demonstrierender, von denen alleine sie wüssten. Die meisten davon hätten Pfefferspray abbekommen. Ebenso habe es Schnitt- und Platzwunden gegeben

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Die Proteste gegen die Räumung der seit 35 Jahren existierenden Kneipe – eine Institution sowohl für die Nachbarschaft als auch die linke Szene – hatten am Donnerstagabend begonnen. Ursprünglich sollte die „Lange Nacht der Weisestraße“ direkt vor dem Syndikat stattfinden. Das hatte die Versammlungsbehörde jedoch verboten und stattdessen eine etwa 200 Meter lange Sperrzone mit Betretungsverbot eingerichtet. Die Kundgebungen mussten hinter die Polizeiabsperrungen weichen.

Schon vor dem Protestauftakt um 20 Uhr sieht Kneipenwirt Christian abgekämpft und fassungslos aus. Der Sprecher des Kneipenkollektivs sagt: „Das hat doch mit einer normalen Räumung nichts mehr zu tun. Das ist G20 und G8. Die sind jetzt schon auf den Dächern.“ Tatsächlich ist die Polizei mit einem Großaufgebot, mehreren Hundertschaften und schwerem Gerät vor Ort. Bereits am Mittag hat sie die Straße gesperrt.

Ursprünglich sollte die „Lange Nacht der Weisestraße“ direkt vor dem Syndikat stattfinden.

Pünktlich um 20 Uhr beginnt ein Lärmkonzert aus den Fenstern vieler Anwohner*innen. Die abgesperrte Straße hängt voller Transparente für den Erhalt der Kneipe, die sich vor Sympathiekundungen im Kiez kaum retten kann. Mit Sprechchöre fordern Demo-Teilnehmer*innen die Polizei auf, abzuhauen. Doch auch wenn das ausgegebene Motto ist, die Räumung zu verhindern: Das Syndikat ist zu diesem Zeitpunkt bereits leer, das Inventar in andere linke Institutionen der Stadt umgezogen.

Die Wut ist dennoch groß. Etwa 2.000 Menschen sind rings um die Absperrungen unterwegs. Auf einer der Kundgebungen schreit ein vermummter Redner mit Käppi seine Empörung über die abgesperrte Zone ins Mikrofon: „Dort wollten wir Abschied nehmen. Doch das hat die Polizei, das haben die Bullen verhindert.“

Wiederholt fordert er die Teilnehmer*innen zur Vernunft auf: „Tragt Masken, achtet auf Auflagen. Bepöbelt die Bullen mit Abstand, nicht mit Anstand.“ Niemand soll der Polizei einen Grund geben, die Demo aufzulösen.

Fast alle Redner*innen betonen, dass diese Räumung unter einem rot-rot-grünen Senat stattfindet, der mit anderen Versprechungen angetreten war. Ein Politiker der Linken steht in der Menge und fragt: „Warum wird in den Reden nicht mehr auf die kapitalistischen Eigentumsstrukturen eingegangen?“ Der Senat habe gegen den gerichtlichen Räumungstitel keine Handhabe.

Den Vertriebenen aber helfen die Sympathiebekundungen aus der Bezirks- und Landespolitik nicht weiter. Die Räumung der Kneipe für die gesichtlose Eigentümerfirma Pears Global ist für sie ein Skandal.

„No Pasaran“ unter Polizeilicht

So etwas wie Partystimmung kommt auf, als der Rapper Mal Élevé ein spontanes Konzert gibt. Als er seinen Titel „No Pasaran“ spielt, macht die Polizei ihre Lichtanlagen an.

Erst gegen Mitternacht wird die Situation nach einer Ingewahrsamnahme wegen Vermummung unruhiger. Demonstrant*innen blockieren die Hermannstraße, immer wieder kommt es zu Schubsereien, weitere Menschen werden mitgenommen, ein Hubschrauber steht in der Luft. Nachts um 5 Uhr brennen kleinere Barrikaden im Kiez.

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