Politiker bei Clubhouse: Oder können wir es bitte lassen?
Bodo Ramelow hat Peinlichkeiten auf der App Clubhouse von sich gegeben. Mehr Investigativstorys aus dem Medium braucht wirklich niemand.
Kennen Sie Podcasts? Diese Audioformate, wo Menschen sich vor allem gern reden hören? Wäre es nicht toll, wenn sich weitere Menschen einfach zuschalten könnten, die sich auch gerne reden hören? Interaktiv labern ohne Unterlass? Das müssen sich die Entwickler*innen von Clubhouse gedacht haben, einem neuen sozialen Netzwerk für Audio-Gesprächsrunden.
An sich nichts bahnbrechend Neues: wie Whatsapp ohne Tippen oder eben Podcasts mit Publikumsbeteiligung. Oder – vielleicht erinnern wir uns – wie eine Podiumsdiskussion, bei der zwischendurch das Mikro herumgereicht wird.
Dass Clubhouse aber ganz besonders ist, suggerieren die Entwickler*innen mit den Kniff, dass man zunächst zur App eingeladen werden muss. Angeblich hat das damit zu tun, dass die Userzahlen nicht schneller anwachsen sollen, als die Entwicklungsabteilung hinterherkommt. Aber in Kombi mit dem Titel „Clubhouse“ hat man eher den Eindruck, dass dem Produkt ein gewisser Mythos angeheftet werden soll: Exklusiv, exklusiv – das muss ich unbedingt haben, sonst verpasse ich was!
Und tatsächlich haben wir schon was verpasst. Thüringens Ministerpräsident Ramelow (Linke) hat sich nämlich in der Nacht zum Samstag in einer Talkrunde auf Clubhouse eingewählt – und sich dort verhalten, als säße er im Pyjama an der Hausbar.
Kritik aus dem eigenen Kabinet
Bei Beratungen zur Coronakrise vertreibe er sich die Zeit mit Candy Crush spielen, plauderte der Landesvater – und verwendete zwischendurch auch noch einen Kosenamen für die Bundeskanzlerin. Aufgeschrieben hat das umgehend die Welt am Sonntag, deren Chefredakteur sich ebenfalls eingewählt hatte.
Ob der Pyjama trug, ist nicht bekannt. Schade eigentlich, denn was ein Haufen Politiker*innen und Journalist*innen so anhaben, wenn sie sich Freitagabend in eine audio-only Veranstaltung einklinken, wäre noch die interessanteste Frage an der ganzen Episode.
Über den WamS-Bericht beschwerte sich Ramelow, über Ramelows Verhalten beschwerte sich der große Rest, unter anderem sogar Ramelows Innenminister Georg Maier (SPD).
Jagd auf Geschichten
Natürlich ist es unmöglich, was Bodo Ramelow da von sich gegeben hat. Und natürlich ist es strunzblöd, davon auszugehen, dass man auf einem sozialen Medium „unter sich“ ist. Die AGB von Clubhouse mögen es verbieten, zu zitieren, aber Journalist*innen werden sich im Zweifel immer aufs öffentliche Interesse berufen, das gilt für einen Onlinetalk ebenso wie, prä-pandemisch, für den Plausch am Stehtisch.
Das Grauenvolle an der Geschichte ist eher, dass sich Clubhouse durch den Vorfall nun möglicherweise als weiteres soziales Medium etabliert, auf dem Journalist*innen herumgeistern müssen, bis sie irgendwo etwas vermeintlich Berichtenswertes gefunden haben – so wie man sich also jetzt schon auf Twitter, dem Journalismusnetzwerk schlechthin, Stunden beim Scrollen durch Beefs und Branchen-Insiderjokes verdaddeln kann, gehört bald auch noch der verbale Dünnpfiff am Freitagabend auf Clubhouse zur Rechercheleistung.
Man könnte argumentieren, dass Wähler*innen wissen sollten, was für ein Typ jemand ist, der da im September mit seiner Partei wieder an die Regierung gewählt werden möchte. Andererseits: Dass Ramelow impulsiv ist, war bekannt. Dafür muss man sich nicht auch noch am Wochenende Radio Bodo reinziehen.
Deswegen, frommer Wunsch: Können wir den App-Hype dieses Mal einfach überspringen? Man wird ja noch träumen dürfen!
Korrekturhinweis: Clubhouse ist nicht erst vor einer Woche in Deutschland gestartet, wie zunächst im Text stand. Die App war schon vorher auch für deutsche Nutzer*innen im Apple-Store verfügbar. Personen in Deutschland wurden aber erst ab Dezember allmählich eingeladen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen