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Politiker bei ClubhouseOder können wir es bitte lassen?

Bodo Ramelow hat Peinlichkeiten auf der App Clubhouse von sich gegeben. Mehr Investigativstorys aus dem Medium braucht wirklich niemand.

Im Klubhaus gefangen? Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow Foto: Karina Hessland/imago

Kennen Sie Podcasts? Diese Audioformate, wo Menschen sich vor allem gern reden hören? Wäre es nicht toll, wenn sich weitere Menschen einfach zuschalten könnten, die sich auch gerne reden hören? Interaktiv labern ohne Unterlass? Das müssen sich die Ent­wick­le­r*in­nen von Clubhouse gedacht haben, einem neuen sozialen Netzwerk für Audio-Gesprächsrunden.

An sich nichts bahnbrechend Neues: wie Whatsapp ohne Tippen oder eben Podcasts mit Publikumsbeteiligung. Oder – vielleicht erinnern wir uns – wie eine Podiumsdiskussion, bei der zwischendurch das Mikro herumgereicht wird.

Dass Clubhouse aber ganz besonders ist, suggerieren die Ent­wick­le­r*in­nen mit den Kniff, dass man zunächst zur App eingeladen werden muss. Angeblich hat das damit zu tun, dass die Userzahlen nicht schneller anwachsen sollen, als die Entwicklungsabteilung hinterherkommt. Aber in Kombi mit dem Titel „Clubhouse“ hat man eher den Eindruck, dass dem Produkt ein gewisser Mythos angeheftet werden soll: Exklusiv, exklusiv – das muss ich unbedingt haben, sonst verpasse ich was!

Und tatsächlich haben wir schon was verpasst. Thüringens Ministerpräsident Ramelow (Linke) hat sich nämlich in der Nacht zum Samstag in einer Talkrunde auf Clubhouse eingewählt – und sich dort verhalten, als säße er im Pyjama an der Hausbar.

Kritik aus dem eigenen Kabinet

Bei Beratungen zur Corona­krise vertreibe er sich die Zeit mit Candy Crush spielen, plauderte der Landesvater – und verwendete zwischendurch auch noch einen Kosenamen für die Bundeskanzlerin. Aufgeschrieben hat das umgehend die Welt am Sonntag, deren Chefredakteur sich ebenfalls eingewählt hatte.

Ob der Pyjama trug, ist nicht bekannt. Schade eigentlich, denn was ein Haufen Po­li­ti­ke­r*in­nen und Jour­na­lis­t*in­nen so anhaben, wenn sie sich Freitagabend in eine audio-only Veranstaltung einklinken, wäre noch die interessanteste Frage an der ganzen Episode.

Über den WamS-Bericht beschwerte sich Ramelow, über Ramelows Verhalten beschwerte sich der große Rest, unter anderem sogar Ramelows Innenminister Georg Maier (SPD).

Jagd auf Geschichten

Natürlich ist es unmöglich, was Bodo Ramelow da von sich gegeben hat. Und natürlich ist es strunzblöd, davon auszugehen, dass man auf einem sozialen Medium „unter sich“ ist. Die AGB von Clubhouse mögen es verbieten, zu zitieren, aber Jour­na­lis­t*in­nen werden sich im Zweifel immer aufs öffentliche Interesse berufen, das gilt für einen Onlinetalk ebenso wie, prä-pandemisch, für den Plausch am Stehtisch.

Das Grauenvolle an der Geschichte ist eher, dass sich Clubhouse durch den Vorfall nun möglicherweise als weiteres soziales Medium etabliert, auf dem Jour­na­lis­t*in­nen herumgeistern müssen, bis sie irgendwo etwas vermeintlich Berichtenswertes gefunden haben – so wie man sich also jetzt schon auf Twitter, dem Journalismusnetzwerk schlechthin, Stunden beim Scrollen durch Beefs und Branchen-Insiderjokes verdaddeln kann, gehört bald auch noch der verbale Dünnpfiff am Freitagabend auf Clubhouse zur Rechercheleistung.

Man könnte argumentieren, dass Wäh­le­r*in­nen wissen sollten, was für ein Typ jemand ist, der da im September mit seiner Partei wieder an die Regierung gewählt werden möchte. Andererseits: Dass Ramelow impulsiv ist, war bekannt. Dafür muss man sich nicht auch noch am Wochenende Radio Bodo reinziehen.

Deswegen, frommer Wunsch: Können wir den App-Hype dieses Mal einfach überspringen? Man wird ja noch träumen dürfen!

Korrekturhinweis: Clubhouse ist nicht erst vor einer Woche in Deutschland gestartet, wie zunächst im Text stand. Die App war schon vorher auch für deutsche Nut­ze­r*in­nen im Apple-Store verfügbar. Personen in Deutschland wurden aber erst ab Dezember allmählich eingeladen.

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27 Kommentare

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  • Sprachliche Fein-Tuerei ist eigentlich altmodisch und bourgeois.

    Menschliche Äußerungen ERWARTE ich von einem Gewerkschafter und volksnahen Menschen wie Ramelow.

  • Wer wissen wollte, konnte wissen...



    www.facebook.com/l...s/603050366766016/



    Und solang's nicht Candy Flip ist...

  • Candy Crush? Kein Ahnung, was das ist, aber Schach hätte besser geklungen ;)

  • Kein Wunder, dass Ramelow beim vielen Rumdaddeln nichts von Corona mitbekam!

    "Und wenn keine Viren da sind, wieso soll ich dann eine Maßnahme aufrechterhalten, die keine Wirkung hat? Wir sind doch nicht im Showgeschäft."

    taz.de/Bodo-Ramelo...nagipfel/!5721456/

  • Jeder der mal in stundenlangen Besprechungen gesessen hat weiß das die Teilnehmer zwischendurch mal abschalten, etwas anderes tun oder nur noch mit einem halben Ohr zuhören. Etwas anders habe ich entsprechend auch nicht von Politikern erwartet, die in solchen Runden sitzen. Herr Ramelow wird hier jetzt abgewatscht, weil er das was ohnehin jeder ahnen kann zugegeben hat. War vielleicht etwas leichtfertig von ihm, diese aufgesetzte Entrüstung ist nichts weiter als nervige Korrektheit.

    Klar Herr Ramelow wird durch Steuergelder finanziert,… aber das heißt nicht das man von ihm übermenschliches erwarten kann.

  • Schlimm, "Mutti" wurde als "Merkelchen" bezeichnet. Und es war nicht Herr Sonneborn von der Satire Partei, der das getan hat, sondern ein Ministerpräsident von der Linkspartei. Das geht ja gar nicht.

    • @Jonas Corvin:

      Mackertum ist eben auch unter Linken weit verbreitet. 'Eine kluge Frau hat mir erklärt....' ist wirklich lächerlich.

      • @Odradek:

        Mackertum ist der falsche Begriff für Sexismus. Und auch der falsche Begriff für die Candy-Crush-Fans

  • Die Momente in denen Politiker vergessen die Maske aufzusetzen, sind immer wieder erleuchtend!

    • @Argonaut:

      Ehrlich und sympathisch!...

  • Gut formuliert, ich musste oft schmunzeln. Ramelow dagegen wird das Lachen vergangen sein. Und alle, die jetzt denken, sie sind in einem CLUB eingeladen, halte ich diesen Artikel vor die Nase. Überspringen!

  • Kallisti!



    *Apfel schmeiss*:



    Vertrauenswürdige dezentrale Kommunikationssysteme und vernünftige Ende-zu-Ende Verschlüsselung bitte.



    Danke.



    Gibt es.



    Is' aber nunmal nicht lifestyle.



    Haben wir halt öfter was zu schmunzeln, gelle?

  • Mann o Mann.... aber jedes Parlament bekommt die Ministerpräsidentin, den Ministerpräsidenten den es gewählt hat.



    sic

  • Wenn ein Ministerpräsident eines Bundeslandes sich äußert, ist das nicht trivial. Und es ist wichtig, dass man in den Medien über dessen Verhaltensweise informieren und eine eigene Meinung bilden kann.

    Wie würde der Herr denn reagieren, wenn Merkel ihn als Ramelowchen bezeichnen würde? So dürfen ihn kritische Bürger, Karikaturisten oder Journalisten bezeichnen. Aber eine solche Ausdrucksweise hat null und nichts mit staatsmännischem Verhalten zu tun. Auch wenn er nur Landesfürst ist, so sollte er den gerade genannten Begriff doch kennen.



    Auch wenn er mitteilt, dass ihm Konferenzen über die uns alle so schlimm betreffende Pandemie so sehr am A... vorbeigehen, dass er sich währenddessen mit Computerspielchen unterhalten muss, hat er sich als Landesvater absolut disqualifiziert!

    • @fvaderno:

      "Wie würde der Herr denn reagieren, wenn Merkel ihn als Ramelowchen bezeichnen würde?"

      Lachen. Was sonst?

    • @fvaderno:

      Die Bezeichnung "Merkelchen" war sicher distanzlos, beleidigend aber eher nicht. Insofern muss man schon fragen ob diese Titulierung in einer Republik in der die Kanzlerin seit Jahren gemeinhin regelmäßig "Mutti" genannti wird wirklich ein Skandal ist oder ob der Umstand, dass die Welt das so hochkocht nicht eher daher rührt, dass Ramelow Linker und sie selbst immer noch ein Springer-Blatt ist.

      • @Ingo Bernable:

        Dass Merkel von manchen (und keineswegs 'gemeinhin') Mutti genannt wird, ist aber genauso unterste Schublade und sexistisch. Das entschuldigt also keinesfalls die Verniedlichung durch Ramelow.

        • @resto:

          warum soll das sexistisch sein?mütter und väter sind nun einmal die ersten autoritäten .das ist unvermeidlich.so wie es auch die rebellion jeder neuen generation gegen ihre eltern ist-



          da es den begriff des landesvaters gibt ist es doch nur rein logisch dass es nun im zeitalter der gleichberechtigung der geschlechter auch landesmütter gibt

  • Die Worte von Ramelow waren "Umkleide-Kabinen-Gespräche", da ist zwingend Toleranz gefordert ;-)

  • Mein Mitleid mit boulevardesken Journalisten, die nun glauben, noch mehr trash durchforsten und ausschlachten zu müssen, hält sich ja in Grenzen. Bedenklich ist allerdings dieser Zugzwang, die Sensationsheisch- und Empörungsmaschinerie mit anzutreiben; wohl, weil die Konkurrenz dazu zwingt. Gar nicht gut für die mediale Kultur und Repräsentation des Zeitgeschehens.

    Ansonsten schön zusammengefasst. Die Exklusivnummer mit Einladen gab’s bei facebook oder StudiVZ schon vor x Jahren, hat sich dann aber schnell erledigt.

  • Ich will seine Aussagen dort nicht überbewerten. Was ich mich allerdings frage: Warum treibt er sich in so zwielichtigen Umgebungen rum? Man, Herr Ramolow. Ein Interview bei der Bild - ok, man kann sich auch mal vertun, passiert schon mal.



    Aber echt jetzt: *Soziale Medien*??? Das ist schon übel krass..

  • Für mich läuft es eigentlich gerade gar nicht so schlecht!



    Herr Ramelow haut wieder einen raus(Den Stinkefinger fand ich nicht schlecht) aber ditte jetzt.



    Das ist ein Vollprofi.



    Für so'nen, banalen Mist läßt er sich von der Konkurenz vorführen?!



    Sahra Wagenknecht kandidiert in NRW!



    Herr Lafontain will auch wieder in den BT.



    Die Linke bei 7%.



    Wie gesagt, für mich läufts gar nicht so schlecht bei der P.m.d.h.g.B.!

    • @Ringelnatz1:

      OK, der Mann hat ein paar Pennälerwitze gerissen, das passiert uns ja auch gelegentlich.

      Wir sind natürlich keine MP, was allerdings nur Zufällen geschuldet ist.

      Stimmt schon, wegen so einem Scheiß so ein Theater.

      Ich finde, der Mann leidet genug, allein weil die Sache publik wurde. Was angesichts der Funktionsweise dieser App wiederum kein Zufall ist.

    • @Ringelnatz1:

      Korrektur1:



      Gregor Gysi.

  • Was war denn nun so "unmöglich" an Ramelows Ausführungen?



    Dass er "Merkelchen" gesagt hat. Das wäre bei einem Herbert Wehner nicht mal in die engere Auswahl gekommen. Und bei zehnstündigen Konferenzschaltungen ständig brav auf den Bildschirm zu stieren, ist eher ungesünder, als sich auch mal abzulenken.



    Ramelow hat mit seiner Ehrlichkeit hier eher sogar Pluspunkte gesammelt.

    • @Linksman:

      1. Wir sind nicht mehr in den '70 und solche Namenspiele, vor allem bei Frauen, ganz dünnes Eis.

      2. Das er während den Sitzungen Candy Crush spielt, wenn man schon sowas macht, dann erzählt man es nicht in der Öffentlichkeit und ein Treffen bei Clubhouse mit ein paar hundert Leuten ist öffentlich. Denn jetzt kommt sowas raus.

      "Leute sterben, Candy Crush geht immer"



      www.n-tv.de/politi...ticle22315347.html

      Sich so öffentlichzu präsentieren, vor allem für Leute die dieses Jahr noch eine Landtagswahl gewinnen wollen, ist einfach nur abgrundtief dumm.

      • 0G
        02612 (Profil gelöscht)
        @Sven Günther:

        ... wer weis, was sonst noch so gleichzeitig zu machen Herr Ramelow in der Lage ist - Multitasking halt. Bei Politikern eine Eigenschaft, die doch durchaus als ein dickes Plus zu werten ist.