Live-Talk-App Clubhouse: Zeit für Real Talk

Clubhouse hatte kürzlich einen rasanten Start in Europa hingelegt. Doch der Hype scheint vorbei. Der Markt ist längst viel weniger offen für Neues.

Ein Standmikrofon

Radio und Podcasts setzen auf Redaktionen und gutes Equipment, bei Clubhouse wird live gelabert Foto: Mauritius

Es ist still geworden nicht nur um Clubhouse, sondern auch auf Clubhouse: 68 Prozent weniger Installationen der eben noch schwer gehypten Live-Talk-App meldet die Markforschungsfirma SensorTower. Oder anders gesagt: im März war drei Mal mehr los – bei gefühlt hundert Mal mehr Aufmerksamkeit. Kein soziales Netzwerk hatte sich zuvor innerhalb so kurzer Zeit so viel Raum in öffentlichen Debatten erobert.

Hinter den Kulissen sorgfältig orchestriert schaffte Clubhouse Anfang des Jahres praktisch innerhalb eines Wochenendes den Sprung aus Kalifornien mitten auf die Smartphones der meisten deutschen Politik- und Medienmenschen. Eben noch ein Produkt im Teststadium, zugänglich nur für Fachleute mit Nähe zum Silicon Valley, diskutierten plötzlich all jene, die auch sonst vor deutschen Mikrofonen diskutieren – aber jetzt ohne Redaktion, zwischengeschaltetes Social-Media-Team oder sorgfältigen Tonschnitt.

Wie gut oder schlecht das funktioniert, ließ sich anhand der kleinen Skandale und Coups erkennen, die allein innerhalb der ersten paar Tage auf Clubhouse ihren Anfang nahmen: Philip Amthor sang das Pommerlied, Bodo Ramelow schimpfte Angela Merkel „das Merkelchen“, Manuela Schwesig tauchte spät am Abend spontan in Clubhouse-Räumen auf, um sich mit Geg­ne­r*in­nen von Nord Stream 2 anzulegen.

Vor allem wegen dieses rasanten Starts sind die neuen Zahlen ein herber Rückschlag für das kaum ein Jahr alte soziale Netzwerk, das sich laut Businessplan eigentlich in seiner „Hypergrowth“-Phase befinden müsste – mit Wachstumsraten, die sich nur in dreistelligen Prozentzahlen oder Raketen-Emojis ausdrücken lassen. Dass jetzt auch noch Facebook-Chef Mark Zuckerberg verkündete, eine ganze Reihe Clubhouse-ähnlicher Funktionen in Facebook zu integrieren, trübt die Aussichten weiter – zumal auch andere sozialen Netzwerke wie Twitter an ähnlichen Plänen arbeiten. Herrscht also bald Totenstille in Deutschlands einst lautester App?

Bedeutungslos oder zukunftsweisend

Nicht alle sind sich da einig: gerade erst drang die Nachricht aus dem Silicon Valley zu uns, dass Clubhouse bei einer neuen Finanzierungsrunde mit 4 Milliarden Dollar bewertet wurde. Was denn jetzt? Ist Clubhouse auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit – das My­Space von übermorgen – oder ein Medium mit großer Zukunft?

Um zu verstehen, welche zwei Lager in der Debatte um Clubhouse aufeinandertreffen, hilft eine Anekdote, die die Gründer des Cloud-Speicherdienstes Dropbox erzählen: Apple-Chef Steve Jobs hatte die beiden 2009 eingeladen, weil er die Dropbox-Software so gut fand, dass er die ganze Firma kaufen wollte. Warum die beiden Gründer zustimmen sollten, begründete er folgendermaßen: „you have a feature, not a product“. Was er meinte: Dropbox mag eine super Erfindung sein, aber taugt nicht als alleinstehendes Produkt – Online-Speicher ist eine so elementare Funktion, dass sie früher oder später einfach in das Betriebssystem integriert wird. Entweder also, die Dropbox-Gründer verkaufen – oder dürfen mit ansehen, wie sie von Apple, Google und Microsoft kopiert und aus dem Markt gedrängt werden.

Die Dropbox-Gründer haben damals abgelehnt und sind damit bisher sehr gut gefahren, die grundlegende Frage „is it a feature or a product“ gehört aber seitdem zum festen Inventar jedes Wagniskapitalgebers. Die Beispiele reichen von Foto-App-Start-ups, deren smarte Filter einfach von Instagram und Co kopiert und integriert wurden, über Business-Software-Lieblinge wie Slack oder Zoom, deren gesamte Funktionalität einfach in einem weiteren Icon im viel umfangreicheren Microsoft Teams aufgeht, bis hin zu – genau – Clubhouse.

Dessen radioähnliche Live-Gespräche, sagen die Zweifler*innen, seien anderswo viel besser aufgehoben, nämlich in einem der bereits bestehenden Netzwerke. Dort nämlich, bei Twitter und Facebook vor allem, sind all die modernen Mei­nungs­fü­h­rer*in­nen schon längst angemeldet und aktiv, die Clubhouse alleine nicht dauerhaft halten kann. Denn der Live-Charakter, das ist in den letzten Wochen deutlich geworden, hat diverse Nachteile.

Der Live-Charakter macht Probleme

So haben Clubhouse-Gespräche zum Beispiel wenig „Viralität“: der flüchtige Charakter und das ausdrückliche Verbot, die Diskussionen mitzuschneiden, sorgen zwar immer wieder für fast festivalähnliche Anekdoten („Warst du dabei, als Bodo Ramelow sich um Kopf und Kragen geredet hat?“), verhindern aber auch jene Art von digitalem Buschfeuer, um das andere Netzwerke mittlerweile ihr ganzes Geschäft bauen.

Doch nicht nur macht Clubhouse es damit unmöglich, vergangene Highlights nachzuvollziehen. Der Live-Charakter erschwert es auch, Leute überhaupt an die App zu binden: Acht Sekunden lang ist einer Microsoft-Studie zufolge die menschliche Aufmerksamkeitsspanne – so lange haben Apps oder Webseiten Zeit, um Menschen von ihrem Angebot zu überzeugen. Doch während Instagram, TikTok und Co hohe Summen in Algorithmen investieren, die jeweils den besten Inhalt auf die Startseite ihrer Apps spülen, ist Clubhouse abhängig von den User*innen, die gerade online sind. Einmal zur falschen Zeit eingeloggt und schon verfestigt sich der Eindruck: gar nichts los hier! Und selbst wer auf Anhieb einen Raum aufstöbert, der ihn interessiert, kämpft oft mit dem Nachteil, den Anfang oder wichtige Details verpasst zu haben.

Das ist zwar auch im Fernsehen oder Radio so, dort aber hat man seine Inhalte über Jahrzehnte genau auf diese Art von Konsum optimiert, während bei Clubhouse, das merkt man schnell, vor allem Menschen produzieren, die sich an einer bestimmten Sorte Podcast orientieren: es mäandert gerne.

Doch nicht nur der Live-Charakter erschwert Clubhouse die Etablierung zwischen Facebook und Co – auch der Markt an sich ist längst viel weniger offen für neue Angebote. Denn entgegen der gängigen Annahme, dass soziale Netzwerke alle paar Jahre durch neue Konkurrenz ersetzt werden wie damals Myspace, Tumblr und StudiVZ, hat längst eine Konsolidierung eingesetzt. So sorgen TikTok und Snapchat zwar dafür, dass Facebook kaum noch junge Nut­ze­r*in­nen gewinnt – gleichzeitig nehmen sie diesem aber auch kaum Mitglieder ab. Das macht es für Start-ups wie Clubhouse nicht nur schwer, überhaupt neue Nut­zer*in­nen zu gewinnen, auch das Reservoir jener Menschen, die überhaupt genug interessante Dinge zu sagen haben – und gewillt sind, das umsonst und nur zur Eigenwerbung zu tun –, ist zunehmend erschöpft. Schwer vorstellbar, dass es kein Limit gibt für die Zahl der Plattformen, die Journalismus und Politik bereitwillig bespielen.

Ein Clubhouse-Klon, integriert in Twitter oder Facebook, würde einige Probleme der jetzigen App lösen – und wäre gleichzeitig der Todesstoß für das junge Start-up.

Dass das gar keine Niederlage für die Gründer sein muss, darauf weist unter anderem der Tech-PR-Spezialist Ed Zitron hin: Clubhouse sei gebaut worden, um verkauft zu werden, analysiert er auf seinem Blog und weist darauf hin, dass viel Wagniskapital vor allem von A16Z kommt – jener Firma, die als mit Abstand marketingstärkste unter den kalifornischen Geldgebern gilt. Gut möglich also, dass eine der großen Konkurrenzfirmen doch noch zugreift – um Expertise, Nut­ze­r*in­nen­ak­ti­vi­tät und vor allem Wachstum einzukaufen.

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