Debatten-App Clubhouse: Es gilt das gesprochene Wort

Die App Clubhouse hat die Schriftkommunikation aus dem digitalen Raum verbannt. Fünf Gründe, warum sie mehr als ein Hype sein kann.

Ein Smartphone vor orangem Hintergrund. Auf dem Bildschirm ist nur das Logo der App Clubhouse zu sehen

Schafft Gesprächsanlässe auf Distanz: Clubhouse Foto: Christoph Hardt/imago

„Chen“. Vier Buchstaben waren es nur, die Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow einen Shitstorm einbrachten. Dabei ist „Chen“ an sich gar nicht so verwerflich, hängt man es an Katze, Pflanze, Haus oder Söder.

Ramelow aber bedachte die Bundeskanzlerin damit: „Merkelchen“. Mit der Verniedlichung einer Frau legte Ramelow männliches Machtgehabe an den Tag. Und zwar öffentlich, während einer Diskussion auf der Smartphone-App „Clubhouse“, die seit ein paar Wochen ein neues Lieblingsspielzeug von Medien- und Werbeleuten, Po­li­ti­ke­r:in­nen und digital affinen Menschen ist. Das wurde natürlich bekannt. Und Ramelow musste sich öffentlich entschuldigen.

Denn anders als auf vielen Social-Media-Kanälen gilt auf Clubhouse das gesprochene Wort. Hier wird nicht geschrieben, hier wird geredet, und die Gespräche sind live. Man kann nichts nachträglich löschen, nichts vorher aufzeichnen und es sich dann doch nochmal anders überlegen.

Auf Clubhouse fällt man Alice-im-Wunderland-gleich in einen Kaninchenbau voller digitaler Türen. Dahinter warten sogenannte Räume, hier können die Clubhausgäste live zuhören oder diskutieren, ohne sich zu sehen. Mal geht es um Politik, mal um Fortnite, mal um Sexpraktiken, American Football oder Feminismus. Mal hören fünf, mal mehrere Tausend Menschen zu.

Erschienen ist die US-amerikanische App schon im April 2020, aber erst Mitte Januar wurde in Deutschland ein Hype daraus – am 19. Januar war sie dann die am meisten heruntergeladene Anwendung aus Apples App-Store. Will man hinein ins Haus, braucht man eine virtuelle Einladung. Außerdem muss man volljährig sein. Besucher müssen sich mit ihrem echten Namen und Foto anmelden. Ist man drin, darf man zwei weitere Gäste einladen.

Doch schon bald gab es auch Kritik an Clubhouse. Lockerer Datenschutz wird bemängelt, der Zugriff der App auf das Telefonbuch und alle Kontakte. Und Elitarismus: Man muss eingeladen werden, gehörlose Menschen sind ausgeschlossen und zusätzlich kann Clubhouse nur nutzen, wer ein Apple-Produkt besitzt. Ein iPhone kann sich aber nicht jeder leisten.

Dennoch hat auch Clubhouse seine Daseinsberechtigung. Denn die App bietet einiges, das andere soziale Medien vermissen lassen. Hier fünf Gründe, warum sie mehr als ein Hype sein kann.

1. Die virtuelle Bar

Clubhouse trifft besonders in der Coronapandemie einen Zeitgeist, da die Menschen viel weniger direkt mit einander reden und interagieren können als sonst.

Für Konstanze Marx, Linguistin an der Universität Greifswald, ist Clubhouse die konsequente Fortführung eines Trends, den es in der direkten Kommunikation bereits gibt: Hier verlagert sich das Gewicht seit einiger Zeit vom schriftlichen Chat zu Sprachnachrichten. Marx formuliert es so: „Es scheint mir, dass bereits lange etablierte Formen der mündlichen Interaktion in einen quasi-exklusiven Raum transferiert wurden.“

Letztlich passiere auf Clubhouse nicht viel anderes als in einer Podiumsdiskussion oder in einer kleinen informellen Gesprächsrunde nach einer größeren Veranstaltung. Die es aber nun mal gerade nicht gibt. Es müssen also neue informelle Formate aktuell emotionale Nähe und Intimität herstellen – auf Distanz. Clubhouse ist die neue virtuelle Bar an der Ecke.

2. Die Wahrhaftigkeit der Stimme

Wer glaubt, bei Audioformaten wie Clubhouse gehe es allein um die Stimme, liegt falsch. Es geht um das, was die Stimme erzeugt. Denn unsere Stimme ist nicht zu hundert Prozent steuerbar und hat somit eine größere Wahrhaftigkeit als geschriebener Text. Mal ist es ein tiefes Krächzen, ein melodisches Summen, ein trauriger Unterton. Jede Stimme zeigt unwillkürlich eine Stimmung an – nicht umsonst liegen die beiden Begriffe semantisch nah beeinander.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Gleichzeitig lassen wir durch die Stimme unser Wesen mit durchklingen. Person stammt von „personare“, aus dem Griechischen: erschallen oder widerhallen. Es gibt auf Clubhouse resigniertes Seufzen, Gähnen, ein Stocken oder einen drohenden Unterton. Und anders als bei schriftlicher Kommunikation wird daher Ironie (auch ohne Emoticons) auf Clubhouse besser verstanden.

Für Ines Bose, Professorin der Sprechwissenschaft an der Universität Halle-Wittenberg, wird alles, was wirken soll, über die Stimme transportiert. Nähe und Distanz, emotionale Attraktivität und Abneigung werden sinnlich hergestellt. Wie man spricht, hat somit auf Formaten wie Clubhouse eine viel größere Bedeutung: Artikulation, Dialekt, Gliederung, Akzentuierung, Eindringlichkeit, all das ist wichtig.

Laut Bose hören wir gerne etwas, was wir selber glauben zu sein. Diesen Moment von Authentizität verbinden wir mit Vertrautheit.

3. Zuhören statt Pointenjagd

Twitter steht mittlerweile für vollkommene Trivialität im Zwei-Minuten-Takt. Clubhouse erscheint wie eine Antwort darauf. Twitter funktioniert über Punchlines, schmissige Pointen in 280 Zeichen. Hauptsache, man ist präsent. Jeden Tag. Und was wird geteilt? Richtig – das, was provoziert, aneckt und schmissig klingt. Man bekommt schließlich Herzchen dafür. Die sofortige Bewertung und Belohnung verstärkt den Drang zur Selbstdarstellung.

Gespräche funktionieren aber nun mal nicht ausschließlich über Punchlines. Mit Clubhouse kehrt der Dialog zurück, wird die Kommunikation gruppenorientierter und thematisch fokussierter. Und wenn immer nur einer gleichzeitig reden kann, müssen die anderen – zuhören. Übrigens: Auf Twitter redet man viel über #Clubhouse, auf Clubhouse aber nicht so viel über Twitter.

4. Weniger Hass

Endlich: Man ist wieder nett zueinander. Im direkten Gespräch wird auf Clubhouse selten gepöbelt oder beleidigt. In der App meldet man sich mit dem echten Namen an und spricht seinem Gegenüber ins Gesicht. Beides steigert die Hemmschwelle für Diskriminierung, Zynismus und Hetze enorm. Wo es keine Maskerade gibt, ist Hatespeech schwieriger. Und anders als beispielsweise bei Whatsapp, wo nur ein Emoticon falsch gesetzt sein muss, kommt es seltener zu Missverständnissen.

Allerdings: Auch Twitter fing einst so kuschelig an. Die Trolle werden wohl noch ihren Weg ins Clubhouse finden. In den USA haben Rechte schon begonnen, die App zu kapern.

5. Stolpern ins Glück

Durch Clubhouse bewegt man sich ohne Plan. Es geht um den Zufall. Das Reinstolpern. Man folgt erst mal ein paar Leuten und besucht die Räume, in denen sie schon sind. So stößt man in neue Lebensrealitäten vor, weil der Kollege eben vielleicht auch Balletttänzer ist. Oder die Bekannte aus dem Fitnessstudio bei der Bundeswehr. Dort lernt man neue Leute kennen, folgt denen – und so weiter.

Wenn man auf Facebook in eine andere Welt schauen möchte, muss man offiziell einer Gruppe beitreten, die Hürde liegt da höher. Auf Clubhouse kann man sich inspirieren lassen. Und entgegen dem Namen passiert dies ganz ohne Verpflichtungen und Aufnahmebedingungen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.