Ostermärsche in Deutschland: Waffenstillstand und Verhandlungen
Rund 100 Ostermärsche sind über Ostern angekündigt. Erwartet werden mal Dutzende, mal Tausende. Über die Übriggebliebenen einer Bewegung.
Krieg gegen die Ukraine, Krieg in Gaza: Die Ostermärsche der Friedensbewegung stehen in diesem Jahr im Zeichen der Konflikte in Osteuropa und im Nahen Osten. Die Organisatoren verlangen ein Ende des Tötens, Waffenstillstand, Verhandlungen. Bundesweit sind rund 100 Demos, Kundgebungen und Mahnwachen angekündigt. Das in Bonn ansässige Netzwerk Friedenskooperative erwartet eine „rege Beteiligung“. In Wahrheit heißt das: An manchen Orten werden einige Hundert, anderswo wohl auch nur ein paar Dutzend Menschen auf die Straße gehen. Es sind die Übriggebliebenen einer Bewegung, die zu ihren besten Zeiten Hunderttausende mobilisieren konnte.
Karfreitag 1958. In London versammeln sich mehr als 10.000 Menschen zum Protest gegen das britische Atomwaffenprogramm. Ihre Demonstration dauert vier Tage und führt sie über 80 Kilometer zum „Atomic Weapons Establishment“ in der südenglischen Ortschaft Aldermaston, wo Nuklearbomben entwickelt werden. Die Bilder der Demonstration gehen um die Welt, der Aldermaston-Marsch wird zum Fanal für die internationale Ostermarschbewegung.
In der Bundesrepublik führt der erste Ostermarsch 1960 mit rund 1.500 Teilnehmern zum Truppenübungsplatz Bergen-Hohne in der Lüneburger Heide. Dort hat die Nato Raketen vom Typ Honest John stationiert. Sie sollen Atomsprengköpfe aufnehmen. Beflügelt auch von den Protesten der Studierenden, haben die Ostermarschierer in der zweiten Hälfte der 60er Jahre enormen Zulauf. 1967 beteiligen sich 150.000 Demonstrierende an Oster-Aktionen in mehr als 200 Städten, ein Jahr später sind es doppelt so viele.
Ostermarschlieder auch in die DDR geschwappt
In jenen Jahren schwappen die Ostermarschlieder auch über die Mauer und die deutsch-deutsche Grenze. Mitglieder der jungen DDR-Singebewegung verbreiten die Melodien auch in ihrem Staat – teils leicht umgedichtet und mit Kritik auch an der Rüstung des Warschauer Pakts.
In Westdeutschland zerfällt die Bewegung: Streit entzündet sich vor allem daran, dass die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und ihre „Massenorganisationen“ den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei rechtfertigen. Eine Renaissance erfahren die Ostermärsche um 1980 mit der Debatte über die Aufrüstung der Nato mit atomaren Mittelstreckenwaffen, Zehntausende versammeln sich an den geplanten Standorten für Cruise Missiles und Pershing-II-Raketen. Die Kriege in Jugoslawien und im Irak mobilisieren in den 90er und 2000er Jahren zahlreiche Menschen. Danach pendelt sich die Zahl der Ostermarschierer bei einigen Tausend ein.
In diesem Jahr sind neben den auch medial präsenten Kriegen in der Ukraine und in Gaza auch die Aufrüstung im konventionellen und nuklearen Bereich Thema. Der Ruf nach einer atomwaffenfreien Welt werde in vielen Redebeiträgen erklingen und „einen deutlichen Kontrapunkt“ zu Forderungen nach Hochrüstung und einer europäischen nuklearen Abschreckung setzen, heißt es etwa im Ostermarschaufruf des Netzwerks Friedenskooperative. Dem Verlangen, dass Deutschland wieder „kriegstüchtig“ werden müsse, müsse „entschieden entgegengetreten“ werden: „Deutschland muss sich für diplomatische Initiativen in Kriegen einsetzen und nicht Millionen für Rüstung ausgeben. Sprich: Deutschland muss ‚friedenstüchtig‘ werden!“
„Unser Ostermarsch-Aufruf wurde in diesem Jahr von mehr als 2.000 Einzelpersonen und 71 Organisationen unterzeichnet“, sagt Netzwerk-Sprecher Kristian Golla. „Die Menschen wollen, dass die Bundesregierung endlich aktiver wird, um Kriege am Verhandlungstisch zu beenden.“ Das zentrale Ostermarsch-Büro in Frankfurt am Main erteilt in seinem Aufruf der „unsäglichen Forderung, dass Deutschland kriegstüchtig werden soll“, ebenfalls eine Absage.
Zivilie Atomkraft und Fliegerhorst im Visier
„Auch die Kriegsvorbereitungsszenarien durch Atombunkerbau, Ausweitung der Kriegsforschung, Soldaten in Schulen und Einführung der Wehrpflicht werden abgelehnt“, so Sprecher Willi van Ooyen. Ob der Ukraine bis zu möglichen Verhandlungen Waffen geliefert werden sollen, bleibt in den Aufrufen allerdings ausgeklammert.
Als Erste gingen wie in den vergangenen Jahren die Ostermarschierer in Potsdam auf die Straße. Bereits am 23. März demonstrierten dort rund 200 Menschen. Die meisten Veranstaltungen finden am Osterwochenende selbst statt, darunter der traditionelle dreitägige Ostermarsch Rhein-Ruhr von Duisburg nach Dortmund sowie Ostermärsche in den meisten Hauptstädten der Bundesländer.
Örtliche Bündnisse setzen eigene Themen. Im schleswig-holsteinischen Jagel wollen Demonstranten zum Fliegerhorst der Luftwaffe ziehen, im niedersächsischen Unterlüß zur Waffenfabrik von Rheinmetall. An der Urananreicherungsanlage im westfälischen Gronau nehmen die Ostermarschierer auch die zivile Atomkraft ins Visier.
Als Kundgebungsredner:innen sind vielerorts Gewerkschafts- und Kirchenleute angekündigt. Teils bieten die Organisatoren auch prominente Vertreter der Linken oder vom Bündnis Sahra Wagenknecht auf. Ansonsten zählen Russland-Freund:innen und Querfrontler:innen, soweit ersichtlich, nicht zu den Eingeladenen. Die von Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar 2023 initiierte Onlinepetition „Manifest für den Frieden“ und die große Demo am 25. Februar vor dem Brandenburger Tor hatte bekanntlich Teilnehmende von ganz links bis ganz rechts vereint.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen