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Oase der Aneignung

Sehnsuchtsort Südostasien: In Wellnessanlagen wie dem Vabali Spa wird sich hemmungslos an jahrhundertealten Traditionen bedient. Wie gut lässt es sich bei so viel kultureller Aneignung überhaupt noch entspannen?

Entschleunigung mit asiatischem Flair im Vabali Berlin Foto: Julia Baier

Von Lena Schega

Der Bademantel schmiegt sich wärmend an meine Haut. In ihn gehüllt werde ich Teil einer weißen Armee auf der Suche nach dem ultimativen Ruheplatz, nach Stille und Entspannung mitten in der Berliner Großstadthölle.

Ich bin im Vabali Spa, hier riecht es nach Teakholz und Räucherstäbchen. Unter tempelartigen Dächern hängen Metalllampen, wie man sie aus Marokko kennt. Rechts und links flankieren steinerne Buddha-Statuen den Weg, sie ergänzen sich gut mit den tibetischen Gebetsfahnen aus der Eingangshalle. Ist die größte Glaubensgemeinschaft Balis nicht der Hinduismus? Das muss ich googeln. Verstohlen manövriere ich mein Handy aus der Tasche – digitale Geräte sind hier nicht erwünscht. Tatsächlich: Fast 90 Prozent der Bevölkerung Balis sind hinduistisch geprägt. Schnell suche ich noch nach einer Definition für kulturelle Aneignung. Bevor ich sie lesen kann, lässt mich ein strenges „Ts, ts, ts“ zusammenzucken. Erwischt.

Zu Hause lese ich nach: Kulturelle Aneignung liegt vor, wenn Elemente einer fremden Kultur – etwa Symbole, Rituale oder Praktiken – zu eigenen, meist kommerziellen Zwecken übernommen werden. Und dass, ohne deren Ursprung, Bedeutung oder die Menschen aus den Kulturen zu würdigen.

Daran, dass die Ästhetik des Globalen Südens im Vabali hemmungslos durchexerziert wird, besteht jedenfalls kein Zweifel. Und nicht nur hier. Große Teile des Wellnessangebots in Deutschland sind tropisch und/oder spirituell aufgeladen: Ob die Tropical Islands in Brandenburg oder das Mizu Onsen Spa am Tegernsee – überall wird das Versprechen von Entschleunigung mit einem „exotischen“ Flair vermarktet.

Hinter dem Vabali Spa stehen Markus und Stephan Theune, zwei Brüder aus Köln. Sie betreiben die Theune Spa Management GmbH, zu der neben den Vabali-Standorten in Berlin, Düsseldorf und Hamburg noch sechs weitere Wellnessanlagen gehören. Der Umsatz liegt bei rund 80 Millionen Euro pro Jahr. In Planung ist derzeit ein weiteres Vabali Spa in München.

Die Idee für balinesische Wellnessoasen kam den Brüdern auf ihren Reisen durch Indonesien, erzählt Dyen Lê, eine ehemalige Angestellte des Va­bali. Die Brüder selbst reagierten auf eine Anfrage der taz nicht. „Es hat ihnen dort gefallen und da wollten sie es übernehmen“, sagt Dyen Lê. Ihren echten Namen möchte sie nicht öffentlich machen. Ihre Eltern stammen aus Südostasien. Markus und Stephan Theune reisten mehrfach nach Indonesien zurück, so Dyen Lê – auch, um Einrichtungsstücke zu beschaffen. Laut einer Spiegel-Recherche ließen sie schließlich tonnenweise „Original-Requisiten“ in Containern nach Deutschland verschiffen. Denn „authentisch“ sollte es schließlich sein.

Auf der Webseite des Vabali Spa heißt es, Gäste würden in dem nachgeahmten balinesischen Dorf in eine „fernöstliche Welt“ entführt. Fernöstlich – selbstverständlich nur aus europäischer Perspektive gedacht. Der Markenname selbst ist ein Kunstwort, das asiatisch klingen soll, aber wohl eher dem Französischen entlehnt ist: Va à Bali, also „Geh nach Bali“.

Doch wie wurde ausgerechnet eine Insel in Südostasien zu einem solchen Sehnsuchtsort?

Im frühen 20. Jahrhundert stand Bali vollständig unter niederländischer Kolonialherrschaft. „Die heutige Darstellung und Wahrnehmung Balis als tropisches Inselparadies ist das Ergebnis eines langjährigen Gestaltungsprozesses“, schreibt Jessica Riffel in ihrem Buch „Faszination Bali“. Riffel hat Südostasienwissenschaften in Bonn studiert. Nach der Gewalt des Skla­v:in­nen­han­dels und brutalen Invasionen begann der Westen, das Bild Balis für sich umzudeuten.

Soziale Netzwerke hätten Bali als Traumreiseziel weiter etabliert, schreibt Riffel. Die Insel biete heute zahllose Fotospots, an denen Rei­se­b­log­ge­r:in­nen vor üppiger Dschungelkulisse posieren können. In den von Riffel ausgewerteten Interviews und Analysen wird deutlich: Romantisierung und Ausbeutung gehen im Tourismus Hand in Hand. Zwar fließen Millionen ins Land, doch die lokale Bevölkerung profitiert nur begrenzt. Viele Ba­li­ne­s:in­nen arbeiten unter prekären Bedingungen in Hotels, Restaurants oder als Tourguides, während ausländische Investoren und internationale Unternehmen den Großteil der Profite abschöpfen. Der Massentourismus treibt zudem die Lebenshaltungskosten in die Höhe und kann lokale Strukturen verändern oder verdrängen.

Aus den verschiedenen Perspektiven, die Jessica Riffel sammelt, ergibt sich das Bild einer Entwicklung, die langfristig nicht nur wirtschaftliche Folgen hat, sondern auch bestehende soziale Beziehungen und kulturelle Praktiken unter Druck setzt. Riffel betont jedoch, dass kulturelle Identitäten auf Bali – auch im Austausch mit den Tou­ris­t:in­nen und den globalen Medien – ständig neu verhandelt werden.

Wir sind hier, um abzuschalten. Nicht für eine Geschichtsstunde

In Deutschland wird das kulturelle Erbe Balis zur konsumierbaren Wellnesserfahrung. Für knapp 50 Euro Eintritt können Be­su­che­r:in­nen im Vabali dem Alltag entfliehen. Anwendungen wie zum Beispiel eine hawaiianische Tempel-Massage oder eine asiatische Duftreise kosten extra, Speisen und Getränke sowieso. Ein Armband mit einer heiligen Frangipani-Blüte am Handgelenk erfasst alle Zusatzkosten. Abgerechnet wird beim Auschecken.

Jahrhundertealte Praktiken werden hier vereinfacht, hübsch verpackt und in mundgerechte Happen zerteilt. Von Anerkennung für die Ursprungskulturen ist nichts zu spüren.

Auch ich merke jedoch, wie mein Körper herunterfährt. Plötzlich ist wieder Platz in meinem Kopf, für Dinge abseits des nächsten To-do. Was nach dem Spa auf mich wartet, rückt in weite Ferne und macht mir, anders als sonst, keine Angst mehr. Alles scheint machbar. So entspannt lebt es sich doch gleich leichter, oder? Vielleicht liegt darin das wahre Geheimnis hinter dem Erfolg solcher Konzepte. Am Ende geht es womöglich gar nicht um Ruhe, sondern darum, besser zu funktionieren – um Effizienz: Selbstoptimierung durch Entspannung, für die, die es sich leisten können.

Um mich herum wabert Dampf. Es ist dunkel. Meine Haut klebt und glänzt noch silbergrau von der Heilerde, die ich am ganzen Körper aufgetragen habe. Als ich den Saunameister frage, warum man das macht, kann er mir keine Antwort geben. Beim späteren Googeln zu Hause erfahre ich, dass Heilerde in vielen Kulturen, von der indischen Ayurveda-Lehre bis zu den nordafrikanischen Rhassoul-Ritualen, zur Reinigung und Entgiftung von Haut und Körper genutzt wird.

In meinen Händen halte ich eine kleine Teeschale. Der warme Tee soll uns wohl zusätzlich zum Schwitzen bringen. Ich probiere einen Schluck. „Schmeckt wie türkischer Apfeltee“, raunt mir die Frau neben mir zu. Sie hat Recht. Kurz darauf durchbricht ein Lachen die Stille und hallt von den Fliesen des Dampfbads wider. „Der nächste Urlaub geht nach Indonesien. Da machen die das so.“ Durch den Dunst kann ich niemanden erkennen und schließe die Augen.

Palmen und Folklore im Tropical Islands in Brandenburg Foto: Jordis Antonia Schlösser/Ostkreuz

Doch was steckt hinter solchen Momenten? Warum gehen wir oft gedankenlos mit solchen kulturellen Ritualen um, ohne ihr eigentliches Bedeutungsgeflecht zu hinterfragen?

„Weil Bali als so grundlegend anders dargestellt wird als unsere westliche Welt“, erklärt Jessica Riffel. Gesucht werde ein möglichst exotisches – Riffel malt mit den Fingern Gänsefüßchen in die Luft – Gegenstück zur eigenen Alltagsrealität. „Mit bestimmten Bildern wird viel Geld verdient“, sagt sie.

Im Vabali und anderswo wird Bali als Paradies inszeniert – samt tropischer Exotik, spiritueller Gelassenheit und tiefer Entspannung. Die sozialen Realitäten vor Ort und die kolonialen Kontinuitäten werden dabei ausgeblendet. Wer will sich schon in der Sauna mit solchen Themen auseinandersetzen? Wir sind ja hier, um abzuschalten. Nicht für eine Geschichtsstunde oder ein unangenehmes Bauchgefühl beim Anblick der Statue einer knienden Südostasiatin neben der Toilette.

Mit bestimmten Bildern wird viel Geld verdient

Jessica Riffel, Südostasienwissenschaftlerin

„Ich finde es schön, dass andere Kulturen gezeigt werden“, sagt die ehemalige Vabali-Mitarbeiterin Dyen Lê. „Aber man sollte versuchen, sie authentisch darzustellen.“

Einen Vorschlag, wie es anders gehen könnte, hat Michael Küppers-Adebisi, Gründungsvorstand von Decolonize Berlin e.V., einer Organisation, die seit 2019 Berlins koloniale Vergangenheit mit einem 360-Grad-Blick auf die Gesellschaft aufarbeitet. „Es bräuchte einen allgemeinen Standard, um den Kulturen, an denen man sich bereichert, etwas zurückzugeben“, sagt er. „Erst dann werden Ausbeutungsmechanismen vergleichbar und kritisierbar.“ Ein Fair-Trade-Siegel für die Wellnessbranche, sozusagen. Ein solcher Standard könnte etwa festlegen, dass ein Teil der Einnahmen aus Angeboten mit kulturellem Bezug direkt an Initiativen oder Gemeinschaften in den Herkunftsländern fließt.

Was bedeutet Bali für die Theune-Brüder? Was hat sie an der balinesischen Kultur inspiriert? Arbeitet das Vabali Spa mit balinesischen Hand­wer­ke­r:in­nen oder Künst­le­r:in­nen zusammen, um sicherzustellen, dass die Traditionen und das Handwerk korrekt und respektvoll übernommen werden? Unterstützt das Vabali Berlin soziale oder kulturelle Projekte auf Bali oder in anderen Teilen Südostasiens?

Auf diese und weitere Fragen hat die taz bis heute – Monate später – keine Antwort erhalten. Auch das Tropical Islands reagierte nicht. Hauptsache entspannt, alles andere ist egal.

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