Nebeneffekte von Windkraftanlagen: Wenn Windräder sich die Böen klauen
Je mehr Rotoren auf engem Raum, desto geringer die Erträge der einzelnen. Mancherorts beeinflusst der Windkraftausbau sogar das lokale Klima.
Die Projektierer von Windparks wissen schon lange, dass ihre Windräder ausreichend Abstand brauchen, um sich gegenseitig nicht zu viel Wind zu stehlen. An Land ist daher ein Mindestabstand von fünf bis sieben Rotordurchmessern in Hauptwindrichtung üblich, in den deutschen Windparks auf dem Meer sind es sieben bis zehn Rotordurchmesser. Doch dort reichen die Auswirkungen weit über die Parks hinaus.
„Bei großen Offshore-Windparks können im Nachlauf (die Strömung hinter den Windturbinen; Anm. d. Red.) im Mittel bis zu 30 Kilometer weit Ertragsverluste nachgewiesen werden“, sagt Martin Dörenkämper, Energiemeteorologe am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES in Oldenburg. Bei speziellen Wetterbedingungen – besonders deutlich bei kaltem Meer und warmer Luft – könnten sich Effekte auch auf 120 bis 150 Kilometer Entfernung messen lassen. Da diese Konstellation aber nicht permanent auftritt, ist sie für die Erträge auch nicht besonders relevant.
Besonders deutsche Offshore-Windparks sind vom Windklau betroffen, weil man hier auf eine sehr hohe Leistungsdichte setzt: Pro Quadratkilometer würden in den deutschen Seegebieten zumeist 8 bis 10 Megawatt an Kapazitäten installiert, sagt Dörenkämper. In Dänemark arbeite man mit nur 4 bis 5 Megawatt.
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Offshore nimmt die Wellenhöhe ab
Entsprechend rückt zunehmend die Erkenntnis ins Bewusstsein, dass ein starker Ausbau der Offshore-Windkraft die Erträge der einzelnen Anlagen mindern wird. Der Thinktank Agora Energiewende schrieb bereits im Jahr 2020 in einer Studie, dass „die Zahl der Volllaststunden der Offshore-Windparks deutlich sinken“ werde, wenn eines Tages in der Deutschen Bucht 50 bis 70 Gigawatt an Rotoren errichtet sind. Axel Kleidon, Physiker und Meteorologe am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, kann das sogar quantifizieren: „70 Gigawatt würden den Ertrag um bis zu 40 Prozent reduzieren.“
Daher suchen Wissenschaftler nach Wegen, zumindest das Zusammenspiel der Anlagen zu verbessern. Ein Vorschlag ist, nicht jede Maschine individuell zu steuern, sondern einen Park insgesamt zu optimieren. Po Wen Cheng, Professor für Windenergie an der Universität Stuttgart, sagt: „Wenn man zum Beispiel die Anlagen in der ersten Reihe des Windparks ganz leicht aus dem Wind dreht, kann man bei den nachfolgenden Anlagen mehr Energie zusätzlich gewinnen, als man bei den ersten Anlagen verliert.“ Auch eine pulsierende Rotation könne dazu führen, dass sich die Windgeschwindigkeit im Nachlauf der Anlagen besser regeneriert – zugunsten der hinteren Rotoren.
Am Ende ist der Effekt solcher Kniffe aber begrenzt. Unter optimalen Annahmen lasse sich auf diese Weise der Gesamtertrag eines Parks um zwei bis drei Prozent erhöhen. Das Grundproblem der begrenzten Windressourcen ließe sich so also nicht lösen.
Neben Branchenakteuren haben längst auch Geowissenschaftler die regionalen Konsequenzen der Windernte im Blick. Nachgewiesen sind beispielsweise bereits Auswirkungen auf die Meereswellen. „Die Wellenhöhe im Nachlauf des Windparks nimmt um bis zu fünf Prozent ab“, sagt Ute Daewel, Geowissenschaftlerin am Helmholtz-Zentrum Hereon in Hamburg. 20 Kilometer windabwärts könne die Wellenhöhe noch bis zu ein Prozent verringert sein. Mittels Satelliten sind solche Veränderungen nachweisbar.
Kaum Folgen für die Bodenfeuchtigkeit
Mit der Windgeschwindigkeit nehmen auch Meeresströmungen ab, was die Durchmischung im Ozean beeinträchtigt. „Modellsimulationen zeigen, dass Strömungsgeschwindigkeiten im Bereich der Nachläufe bis zu zehn Prozent reduziert werden“, sagt Daewel. Und selbst das Wetter wird durch die Windernte beeinflusst. Naveed Akthar, Experte für die Modellierung der Atmosphäre am Hereon, sagt, dass durch eine verstärkte vertikale Durchmischung die Luftschichten unterhalb der Nabenhöhe trockener und wärmer würden. In Offshore-Parks habe man in zwei Metern Höhe einen Temperaturanstieg von etwa 0,25 Grad festgestellt, in Nabenhöhe hingegen einen Temperaturrückgang von 0,15 Grad.
Auch nehme die Bewölkung im Bereich über den Windkraftanlagen zu, was zu höheren Niederschlägen über den Windparks und geringeren Niederschlägen in Windrichtung führe. Wie sich die für 2050 in der Nordsee geplanten Windparks auf die Niederschläge an Land auswirken, sei eine der wichtigsten noch ungeklärten Fragen.
Weniger deutlich als die Effekte der Windräder auf See sind jene der Onshore-Maschinen, denn dort ist die Luft besser durchmischt; so gleichen sich „Windlöcher“ schneller wieder aus. Gleichwohl ergibt sich bei massivem Ausbau auch an Land ein Ertragsverlust für die einzelnen Anlagen. Axel Kleidon vom Max-Planck-Institut für Biogeochemie errechnete eine Ertragsreduktion von 0,6 Prozent pro zusätzlichen 10 Gigawatt an deutschlandweit installierter Kapazität: „Bei einem Ausbau der Windenergie auf 200 Gigawatt wäre mit Ertragseinbußen von 10 bis 15 Prozent zu rechnen.“
Anders als auf See seien die Auswirkungen der Anlagen an Land auf das Lokalklima in Deutschland vernachlässigbar, sagt unterdessen Fraunhofer-Forscher Martin Dörenkämper. Die mitunter kolportierten Folgen für die Bodenfeuchtigkeit seien bisher nicht nachgewiesen, was an den oft komplexen Luftströmungen liege, die die Einflüsse der Anlagen schnell nivellieren. „In China und den USA, wo sehr große Windparks in trockenen Klimaten stehen, ist das mitunter anders“, erklärt der Wissenschaftler.
So belegt auch die Nutzung der Windkraft, dass jeder Eingriff in ein Ökosystem Folgen hat. Aber man dürfe die Relationen nicht aus dem Auge verlieren, sagt Meteorologe Axel Kleidon. Es gebe nämlich weitaus relevantere Eingriffe des Menschen: „Landnutzungsänderungen, etwa durch Versiegelung von Flächen, haben einen deutlich stärkeren Effekt auf das Lokalklima als alle Windkraftanlagen.“
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