Nahost-Konflikt an Schulen: Das neue Problem­tuch

Die Berliner Bildungsverwaltung stellt Schulleitungen frei, wann und wie sie Palästinensertücher verbieten können. Eltern befürchten Diskriminierung.

Schüler versammeln sich nach dem Unterricht vor dem Ernst-Abbe-Gymnasium im Berliner Stadtteil Neukölln, eine mit Palästinensertuch um die Schultern

Schulen können Palästinensertücher verbieten – wenn sie „den Schulfrieden stören“ Foto: Jörg Carstensen / dpa

BERLIN taz | Berlins Schulen haben ein neues Problemtuch: Die Bildungsverwaltung hat in einem Schreiben klargestellt, dass Schulen aufgrund der aktuellen Lage das Palästinensertuch verbieten können – und damit gehofft, mehr Klarheit zu schaffen. Doch nun kommt von Eltern und aus der Politik Kritik: Solch ein Verbot sei zu pauschal und diskriminierend.

Mit einem offenen Brief fordern Eltern aus Neukölln die Bildungssenatorin nun auf, ihre Anweisungen zum Umgang unter anderem mit dem Tragen des Palästinensertuchs an Schulen zurückzunehmen. In dem Brief, der der taz vorliegt, heißt es, die Un­ter­zeich­ne­r*in­nen hätten das Schreiben der Senatorin „mit großem Entsetzen“ zur Kenntnis genommen. Die Anweisungen haben aus ihrer Sicht „verheerende Folgen“ und seien „diskriminierend“.

„Zu verbieten und Äußerungen zu unterbinden – das kann keine Antwort sein“, sagt Mai Zeidani Yufanyi, die den Brief als Teil der Gruppe Berlin Muslim Feminists mit initiiert hat. Sie höre auch von jüdischen Eltern viel Sorge über solche Verbote.

Die Bildungsverwaltung hatte am Freitag Hinweise zum „Umgang mit Störungen des Schulfriedens im Zusammenhang mit dem Terrorangriff auf Israel“ an die Schulleitungen geschickt. Darin heißt es, dass Handlungsweisen oder Meinungsäußerungen, die „als Befürwortung oder Billigung der Angriffe gegen Israel“ oder als Unterstützung von Hamas und Hisbollah verstanden werden könnten, untersagt seien, da sie „den Schulfrieden gefährden“ würden.

Schulfrieden gefährdet?

Darunter können demnach auch Symbole, Gesten und Meinungsäußerungen fallen, die per se nicht strafbar seien. Als Beispiel führt die Senatorin „sichtbares Tragen“ des Palästinensertuchs (auch bekannt als Kufiya) an, Free-Palestine-Sticker und Ausrufe sowie Landkarten Israels mit den Farben der palästinensischen Flagge. Das sei kein direktes Verbot – Schulen könnten bei Bedarf aber davon Gebrauch machen, das hätten sich Schulleitungen gewünscht, betonte ein Sprecher am Montag.

Doch dass die Verbotsmöglichkeiten so im Vordergrund stehen, führt nun zu viel Widerspruch. Solche „Handlungsweisen und Symbole gefährden in der gegenwärtigen Situation den Schulfrieden“, heißt es im Schreiben der Senatorin. Dies rechtfertige die Einschränkung der Meinungsfreiheit, Schul­lei­te­r*in­nen dürften Symbole und Handlungen auf Grundlage des Schulgesetzes verbieten. Verdachtsfälle strafbarer Handlungen sollten Leh­re­r*in­nen „unmittelbar der Polizei melden“.

„Ich würde mir wünschen, dass alle Kinder in den Schulen ihre Wut und ihre Gedanken äußern können und dass dort Menschen sind, die das auffangen“, sagt Zeidani Yufanyi. Zu Hause gebe es oft keinen Platz, das zu besprechen. „Problematisch ist auch, dass zurzeit oft jüdisch sein mit einer Unterstützung israelischer Politik gleichgesetzt wird“, sagt sie.

Den offenen Brief hatten am Montag etwa 150 Einzelpersonen unterzeichnet, aber auch Initiativen wie die Kampagne für Opfer Rassistischer Polizeigewalt (KOP), Jeladot.im, eine Empowerment-Initiative für jüdische Menschen in Neukölln, die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost und International Women* Space – im Laufe des Tages seien weitere 100 Un­ter­zeich­ne­r*in­nen dazugekommen, so Yufanyi.

Legitime Meinungsäußerung

„Wir machen uns Sorgen um die Kinder“, sagt eine Unterzeichnerin. „Wir befürchten, dass so eine Vorverurteilung stattfindet, dass das zu Repressionen an Schulen führt und dazu, dass die Kinder untereinander gespalten werden.“ Das Palästinensertuch sei kein antisemitisches Symbol, es zu tragen bedeute keine automatische Israelfeindlichkeit.

Auch der Landesschülerausschuss hatte dem Tagesspiegel gegenüber das Tragen von Palästinensertüchern als legitime Meinungsäußerung verteidigt. Ein Verbot würde nur „den Diskurs weiter anheizen“, sagte der Schüler-Sprecher. Diskussionen müssten an den Schulen geführt werden, sie seien „einer der Orte, die alle erreichen“.

„Das Schreiben der Bildungsverwaltung ist kontraproduktiv“, findet auch Maja Lasić, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus. „Wir sehen nicht, dass die alleinige optische Darstellung schon den Schulfrieden stört.“ Das Tragen des Palästinensertuchs etwa werde erst gekoppelt mit Äußerungen, die die Hamas verherrlichen, zum Problem. So prüft die Polizei derzeit, ob es auf dem Schulhof des Ernst-Abbe-Gymnasiums auch Hamas-Rufe gegeben habe. „Das ist auch definitiv ein Anlass, sich damit kritisch auseinanderzusetzen“, sagt Lasić.

Das Schreiben stelle aber einen direkten Zusammenhang zwischen weit verbreiteten Symbolen und der Unterstützung der Hamas her. „Aussehen von Kindern und auch ein Bekenntnis zu Palästina ist nicht dasselbe wie Verherrlichung von Terror“, sagt Lasić. Das sei problematisch, vor allem für Kinder, die Familienmitglieder in Gaza hätten oder Verwandte, die dort umgekommen oder nun in höchster Gefahr seien.

Austausch und Reflexion

„Wir müssen einen Raum schaffen, in dem ein Bekenntnis zur Identität möglich ist und gleichzeitig klar ist, dass Terrorakte zu verurteilen sind“, sagt sie. „Ansonsten besteht die Gefahr, dass Kinder und Jugendliche sich genötigt fühlen, auch extremen Äußerungen zuzustimmen um ihre Solidarität zu zeigen.“ Zielführender sei die finanzielle Stärkung von Projekten für Demokratiebildung und gegen Antisemitismus.

„Interessanter ist eigentlich der zweite Teil des Briefs der Senatorin, in dem es um den pädagogischen Austausch geht und wie Schülerinnen und Schüler zur Reflexion angeregt werden“, sagt Norman Heise, Vorsitzender des Landeselternausschusses.

„Der erste Schritt ist ja weiterhin, das Gespräch zu suchen, Positionen auch auszuhalten und zu hinterfragen, woher manche Äußerungen kommen“, sagt er und dass er sich hier auch Vertrauen in das pädagogische Handeln an den Schulen wünsche. Erst wenn solche Gespräche gescheitert seien, käme die Möglichkeit des Verbots, „die ja auch ohne dieses Schreiben vom Schulgesetz her schon gegeben ist“, sagte Heise. „Es wäre vielleicht geschickter gewesen, dies in den Vordergrund zu stellen“, sagt er.

In Nordrhein-Westfalen hatte das dortige CDU-geführte Bildungsministerium bereits am Donnerstag ein Schreiben an die Schulen verschickt – und darin deutlich den Fokus auf Austausch und Diskussion gelegt.

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