Nach neuer EU-Zulassung des Pestizids: Viele Bauern sind Glyphosat-Junkies
Das wahrscheinlich krebserregende Ackergift ist die Droge der „modernen“ Landwirtschaft. Doch eine Therapie der Süchtigen ist möglich.
Viele Bauern sind wie Junkies. Sie spritzen Glyphosat – auf 37 Prozent der Felder in Deutschland. Weil sie das Pestizid Freude erfahren lässt, nämlich ihre Gewinne steigert. Und weil es ihr Leid mindert, also etwas Luft im Kampf gegen die Verdrängung durch Konkurrenten verschafft. Die Abhängigkeit ist groß. Glyphosat ist die Droge der „modernen“ Landwirtschaft.
Die Branche tut alles, um weiter ihrer Sucht zu frönen. Dafür zieht sie sogar ihren treuen Handlanger, den Bundesagrarminister Christian Schmidt, ins Verderben. Auf ihren Druck hin benimmt sich auch der CSU-Politiker wie ein Junkie: Er riskiert seinen Job, er hintergeht seine Kollegen und seine Chefin, er bricht Regeln.
Schmidt hat am Montag gegen den Willen von Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ermöglicht, dass die EU das Unkrautvernichtungsmittel weitere fünf Jahre zulässt. Damit hat er die Geschäftsordnung der Bundesregierung verletzt, die bei unterschiedlichen Auffassungen der Koalitionspartner verlangt, dass Deutschland sich in EU-Abstimmungen enthält. Jetzt will ihn die SPD in keinem möglichen neuen Kabinett mit der Union tolerieren. Und Kanzlerin Angela Merkel ist blamiert, weil Schmidt ihre Anweisung ignorierte, sich zu enthalten.
Aber das ist der Agrarlobby egal. Hauptsache, sie bekommt weiter ihren Stoff. Warum verteidigen viele Bauern Glyphosat so rücksichtslos? Weil der Unkrautvernichter ein Symbol für die „moderne“ Landwirtschaft ist, wie der Bauernverband sie gern nennt. Dazu haben Glyphosat vor allem die Umweltverbände gemacht. Wenn der BUND oder Greenpeace gegen den Unkrautvernichter feuern, dann kämpfen sie auch gegen die ihrer Meinung nach umweltschädliche Turbolandwirtschaft.
Dieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Glyphosat dient dazu, die Natur zu bezwingen
Glyphosat eignet sich als Exempel, weil es der Pestizidwirkstoff ist, der am meisten genutzt wird. Denn mit ihm lassen sich die Produktionskosten reduzieren. Spritzen spart Arbeit. Man muss nicht mehr so häufig mit dem Pflug oder anderen Geräten über den Acker fahren, um das Unkraut loszuwerden. Es genügt eine Runde mit der Glyphosatspritze vor der Aussaat. Das Gift tötet dann so gut wie alles, was grün und nicht genverändert ist. Glyphosat schaltet die Natur so effizient aus wie kein anderes Pestizid.
Der Wirkstoff ist aber auch eng mit der Gentechnik verbunden. In Nord- und Südamerika hat der Verbrauch rasant zugenommen, weil die meisten gentechnisch veränderten Pflanzen beliebig oft mit dem Stoff behandelt werden können.
Glyphosat dient also dazu, die Natur zu bezwingen. Es gehört zu einer Landwirtschaft, die weniger mit als gegen die Umwelt arbeitet. Dahinter steht das gleiche Prinzip, nach dem Schweinen die Ringelschwänze gekürzt werden, um die Tiere auf engstem Raum halten zu können. Die Gülle wird in so großen Mengen auf die Felder gekippt, dass sie das Grund- und Trinkwasser verschmutzt. Masthähnchen werden so überzüchtet, dass sie regelmäßig Schmerzen leiden.
All das maximiert den Gewinn der Landwirte – und der Industrien, die sie beliefern. Leider haben sich die Bauern von den Methoden dieser Turbolandwirtschaft abhängig gemacht. Aus diesem Grund verbrauchen die Landwirte immer mehr Glyphosat. Der Absatz wuchs seit 1991 jedes Jahr im Schnitt um 11 Prozent, wie eine Statistik des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit zeigt.
Trifft es einen Menschen, ist es einer zu viel
Aber wie jede Droge ist auch Glyphosat ein Gift. Im März 2015 ist Glyphosat von der Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft worden. Die Wissenschaftler beriefen sich insbesondere auf beunruhigende Ergebnisse von Tierversuchen.
Doch die Zulassungsbehörden in der EU, den USA oder Kanada beispielsweise halten diese Experimente nicht für aussagekräftig genug. Unter anderem, weil die Versuchstiere „exzessive“ Dosen Glyphosat bekommen hätten.
Die Mengen, die wir mit den Lebensmitteln zu uns nehmen, sind gering, die Wahrscheinlichkeit, an Krebs zu erkranken, ist daher niedrig. Aber selbst wenn es nur einen Menschen treffen sollte, wäre das einer zu viel. Da Betroffene sogar sterben können, ist klar: Solche Stoffe dürfen nicht auf den Markt, selbst wenn die Krebsgefahr (noch) nicht völlig bewiesen ist.
Hinzu kommen Zweifel an der Unabhängigkeit der Behörden: Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) beispielsweise hat viele Seiten seines Gutachtens über Glyphosat wortwörtlich aus dem Zulassungsantrag der Industrie übernommen. Wie glaubwürdig kann eine „Entwarnung“ von solcher Stelle sein?
Glyphosat-Junkies brauchen eine klare Ansage
Außerdem hat das Prüfverfahren für Pestizide strukturelle Mängel. Zwar sind für die einzelnen Wirkstoffe Tierversuche vorgeschrieben, aber nicht für die fertigen Pestizide, die außer Glyphosat immer auch andere Substanzen enthalten. Diese könnten noch giftiger sein als Glyphosat selbst, das räumt selbst BfR-Präsident Andreas Hensel ein. Studien zeigen zudem, dass sich die schädliche Wirkung der verschiedenen Stoffe vergrößern kann, wenn sie mit anderen Substanzen kombiniert werden.
Und die Natur? Wenn Glyphosat so gut wie alle Pflanzen auf dem Feld zerstört, dann haben dort Vögel weniger zu fressen. Das gefährdet die Artenvielfalt.
Daran ändern auch die Bedingungen nichts, die Agrarminister Schmidt für die neue Zulassung durchgesetzt hat. Sie fordern die Behörden nur sehr vage auf, „besondere Aufmerksamkeit“ beispielsweise den Risiken für die Artenvielfalt durch Glyphosat zu widmen.
Solch zaghafte Bitten werden die Glyphosatjunkies kaum von ihrer Sucht abbringen. Sie brauchen eine klare Ansage. In etwa so: Spätestens in fünf Jahren, nach Ablauf der verlängerten EU-Zulassung, kommt ihr auf Entzug! Bis dahin werden wir euch zwingen, euren Konsum zu reduzieren.
Häufigkeit der Anwendung stärker begrenzen
Das EU-Recht gestattet Mitgliedstaaten ausdrücklich, „das Vorsorgeprinzip anzuwenden, wenn wissenschaftliche Ungewissheit besteht, ob die in ihrem Hoheitsgebiet zuzulassenden Pflanzenschutzmittel Gefahren für die Gesundheit von Mensch oder Tier oder die Umwelt bergen“. Deutschland könnte also Bauern den Einsatz von Glyphosatprodukten aus Artenschutzgründen nur noch erlauben, wenn sie einen Mindestanteil an Flächen nachweisen, auf denen Ackerwildkräuter wachsen. Die nationalen Behörden dürfen auch die zulässigen Mengen und die Häufigkeit der Anwendung stärker begrenzen.
Die deutschen Glyphosatbauern lehnen solche Einschränkungen ab, weil sie Nachteile im Wettbewerb mit anderen EU-Ländern befürchten. Aber Frankreich hat bereits angekündigt, dass Glyphosat dort nicht länger als drei weitere Jahre verwendet werden darf. Wenn die beiden größten EU-Staaten vorangehen, könnten auch andere Glyphosatgegner wie Italien und Österreich folgen. Mit dem Pestizid produzierte Importe aus Nicht-EU-Ländern könnte man auf ähnliche Weise verhindern wie die Einfuhren von Hormonfleisch.
Die Glyphosatjunkies werden trotzdem jaulen: Wir können nicht ohne den Stoff! Aber das ist falsch. Monsanto hat Glyphosat 1974 auf den deutschen Markt gebracht. Dennoch wurden noch 1987, als die Hersteller ihren Pestizidabsatz erstmals melden mussten, nur 282 Tonnen des Wirkstoffs verkauft: ein Bruchteil dessen, was jetzt verbraucht wird. Die DDR ernährte ihre Bürger sogar völlig ohne den Unkrautvernichter.
Es hilft nichts, die Junkies müssen ihr Leben umstellen: Statt zum Beispiel Raps und dann zwei Jahre lang Weizen anzubauen, könnten sie mehr Früchte auf dem Feld abwechseln. Dann wüchse weniger Unkraut. Oder sie säen zwischen Maisreihen Hülsenfrüchte, die Unkraut verdrängen. Sie könnten das Unkraut auch maschinell bekämpfen: mit einem Striegel etwa, der den Boden nicht so tief aufreißt und weniger Erosion verursacht als der Pflug. Das alles ist kein Hexenwerk, sondern uraltes Handwerk. Die Bauern müssen wieder auf ihr traditionelles Wissen vertrauen – und nicht mehr ihrem Chemiedealer.
Eine Therapie ist möglich
Die Glyphosatsüchtigen können aber – anders als zuweilen behauptet – nicht auf Ersatzdrogen ausweichen, die möglicherweise noch gefährlicher wären. Denn kein Unkrautvernichter tötet so viele Pflanzenarten so effizient wie Glyphosat. Für die wichtigsten Anwendungen gebe es „keine chemische Alternative“, hat auch das bundeseigene Julius-Kühn-Forschungsinstitut für Kulturpflanzen festgestellt.
Ja, manche Lebensmittel wie Äpfel würden ohne Glyphosat wohl etwas teurer. Aber das sollte uns die Vorsorge gegen Krebs wert sein. Natürlich würden wir ohne den Unkrautvernichter etwas weniger produzieren, aber wenn in der EU jedes Jahr ein Drittel aller produzierten Lebensmittel weggeworfen wird, sollten wir lieber die Verschwendung reduzieren, als Gift zu spritzen. Oder weniger Fleisch essen, das sehr ressourcenintensiv produziert wird. Oder weniger exportieren und dadurch die Agrarwirtschaft in anderen Ländern unter Druck setzen.
Eine Therapie ist also möglich. Die Glyphosatjunkies müssen sie nur wollen – die Politik sollte ihnen dabei helfen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit