Nach Verbot von Pro-Palästina-Demos: Falsches Demokratieverständnis

Am Wochenende sind in Berlin pro-palästinensische Demonstrationen verboten worden. Mit Meinungsfreiheit ist das nicht vereinbar.

Ein Mann macht das Victory Zeichen, er trägt eine Broschüre für Palästina in der Hand und steht zwischen 2 Polizisten

Festnahme eines Demonstranten am „Nakba-Tag“ in Berlin-Neukölln Foto: Florian Boillot

Vieles musste man in den Pandemiejahren an Demonstrationen ertragen: Querdenken und Co­ro­nal­eug­ne­r*in­nen taten massenhaft und deutschlandweit ihre Ideologien kund, darunter antisemitische Verschwörungstheorien, aber auch Holocaustverharmlosung etwa, indem der gelbe „Judenstern“ mit der Aufschrift „ungeimpft“ versehen wurde. Und immer schon gab es sie in der Bundesrepublik: Neonaziaufmärsche, wo Teilnehmer ihre Hakenkreuz-Tatoos gerade so dürftig mit Klebeband verdecken, dass die Symbole noch erkennbar sind, sie aber nicht wegen Volksverhetzung aus der Demonstration gezogen werden.

In einem Land, wo Meinungsfreiheit herrscht, ist es Aufgabe der Zivilgesellschaft, sich derart menschenverachtenden Demonstrationen in den Weg zu stellen. Zahlreiche Antifa-Gruppen aber auch lose vernetzte Menschen tun das immer wieder mit bemerkenswerter Ausdauer. Als die rechtsextreme Partei „III. Weg“ am 3. Oktober 2020 in Berlin-Hohenschönhausen einen Aufmarsch unternehmen wollte, gab es so viele und große Sitzblockaden auf der Demoroute, dass die Neonazis umkehren mussten. Ihre Reden auf einem Platz wurden mit lauten Protestrufen gestört.

Oft „schützt“ die Polizei solche rechtsextremen Veranstaltungen mit erstaunlichem Eifer: Sitzblockaden werden mit Geknüppel und Festnahmen aufgelöst, die Demoroute wird im Vorfeld schon so weitläufig abgesperrt, dass die Neonazis auch nicht durch lautes Rufen gestört werden – im Namen der Meinungsfreiheit.

Wenn Palästinenser in Gedenken an die „Nakba“ genannte Vertreibung demonstrieren wollen, legen die Polizei und auch die zuständigen Berliner Verwaltungsgerichte eine ganz andere Messlatte an. Sowohl mehrere Demos wurden verboten als auch eine Mahnwache für die kürzlich ermordete Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh. Die Begründung lautete: Es bestehe die Gefahr, dass es zu „volksverhetzenden, antisemitischen Rufen, Gewaltverherrlichung und Gewalttätigkeiten“ kommen könne. Wer schon mal die polizeiliche Kulanz gegenüber oben genannten Neonazis beobachtet hat, mag verbittert lachen. Zu Recht steht nun der Vorwurf im Raum, dass die Verbote antiarabischen Rassismus zur Motivation haben.

Getötete Al-Jazeera-Journalistin

Zum Hintergrund: Der Fernsehsender Al Jazeera beschuldigt das israelische Militär, die 52-jährige Journalistin Abu Akleh vorsätzlich getötet zu haben. Diese hatte über einen israelischen Militäreinsatz in Dschenin berichtet. Israelische Behörden streiten die Tat ab. Sie untersuchen den Fall derzeit. Gemeinsame Ermittlungen mit Israel lehnen die Palästinenser ab. Sie weigern sich auch, die Kugel zu übergeben, die die Journalistin tötete.

Laut vorläufigen Rechercheergebnissen der Investigativgruppe Bellingcat gebe es Hinweise, wonach Abu Akleh von der Kugel eines israelischen Soldaten getötet wurde. Am Montag veröffentlichte Bellingcat ein vorläufiges Ergebnis ihrer Untersuchung von Video- und Audiodateien aus sozialen Medien, die diesen Schluss nahelegen.

Bei der Beerdigung der getöteten Journalistin am 13. Mai in Jerusalem wurde die Prozession von israelischen Einsatzkräften gestürmt und mit Knüppeln auseinandergetrieben. Die UNO verurteilte das Vorgehen. Die israelische Polizei hatte bereits am Samstag eigene Untersuchungen der seitens der Sicherheitskräfte ausgeübten Gewalt angekündigt.

Einschreiten der Behörden

Einer Mahnwache für die ermordete Journalistin schon im Voraus Antisemitismus zu unterstellen, ist absurd. Es stimmt zwar, dass Kritik an der Regierung von Israel von manchen Gruppierungen genutzt wird, um Antisemitismus zu verbreiten – das sollte benannt und kritisiert werden. Es muss umgekehrt aber auch möglich sein, Unrecht zu benennen und palästinensischen Protest zu äußern.

In Berlin wurde die Mahnwache von dem Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ angemeldet. Ein deutsches Gericht erklärt also einem jüdischen Verein seinen Antisemitismus. Abgesehen von dieser Peinlichkeit geht es hier aber vor allem um Grundrechte. Auch ein palästinensischer Verein müsste das Recht haben, eine solche Mahnwache, wie auch die Nakba-Demo, abhalten zu können.

Zu den Grundlagen eines Rechtsstaats gehört: Bestraft wird nur, wenn jemand eine Tat auch wirklich begangen hat – und nicht, wenn sie von Behörden vermutet wird. Wenn es den deutschen Behörden also wirklich um die Unterbindung von Gewalt und Volksverhetzung geht, müssen sie einschreiten, wenn es dazu kommt – und erst dann. So aber kommt die Demokratiefeindlichkeit vor allem von einer Seite: den Behörden selbst.

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